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Ionenselektive Elektrode

Verfasst von: O. Müller-Plathe
Ionenselektive Elektrode
Synonym(e)
ISE; ionensensitive Elektrode
Englischer Begriff
ion-selective electrode
Definition
Elektrochemischer Sensor, der mit einem aktivitätsabhängigen Messsignal weitgehend spezifisch auf eine bestimmte Ionenart reagiert.
Beschreibung
Eine ionenselektive Messeinrichtung („Kette“) besteht aus zwei Elektrodeneinheiten, der eigentlichen ionenselektiven Messelektrode und der Referenzelektrode, die beide im Kontakt zur Messflüssigkeit stehen und mit einem Voltmeter verbunden sind. Die prinzipielle Aufbau einer ionenselektiven Messkette zeigt folgende Abbildung:
Messelektrode
Funktion: Grundlage der Ionenselektivität sind reversible Ionenbewegungen zwischen der Messlösung, der für die betreffende Ionenart penetrierbaren Membran und der inneren Bezugslösung, die eine konstante Zusammensetzung hat. Dabei entsteht ein Membranpotenzial, das auf Seiten der Messlösung mit der Referenzelektrode und aus der inneren Bezugslösung mit der Ag/AgCl-Elektrode abgeleitet wird. Aus der Nernst-Gleichung (Hermann Walter Nernst [1854–1941], deutscher Physikochemiker, Nobelpreis 1920) ergibt sich bei konstanter Ionenaktivität der inneren Bezugslösung und unter Berücksichtigung unspezifischer Diffusionspotenziale E′ das Gesamtpotenzial E der Messkette:
R = allgemeine Gaskonstante (8,31431 J · K−1 · mol−1); T = Abs. Temperatur (K, Kelvin); F = Faraday-Konstante (96487 C · mol−1); z = Ladungszahl; ln 10 = 2,303
Für die Messtemperatur von 37 °C (310,15 K) ergibt sich für einwertige Ionen E = E′ + 61,5 lg αm.
61,5 mV ist der sog. Nernst-Faktor und gibt die theoretische Steilheit der Elektrode bei 37 °C an. Für zweiwertige Ionen beträgt er 30,77 °C. Praktisch bedeutet das: Bei Aktivitätsänderung um eine Zehnerpotenz nimmt die Spannung theoretisch um 61,5 bzw. 30,8 mV zu oder ab. Diese Werte werden fast nie vollständig erreicht. Die tatsächliche Steilheit, oft als „sensitivity“ oder „slope“ bezeichnet, beträgt in der Regel 90–98 % des theoretischen Wertes und wird ebenso wie E‘ durch eine Zweipunktkalibration erfasst und ausgeglichen. Das Potenzial der Messelektrode wird in der Regel mit einer Silber-/Silberchlorid-Elektrode, einem thermisch oder elektrolytisch mit AgCl beschichteten Silberstift, abgeleitet. Als innere Bezugslösung dient meistens 0,1 m KCl-Lösung.
Selektivität: Ionenselektive Membranen reagieren nicht absolut spezifisch auf die zu bestimmende Ionenart. In geringerem Umfang beteiligen sich ähnlich strukturierte Ionen am Übertritt in die Membran, vergrößern die gemessene Spannung und täuschen zu hohe Messwerte vor. Die bekanntesten Beispiele hierfür sind der Natriumfehler der pH-Glaselektrode und der Ca2+-Einfluss auf die Magnesiumelektrode. Der Einfluss von Störionen wird in der Nikolski-Gleichung, einer Erweiterung der Nernst-Gleichung, durch den Selektivitätskoeffizienten Kxy ausgedrückt, der möglichst klein sein sollte (Einzelheiten s. IFCC 2000). Mangelnde Selektivität wirkt sich vor allem im niedrigen Konzentrationsbereich störend aus und erhöht die Nachweisgrenze für das interessierende Ion.
Interferenzen: Sie entstehen vor allem durch Proteinablagerungen und Netzmittelreste an der Membran und beeinträchtigen die Reproduzierbarkeit. Sie sind durch geeignete Spülung zu vermeiden.
Ansprechzeit: Definiert als das Intervall zwischen dem Zeitpunkt, zu dem die Probe die Membran bedeckt, und dem Augenblick, an dem die Spannungsänderung den Wert 0,1 mV/min erreicht.
Referenzelektrode und Flüssigkeitsverbindung
Die Referenzelektrode besteht aus einer inneren Elektrode (Kalomelelektrode [Hg/Hg2Cl2] oder Ag/AgCl), die in eine konzentrierte KCl-Lösung (3,5–4,0 M) eintaucht. Diese muss zur Messflüssigkeit so abgegrenzt sein, dass eine möglichst unveränderliche, leitende Verbindung zwischen dieser und der KCl-Lösung entsteht. Diese Flüssigkeitsverbindung kann statisch ausgebildet sein („Diaphragma“ z. B. aus keramischer Fritte oder Cellophanmembran) oder sie ist – besonders vorteilhaft für Messungen im Blut – dynamisch gestaltet, indem zu jeder Messung frische KCl-Lösung in geringen Mengen an die Phasengrenze gefördert wird. An der Flüssigkeitsverbindung bildet sich ein Phasengrenzpotenzial aus, vorwiegend durch unterschiedliche Diffusionsgeschwindigkeiten der beteiligten Ionen, aber auch durch Einflüsse seitens der Erythrozyten. Dieses muss möglichst konstant gehalten werden (E′ in o. a. Gleichung). Hoch konzentrierte KCl-Lösung führt zu annähernd gleichen Diffusionspotenzialen sowohl gegenüber Kalibrationslösung als auch gegenüber Blut. Die dennoch bestehen bleibende Differenz wird als Residualpotenzial bezeichnet und entspricht mit ca. 1,4 mV z. B. einer pH-Differenz von −0,02.
Eine Referenzelektrode kann gleichzeitig mehreren Messelektroden, z. B. pH und Elektrolyten, zugeordnet sein.
Kalibration
Ionenselektive Elektroden werden mit zwei sekundären Standardlösungen kalibriert, deren Zusammensetzung auf international anerkannte Referenzmaterialien zurückführbar sein soll (pH-Wert im Blut). Oft wird mit kompliziert zusammengesetzten Gebrauchsstandards gearbeitet, die die gleichzeitige Kalibration mehrerer Elektroden einer Messkammer (pH und Elektrolyte) zulassen.
Mit ionenselektiven Elektroden wird bei Einsatz im unverdünnten Probenmaterial primär die molale Aktivität gemessen. Zum Zusammenhang zwischen dieser und der in der medizinischen Diagnostik üblichen molaren Substanzkonzentration Elektrolyte.
Elektrodenarten
1.
Glaselektrode
 
a.
pH-Messung
 
Die Glaselektrode ist bei weitem die älteste ionenselektive Elektrode. Zuerst entwickelt im Jahr 1909 durch Haber (Fritz Haber [1868–1934], deutscher Chemiker, Nobelpreis 1918), erhielt sie die für pH-Messungen im Blut ausgereifte Form um 1960. pH-sensitive Glasmembranen (0,01–0,1 mm dick) sind aus Siliciumdioxid gefertigt, dem etwa 20–25 % Alkalimetalloxide (Na2O oder Li2O) und 6–7 % CaO zugesetzt sind, und zeichnen sich durch hohes Quellungsvermögen mit Ausbildung einer oberflächlichen Gelschicht aus, in die H+-Ionen reversibel eindringen können. Der bekannte „Alkalifehler“, mangelnde Selektivität gegenüber Na+ in pH-Bereichen über 8, konnte bei neueren Elektroden mit einem Selektivitätskoeffizienten von 10−15 eliminiert werden.
Durch spezielle Gestaltungen wurde die pH-Elektrode an besondere Anforderungen angepasst:
Bei der Einstabelektrode (s. Abbildung) ist die Referenzelektrode mit der KCl-Lösung mantelförmig um den Schaft der Glaselektrode angeordnet und hat seitlich ein Keramikdiaphragma. Nachfolgend ist eine Einstab-pH-Elektrode abgebildet (aus Müller-Plathe 1982):
Dieser Typ ist geeignet für Messungen in wässrigen Lösungen sowie im Urin, in Sekreten und Punktaten. Der Messbereich umfasst pH 1–13. Anzeige von einer Dezimalstelle. Erforderliches Probenvolumen einige Milliliter.
Bei Blut-pH-Messungen (Blutgasanalyse) sind besondere Anforderungen zu erfüllen:
  • Messbereich 6,5–8,0
  • Höchste Genauigkeit, Anzeige von 3 Dezimalstellen
  • Probenvolumen <100 μL
  • Vermeidung von Luftkontakt bei Einfüllung und Messung der Probe
  • Temperierung der gesamten Messkette auf 37±0,1 °C
  • Automatische Spülung und Kalibration
Diesen Anforderungen wird dadurch entsprochen, dass in temperierter Umgebung entweder die sensitive Membran als Glaskapillare ausgebildet ist, die von der inneren Bezugslösung mit ableitender Elektrode ummantelt ist, oder dass die Messkammer als Kapillare mit seitlichen Öffnungen gestaltet wird, denen die Messelektrode und die Referenzelektrode fest aufsitzen. Bei dieser Anordnung ergibt sich die Möglichkeit, mehrere Elektroden in einer Kammer zu kombinieren und sie mit einer gemeinsamen Referenzelektrode zu betreiben, wie es bei modernen Blutgas-pH-Elektrolyt-Analysatoren in miniaturisierter Form üblich ist.
b.
Natriumbestimmung
 
Na+-selektive Glaselektroden enthalten neben Siliciumdioxid als Grundsubstanz einen relativ hohen Anteil Aluminiumoxid und nur 11 % Na2O. Sie sind weitgehend selektiv gegenüber K+ und H+. Räumliche Anordnung für Messungen im Blut entsprechend der Blut-pH-Messung.
2.
Flüssigmembranelektrode mit neutralem Carrier
 
In eine Matrix aus wasserunlöslichem Plasticizer und PVC ist ein Ionophor (z. B. eine makrozyklische Substanz) gelöst, in dessen Hohlraumstruktur das zu messende Ion „passt“ und damit dieses durch eine Membran transportieren kann. Bekannte Beispiele: Valinomycin für K+, ETH 1001 für Ca2+, ETH 5220 oder ETH 7025 für Mg2+.
3.
Flüssigmembran mit hydrophobem geladenem Carrier
a.
Anionisch, z. B. Bis-(di-p-octylphenylphophat) für Ca2+, Methylmonensin für Na+.
 
b.
Kationisch, z. B. quarternäre Ammoniumsalze für Cl.
 
 
4.
Festkörperelektroden enthalten in der Membran kristallines Material, bevorzugt Halogensalze wie z. B. Silberchlorid für die Chloridbestimmung auf der Hautoberfläche oder Lanthanfluorid für die Fluoridbestimmung. Die Elektrode reagiert auf den Bestandteil in der Probe, der mit einer der Komponenten in der Membran das geringste Löslichkeitsprodukt hat.
 
5.
Ionenselektive Feldeffekttransistoren (ISFET) sind im eigentlichen Sinne keine Elektroden. Es handelt sich um Feldeffekttransistoren, deren Eingangsisolator mit einer ionensensitiven Schicht bezogen ist. Die enge Integration von ionenselektiver Membran und Verstärker ermöglicht eine sehr weitgehende Miniaturisierung, die eine Anwendung im Bereich der patientennahen Diagnostik begünstigt.
 
Literatur
International Federation of Clinical Chemistry and Laboratory Medicine (IFCC) (2000) Use of ion-selective electrodes for blood-electrolyte analysis. Recommendations for nomenclature, definitions and conventions. Clin Chem Lab Med 38:363–370
Müller-Plathe O (1982) Säure-Basen-Haushalt und Blutgase, 2. Aufl. Thieme, Stuttgart