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Lipase, pankreatische

Verfasst von: A. M. Gressner und O. A. Gressner
Lipase, pankreatische
Synonym(e)
EC 3.1.1.3; Pankreas-Lipase
Englischer Begriff
lipase; triacylglycerol acylhydrolase
Definition
Humane Pankreaslipase hydrolysiert im Duodenum Glycerolester langkettiger Fettsäuren (Triglyzeride) an hydrophoben Grenzflächen (Mizellen im Verdauungstrakt) in Gegenwart von Colipase sequenziell in Glycerol und freie Fettsäuren; die Enzymaktivität im Serum dient als Kenngröße (Kenngröße, klinisch-chemische) von Pankreasnekrosen, z. B. bei (akuter) Pankreatitis.
Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination
Lipase ist ein Glykoprotein (15 % Kohlenhydrate) mit einer Peptidkette von 420–449 Aminosäuren, pH-Optimum 7,5–10,0. Es sind zwei humane Pankreasisolipasen mit isoelektrischen Punkten von 5,80 und 5,85 und variablem Sialinsäuregehalt bekannt. Molmassenverteilung:
Lipasetyp
Molmasse (kDa)
Pankreaslipase
46–56
Serumlipase
32–39
Colipase
9,9
Synthese und Sekretion erfolgen durch die Azinuszellen des Pankreas, 99 % werden über den apikalen Pol in den Ductus pancreaticus und somit in das Duodenum sezerniert, 1 % wird in entgegengesetzter Richtung über den basalen Pol in Lymph- und Blutkapillaren sezerniert. Das Enzymaktivitätsverhältnis zwischen Blut und Duodenalsaft beträgt etwa 1:800, der Enzymgradient zwischen Serum und Pankreas etwa 1:20.000. Das Lipasegen ist auf Chromosom 10, Colipasegen auf Chromosom 6 lokalisiert. Die enzymatische Funktion im Duodenum betrifft die sequenzielle Hydrolyse von Glyzerolestern langkettiger Fettsäuren (Triglyzeride) in Gegenwart des wasserlöslichen, hitzestabilen pankreatischen Glykoproteins Colipase und Gallensäuren (Abb. 1): zunächst Spaltung der Esterbindung an C1 (α-Position), gefolgt von Esterhydrolyse an C3 (γ-Position) zum β-Monoacylglyzerid und 2 Molekülen Fettsäuren, Isomerisierung zum α-Monoacylglyzerid mit folgender Esterhydrolyse zum freien Glyzerol und einem Molekül freier Fettsäuren. Das Substrat muss in emulgierter oder mizellarer Form an der hydrophoben Grenzfläche Substrat-Wasser in Gegenwart von Gallensäuren vorliegen. Nur in Anwesenheit von Colipase wird eine Substratkonfiguration mit hoher Affinität und Spezifität für Pankreaslipase erreicht.
Die Lipaseaktivität im Serum ist nahezu ausschließlich pankreatischen Ursprungs, extrapankreatische Lipase entstammt der Zungenspeicheldrüse, Magen, Lunge, intestinaler Mukosa, Leukozyten, Fettzellen, Leber und der endothelialen Postheparinlipase. Die genannten Lipasen haben ein von der Pankreaslipase abweichendes pH-Optimum. Pankreaslipase wird glomerulär filtriert und tubulär vollständig resorbiert und ist deshalb im Urin normalerweise nicht nachweisbar.
Halbwertszeit
7–14 Stunden.
Funktion – Pathophysiologie
Pankreasnekrosen im Rahmen akuter und chronisch-rezidivierender Entzündungen oder Traumatisierungen führen zur Enzymfreisetzung über den basalen Pol der Azinuszellen in das Lymph- und Blutgefäßsystem. Pankreasgangobstruktion, Tumoren und Gewebeödeme bewirken über Steigerung des Sekretionsdrucks die Freisetzung des Enzyms in das Interstitium und die Blutzirkulation. Die Höhe des Aktivitätsanstiegs im Serum (2- bis 50-fach) korreliert nicht streng mit dem Ausmaß der Azinusschädigung.
Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen
Serum, Plasma, Aszites, Pleuraflüssigkeit, Drainagesekret.
Probenstabilität
Probenstabilität beträgt 7 Tage bei Raumtemperatur und 4 °C, 1 Jahr bei –20 °C.
Analytik
Titrimetrische Aktivitätsbestimmung
Als Substrat dient eine mit calciumhaltiger Gummi-arabicum-Lösung stabilisierte Emulsion von Triolein oder Olivenöl in Wasser, als Aktivator Na-Glykocholat und Colipase. Bei pH 8,6 werden die freigesetzten Protonen mit 0,01 mol/L NaOH kontinuierlich automatisch (pH-Stat) titriert.
Reaktion:
Variationskoeffizient ca. 2,5 %, aufwendige, für Routineeinsatz nicht geeignete Referenzmethode (Titration).
Turbidimetrische oder nephelometrische Aktivitätsbestimmung
Die Trübung einer durch Na-Desoxycholat, CaCl2 und Schweine-Colipase stabilisierten Trioleinemulsion nimmt infolge Hydrolyse durch Lipase (bei pH 9,2) ab, was turbidimetrisch bei 340 nm (Trübungsmessung) oder nephelometrisch (Streulichtmessung) fortlaufend registriert wird (kinetische Messung). Die Ergebnisse werden über einen mitgeführten Lipasestandard berechnet, dessen Aktivität mit der kontinuierlichen titrimetrischen Referenzmethode (s. oben) bestimmt wird. Variationskoeffizient ca. 3,4 %. Die Methode ist unempfindlich, ein Teil der Proben zeigt einen nicht linearen Reaktionsverlauf, dennoch ist sie als Routinemethode im Einsatz.
Reaktion:
Enzymatischer Farbtest
Das Lipasefarbsubstrat 1,2-O-Dilauryl-Rac-Glycero-3-Glutarsäure-(6-Methylresorufin-)Ester wird durch Lipase in alkalischer Lösung zu 1,2-O-Dilauryl-Rac-Glycerol und einem instabilen Zwischenprodukt, dem Glutarsäure-(6-Methyl-Resorufin-)Ester gespalten. Dieser zerfällt in alkalischer Lösung spontan in Glutarsäure und Methylresorufin. Die Zunahme der Farbintensität pro Zeiteinheit des gebildeten roten Farbstoffs wird bei 570 nm gemessen und ist der Lipaseaktivität direkt proportional. Variationskoeffizient ca. 1,2 %, praktikable Routinemethode.
Immunologische Bestimmung der Lipasekonzentration
ELISA zur Messung der immunreaktiven Konzentration. Selten eingesetzt, sehr empfindlich, kostenintensiv.
Referenzbereich – Erwachsene
Alle Referenzbereiche sind methodenabhängig verschieden, eine Alters- und Geschlechtsabhängigkeit besteht nicht.
Indikation
  • Diagnose der akuten Pankreatitis
  • Diagnoseunterstützung von Pakreaskarzinom, zystischer Pankreasfibrose und Pankreasbeteiligungen bei akuten abdominellen Erkrankungen
  • Verlaufskontrolle der chronisch-rezidivierenden Pankreatitis
Interpretation
Bei unkompliziertem Verlauf der akuten Pankreatitis steigt die Lipaseaktivität im Serum innerhalb von 4–8 Stunden an, erreicht Gipfel bei 24 Stunden und fällt über eine Zeitspanne von ca. 8–14 Tagen zu Referenzwerten (Referenzwert) ab (s. Abb. 2). Die Abbildung zeigt die Entwicklung der Lipasekonzentration bei einem Patienten mit akuter Pankreatitis:
Aktivitäten bleiben länger als die der Amylase erhöht. Die Amplitude variiert zwischen dem 2- und 50-Fachen des oberen Referenzbereichs und ist damit größer als die der Amylase. Der Grad der Erhöhung steht nicht in direkter Proportionalität zur Schwere der akuten Erkrankung. Weitere Ursachen: ERCP (endoskopische retrograde Cholangio-Pankretikographie), Niereninsuffizienz (Kreatinin >3 mg/dL), diabetische Ketoazidose, Virushepatitis, Opiate (durch Kontraktion des Sphincter Oddi), Normalaktivitäten bei akuter Parotitis (Mumps).
Diagnostische Wertigkeit
Im Vergleich zur Amylase hat die Lipase überlegene diagnostische Kriterien mit Sensitivitäten um 87 % (82–100 %) und Spezifitäten um 99 % (82–100 %) weist einen früheren und größeren Aktivitätsanstieg als die Amylase auf und bleibt längerfristig erhöht mit Normalisierung nach 8–14 Tagen. Ätiologisch unklare Amylaseerhöhungen lassen sich durch Lipasebestimmung klären.
Der Einsatz der hochempfindlichen immunologischen Lipasekonzentrationsbestimmung im Serum wurde zur Diagnostik der exkretorischen Pankreasinsuffizienz (Lipaseabnahme) empfohlen.
Bei moderaten Lipaseerhöhungen ohne klinischem Korrelat und normaler Amylaseaktivität ist das Vorliegen der sehr seltenen Makrolipase (Komplex aus Lipase und Immunglobulin G, Molmasse >200 kDa) auszuschließen. Einmalig, wiederholt oder dauerhaft auftretende Lipaseerhöhungen im Serum ohne klinische Befunde sind in diesen Fällen berichtet worden, die teilweise familiär gehäuft auftreten können.
Literatur
Greiling H, Gressner AM (Hrsg.) Lehrbuch der Klinischen Chemie und Pathobiochemie, 3. Aufl. 1995, Schattauer Verlag, Stuttgart, New York
Tietz NW, Shuey DF (1993) Lipase in serum – the elusive enzyme: an overview. Clin Chem 39:746–756PubMed