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Lexikon der Medizinischen Laboratoriumsdiagnostik
Info
Verfasst von:
S. Holdenrieder
Publiziert am: 11.01.2018

Nukleosomen

Nukleosomen
Synonym(e)
Nukleosomale DNA-Fragmente
Englischer Begriff
nucleosomes
Definition
Nukleosomen sind die Elementarbestandteile des Chromatins. Sie sind funktionelle Komplexe, die aus einem Proteinkern aus Histonen sowie DNA an dessen Außenseite bestehen.
Struktur
Der Nukleosomenkern setzt sich aus der zweifachen Anordnung der Histone H2A, H2B, H3 und H4 zusammen. Um diesen Kern windet sich etwa 1,5-mal die DNA-Doppelhelix mit einer Länge von etwa 147 Basenpaaren. Die Verbindung zum nächsten Nukleosom wird durch Linker-DNA bewerkstelligt, die eine unterschiedliche Länge aufweisen kann.
Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination
Das Kernchromatin aller eukaryontischen Zellen ist in seiner Primärstruktur aus nukleosomalen Grundeinheiten aufgebaut. Da die Transkriptionsvorgänge im Zellkern ablaufen, sind Nukleosomen vor allem dort zu finden. Beim apoptotischen Zelltod kommt es zu einer geregelten Degradation der Zellbestandteile, so auch des Chromatins. Da Endonukleasen bevorzugt an der wenig konservierten, internukleosomalen Linker-DNA ansetzen können, entstehen dabei DNA-Fragmente in Form von Mono- und Oligonukleosomen. Theoretisch werden diese im weiteren Apoptoseprozess in Vesikel wie z. B. apoptotische Körperchen verpackt und von Makrophagen bzw. Nachbarzellen phagozytiert. Allerdings sind die Recycling-Mechanismen in manchen pathologischen Situationen gestört oder überlastet, und Nukleosomen können auch im Serum und Plasma nachgewiesen werden. Dort werden die Nukleosomen jedoch in der Regel rasch durch intraplasmatische Endonukleasen degradiert, durch Zellen des retikuloendothelialen Systems beseitigt oder durch hepatische bzw. renale Mechanismen eliminiert.
Funktion – Pathophysiologie
Die Assoziation von DNA und Histonen in den Nukleosomen spielt für die Konservierung der DNA einerseits und für Transkriptionsvorgänge andererseits eine wichtige Rolle. Dabei können die Verbindungen temporär gelockert oder die Nukleosomen als Ganze transloziert werden, um spezifische Gensequenzen für Transkriptionsfaktoren und Polymerasen zugänglich zu machen. Beim apoptotischen Zelltod ist die Degradation des Chromatins in kleinste Bestandteile und deren anschließende Phagozytose durch Makrophagen von Bedeutung, damit möglicherweise fehlerhafte oder schädliche Informationen nicht in andere Zellen weitergegeben werden.
Bei malignen Erkrankungen findet häufig parallel zur gesteigerten Proliferation ein gegenregulierend erhöhtes Zelltodvorkommen statt. Nukleosomen werden nicht mehr ausreichend beseitigt und sind in erhöhten Konzentrationen in der Blutbahn nachweisbar. Dort können sie immunogenes Potenzial entwickeln und möglicherweise essenzielle Informationen der Tumorzellen weiterreichen.
Zirkulierende Nukleosomen können Träger von genetischen oder epigenetischen tumorspezifischen Veränderungen sein. Hierbei kann die nukleosomale DNA durch Mutationen oder durch Hypermethylierung von CpG-Inseln in Promotorregionen von Tumorsuppressorgenen (DNA-Methylierung) oder die Histonkomponente u. a. durch Acetylierungen, Methylierungen, Phosphorylierungen oder Ubiquitinilierungen betroffen sein. Des Weiteren können einzelne Histone durch alternative Varianten ersetzt werden, wodurch u. a. Reparaturvorgänge begünstigt werden. Außerdem können Nukleosomen mit anderen Proteinen wie HMGB1, EZH2 oder Hormonrezeptoren assoziiert sein. Ob die quantitative Bestimmung dieser modifizierten Nukleosomen zu einer spezifischeren Tumordiagnostik führt, wird derzeit untersucht.
Ein neuer diagnostischer Ansatz untersucht mittels NGS (Next-Generation Sequencing) die Nukleosomen-depletierten Regionen, die einen Hinweis auf die Positionierung der Nukleosomen im Genom erlauben. Dadurch können einerseits gewebespezifische Nukleosomen identifiziert und andererseits das Transkriptionsmuster bei verschiedenen Erkrankungen ermittelt werden.
Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen
Serum (mit Stabilisator), Plasma.
Indikation
Monitoring des Therapieverlaufs und frühzeitige Prädiktion des Therapieansprechens bei verschiedenen soliden Tumoren, Prognose.
Interpretation
Generell wurden bei Patienten mit verschiedenen malignen Erkrankungen höhere Nukleosomen-Serumspiegel beobachtet als bei gesunden Personen wie auch bei Patienten mit benignen Erkrankungen. Allerdings können auch letztere, insbesondere bei bakteriellen Infekten, zum Teil sehr hohe Werte erreichen, weshalb die diagnostische Wertigkeit der Nukleosomen limitiert ist. Bei einigen Tumorarten wurde eine Korrelation zum Tumorstadium beschrieben; ebenso wurde u. a. beim Lungen-, Mamma- und bei gastrointestinalen Karzinomen eine Assoziation mit der Prognose berichtet. Zudem wurde bei Tumorpatienten, die sich einer Chemo- oder Radiotherapie unterzogen, eine Korrelation mit dem Therapieansprechen gefunden. Insbesondere wurden zu Beginn der Therapien jeweils deutliche initiale Konzentrationsspitzen festgestellt, die im weiteren Verlauf schnell wieder abfielen. Für das Lungenkarzinom und für gastrointestinale Karzinome wurde gezeigt, dass diese Kinetik zirkulierender Nukleosomen während der ersten Behandlungstage einer systemischen oder lokalen zytotoxischen Therapie eine frühzeitige Prädiktion des späteren Therapieansprechens erlaubt. Neben der Tumordiagnostik wird die Rolle von Nukleosomen auch bei der Entstehung von ischämischen und thromboembolischen Ereignissen untersucht.
Diagnostische Wertigkeit
Monitoring des Therapieverlaufs und frühzeitige Prädiktion des Therapieansprechens bei verschiedenen soliden Tumoren; Prognose.
Literatur
Holdenrieder S (2014) Circulating nucleic acids in therapy monitoring. In: Gahan PB (Hrsg) Circulating nucleic acids in early diagnosis, prognosis and treatment monitoring, Bd 5. Springer, Dordrecht, S 309–348
Holdenrieder S, Stieber P (2009) Clinical use of circulating nucleosomes. Crit Rev Clin Lab Sci 46:1–24CrossRefPubMed
Holdenrieder S et al (2001) Nucleosomes in serum of patients with benign and malignant diseases. Int J Cancer 95:114–120CrossRefPubMed
Snyder MW et al (2016) Cell-free DNA comprises an in vivo nucleosome footprint that informs its tissues-of-origin. Cell 164:57–68CrossRefPubMedPubMedCentral
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