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Parvo-Viren

Verfasst von: W. Stöcker
Parvo-Viren
Synonym(e)
Erythema infectiosum; Ringelröteln
Englischer Begriff
parvovirus B19; fifth disease
Beschreibung des Erreger
Familie Parvoviridae, Genus Erythrovirus.
Erkrankung
Parvo-Virus-B19-Infektionen verursachen vor allem im Frühjahr lokale Epidemien und treten bevorzugt in Kindergärten und Schulen auf. Die Viren werden vorwiegend über den Respirationstrakt weitergegeben und aufgenommen, sie können auch durch Blut oder Blutprodukte sowie diaplazentar übertragen werden. Etwa 30 % der Infektionen im Kindesalter verlaufen symptomfrei, ansonsten kommt es nach einem unspezifischen Prodromalstadium mit Fieber, Kopfschmerzen, Übelkeit und Durchfall zu einem charakteristischen Exanthem („Ringelröteln“). Bei allen Parvo-Virus-B19-Infektionen nehmen die Retikulozyten und die Hämoglobin-Werte ab, bedingt durch die Zerstörung von Erythrozyten-Vorläuferzellen. Gelegentlich treten Komplikationen auf, wie Arthritis, persistierende Thrombo- und Neutropenie, Enzephalitis, Vaskulitis und Myokarditis. Allgemein ist der Krankheitsverlauf bei Erwachsenen deutlich schwerer als bei Kindern.
Die Seroprävalenz im gebärfähigen Alter liegt bei 60–70 %. Infektionen während der Schwangerschaft können auf den Fetus übertragen werden, was insbesondere in den ersten 20 Wochen der Schwangerschaft schwerwiegende Folgen hat: Das Virus kann sich ab der 10. Woche in den Pronormoblasten der fetalen Leber vermehren und diese zerstören, was zu Anämie und Hydrops fetalis führt. Die Symptome entstehen beim Fetus zeitverzögert, um 2–6 Wochen versetzt, gelegentlich um bis zu 18 Wochen nach der Infektion der Mutter. Schwere Anämien des Fetus (Hb <8 g/dL) können durch Bluttransfusionen behandelt werden.
Analytik
Direktnachweis: Der direkte Virusnachweis mittels PCR (Polymerase-Kettenreaktion) ist etwa 2–3 Tage nach Viruskontakt möglich. Neutralisierende Antikörper eliminieren den Erreger, sodass die PCR bei infizierten Kindern in der Regel 3–4 Wochen nach der Infektion negativ wird. Bei Erwachsenen kann die Virämie dagegen über Wochen und Monate persistieren. Gelegentlich ist nach Elimination des Erregers in verschiedenen Geweben virale DNA nachweisbar, was die Abklärung unklarer Krankheitsbilder erschwert.
Serologie: Etwa ab dem 10. Tag nach Infektion können spezifische Antikörper der Klasse IgM im Serum nachgewiesen werden, meist einhergehend mit dem Exanthem. Einige Tage später steigen auch die Titer der Klasse IgG gegen die viralen Proteine VP1 und VP2 an, die lebenslang persistieren. Die für die serologischen Methoden eingesetzten Zielantigene basieren fast alle auf rekombinanten viralen Struktur- und Nichtstrukturproteinen, da es schwierig ist, Parvo-Virus B19 effizient in vitro zu kultivieren. Neben Enzymimmunoassay (Enzyme-linked Immunosorbentassay, Chemilumineszenz-Immunoassays) werden auch verschiedene Blot-Systeme (Immunblot) eingesetzt, die den parallelen Nachweis von Antikörpern gegen verschiedene Virusproteine ermöglichen.
Untersuchungsmaterial – Probenstabilität
Direktnachweis und Kultur: In der PCR werden Blut, Speichel, Fruchtwasser und Chorionzottenbiopsate untersucht. Das Material sollte bis zur Weiterverarbeitung innerhalb von 24 Stunden bei +4 bis +8 °C aufbewahrt werden. Bei längerer Transportzeit ist das Material einzufrieren.
Serologie: Serum oder Plasma für den Nachweis der Antikörper sind bei +4 °C bis zu 2 Wochen lang beständig, bei −20 °C über Monate und Jahre hinweg. Zur Tiefkühlkonservierung des IgM kann man den Proben 80 % gepuffertes Glyzerin beifügen.
Diagnostische Wertigkeit
Die klassische kindliche Parvo-Virusinfektion bedarf in der Regel keiner Diagnostik, da sie symptomlos oder höchstens blande verläuft. Das Exanthem legt die klinische Diagnose nahe, kann aber leicht mit Röteln verwechselt werden. Beim Auftreten von Komplikationen erfolgt die diagnostische Absicherung mittels Serologie und PCR. Eine Untersuchung von Blutkonserven ist sinnvoll, um transfusionsbedingte Infektionen zu verhindern.
Im Rahmen der Schwangerschaftsdiagnostik ist die Immunitätsbestimmung zu Beginn der Schwangerschaft anzuraten. Seronegative Patientinnen stellen eine Risikogruppe dar. Nach Kontakt zu erkrankten Personen oder bei klinischen Hinweisen auf eine akute Infektion sollte die Diagnostik immer aus einer Kombination von Serologie (IgG, niedrig avides IgG und IgM) und PCR bestehen, da IgM-Titer gelegentlich schnell absinken können. Wird in der Schwangerschaft eine akute Infektion diagnostiziert, ist eine engmaschige Überwachung des Fetus mittels Dopplersonografie sinnvoll, um einen Hydrops fetalis rechtzeitig zu erkennen und ggf. mit intrauterinen Transfusionen zu behandeln.
Literatur
Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz (2010) Parvovirus B19. Stellungnahme des Arbeitskreises Blut des Bundesministeriums für Gesundheit, Bd 53. Springer, S 944–956. https://​doi.​org/​10.​1007/​s00103-010-1109-9
Doerr HW, Gerlich WH (2002) Parvo-Viren. In: Medizinische Virologie, 1. Aufl. Thieme, Stuttgart, S 343–351
Modrow S, Gärtner B (2006) Parvo-Virus-B19-Infektion in der Schwangerschaft. Deutsch Arztebl 103:2869–2876
Scholz H, Belohradsky BH, Bialek R, Heininger U, Kreth HW, Roos R (2009) Parvo-Virus-B19-Infektionen. In: DGPI-Handbuch, 5. Aufl. Thieme, Stuttgart, S 401–403