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Patientennahe Sofortdiagnostik

Verfasst von: O. Müller-Plathe
Patientennahe Sofortdiagnostik
Synonym(e)
Point-of-care testing; POCT; Bedside-Diagnostik
Englischer Begriff
point-of-care testing; near-patient testing
Definition
Patientennahe In-vitro-Diagnostik mit einfach zu handhabenden Geräten in Räumlichkeiten und Einrichtungen der unmittelbaren Krankenversorgung.
Beschreibung
Die patientennahe Sofortdiagnostik (POCT) wird vorwiegend eingesetzt in akutmedizinischen Bereichen wie Notaufnahmestationen, Operationsräumen, besonderen Eingriffsräumen (Endoskopie, invasive Radiologie) und Perinatalmedizin, ferner in Spezialambulanzen, Arztpraxen und, beispielsweise zur Glukosemessung, auch auf normalen Krankenstationen. Die Untersuchungen werden in der Regel von Personen ohne Laborausbildung vorgenommen.
Der Motor für die rapide Entwicklung von POCT ist der Wunsch nach schnellerer Verfügbarkeit von Laborergebnissen in der Erwartung, dass eine schnellere Entscheidungsfindung sich positiv auswirkt auf die Patientenversorgung, auf die Verweildauer und auf Betriebsabläufe allgemein. Die Entscheidung für POCT wird stark beeinflusst von örtlichen Faktoren wie Verfügbarkeit von geeignetem Personal am Ort der Patientenversorgung, Entfernung zum zentralen Labor, Vorhandensein eines mechanischen Probentransportsystems, Schnelligkeit des zentralen Labors bezüglich Organisation, Analytik und Ergebnismitteilung, vor allem aber von der Dienstbereitschaft des Labors außerhalb der regulären Arbeitszeit.
Analyte für die patientennahe Labordiagnostik
Für über 40 klinisch-chemische Messgrößen stehen POCT-Verfahren zur Verfügung:
Technologie
Instrumentell können unterschieden werden:
  • Handgeräte („handheld analyzers“), z. B. Glukosemessgeräte, Single-use-Kassettensysteme
  • Tragbare Geräte („portable analyzers“), z. B. Sensor-Kassettensysteme für eine begrenzte Anzahl von Untersuchungen innerhalb eines bestimmten Zeitraums
  • Stationäre Tischgeräte („bench top analyzers“), z. B.Blutgas-Elektrolyt-Substrat-Analysatoren
Die Messtechnologien umfassen selektive Elektroden und Optoden für Blutgase, Elektrolyte und Substrate (teilweise in extremer Miniaturisierung als Einwegprodukte), Oximetrie, konfektionierte Küvettentests und trägergebundene Verfahren vom einfachen Teststreifen bis zum komplizierten immunchemischen Cartridge. Fast alle Blutuntersuchungen werden mit nativem oder heparinisiertem Vollblut, für Gerinnungstests Citratblut, durchgeführt ohne die zeitaufwendige Plasmagewinnung durch Zentrifugation. Eine echte Kalibration wird bei einfachen Geräten teilweise durch elektronische oder physikalische Standards umgangen. Größere Geräte verfügen oft über automatische Kalibration in festgelegten Abständen.
Vorteile von POCT
  • Verkürzung der „turn-around time“ (TAT; Zeitraum zwischen Probenahme und Ergebnismitteilung)
  • Vereinfachung der Präanalytik bei einigen instabilen Analyten, z. B. Blutgasen
  • Geringeres Probenvolumen
  • Größere Annehmlichkeit für den Patienten: Kapillarblutentnahme statt Gefäßpunktion, Vermeidung von Wartezeiten auf Ergebnisse und Therapieentscheidungen
Risiken von POCT
  • Unkritische Einführung von Tests ohne fachliche Kompetenz
  • Inkompatibilität von Ergebnissen durch differierende Methoden
  • Unzureichende Anleitung des klinischen Personals, besonders bei hoher Fluktuation
  • Unzureichende Qualitätskontrolle
  • Unzureichende Dokumentation und Leistungserfassung durch fehlende Anbindung der POCT-Geräte an das Labor- oder Hospitalinformationssystem
  • Höhere Kosten
POCT-Verantwortlicher im Krankenhaus
Die beschriebenen Risiken werden am ehesten vermieden, wenn POCT nicht an vielen Stellen unabhängig, sondern gemeinsam mit dem Zentrallabor installiert und koordiniert wird. Entsprechend der Empfehlung der AML (Briedigkeit et al. 1998) soll der Leiter des Zentrallabors als POCT-Verantwortlicher im Zusammenwirken mit einem Beratungsgremium (Kliniker, Pflegedienst, Medizintechniker, Ökonom) für eine einheitliche Laborkonzeption sorgen, die Anleitung des Personals, die Qualitätssicherung, die Dokumentation und die Leistungserfassung organisieren und die Wirtschaftlichkeit der POCT-Verfahren überwachen.
Qualitätssicherung
Die Qualitätssicherung für patientennahe Sofortdiagnostik ist in Deutschland verbindlich geregelt (vgl. Briedigkeit et al. 1998; Bundesärztekammer 2008). Fachlich empfehlenswert sind:
  • Mindestens einmal benutzungstäglich eine Kontrolle mit einem physikalischen und/oder elektronischen Standard.
  • Mindestens einmal je Woche, in der Patientenproben untersucht werden, Messung und Beurteilung einer Kontrollprobe sowie Protokollierung entsprechend der Richtlinie. Hierbei sind abwechselnd Kontrollen in unterschiedlichen Konzentrationsbereichen einzusetzen (besser ist natürlich die benutzungstägliche Kontrollmessung).
Dokumentation
Eine befriedigende Dokumentation der Patienten- und Qualitätskontrollergebnisse ist ohne EDV-Anbindung aller POCT-Geräte kaum zu erreichen. Von mehreren Herstellern werden Lösungen für die Vernetzung der Geräte mit den Informationssystemen des Hauses angeboten (z. B. Bayer Rapid-Link, Radiometer Radiance, Roche DataCare POC). Zu fordern ist, dass die POCT-Ergebnisse mit gesicherter Identität und in übersichtlicher Form
  • unmittelbar auf der Station verfügbar sind,
  • ggf. in intensivmedizinischen Protokollen erscheinen,
  • dem Zentrallabor zeitnah für Kontrollzwecke zur Verfügung stehen,
  • Bestandteil des kumulativen Laborberichts sind (mit Herkunftskennung) und
  • unter Beachtung der Datenschutzbestimmungen für Abrechnungszwecke genutzt werden können.
Für größere periphere Geräte können bidirektionale Anschlüsse sinnvoll sein, damit das Zentrallabor ggf. warnend oder helfend oder im Extremfall auch durch Sperre eines Geräts einwirken kann.
Wirtschaftlichkeit
Dezentrale Analytik am „point-of-care“ in Kleinstserien oder Einzelbestimmungen ist prinzipiell mit erheblich höheren Kosten als zentralisierte Analytik verbunden:
  • POCT-Reagenzien sind wegen des hohen Konfektionierungsgrades teurer.
  • Vorhaltungskosten durch vervielfachte Kapitalbindung, Wartung, Reparaturen, Reagenzienbevorratung und -verfall sind höher.
  • Zusätzliche Kosten für Qualitätssicherung und EDV.
  • Einsparungen im Zentrallabor fallen kaum ins Gewicht; es sei denn, ein ganzer Routinearbeitsplatz oder ein Bereitschaftsdienst könne eingestellt werden.
Die erwarteten medizinischen und organisatorischen Vorteile der patientennahen Sofortdiagnostik müssen deshalb gegenüber den höheren Kosten sorgfältig abgewogen werden.
Literatur
Briedigkeit L, Müller-Plathe O, Schlebusch H, Ziems J (1998) Patientennahe Laboratoriumsdiagnostik (Point-of-care testing). I.Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft Medizinische Laboratoriumsdiagnostik (AML) zur Einführung und Qualitätssicherung von Verfahren der patientennahen Laboratoriumsdiagnostik (POCT). J Lab Med 22:414–420
Bundesärztekammer (2008) Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen. Dtsch Ärztebl 105:C301–C315
Luppa PB, Schlebusch H (2008) POCT – Patientennahe Labordiagnostik. Springer, Berlin/HeidelbergCrossRef