Lexikon der Medizinischen Laboratoriumsdiagnostik
Info
Verfasst von:
W. Stöcker und C. Krüger
Publiziert am: 21.12.2017

Viren

Viren
Englischer Begriff
viruses
Definition
Viren sind obligate Zellparasiten, die keinen eigenen Stoffwechsel besitzen und für ihre Vermehrung auf lebende Wirtszellen angewiesen sind. Reife, extrazelluläre Viruspartikel werden als Virionen bezeichnet.
Beschreibung
Mit einer Größe von 20–300 nm sind Virionen filtrierbar und lichtmikroskopisch unsichtbar. Virionen enthalten stets nur einen Typ von Nukleinsäure (DNA oder RNA) als Träger der genetischen Information. Die Nukleinsäure ist umgeben von einer Proteinhülle, dem Kapsid, das sich aus viruskodierten Kapsomeren zusammensetzt und gemeinsam mit dem Virusgenom das Nukleokapsid bildet. Bei einigen Virusarten ist das Nukleokapsid von einer Hülle aus einer Lipiddoppelmembran und viruskodierten Glykoproteinen umgeben. Häufig lagern sich die Glykoproteine zu Oligomeren zusammen und ragen als sog. Spikes aus der Hülle heraus. Zusätzliche Proteine mit struktureller, regulatorischer oder enzymatischer Funktion kommen nur in bestimmten Viren vor. Komplexe Strukturelemente (Kern, Mitochondrien, Ribosomen) bzw. Stoffwechselsysteme zu Proteinsynthese oder Energiegewinnung sind nicht vorhanden.
Zur Vermehrung beanspruchen Viren daher den Stoffwechselapparat lebender Zellen, wobei die erforderlichen Syntheseprogramme durch das Virusgenom kodiert werden. Die Virusreplikation umfasst folgende Schritte: Adsorption des Virus an Rezeptoren der Wirtszelloberfläche, Penetration in die Zelle, Freisetzung der viralen Nukleinsäure, Synthese viraler Nukleinsäuren und Proteine, Assemblierung des Nukleokapsids, Freisetzung von Viruspartikeln durch Exozytose oder Lyse der Wirtszelle.
Viren sind häufig hoch spezialisiert auf bestimmte Organismen, Zellen oder Gewebe. Sie sind Auslöser zahlreicher Infektionskrankheiten (z. B. Influenza, Röteln, Masern, AIDS), zu denen auch bestimmte Krebserkrankungen gehören (z. B. Zervixkarzinom, Burkitt-Lymphom, Kaposi-Sarkom).
Die Klassifikation der Viren basiert u. a. auf folgenden Kriterien:
  • Art der Nukleinsäure: RNA, DNA
  • Konfiguration der Nukleinsäure: einzelsträngig, doppelsträngig
  • Symmetrie des Nukleokapsids: kubisch, helikal, komplex
  • Ort der Replikation: Zellkern, Zytoplasma
  • Vorhandensein einer Hülle
  • Größe des Virions
  • Antigene Eigenschaften der Kapsid- und Hüllproteine
  • Anwesenheit viraler Enzyme, z. B. Neuraminidase, Polymerase, reverse Transkriptase
  • Vorkommen spezifischer Nukleinsäuresequenzen
  • Wirtsspektrum: Menschen, Tiere, Pflanzen, Algen, Pilze, Protozoa, Bakterien
  • Gewebetropismus: respiratorisch, enterotrop, neurotrop
Analytik
Viruspartikel können elektronenmikroskopisch visualisiert und identifiziert werden. Virale Nukleinsäuren sind mittels PCR (DNA), RT-PCR (RNA) oder In-situ-Hybridisierung diagnostizierbar. Zum Nachweis von Virusproteinen werden Antigen-ELISA, direkte Immunfluoreszenz, Western blot, Hämagglutination oder Enzymbestimmungen eingesetzt. Die Anzüchtung von Viren ist in Zellkulturen, bebrüteten Hühnereiern oder Versuchstieren möglich. Ggf. kann bei infizierten Kulturzellen eine verstärkte Proliferation oder ein zytopathischer Effekt (Einschlusskörperchen, Synzytienbildung, Zellabrundung, Lyse) beobachtet werden. Der indirekte Virusnachweis erfolgt über die Bestimmung virusspezifischer Antikörper im Wirtsorganismus durch indirekte Immunfluoreszenz (Immunfluoreszenz, indirekte), ELISA (Enzyme-linked Immunosorbentassay), Immunblot (Western Blot, Linienblot), Neutralisationstest, Hämagglutinationshemmtest, Komplementbindungsreaktion, Radioimmunoassay oder Immunpräzipitation. Für den Nachweis virusinfizierter Zellen können Lymphozytentransformationstests durchgeführt werden.
Diagnostische Wertigkeit
Durch den direkten Nachweis und die Isolierung von Viren können akute Virusinfektionen oft schon vor der Etablierung einer Immunantwort und dem Ausbruch der Krankheit diagnostiziert werden. Direkte Nachweismethoden werden auch angewandt, um unklare serologische Befunde abzuklären oder den Erfolg einer antiviralen Therapie zu beurteilen. Der Nachweis virusspezifischer IgM-Antikörper ist ein wesentlicher Hinweis auf eine akute Primärinfektion, ebenso wie die Serokonversion oder ein signifikanter Titeranstieg des spezifischen IgG. Das Vorliegen niedrig avider IgG-Antikörper ist charakteristisch für frische Infektionen. Die Bestimmung von Antikörpern der Klasse IgA ist nur bei Infektionen mit bestimmten Virusarten diagnostisch relevant (z. B. mit Enteroviren, Influenza, RSV).
Indirekte Immunfluoreszenz und Enzymimmunoassay stellen aufgrund ihrer hohen Sensitivität, einfachen Handhabung und Automatisierbarkeit wichtige Standardverfahren in der Infektionsserologie dar und ermöglichen quantitative Antikörperbestimmungen. Western Blots haben wegen ihrer hohen Spezifität einen besonderen Stellenwert als Bestätigungstests. Bei einer Virusinfektion des ZNS kann man den Erreger oft direkt im Liquor nachweisen, oder man findet intrathekal synthetisierte erregerspezifische Antikörper.
Literatur
Strauss JH, Strauss EG (2002) Viruses and human disease, 1. Aufl. Academic, San Diego, S 1–374