Skip to main content

Vitamin B1

Verfasst von: Hassan Jomaa
Vitamin B1
Synonym(e)
Aneurin; Thiamin
Englischer Begriff
thiamine; thiamin
Definition
Wasserlösliches Vitamin. In Form von Thiamindiphosphat (TDP) Kofaktor der Enzyme Pyruvat-Dehydrogenase, α-Ketoglutarat-Dehydrogenase, Verzweigtkettige-α-Ketosäuren-Dehydrogenase und Transketolase mit Funktionen im Energiestoffwechsel, dem Aminosäureabbau und dem Pentosephosphatweg.
Molmasse
337,27 g/mol (Thiamin-Hydrochlorid).
Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination
Thiamin besteht aus einem substituierten Pyrimidinring, der über eine Methylengruppe mit einem substituierten Thiazolring verbunden ist.
In der folgenden Abbildung ist Thiamin dargestellt. Der für den Reaktionsmechanismus wichtige Teil des Moleküls ist rot hervorgehoben (aus: Heinrich et al. 2014):
Bei der als Kofaktor aktiven Form Thiamindiphosphat (TDP) (Synonym: Thiaminpyrophosphat, TPP) ist die Hydroxygruppe des Substituenten in Position 5 des Thiazolrings mit einer Diphosphatgruppe verestert. Für den katalytischen Mechanismus TDP-abhängiger Enzyme entscheidend ist die Ausbildung eines mesomeriestabilisierten Carbanions durch Abgabe des Protons an Position 2 des Thiazolrings.
Die meisten Lebensmittel enthalten Vitamin B1. Für die tägliche Bedarfsdeckung von Bedeutung sind Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Kartoffeln und Schweinefleisch. Im Getreidekorn ist Vitamin B1 vor allem im Keim und in der Aleuronschicht enthalten. Deshalb sind fein gemahlene Mehle und polierter Reis schlechte Quellen. In Lebensmitteln liegt Vitamin B1 in Form von Thiamin und Thiamindiphosphat sowie geringen Mengen Thiaminmono- und -triphosphat vor.
Die Mechanismen der Resorption und Verteilung sind unvollständig geklärt. Beteiligt sind der Thiamintransporter-1 (THTR1, kodiert durch das Gen SLC19A2) und der Thiamintransporter-2 (THTR2, kodiert durch das Gen SLC19A3). Für die intestinale Resorption essenziell ist THTR2, während THTR1 wichtig für die Aufnahme in periphere Gewebe ist. Bei polarisierten Zellen (Darmmukosa, proximaler Nierentubulus) ist THTR2 in der apikalen und THTR1 in der basolateralen Membran eingelagert. Thiaminphosphate werden vor der Resorption enzymatisch im Darm gespalten. Die Resorption ist im Jejunum am höchsten, gefolgt vom Duodenum und Ileum und am geringsten im Magen und Kolon. Intrazellulär liegt Thiamin hauptsächlich als Thiamindiphosphat vor, im Blutplasma, in der Muttermilch und in der Zerebrospinalflüssigkeit hauptsächlich als Monophosphat und freies Thiamin. Die Thiaminverteilung im Vollblut ist inhomogen (10 % im Plasma, 15 % in den Leukozyten und 75 % in den Erythrozyten). Thiamin wird in geringen Mengen in der Leber gespeichert bei einer biologischen Halbwertszeit von 10–20 Tagen.
Funktion – Pathophysiologie
Thiamindiphosphat ist (zusätzlich zu Liponsäure, Coenzym A, FAD und NAD+) Kofaktor folgender α-Ketosäure-Dehydrogenasen:
  • Pyruvat-Dehydrogenase (Umwandlung von Pyruvat in Acetyl-CoA zur Einspeisung in den Citratzyklus)
  • α-Ketoglutarat-Dehydrogenase (Umwandlung von α-Ketoglutarat in Succinyl-CoA im Citratzyklus)
  • Verzweigtkettige-α-Ketosäuren-Dehydrogenase (BCKD, essenziell für den Abbau der Aminosäuren Leucin, Isoleucin und Valin)
Außerdem ist Thiamindiphosphat Kofaktor der Transketolase (essenziell beteiligt am nicht oxidativen Teil des Pentosephosphatwegs).
Die Symptomatik eines Vitamin-B1-Mangels wird vor allem mit einer Störung des Energiestoffwechsels in Zusammenhang gebracht und ist bei marginaler Unterversorgung wenig spezifisch. Frühe Anzeichen sind Laktatazidose, Nystagmus und neurologische Symptome wie periphere Neuropathie und Ataxie, im weiteren Verlauf Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses, Muskelschwäche und kardiovaskuläre Symptome. Beriberi als klassisches Vitamin-B1-Mangelsyndrom mit schweren kardiovaskulären und neurologischen Störungen kommt heute noch in Gegenden vor, in denen polierter Reis das Hauptnahrungsmittel ist. Ein ähnliches Krankheitsbild (Wernicke-Korsakoff-Syndrom) tritt bei chronischem Alkoholismus auf. Ätiologisch ist neben Mangelernährung ein Ethanol-induzierter THTR1-Mangel von Bedeutung. Seltene genetische Ursachen für Thiaminmangel sind Mutationen der Gene für THTR1 (Rodger-Syndrom, Thiamin-responsive megaloblastäre Anämie) und THTR2 (Biotin-responsive Basalganglienerkrankung).
Empfohlen wird eine tägliche Thiaminzufuhr von 0,2 mg für Säuglinge <4 Monate, 0,4 mg für Säuglinge <1 Jahr und ca. 1,2 mg für Erwachsene, Schwangere und Stillende. Eine Hypervitaminose ist unbekannt (gute Verträglichkeit von täglichen Dosen bis zu 500 mg). Bei parenteraler Gabe wurden selten akute allergische Reaktionen beobachtet. Für die Substitution stehen wasserlösliche Salze (Thiaminhydrochlorid, -nitrat) und lipophile Prodrugs (Benfotiamin, Fursultiamin) zur Verfügung.
Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen
EDTA-Vollblut.
Präanalytik
Nüchternblut. Thiamin ist licht-, wärme- und oxidationsempfindlich, daher Probentransport und -aufbewahrung lichtgeschützt. Stabilität bei Raumtemperatur 5 Stunden, bei 4–8 °C nur 1 Tag, daher rasche Aufarbeitung der Proben. Vollblut tiefgefroren (−20 °C) bis 14 Tage.
Analytik
Bestimmung von TDP im Vollblut mit HPLC-Verfahren mit fluorimetrischer oder massenspektrometrischer Detektion.
Referenzbereich – Erwachsene
Thiamindiphosphat (TDP) im Vollblut 28–85 mg/L (66,5–200 mmol/L).
Referenzbereich – Kinder
Nicht verfügbar.
Indikation
Neurologische Störungen, chronischer Alkoholismus (alkoholtoxische Kardiomyopathie, Wernicke-Enzephalopathie, Korsakow-Syndrom), Schwere Mangel- und Fehlernährung, parenterale Ernährung über lange Zeit, Nulldiät, Hämodialyse, Malabsorption, schwere akute Leberfunktionsstörung (Leberkoma, fulminante Hepatitis), Thyreotoxikose, gesteigerter Bedarf, z. B. in der Schwangerschaft und Stillzeit.
Diagnostische Wertigkeit
Die Bestimmung des Gehalts an TDP im Vollblut ist standardisierbar und robust. Diese Bestimmung ist im klinischen Alltag am ehesten geeignet, den Thiaminstatus zu beurteilen und sollte vor Beginn einer Substitutionstherapie durchgeführt werden, da die TDP-Werte sich kurzfristig erholen.
Die Bestimmung der Transketolaseaktivität nach Thiamindiphosphatzugabe im Hämolysat und der Thiaminausscheidung im Urin spielen im klinischen Alltag keine Rolle mehr.
Literatur
Bässler KH, Golly I, Loew D et al (2007) Vitaminlexikon, 4. Aufl. Urban und Fischer, München
Biesalski HK (2016) Vitamine und Minerale. Thieme, StuttgartCrossRef
Heinrich PC, Müller H, Graeve L, Löffler G, Petrides PE (Hrsg) (2014) Biochemie und Pathobiochemie, 9. Aufl. Springer, Heidelberg
McCormick DB, Klee GG (2001) Tietz fundamentals of clinical chemistry, 5. Aufl. WB Saunders, Philadelphia
Zhao R, Goldman ID (2013) Folate and thiamine transporters mediated by facilitative carriers (SLC19A1-3 and SLC46A1) and folate receptors. Mol Aspects Med 34:373–385CrossRefPubMed