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Lexikon der Medizinischen Laboratoriumsdiagnostik
Info
Verfasst von:
G. F. Hoffmann, C. -D. Langhans und A. Schulze
Publiziert am: 02.02.2018

Δ1-Piperidin-6-carbonsäure

Δ1-Piperidin-6-carbonsäure
Synonym(e)
2,3,4,5-Tetrahydropicolinsäure; P6C
Englischer Begriff
Δ1-piperidine-6-carboxylic acid
Definition
Δ1-Piperidin-6-carbonsäure ist ein Zwischenprodukt im Stoffwechsel der Aminosäure Lysin. Es steht in einem chemischen Gleichgewicht mit der offenkettigen Form α-Aminoadipinsäuresemialdehyd:
Struktur
C6H9NO2
Molmasse
127,14 g.
Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination
Die Aminosäure Lysin wird über 2 in unterschiedlichen Kompartimenten ablaufende Wege zu 2-Aminoadipinsäure verstoffwechselt, wobei Δ1-Piperidin-6-carbonsäure als ein gemeinsames Zwischenprodukt auftritt.
Auf dem Saccharopin-Weg, der in der Leber beschritten wird, bildet Lysin mit α-Ketoglutarsäure zunächst Saccharopin, aus dem wiederum im nächsten Schritt α-Aminoadipinsäuresemialdehyd und seine zyklische Form Δ1-Piperidin-6-carbonsäure entsteht. Während die Zyklisierung spontan und nicht enzymatisch abläuft, werden die ersten beiden Schritte durch das mitochondriale bifunktionale Enzym α-Aminoadipinsäuresemialdehyd-Synthase katalysiert.
Im zentralen Nervensystem wird α-Aminoadipinsäuresemialdehyd über den Pipecolinsäureweg gebildet. Dabei wird Lysin oxidativ zu 2-Oxo-6-Aminocapronsäure desaminiert, das spontan zu Δ1-Piperidin-2-carbonsäure (P2C) zyklisiert. Letzteres wird in einer NADPH-abhängigen Reaktion zu Pipecolinsäure reduziert. Diese wird durch eine spezifische FAD-abhängige Pipecolinsäure-Oxidase (PIPOX) in Δ1-Piperidin-6-carbonsäure (P6C) überführt, das spontan zum α-Aminoadipinsäuresemialdehyd hydrolysiert.
Im weiteren Verlauf wird α-Aminoadipinsäuresemialdehyd durch die 2-Aminoadipinsäuresemialdehyd-Dehydrogenase zu 2-Aminoadipinsäure oxidiert.
Piperidin-6-carbonsäure kann über den Urin ausgeschieden werden.
Funktion – Pathophysiologie
Im Intermediärstoffwechsel ist Δ1-Piperidin-6-carbonsäure ein Zwischenprodukt im Lysinabbau ohne weitere bekannte Funktion.
Bei einem Defekt der α-Aminoadipinsäuresemialdehyd-Dehydrogenase, verursacht durch Mutationen im ALDH7A1-Gen (Antiquitin), akkumuliert α-Aminoadipinsäuresemialdehyd und seine zyklische Form Δ1-Piperidin-6-carbonsäure (P6C). Letzteres kann mit Pyridoxal-Phosphat (PLP), einem essenziellen Kofaktor von Aminotransferasen und Decarboxylasen, ein Additionsprodukt bilden (Abb. 1). Diese Knoevenagel-Kondensation genannte Reaktion ist im Gegensatz zur physiologischen Aktivierung des Pyridoxal-Phosphats durch die Bildung einer Schiff-Base mit Lysineinheiten des Apoenzyms irreversibel.
Die Folge ist eine Inaktivierung des Pyridoxal-Phosphats, das als Kofaktor u. a. im Stoffwechsel der Neurotransmitter wie der Bildung von γ-Aminobuttersäure (γ-Aminobuttersäure als Neurotransmitter) aus Glutaminsäure eine wichtige Rolle spielt. Die Inaktivierung des Pyridoxal-Phosphats durch P6C führt sekundär zu einem zerebralen Vitamin-B6-Mangel, der sich in Krampfanfällen äußert.
Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen
Plasma, Urin, Liquor.
Präanalytik
1 mL Plasma oder Liquor abzentrifugieren.
10 mL Urin.
Lagerung und Versand bei möglichst tiefer Temperatur (−20 °C oder −80 °C).
Präanalytik
LC-MS/MS.
Referenzbereich
Plasma:
  • <1,7 μmol/L
Urin:
  • 0–0,37 mmol/mol Kreatinin (<6 Monate)
  • 0–0,1 mmol/mol Kreatinin (>6 Monate bis 1 Jahr)
  • 0–0,05 mmol/mol Kreatinin (>1 Jahr)
Pathologischer Bereich:
Indikation
Therapierefraktäre Epilepsien im Neugeborenen-, Säuglings- und Kleinkindesalter. Verdacht auf Pyridoxin-(Vitamin-B6-)abhängige Epilepsien (PDE).
Interpretation
Erhöhungen von Δ1-Piperidin-6-carbonsäure findet man im Urin, Plasma und Liquor von Patienten mit autosomal rezessiv vererbter Vitamin-B6-abhängiger Epilepsie (PDE). Ebenfalls erhöht gefunden werden hier auch die offenkettige Form α-Aminoadipinsäuresemialdehyd und Pipecolinsäure.
Die Ergebnisse der biochemischen Analytik müssen durch eine molekulargenetische Untersuchung bestätigt werden.
Diagnostische Wertigkeit
Erhöhte Konzentrationen von Δ1-Piperidin-6-carbonsäure sind hinweisend auf Vitamin-B6-abhängige Epilepsien. Pipecolinsäure wird dagegen nicht nur bei Patienten mit Vitamin-B6-abhängigen Epilepsien erhöht gefunden, sondern auch bei anderen Krankheitsbildern und kann sich bei einigen PDE Patienten normalisieren. Die Beurteilung von α-Aminoadipinsäuresemialdehyd/Δ1-Piperidin-6-carbonsäure ist in Hinblick auf eine mögliche Vitamin-B6-abhängige Epilepsie der alleinigen Betrachtung der Pipecolinsäurekonzentrationen vorzuziehen.
Vitamin-B6-abhängige Epilepsien, die auf einem Defekt der Δ1-Pyrrolin-5-Carbonsäure-Dehydrogenase (Hyperprolinämie Typ II) beruhen, zeigen dagegen keine Δ1-Piperidin-6-Carbonsäure-/α-Aminoadipinsäuresemialdehyd-Erhöhungen.
Sekundär bedingte Erhöhungen von Δ1-Piperidin-6-carbonsäure finden sich auch beim Molybdänkofaktormangel sowie Sulfitoxidasemangel. Bei diesen beiden Erkrankungen führt eine endogene Anreicherung von Sulfit zu einer Inhibierung der 2-Aminoadipinsäuresemialdehyd-Dehydrogenase mit daraus resultierender Akkumulation von α-AASA/P6C.
Literatur
Blau N, Duran M, Gibson KM, Dionisi-Vici C (Hrsg) (2014) Physician’s guide to the diagnosis, treatment, and follow-up of inherited metabolic diseases. Springer, Berlin/Heidelberg
Struys EA, Bok LA, Houterman S et al (2012) The measurement of urinary Δ1-piperideine-6-carboxylate, the alter ego of α-aminoadipic semialdehyde, in Antiquitin deficiency. J Inherit Metab Dis 35:909–916CrossRef