Operative und interventionelle Gefäßmedizin
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Verfasst von:
Heiner Wenk, Thomas Jahnke und Eike Sebastian Debus
Publiziert am: 05.10.2019

Akuter arterieller Verschluss

Der „akute arterielle Verschluss“ beschreibt ein Zustandsbild, weniger eine Gefäßpathologie. Er ist Anlass zu einer umgehenden Diagnostik und Behandlung, denn die abhängige Körperprovinz ist durch die akute Mangeldurchblutung beim arteriellen Verschluss vital gefährdet. Diese vitale Gefährdung äußert sich in einem Zustandsbild, welches plakativ mit den „6 P“ (nach Pratt) beschrieben wird:
Der „akute arterielle Verschluss“ beschreibt ein Zustandsbild, weniger eine Gefäßpathologie. Er ist Anlass zu einer umgehenden Diagnostik und Behandlung, denn die abhängige Körperprovinz ist durch die akute Mangeldurchblutung beim arteriellen Verschluss vital gefährdet. Diese vitale Gefährdung äußert sich in einem Zustandsbild, welches plakativ mit den „6 P“ (nach Pratt) beschrieben wird:
1.
Pulselessness (Pulslosigkeit),
 
2.
Paresthesia (Parästhesie),
 
3.
Palor (Blässe),
 
4.
Pain (Schmerz),
 
5.
Prostration (Erschöpfung),
 
6.
Paralysis (Lähmung).
 
Eine differenzierte Einteilung der „akuten Ischämie“, die sich allerdings im Gegensatz zur Stadieneinteilung der arteriellen Verschlusserkrankung nach Fontaine im deutschen Sprachgebiet nicht flächendeckend durchgesetzt hat, findet sich bei Rutherford:
  • Das Stadium I beschreibt eine funktionsfähige abhängige Körperpartie ohne Gefühls- und Bewegungsstörungen. Dopplersignale sind vorhanden.
  • Im Stadium II ist ein Extremitätenerhalt bei zeitgerechter Wiederherstellung der arteriellen Perfusion möglich, es finden sich diskrete Gefühlsstörungen oder Ruheschmerz und leichte bis mäßige motorische Störungen.
  • Das Stadium III beschreibt eine irreversible Nekrose oder Nervenschädigung mit ausgedehntem Sensibilitätsverlust und Lähmung (Rigor). Dopplersignale sind nicht ableitbar.
Die Symptomatik und die Schwere der Erkrankung wird wesentlich dadurch bestimmt, wie gut die distal eines akuten Verschlusses gelegene Körperprovinz kollateralisiert ist: Liegt sie im Bereich einer Endstrombahn, ist die klinische Symptomatik besonders ausgeprägt.

Arterielle Embolie, arterielle Thrombose

Ätiologie, Pathogenese, Diagnostik und Therapieprinzipien

Akute Gefäßverschlüsse können durch verschiedene Ursachen entstehen. Akute embolische Verschlüsse haben ihre Ursachen zumeist in einer absoluten Arrhythmie bei Vorhofflimmern, wenn sich intrakardiale Thromben gebildet haben. Aber auch arterio-arterielle Embolien treten auf: Thromben aus vorgeschalteten Aneurysmen spielen eine Rolle (insbesondere das Poplitealaneurysma neigt zu arterio-arteriellen Embolien), Embolien aus arteriosklerotisch veränderten Gefäßen (Arteria-Karotis-Bifurkation, Arteria femoralis superficialis im Adduktorenkanal) sind beschrieben und können als schmerzhafte Cholesterinembolien insbesondere die Endstrombahn verlegen.
Arterio-arterielle Embolien können durch eine chronische Gefäßwandschädigung bei Engpasssyndromen hervorgerufen werden. Die häufigsten Engpasssyndrome sind an der oberen Extremität das Thoracic-outlet-Syndrom und an der unteren Extremität das Entrapmentsyndrom der A. Poplitea.
Arterielle Embolien bei venösen Thrombosen sind eine Rarität: Sie entstehen (mit Ausnahme der Lungenarterienembolie) nur bei Vorliegen eines Herzwanddefektes (Vorhof- oder Ventrikelseptumdefekt).
Größere Emboli verlegen typischerweise eine Gefäßverzweigung, da sich hier der Querschnitt des nachgeschalteten Gefäßes verringert. Am häufigsten ist die Verzweigung der Arteria femoralis communis in die Arteria profunda femoris und die Arteria femoralis superficialis betroffen. Prinzipiell sind aber an allen Bifurkationen und Trifurkationen embolische Verschlüsse denkbar und zu behandeln.
Arterielle Thrombosen haben demgegenüber ganz andere Ursachen, die im Wesentlichen auf die Virchow'sche Trias zurückgehen: Veränderungen der Gefäßwand (Endothelläsion), Veränderungen der Fließlichkeit und Fließeigenschaften des Blutes (Stase) sowie Veränderungen der Blutgerinnung können Ursache einer arteriellen Thrombose sein. Während also bei einer arteriellen Embolie meistens ein intaktes Gefäß vorliegt, ist es bei einer arteriellen Thrombose zumeist erkrankt und damit Ursache für den Gefäßverschluss.
Dies erklärt die unterschiedlichen Lokalisationen der beiden Krankheitsbilder. Arterielle Thrombosen treten im Gegensatz zur Embolie nicht an Stromteilern auf, sondern in Provinzen, in denen die Gefäßwände besonders häufig geschädigt sind: Im Adduktorenkanal (Arteria femoralis superficialis), beim Thoracic-outlet-Syndrom in der Arteria subclavia, beim Gastrocnemius Kompressionssyndrom in der Arteria poplitea.
Venöse Thrombosen, also der akute Verschluss eines venösen Blutleiters, äußern sich in einer Schwellung und lividen Verfärbung des betroffenen Körperteils oder Organs. Ihre Symptomatik ist mit Ausnahme der seltenen Krankheitsbilder „Phlegmasia coerulea dolens“ und „Phlegmasia alba dolens“ weit weniger dramatisch als die eines arteriellen Verschlusses. Die Behandlung besteht vor allem in physikalischen (Hochlagerung, Kompression) und pharmakologischen Maßnahmen (Antikoagulation). Der Thrombose ist in diesem Buch ein eigenes Kapitel gewidmet.

Diagnostik

Akute arterielle Verschlüsse erfordern eine diagnostische Absicherung, um die dringliche Therapie einleiten zu können.
Bei einer arteriellen Embolie ist distal der verschossenen Strombahn kein Puls tastbar. Die klinische Untersuchung beschreibt darüber hinaus die Blässe und die sensiblen und motorischen Störungen (siehe auch „6 P“).
Bei der apparativen Untersuchung stehen die Doppler- und Duplexsonografie im Vordergrund. Im Falle einer Embolie wird das typische Bild des „reitenden Embolus“, der häufig noch umspült ist, sichtbar. Dopplerverschlussdrucke sind nicht ableitbar, in den abhängigen Arterien finden sich lediglich pseudovenöse Signale als Ausdruck einer Restperfusion.
Angiografische Untersuchungen sind bei einem embolischen Verschluss zumeist entbehrlich. Arterielle Thrombosen sollten dagegen regelhaft angiografisch lokalisiert werden. Dies muss nicht präoperativ erfolgen, sondern kann intraoperativ nach Freilegung des arteriellen Blutleiters ausgeführt werden. Die intraoperative Angiografie dient auch als Qualitätskontrolle in Bezug auf die Vollständigkeit der durchgeführten Thrombektomie und die Beurteilung der arteriellen Ausstrombahn (Abb. 1).
Gelingt im Fall einer arteriellen Thrombose die Thrombektomie nicht, kann durch die intraoperative Angiografie festgestellt werden, ob in gleicher Operation eine Bypassanlage zur Wiederherstellung der Durchblutung möglich ist. Die Option einer Bypassoperation sollte bei jeder Therapieplanung bei akutem arteriellem Verschluss bedacht und vorgehalten werden.
Akute Verschlüsse führen – abhängig von der Zeitdauer ihres Bestehens – zum Gewebsuntergang. Besteht der Verdacht auf eine irreversible Schädigung von Muskulatur, wird im Blut, später auch im Urin, Myoglobin nachweisbar sein. Auch die Creatinkinase (CK) steigt im Serum an. Beide Laborwerte können zur Beurteilung einer Gewebsschädigung und der Aufdeckung eines sich eventuell entwickelnden Reperfusionssyndroms nach erfolgreicher Wiederherstellung der arteriellen Strombahn hilfreich sein.
Akute venöse Verschlüsse werden klinisch und apparativ durch die Duplexsonografie diagnostiziert. Die Phlebografie wird nur noch selten eingesetzt und dient häufig auch zur forensischen Absicherung. Zentrale Venen können ausgezeichnet mit einer Computertomografie dargestellt werden.

Therapie

Die zeitnahe Behandlung eines akuten Verschlusses ist die Wiederherstellung der arteriellen Strombahn.
Die einfachste Behandlungsform ist die Eröffnung des Blutleiters mit der Entfernung des Thrombus oder der Embolus. Dieses Operationsverfahren ist schon lange bekannt, nachdem Carell die Technik der Gefäßnaht angegeben hatte und für seine Arbeiten mit dem Medizinnobelpreis ausgezeichnet wurde (1912). Auch die erste Endarteriektomie durch Dos Santos im Jahre 1946 war eigentlich als Thrombektomie geplant, die Mitentnahme der Intima war akzidentell und die Thrombendarteriektomie war somit eigentlich ein Unfall.
Ein weiteres wertvolles Instrument für die Thrombektomie wurde von Fogarty im Jahre 1963 vorgestellt und hat weltweit Verbreitung gefunden. Es handelt sich dabei um einen Ballonkatheter, der in verschiedenen Größen angeboten wird und der eine „Fernthrombembolektomie“ erlaubt: Das Gefäß kann an einer gut erreichbaren Stelle freigelegt werden, der Thrombembolus wird mit dem Katheter passiert und durch den Ballonkatheter im entfalteten Zustand über die Arteriotomie geborgen.
Fogarty-Katheter sind heute auch als Zentrallochkatheter (through lumen katheter) verfügbar, so dass Maßnahmen über Draht möglich sind und auch Kontrastmittel oder Medikamente über den geblockten Katheter gegeben werden können.
In Einzelfällen kann eine Thrombektomie auch interventionell durch Punktion des Gefäßes und Aspiration des Gerinnsels über einen Angiografiekatheter gelingen.
Arterielle Thrombosen können darüber hinaus durch eine arterielle Lyse behandelt werden. Es stehen als Thrombolysesubstanzen rTPA (reversed Tissue Plasmin Aktivator), Streptokinase und Urokinase zur Verfügung. Eine arterielle Lyse benötigt aber in aller Regel mehr Zeit als die Katheterthrombembolektomie, sodass die klinische Symptomatik und die Akuität Einfluss auf die Indikationsstellung haben. Die Lyse bleibt damit Einzelfällen vorbehalten. Sie kann insbesondere bei Bypassverschlüssen sinnvoll sein. Vorteil dieser Behandlung ist, dass die Ursachen für eine arterielle Thrombose durch die Lyse aufgedeckt werden, sodass im Anschluss bei wiederhergestellter Durchblutung elektiv die Ursache beseitigt werden kann. Diese Maßnahme kann in einer endovaskulären Therapie (Ballondilatation, Stentimplantation) oder einer offenen gefäßchirurgischen Maßnahme (Endarteriektomie, Patchplastik) bestehen.

Perioperative Medikation

Zur Vermeidung einer Appositionsthrombose gehört die Antikoagulation zur obligaten Medikation. Sie wird zumeist mit Heparinlösung durchgeführt. Bei Heparin-Unverträglichkeit oder heparininduzierter Thrombopenie muss ggf. auf Alternativsubstanzen wie Agatroban ausgewichen werden.
Immer muss an eine ausreichende Analgesie und Flüssigkeitsgabe gedacht werden.
Nach einer erfolgreichen gefäßchirurgischen Wiedereröffnung der arteriellen Strombahn muss einem erneuten Verschluss vorgebeugt werden. Zum einen muss deshalb die Verschlussursache behandelt werden (zum Beispiel bei einer Herzrhythmusstörung als Ursache für eine arterielle Embolie die Rhythmisierung), zum anderen ist zu beachten, dass endovaskuläre oder offene gefäßchirurgische Interventionen die Thrombogenität der behandelten Gefäßwand erheblich erhöhen. Dies wird durch die Endothelschädigung und die Freisetzung von Gewebethrombokinase begründet. Daher muss postoperativ in die Blutgerinnung eingegriffen werden. Bewährt hat sich wegen seiner guten Steuerbarkeit Heparin, dessen Wirkung durch die Bestimmung der partiellen Thromboplastinzeit (pTT) gemessen werden kann. Die Verwendung niedermolekularer Heparin wird empfohlen, da die Nebenwirkungen einer heparininduzierten Thrombopenie vom Typ I oder II seltener auftreten.
Eine weitere Möglichkeit, in die Blutgerinnung postoperativ einzugreifen, besteht in der Gabe eines Thrombozyten-Aggregationshemmers. Die weiteste Verbreitung hat die Azetylsalizylsäure (ASS) erfahren, die in niedriger Dosierung gegeben werden kann. Mit der Substanz Clopidogrel gibt es insbesondere bei Kontraindikationen zu ASS eine Behandlungsalternative. Über die Kombination beider Thrombozyten-Aggregationshemmer gibt es außerhalb der invasiven Kardiologie keine evidenzbasierten Daten.
Eine Antikoagulation mit Marcumar® ist heute zumeist dem venösen Gefäßsystem vorbehalten, nach arteriellen Verschlüssen wird sie nur ausnahmsweise angewendet. Bei Venenthrombosen ist jedoch nach initialer Heparintherapie die Antikoagulation mit Marcumar für ein halbes Jahr etabliert, liegen hereditäre Gerinnungsstörungen vor, gegebenenfalls auch lebenslang.

Dialyseshunt-Verschlüsse

Mit Verschlüssen von Dialysezugängen muss gerechnet werden, da die arteriovenösen Fisteln ständig punktiert werden müssen. Sie stellen relative Notfallindikationen dar und erfordern das gesamte Spektrum gefäßchirurgischer und interventioneller Expertise.
Die einfachste Therapieoption ist die Thrombektomie. Bei Shunt-Stenosen, Aneurysmen, Infekten etc. kommt das gesamte gefäßchirurgische Repertoire zum Einsatz.
Weiterführende Literatur
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Der akute Gefäßverschluss – was ist zu tun? www.​gefaesschirurgie​.​de
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Wenk H, Schmid A (2008) Gefäßchirurgie. In: Henne-Bruns D, Dürig M, Kremer B (Hrsg) Chirurgie. Thieme, Stuttgart