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Akutes Kompartmentsyndrom der Extremitäten

Verfasst von: Ralph-Ingo Rückert und Axel Larena-Avellaneda

Klassifikation

Das Kompartmentsyndrom kann nach der Ursache, dem zeitlichen Verlauf, dem klinischen Schweregrad und nach der betroffenen Körperregion klassifiziert werden.
Am häufigsten ist das Kompartmentsyndrom primär vaskulär (arteriell oder venös) oder traumatisch bedingt, wobei im Grunde jeder Zustand, der mit einer Schwellung einhergeht, letztlich zu einem Kompartmentsyndrom führen kann. Vom akuten Kompartmentsyndrom werden das rezidivierende, synonym auch als chronisch oder belastungsabhängig (exertionell) bezeichnet, und das venöse Kompartmentsyndrom abgegrenzt (Hach 2013). Das exertionelle Kompartmentsyndrom ist durch Schmerzen und mitunter temporären Verlust der Nervenfunktion gekennzeichnet, die mit erneuter Belastung wieder auftritt und bei nicht mehr einwirkender Belastung wieder abklingt (Davey et al. 1984).
Beim akuten Kompartmentsyndrom handelt es sich um eine vitale Bedrohung mit Amputationsgefahr der betroffenen Extremität oder, wie beim abdominellen Kompartmentsyndrom, um einen potenziell lebensbedrohlichen Zustand und damit immer um einen chirurgisch relevanten Notfall.
Anhand des klinisches Schweregrades kann eine Unterteilung des akuten Kompartmentsyndroms in drohend und manifest erfolgen. Demnach zeichnet sich das drohende Kompartmentsyndrom durch eine weitgehend intakte Mikrozirkulation mit fehlenden neuromuskulären Funktionsstörungen aus und ist durch stärkste Schmerzen gekennzeichnet. An den Extremitäten finden sich charakteristischerweise neben einer druckempfindlichen, ballonierten und harten Muskulatur periphere Pulse, sofern keine begleitenden arteriellen Verletzungen vorliegen. Das manifeste Kompartmentsyndrom zeigt bei der klinischen Untersuchung die oben genannten Symptome mit zusätzlichem neurologischem Defizit im Sinn von Sensibilitätsstörungen und motorischen Ausfällen (Seifert et al. 2002). Diese Kriterien zur Unterscheidung zwischen drohend und manifest werden allerdings in der Regel beim traumatischen Kompartmentsyndrom herangezogen. Für den Gefäßchirurgen sind sie nur bedingt anwendbar, da Schmerzen, periphere Minderdurchblutung und neurologische Ausfälle durch die ischämische Primärerkrankung an sich bedingt sind. Jedoch können diese Kriterien nach erfolgter Revaskularisierung durch engmaschige Kontrolle herangezogen werden.
Schließlich ist die betroffene Körperregion auch Gegenstand der Klassifikation. Hier lassen sich das Kompartmentsyndrom der unteren oder oberen Extremität, das abdominelle, sowie ein Kompartmentsyndrom anderer Lokalisation (z. B. Becken, Epiduralraum) unterscheiden. Auch die geschlossene Schädelverletzung mit Entwicklung von Hirndruck, die Hodentorsion oder das Engwinkelglaukom stellen dem Wesen nach Kompartmentsyndrome dar. Da für die operative und interventionelle Gefäßmedizin vor allem das Kompartmentsyndrom der Extremitäten und das abdominelle Kompartmentsyndrom Bedeutung haben, werden diese im Folgenden, bzw. im Kap. „Abdominelles Kompartmentsyndrom“, detaillierter behandelt.

Akutes Kompartmentsyndrom der Extremitäten

Traditionell und im engeren Sinne bezieht sich das Kompartmentsyndrom auf den pathologisch gesteigerten intramuskulären Druck innerhalb der Faszienräume der Extremitätenmuskulatur.
Erste Veröffentlichungen zum Thema der ischämischen Muskellähmung, die sich sowohl mit der Pathogenese als auch der Pathophysiologie und den Folgezuständen auseinandersetzen, gehen auf Richard von Volkmann (1881) zurück. Der noch heute geläufige Begriff des „Kompartmentsyndroms“ wurde 1963 von Reszel et al. aus der Mayo-Klinik geprägt (Reszel et al. 1963). Die Ischämie-Reperfusions-Verletzung wurde 1960 durch Haimovici beschrieben und primär durch die Gefäßchirurgen registriert – die Überlebensrate nach solchen Komplikationen betrug gerade 50 % (Haimovici 1960).
Das akute Kompartmentsyndrom ist definiert als ein Zustand, bei dem ein erhöhter Druck innerhalb eines geschlossenen Raumes die Blutzirkulation und damit die Funktion der Gewebe innerhalb dieses Raumes beeinträchtigt. Pathophysiologisch wird durch diese Drucksteigerung die Kapillardurchblutung unterhalb des für die Lebensfähigkeit des Gewebes erforderlichen Perfusionsdruckes verringert.

Ätiologie und Pathogenese

Als häufigste Ursachen kommen entweder ein akutes Trauma oder die Reperfusion nach akutem arteriellem Verschluss mit kritischer Ischämie in Frage. Daneben sind auch andere, mitunter sehr seltene Ursachen möglich. Mit der Entwicklung hocheffektiver und spezialisierter Therapieverfahren werden auch iatrogene Ursachen des Kompartmentsyndroms zunehmend häufiger beobachtet (Shabat et al. 2002).
Die Erhöhung des Kompartmentdruckes kann entweder durch eine Vermehrung des Gewebevolumens (Ödem, Hämatom, Abszess, Lymphozele, Pseudoaneurysma) oder durch eine Verkleinerung des Kompartmentvolumens (Kompressionsverband, zirkuläre Narbenbildung nach Verbrennung) oder durch eine Kombination aus beiden zustande kommen.
Es gibt verschiedene pathophysiologische Ansichten (Echtermeyer und Horst 1997). Sehr anschaulich ist die Theorie des arteriovenösen Druckgradienten (Abb. 1) (Matsen und Krugmire 1978).
Neben diesem eher physikalischen Modell sind aber auch der mikrozirkulatorische Flüssigkeits- und Proteinaustausch, das Kapillarlecksyndrom, das Lymphsystem und der „third space“ wesentlich für die Ausbildung des Kompartmentsyndroms mit anzusehen (Echtermeyer und Horst 1997). Demnach unterliegt der Flüssigkeitsaustausch zwischen Plasma und Gewebe auf zellulärer Ebene einer Funktion der Differenzen zwischen hydrostatischen Drucken und proteinosmotischen Kräften. Diese sind normalerweise im Gleichgewicht. Durch Schädigung der Kapillaren kommt es zu einem vermehrten Proteinverlust, den das osmotische System nicht rechtzeitig ausgleichen kann. Plasmaflüssigkeit läuft in das Gewebe über, es kommt zum Ödem. Man spricht auch vom „third space“, der mit einer Verlängerung der Diffusionsstrecke einhergeht. Die Flüssigkeitsverluste aus den Kapillaren in das Interstitium werden unter normalen Umständen mit der Lymphe in die Zirkulation zurückgebracht. Auch diese Kapazität ist begrenzt und führt durch die verschiedenen Mechanismen zu einem Sistieren der Lymphdrainage.
Die Zellen werden vom O2 depriviert und schwellen. Die lange Diffusionsstrecke führt konsekutiv zu einer anoxiebedingten Laktatazidose, weil durch die 20-fach höhere Diffusionsfähigkeit von CO2 die O2-Diffusion zum Engpass wird.
Mit der Reperfusion wird das Geschehen „geboostert“, weil durch den Wiedereinstrom oxygenierten Blutes zugeführter freier Sauerstoff mit den im ischämischen Gewebe akkumulierten Sauerstoffmetaboliten unter Bildung freier Radikale reagiert, eine überschießende Leukozytenakkumulation als Spezialfall einer Entzündung stattfindet und das Gewebe massiv schädigt (Echtermeyer und Horst 1997).
Spätestens mit Beginn der jetzt vollständigen Ischämie-Reperfusions-Krankheit entstehen der steigenden Kapillar- und Zellpermeabilität gleichgerichtete Anstiege des Gewebedruckes in den abgeschlossenen Muskelkompartments, die die Mikrozirkulation durch sequenziellen Kollaps des kompressiblen lymphatischen und venösen Systems weiter ungünstig beeinflussen.
Die Pathophysiologie des Kompartmentsyndroms hat somit zwei wesentliche Komponenten: Den Druck im Kompartment und die Mikrozirkulation. Kritisch für das Ausmaß des Gewebeschadens sind die Höhe des Drucks und die Dauer der Einwirkung dieses erhöhten Drucks, lokale Veränderungen der Mikrozirkulation, die eine Wiederherstellung des Blutflusses beeinträchtigen, und die Gewebetoleranz selbst gegenüber einer Ischämie.
Wegen der komplexen Mechanismen bei der Entwicklung des Kompartmentsyndroms besteht nach wie vor eine Debatte über die absoluten Druckwerte, die zu einem neuromuskulären Schaden führen. In einem prognostischen Modell für das Risiko der Entwicklung eines Kompartmentsyndroms nach Arterienverletzung wurden der intraoperative Blutverlust, multiple Arterienverletzungen und eine offene Fraktur als signifikant ermittelt (Kim et al. 2009).
Nach jeder Revaskularisation wegen einer Ischämie im Extremitätenbereich muss die Entwicklung eines Kompartmentsyndroms in Betracht gezogen werden.

Diagnostik

Die Diagnose eines Kompartmentsyndroms wird im Wesentlichen klinisch gestellt. Zusätzlich hilfreich sind die Messung des Kompartmentdrucks und, allerdings in beschränktem Umfang, die bildgebende Diagnostik. Darüber hinaus sind bestimmte Laborparameter ebenfalls weg-, aber nicht beweisend. Von entscheidender Bedeutung ist und bleibt, an die Möglichkeit eines Kompartmentsyndroms zu denken und dessen Vorhandensein gezielt und unverzüglich nachzuweisen oder auszuschließen.
Beim wachen Patienten ist ein Schmerzsyndrom charakteristisch, das in der Regel inadäquat zum Umfang einer Verletzung oder eines vorangegangenen Eingriffes ist und auf eine Schmerztherapie nicht adäquat reagiert.
Schmerzen, Parästhesien, motorisches Defizit, Blässe und Pulslosigkeit sind führende Symptome des Kompartmentsyndroms im Extremitätenbereich. Frühe Zeichen sind neurologische Symptome. Dies erklärt sich mit der Tatsache, dass die nicht-myelinisierten sensorischen Typ-C-Nervenfasern am meisten gegen Hypoxie empfindlich sind. Diese Fasern vermitteln die Oberflächensensibilität, wodurch Symptome wie Parästhesien zustande kommen. Bei einer Ischämie im M. tib. anterior Kompartent macht sich die Affektion des N. peroneaus profundus durch eine Sensibilitätsstörung zwischen 1. und 2. Zehe bemerkbar.
Hält die Hypoxie nun weiter an, werden zusätzliche Gewebe betroffen – die myelinisierten Nervenfasern, dann die Skelettmuskulatur und (am meisten resistent gegen Hypoxie) Haut und Knochen. Obwohl die Nerven zuerst Funktionsstörungen durch Hypoxie aufweisen, ist die Skelettmuskulatur am wahrscheinlichsten von permanenten Schäden betroffen. Hierbei sorgt die Muskelzellfehlfunktion für ein weiteres Fortschreiten des Kompartmentsyndroms im Sinne eines Circulus vitiosus.
Objektive Untersuchungsmethoden zum Nachweis eines Kompartmentsyndroms basieren auf der Tatsache, dass ein Kompartmentsyndrom nicht ohne Druckerhöhung und Obstruktion des venösen Abflusses existieren kann. Die Labordiagnostik stützt sich vor allem auf die Bestimmung der Kreatinkinase im Serum, die bei hoher Sensitivität allerdings unspezifisch bleibt. Weitere Laborparameter zur Verlaufsbeobachtung stellen Myoglobin und Laktat dar. Wenn keine Möglichkeit der Druckmessung besteht oder diese Methode nicht etabliert ist, muss der klinischen Symptomatik umso mehr Bedeutung beigemessen werden, da sie die einzige Möglichkeit bietet, zeitgerecht ein Kompartmentsyndrom zu diagnostizieren. Umso wichtiger ist dann die engmaschige Befundkontrolle und -dokumentation.
Eine objektive Methode dient der Bestimmung des Drucks im Gewebe, also in diesem Falle im Kompartment selbst (Boody und Wongworawat 2005; Volkmann 1881). Traditionell wurden absolute Werte für den Kompartmentdruck verwendet, um daraus therapeutische Konsequenzen zu ziehen, wobei in der Literatur v. a. traumatische Kompartmentsyndrome im Unterschenkelbereich thematisiert werden. Es liegen nur sehr wenige Studien am Menschen vor. Willy et al. konnten nachweisen, dass ab einem Kompartmentdruck von 30 mmHg mit neuromuskulären Funktionseinbußen zu rechnen ist (Willy et al. 2001). 50 mmHg können eine Reduktion des pO2 Gewebedruck unter 1 mmHg und einen kompletten Verlust der nervalen Impulsfortleitung bedingen. Ein Druck von mehr als 40–45 mmHg an irgendeinem Punkt oder von mehr als 30 mmHg für mehr als 3–4 h erforderten nach diesen Kriterien eine Fasziotomie (Whitesides et al. 1975). Die isolierte Druckmessung im Kompartment ist jedoch unspezifisch und nicht sensitiv genug für die Bestimmung des Ausmaßes der Muskelischämie und damit der treibenden Kraft des Kompartmentsyndroms (Harris et al. 2006). Andere Autoren sehen als entscheidenden Parameter den Gradienten zwischen diastolischem Blutdruck und Kompartmentdruck an. Die Fasziotomie wird empfohlen, wenn der Kompartmentdruck um weniger als 20–30 mmHg vom diastolischen Blutdruck abweicht (Mabee und Bostwick 1993; Matava et al. 1994).
Daneben sind bildgebende Verfahren (Sonografie, CT, MRT) möglicherweise hilfreich, aber unsicher vor allem in der Differenzialdiagnose eines beginnenden und eines manifesten Kompartmentsyndroms. Erhaltene Pulse bzw. die mittels bildgebender Verfahren wie Ultraschall (farbkodierte Duplexsonographie) nachgewiesene erhaltene arterielle Perfusion schließen das Vorliegen eines Kompartmentsyndroms nicht aus.

Therapie

Mit der Diagnose eines Kompartmentsyndroms ist die Indikation zur sofortigen chirurgischen Therapie gegeben. Das Kompartmentsyndrom muss in diesem Sinne als Notfall betrachtet werden, da bei nicht rechtzeitiger Therapie ein irreversibler Gewebeschaden mit potenziell fatalen Folgen (Extremitätenverlust, Multiorganversagen) droht.
Unbehandelt, weil nicht oder nicht rechtzeitig erkannt, führt das Kompartmentsyndrom zu Muskelnekrosen, zur Amputation der betroffenen Extremität oder, abhängig vom Ausmaß des betroffenen Gewebes, zum Nierenversagen und potenziell zum Tod des Patienten.
Das Ziel der Behandlung ist die rechtzeitige und effektive Dekompression. Mit der Normalisierung des Druckes in dem betroffenen Kompartment muss die Gewebeperfusion mit der Kapillarzirkulation wieder hergestellt werden, um so eine Gewebeschädigung zu minimieren oder gar zu verhindern.
Die Therapie des Kompartmentsyndroms im Extremitätenbereich hat drei Ziele:
  • Senkung des pathologisch erhöhten Gewebedruckes
  • Wiederherstellung der unterbrochenen Blutzirkulation
  • Minimierung des Gewebeschadens und des daraus eventuell resultierenden Funktionsdefizites
Zunächst müssen äußere Ursachen einer Druckerhöhung, falls vorhanden, beseitigt werden. So sollten Casts, Gips- oder Kompressionsverbände umgehend eröffnet und entfernt werden.
Die sofortige und vollständige Druckentlastung des Nervengewebes und der Muskulatur ist allerdings in der Regel nur durch eine Fasziotomie erreichbar. Die lege artis ausgeführte Fasziotomie beinhaltet eine komplette Inzision der Haut über dem betroffenen Kompartment, die Längsinzision der Faszie und Eröffnung aller Kompartments sowie eine sorgfältige Lokaltherapie der Wunde mit Infektionsprophylaxe und sekundärem Wundverschluss.
Bei drohendem Kompartmentsyndrom ist eine halbgeschlossene Fasziotomie möglich, bei der deutlich kürzere Hautinzisionen im Verhältnis zur Länge der Faszienspaltung möglich sind. Supportiv sollte die Extremität hochgelagert werden. Die Faszienspaltung muss binnen 4–6 h erfolgen (Finkelstein et al. 1996). Für eine komplette Ischämie im Extremitätenbereich werden als maximale Toleranzgrenze bis zu einer Revaskularisation etwa 6 h angesehen. Die frühzeitige Dekompression nach kompletter Ischämie einer Extremität ist möglichst simultan mit der Revaskularisation vorzunehmen.
Unterschenkel
An der unteren Extremität müssen im Bereich des Unterschenkels alle vier Kompartments eröffnet werden. Hierzu gibt es zwei mögliche Techniken: Die unilaterale parafibulare und die bilaterale Fasziotomie.
Bei der unilateralen Fasziotomie wird nur eine Inzision vorgenommen (Abb. 2). Die Hautinzision erfolgt genau über bis 1 cm ventral der Fibula, beginnt kaudal des Fibulaköpfchens und reicht bis zum Malleolus lateralis. Das laterale, anteriore und oberflächliche posteriore Kompartment werden direkt bzw. nach entsprechender Mobilisierung von Haut und Subkutis erreicht. Das tiefe posteriore Kompartment wird am besten von distal erreicht, wo die Mm. soleus et gastrocnemius bereits in den Sehnenanteil übergegangen sind. Der M. soleus wird von der Fibula abgesetzt und die Faszie zum tiefen posterioren Kompartment kann nun längs eröffnet werden.
Die Dekompression der posterioren Kompartments ist einfacher auch über eine zweite, mediale Inzision erreichbar, die etwa 2 cm dorsal der Tibia über die gesamte Länge des Unterschenkels vorgenommen wird (Abb. 3). Der Nachteil einer zweiten Inzision bei dieser Doppelinzisionstechnik steht dem Vorteil einer möglichen Lokalanästhesie, eines schnelleren und einfacheren Zuganges und eines geringeren neuromuskulären Verletzungspotenzials gegenüber.
Die prophylaktische Fasziotomie bei drohendem Kompartmentsyndrom erfolgt halbgeschlossen über eine primär bilaterale Inzision am Unterschenkel (Mubarak und Owen 1977). Dabei werden das laterale und ventrale Kompartment über einen proximalen anterolateralen Zugang und das dorsale oberflächliche und tiefe Kompartment über einen distalen posteromedialen Zugang entlastet. Nach proximal querer Fasziotomie am Übergang proximales/mittleres Unterschenkeldrittel 2 cm ventral der Fibula wird das Septum intermusculare anterius zwischen Tibialis-anterior- und Peronäusloge identifiziert, da dorsal des Septums in der Peronäusloge der N. peronaeus superficialis liegt. Die Spaltung der Faszien wird nun längs mit der Schere vorgenommen. Der distale Zugang erfolgt im distalen Unterschenkeldrittel etwa 2 cm dorsal der Tibiahinterkante und damit dorsal der V. saphena magna und des N. saphenus. Am hinteren Rand der Tibia tritt die tiefe Beugerloge in Kontakt zur Oberflächenfaszie. Nach querer Fasciotomie wird das tiefe Blatt der Fascia cruris identifiziert. Gegebenenfalls muss ein Teil des M. soleus von der Tibiahinterkante abgelöst werden.
Fuß
Auch im Bereich des Fußes führt eine mediale longitudinale Dermatofasziotomie am effektivsten zur Entlastung eines Kompartmentsyndroms (Jäger und Echtemeyer 2008).
Oberschenkel
Am Oberschenkel wird selten eine Fasziotomie notwendig. Diese umfasst die Eröffnung der drei Kompartments und wird über eine laterale Hautinzision mit zwei Längsinzisionen der Fascia lata unter Belassung einer mindestens 5 cm weiten Brücke vorgenommen.
Arme
An der oberen Extremität wird die Dekompression über eine bogenförmige volare Inzision am Unterarm von kranial der Fossa cubitalis bis palmar vorgenommen. Die Anatomie erlaubt die Entlastung aller Muskellogen über eine längs geführte Fasziotomie, die die Eröffnung des Karpaltunnels einschließt.
Die klinische Beurteilung der Vitalität der Muskulatur erfolgt anhand der Kriterien Farbe, arterielle Blutung und Kontraktion bei galvanischer Stimulation durch Elektrokoagulation. Nicht mehr vitale Muskulatur muss großzügig, gegebenenfalls auch im Verlauf, reseziert werden. Zur Revaskularisation eventuell angelegter und nun durch die Fasziotomie exponierter Bypässe, vor allem bei Verwendung von alloplastischem Material, müssen sorgfältig möglichst mit vitaler Muskulatur gedeckt werden. In diesem Zusammenhang und vor allem auch hinsichtlich der Infektionsprophylaxe kommt schließlich dem sorgfältigen Wundverschluss große Bedeutung zu.

Verlauf, Prognose, Nachsorge

Bei rechtzeitiger und konsequenter Therapie mit vollständiger Druckentlastung in allen betroffenen Kompartments ist eine Restitutio ad integrum möglich.
Nach Fasziotomie im Extremitätenbereich sollte eine Sekundärnaht zum Wundverschluss erfolgen oder es ist bei Dehiszenz der Wundränder die plastische Deckung („meshgraft“) erforderlich.
Bei Verkennung der Diagnose oder insuffizienter Therapie kann die sog. Volkmann-Kontraktur, nach der Erstbeschreibung einer ischämischen Kontraktur der Unterarmmuskulatur bei Kindern nach suprakondylärer Humerusfraktur mit Begleitverletzung der A. brachialis benannt, resultieren (Volkmann 1881). Analog kann eine Muskelatrophie nach inkompletter Behandlung eines Kompartmentsyndroms am Unterschenkel entstehen.
Das sog. Crush-Syndrom als Extremform des Kompartmentsyndroms resultiert aus schwerem stumpfem Trauma oder prolongierter Kompression eines Skelettmuskels, wodurch eine Myonekrose eintritt.
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