Einleitung
Die ersten klinischen und anatomischen Beschreibungen der intestinalen Ischämie stammen aus der Feder von Chienne (
1869) und Councilman (
1894).
Goodmann assoziierte 1918 erstmals die Symptomatik des akut einsetzenden postprandialen abdominellen
Schmerzes mit Patienten einer Angina pectoris (Goodman
1918). Dunphy vom Peter Bent Brigham Hospital berichtete 1936 über die Korrelation zwischen rezidivierendem Abdominalschmerz und fataler intestinaler Ischämie mit der mesenterialen Verschlusserkrankung (Dunphy
1936). Er berichtete hier, dass 60 % der Patienten bereits Wochen, Monate oder Jahre vor ihrem Tod durch mesenteriale Ischämie eine Anamnese von rezidivierenden Abdominalschmerzen aufwiesen. Seitdem hat sich der Terminus intestinale Angina durchgesetzt, der die klassische Symptomatik des chronischen postprandialen Abdominaleschmerzes als Kardinalsymptom der chronischen mesenterialen Ischämie (CMI)
beschreibt.
Aktuellen Schätzungen zufolge sind <1 pro 100.000 Krankenhauseinweisungen in den USA und <2 % der Zuweisungen mit gastrointestinalen Symptomen auf eine CMI zurückzuführen (Mitchell und Moneta
2006). Seit der ersten erfolgreichen mesenterialen Embolektomie durch Shaw und Maynard sind die Revaskularisationstechniken erheblich weiterentwickelt worden (Shaw und Maynard
1958). Fortschritte in der diagnostischen Bildgebung, der medikamentösen Therapie, chirurgische Techniken und endovaskuläre Verfahren haben zu deutlich verbesserten Ergebnissen geführt. Uflacker und Goldany, Furrer et al. haben über die Ballonangioplastie zur Behandlung mesenterialer Stenosen berichtet (Furrer et al.
1980; Uflacker et al.
1980). Während der letzten Dekade gewannen mesenteriale Angioplastie und Stenting eine breite Akzeptanz, so dass sie mittlerweile zu den häufigsten Techniken der invasiven CMI-Behandlung avanciert sind. Die offen chirurgischen Verfahren beschränken sich somit heute im Wesentlichen auf Patienten, die für endovaskuläre Therapieverfahren aufgrund des komplexen Befallmusters oder fehlgeschlagener endovaskulärer Behandlungen als ungeeignet erscheinen (Schermerhorn et al.
2009).
Dieses Kapitel gibt einen umfassenden Überblick über Pathophysiologie, klinische Präsentation, Therapieindikationen, sowie Techniken und Ergebnisse der Revaskularisation von Patienten mit CMI.
Physiologie
Unter physiologischen Bedingungen entfallen etwa 20 % des Herz-Zeit-Volumens auf die intestinale Durchblutung. Der Blutfluss zum Gastrointestinaltrakt erhöht sich sogar noch vor der Nahrungsaufnahme und bleibt dann für etwa 3–6 h um 100–150 % des normalen Blutflusses (2000 ml/min) erhöht. Es ist nicht ganz geklärt, ob sich diese Umverteilung allein auf den Mesenterialtrakt beschränkt. In den 1930er-Jahren konnte Herrik mittels Thermosensoren bei wachen Hunden nachweisen, dass der Blutfluss über 5 h nach der Nahrungsaufnahme erhöht bleibt. Dieser erhöhte Blutfluss betraf jedoch nicht nur das Intestinum, sondern auch die Karotis- und die Koronarstrombahn, wie auch die Femoralarterien. Man hat vermutet, dass diese hämodynamischen Veränderungen durch einen Anstieg der kardialen Auswurfleistung zustande kommt (Fara
1984). Der Großteil der Versuche, die unternommen wurden, um die physiologische Antwort der mesenterialen Zirkulation auf den Nahrungsreiz zu verstehen, entstammt Tierversuchen mit eingeschränkten Untersuchungsbedingungen unter Nutzung angiographischer Techniken oder elektromagnetischer Flussmessungen nach Laparotomie (Moneta et al.
1988).
Die physiologischen postprandialen hämodynamischen Veränderungen sind durch die Nahrungsaufnahme und die Verdauung getriggert. Es ist nachgewiesen, dass diese Veränderungen bereits initiiert werden, bevor die Nahrung den Magen erreicht. Diese antizipierte präliminäre Reaktion resultiert in einem schwachen Anstieg des Blutflusses in der A. mesenterica superior. Wenn die Nahrung den Magen dann nicht erreicht, hält diese Reaktion lediglich einige Minuten an. Studien an Hunden und an Primaten haben zeigen können, das die kardiale Auswurfleistung, die Herzfrequenz und der aortale Druck in dieser Phase erhöht sind; allerdings ist nur eine sehr geringe Veränderung des mesenterialen vaskulären Widerstandes messbar. Nach dieser präliminären Phase ist ein Fortbestehen der erhöhten Auswurfleistung jedoch nicht gut dokumentiert (Fara
1984).
Die mesenteriale Vasodilatation beginnt 3–5 min nachdem die Nahrung das Intestinum erreicht hat, erreicht ihr
Maximum 30–90 min später und dauert insgesamt 4–6 h an. Die Latenz und die Dauer dieser Reaktion ist von der Art und der Menge der Nahrung abhängig, wobei stark fetthaltige und proteinreiche Nahrungsmittel die stärkste und nachhaltigste intestinale Hyperämie auslösen (Siregar und Chou
1982). Moneta et al. beschrieben duplexsonographisch unterschiedliche funktionelle Reaktionen nach Ingestion von 6 unterschiedlichen flüssigen Mahlzeiten an wachen Patienten: gemischte Nahrung, Kohlenhydrate, Fette, Proteine, Mannitol und Wasser. Die A. mesenterica superior zeigte einen signifikanten Anstieg des systolischen Spitzenflusses, der end-diastolischen Flussgeschwindigkeit sowie des Flussvolumens nach allen Mahlzeiten mit Ausnahme des Wassers. Nach Ingestion der Zuckerlösung traten die stärksten Änderungen früher ein und waren weniger ausgeprägt als nach gemischten und fetten Mahlzeiten. Obwohl der Anstieg der duplexsonographischen Parameter nach Einnahme proteinhaltiger Lösungen weniger ausgeprägt war als nach Zuckerlösung, war er länger anhaltend. Die Femoralarterien und der Truncus coeliacus reagierten nicht. Eine minimale Änderung der coeliakalen Flussgeschwindigkeit ist möglicherweise Sekundärfolge eines niedrigen peripheren Widerstandes der A. lienalis und der A. hepatica.
Die postprandiale mesenteriale Hyperämie
beschränkt sich auf die Organe, die an der Nahrungsverarbeitung beteiligt sind – allerdings verteilt sie sich nicht homogen auf die Gefäßterritorien und Gewebsschichten des Intestinums. Der durch Nahrung ausgelöste Anstieg der Durchblutung in der A. mesenterica superior geht mit nur minimalen bis gar keinen Veränderungen des Magens des Pankreas und des Kolons einher. Studien an Hunden, denen Nahrung in unterschiedliche Areale des Intestinums verabreicht wurde, haben zeigen können, dass sich die Durchblutung in den Arealen unterschiedlich verhält (Fara
1984). Innerhalb der Darmwand wird die Mucosa zuungunsten der Submucosa und der Muscularis bezüglich der Verteilung der Durchblutung bevorzugt (70–80 % des Blutflusses) (Gallavan et al.
1980). Somit ist die postprandiale mesenteriale Hyperämie bezüglich der Verteilung auf intestinale Regionen in Abhängigkeit vom Verdauungs- und Resorptionsprozess als selektiv anzusehen (Fara
1984).
Es hat wiederholt Versuche gegeben, die zugrunde liegenden Mechanismen der postprandialen Hyperämie zu erklären. Mögliche Mediatoren wurden in 5 Kategorien unterteilt: direkter Effekt auf die absorbierten Nahrungsbestandteile, das enterische neuronale System, gastrointestinale Hormone und Peptide sowie lokale vasoaktive Mediatoren und deren Metaboliten (Chou und Coatney
1994). Liposomen,
Aminosäuren, Kohlendioxid und Stickstoffionen können die intestinale epitheliale Barriere passieren und direkt mit dem Autoregulationsprozess der intestinalen Mikrozirkulation interferieren (Matheson et al.
2000).
Der Einfluss des intestinalen Nervensystems ist bislang nicht eindeutig geklärt. Chirurgische und pharmakologische Sympathikusblockaden können die postprandiale Hyperämie zumindest nicht beeinflussen. Die Infusion von Atropin dagegen hemmt die nahrungsassoziierte Vasodilatation. Dieser Effekt ist partiell kompatibel zu dem hormonalen Mechanismus, der die Freisetzung von Cholezystokinin durch cholinerge Blockade blockiert (CCK) (Fara
1984). Capsaicin-sensitive afferente Nervenfasern, die für die Freisetzung von CCK, die
Substanz P und von vasoaktiven intestinalen
Polypeptiden (VIP) verantwortlich sind, können ebenso partiell involviert sein, da Capsaicin (und
Lidocain) eine Hyperämie verhindern kann. Somit scheinen nicht-adrenerge, nicht-cholinerge Mechanismen doch eine Rolle zu spielen (Matheson et al.
2000).
Aus früheren Studien ist bekannt, dass systemische Infusionen von
Sekretin,
Gastrin und CCK einen Anstieg des Blutflusses in der AMS bewirken konnten. CCK war darüber hinaus mit einem Anstieg des Blutflusses im Dünndarm und im Pankreas assoziiert (Fara
1984). Premen et al. untersuchten den Einfluss von CCK als physiologischem intestinalem Vasodilatator, basierend auf der Erkenntnis, dass CCK den intestinalen Blutfluss unter physiologischen Bedingungen nicht alteriert. Diese Autoren infundierten Sekretin,
Neurotensin und CCK, sowie eine Kombination aus den 3 Agenzien intraarteriell an Hunden. Im Ergebnis zeigte sich jedoch, dass weder als isolierte Substanzen noch in Kombination ein Einfluss auf die postprandiale intestinale Durchblutungsregulierung nachgewiesen werden konnte (Premen et al.
1985). VIP, Kalzitonin gen-assoziiertes Peptid alpha, Glucagon, Enkephaline,
Somatostatin, und
Peptid YY scheinen hier in physiologischen Dosen ebenfalls keine Rolle zu spielen. Es ist jedoch möglich, dass bestimmte Regionen des Intestinums durch diese Substanzen in ihrer hämodynamischen Regulation lokal beeinflusst werden könnten (Matheson et al.
2000).
Serotonin,
Histamin, Bradykinin, und
Prostaglandine werden im Dünndarm durch Stimulation von physiologischen oder pathophysiologischen Reizen gebildet. Seit langem ist bekannt, dass die Freisetzung von Histamin im Magen einen regulatorischen Effekt auf dessen Durchblutung hat. Dessen vasodilatierende Effekte werden im Wesentlichen durch H1-Rezeptoren erzielt. Die Rolle lokaler nicht-metabolischer vasoaktiver Mediatoren wird möglicherweise durch das Zusammenspiel von Vasokontriktoren und Vasodilatatoren bestimmt (Fara
1984; Premen et al.
1985).
Nach aktuell gängiger Meinung sind metabolische Substanzen, sowie im Wesentlichen die Sauerstoffaufnahme und das pCO2 im Gewebe die wichtigsten Mediatoren für die postprandiale intestinale hämodynamische Reaktion. Das Adenosin spielt ebenfalls eine fundamentale Rolle in fast allen diesen metabolischen Prozessen; die Adenosin Konzentration ist dementsprechend während der postprandialen Hyperämie ebenfalls erhöht. Stickstoffoxid (NO) ist ein potenter Vasodilatator, der dem Endothel entstammt. NO spielt eine bedeutende Rolle als Regulans der intestinalen Motilität, Flüssigkeitsbalance und Elektrolytresorption. Bei Nagetieren scheint NO eine essenzielle Rolle für die arterielle Dilatation der mukosalen Gefäße zu spielen (Matheson et al.
2000).
Pathophysiologie
Patienten mit chronischer mesenterialer Ischämi
e können auf Nahrungsreize nicht mehr mit einer adäquaten postprandialen Hyperämie zur Sauerstoffzufuhr reagieren, die erforderlich ist, um den metabolischen Prozess der Sekretion, Absorption und die Anregung der peristaltischen Aktivität zu initiieren (Poole et al.
2006). Genau wie bei Patienten mit ischämischer
Kardiomyopathie, bei denen die Angina pectoris Ausdruck des Ungleichgewichtes zwischen Sauerstoffzufuhr und -verbrauch ist, entsteht die Angina intestinalis aus dem Missverhältnis zwischen Sauerstoffangebot und dem Bedarf an Sauerstoff und Metaboliten für die Verdauung. Auf Gewebe- und Zellniveau interferiert der Mangel an Adenosintriphosphat (ATP) mit der intestinalen Mukosa, der Muscularis und den viszeralen Nerven. Dies resultiert in einem Versagen einer Vielzahl von intestinalen transmukosalen Transportwegen und führt zu einer Kontraktion der Darmmuskulatur, was wiederum in einer inadäquaten Relaxation endet, deren Resultat Malabsorption und abdominaler
Schmerz sind (Fu und Longhurst
1999; Kozar et al.
2002).
Aufgrund des extensiven Kollateralnetzes leidet ein großer Teil der Patienten mit CMI an signifikanten Stenosen oder Verschlüssen von mehr als nur einer Mesenterialarterie. In einer Zusammenstellung der Patienten aus der Mayo-Klinik zeigte sich angiographisch, dass 98 % der Patienten mit CMI eine Beteiligung von zwei oder mehr Arterien aufwies, wobei ein Verschluss oder eine kritische Stenose der AMS bei 92 % der Patienten vorlag (Oderich
2009). Im Gegensatz zu dem, was in vielen Lehrbüchern noch postuliert wird, ist dies keine absolute Voraussetzung für die Diagnosestellung einer CMI (Ku et al.
1989). Die klinische Bedeutung der Ischämie korreliert vielmehr nicht nur mit der Ausdehnung der Erkrankung sondern auch mit der Ausprägung der Kollateralkreisläufe, der akuten Symptomatik, und der Ausprägung der arteriellen Unterversorgung. Etwa 2–10 % aller Patienten mit CMI leiden an einer Ein-Gefäß-Erkrankung, die dann meist die AMS mit einem schwach ausgeprägten Kollateralnetz betrifft, oder aber akut in ihrer Symptomatik auftritt (Oderich
2009).
Trotz Limitationen im Versuchsaufbau konnten Ku et al. anhand eines aortalen Glasmodells Flussverhältnisse demonstrieren, die die Tendenz einer Plaquebildung insbesondere in der viszeralen und infrarenalen Aorta nahelegen. Die Flussseparierung und Stagnationseffekte an der Aortenhinterwand vor allem in Höhe der AMS und AMI wurde in postprandialen und in Ruhe-Situationen simuliert. Die aortale Wandspannung („shear stress“) könnte Anlass zu Plaqueformation geben und möglicherweise in stenosierenden oder aneurysmatischen Erkrankungen resultieren (Ku et al.
1989).