Anamnese
Eine gezielte Anamneseerhebung ist zur Klärung der vaskulären Genese einer Beschwerdesymptomatik und Erarbeitung einer Arbeitshypothese des zugrunde liegenden Gefäßproblems von großer Bedeutung.
Die Familienanamnese sollte klären, ob eine familiäre Belastung mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen besteht. Eine besondere Häufung von Herzinfarkten oder apoplektischen Insulten bei jungen Familienangehörigen kann ein Hinweis auf eine zugrunde liegende Stoffwechselerkrankung (z. B. familiäre
Hypercholesterinämie) sein. Auch bei arteriellen Aneurysmata wird eine familiäre Häufung beobachtet. Gehäufte vermehrte Thrombosen und
Lungenembolien können ein Hinweis auf eine
Thrombophilie sein. Bei Verdacht auf eine durch einen genetischen Defekt determinierte Erkrankung (z. B.
Marfan-Syndrom,
Ehlers-Danlos-Syndrom) kann sich die Indikation zur genetischen Untersuchung von Familienangehörigen bzw. einer
genetischen Beratung bei
Kinderwunsch ergeben.
Die Eigenanamnese sollte das Vorhandensein von kardiovaskulären Risikofaktoren (Raucheranamnese, Ernährungsgewohnheiten,
Diabetes mellitus, Dyslipidämie,
arterielle Hypertonie) klären. Fragen nach der Geschwindigkeit und dem Zeitpunkt der Beschwerdesymptomatik sollen erfasst werden. Passen Alter und Risikofaktoren zu einem arteriosklerotischen Gefäßleiden, kann eine sich langsam entwickelnde Claudicatio intermittens auf eine progrediente arteriosklerotische Gefäßokklusion hinweisen. Typisch für eine
pAVK ist ein reproduzierbarer, belastungsabhängiger
Ischämieschmerz der Extremitätenmuskulatur, der nach wenigen Minuten Ruhephase verschwindet. Abhängig von der Lokalisation der Gefäßstenose kann er in der Glutealregion (A. iliaca interna), Oberschenkel- (Beckenarterien, A. femoralis profunda), Waden- (A. femoralis superficialis, A. poplitea) oder Fußmuskulatur (Unterschenkelarterien) auftreten. Im Gegensatz zur kritischen Ischämie ist die Ruhedurchblutung bei der Claudicatio intermittens ausreichend. Bei plötzlicher Entwicklung der Beschwerdesymptomatik muss u. a. an embolische Gefäßverschlüsse (Differenzialdiagnose: kardioembolisch, arterio-arteriell), plötzliche thrombotische Gefäßverschlüsse im Rahmen einer Plaqueruptur oder an eine Gefäßdissektion gedacht werden. Bei gleichzeitiger Allgemeinsymptomatik wie Arthralgien, Gewichtsverlust und
Fieber sind die differenzialdiagnostischen Überlegungen u. a. auf das Vorliegen einer
Vaskulitis, Kollagenose oder eines Tumorleidens auszuweiten. Ebenso sollte bei Fehlen klassischer Risikofaktoren an das Vorhandensein „seltenerer“ Ursachen für okkludierende Gefäßprozesse gedacht werden (z. B.
Riesenzellarteriitis,
Takayasu-Arteriitis,
Kompressionssyndrome) (Tab.
1). Bei Vorhandensein einer Raynaud-Symptomatik ist in der Anamnese auf die Dauer, die Lokalisation (Finger und Zehen? Einseitig?) und auf assoziierte trophische Läsionen zu achten.
Tab. 1
Differenzialdiagnose der Claudicatio intermittens bei Patienten >55 Jahre
| Embolien Kompressionssyndrome Posttraumatisch Medikamentös/toxisch Gefäßmissbildungen Stoffwechselerkrankungen | Spinalkanalstenose Periphere sensible Nervenläsionen Koxarthrose Kompartmentsyndrom Venöse Claudicatio Lymphabflussstörung Entzündliche Erkrankungen |
Seltene Ursachen der Claudicatio intermittens bei alten Patienten sind häufig bei jungen Patienten.
Auch die Berufs- und Sozialanamnese kann Hinweise auf die Ätiologie vaskulärer Prozesse geben. So wird die Exposition zu bestimmten Giftstoffen (Vinylchlorid, Metalloide) mit der Entwicklung vaskulärer Prozesse in Verbindung gebracht. Traumata durch vibrierende Arbeitsmaschinen, Schlagwerkzeuge oder bestimmte Sportarten (z. B. Badminton, Volleyball) können Erkrankungen wie das Hypothenar-Hammer-Syndrom auslösen, bei dem eine traumatische Intimaschädigung als Auslöser für einen thrombotischen Gefäßverschluss der A. ulnaris auf Handgelenkshöhe diskutiert wird.
Körperliche Untersuchungsmethoden
Generell ist eine gute körperliche Untersuchung in Verbindung mit einer gezielten Anamnese von entscheidender Bedeutung für die Planung der weiteren diagnostischen Schritte. Die körperliche Untersuchung erfasst dabei zunächst die
Hautfarbe (Zyanose, Blässe, Hyperämie),
Ödeme sowie das Vorliegen
trophischer Läsionen (Nekrosen, Ulzera, Gangrän). Weiter wird ein kompletter
Pulsstatus erhoben und die Hauttemperatur der Extremitäten im Seitenvergleich dokumentiert. Bei der Überprüfung der Pulse müssen neben der Amplitude auch die Frequenz und Rhythmik (absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern?) erfasst werden. Ein verbreiterter Puls über der Bauchaorta kann ein Hinweis auf ein
Bauchaortenaneurysma sein. Die Pulsuntersuchung der unteren Extremität ist allerdings sehr subjektiv und fehlerhaft (Sensitivität ca. 20 %). So wird die Diagnose einer
pAVK anhand fehlender Fußpulse zu häufig gestellt. Wird dagegen gleichzeitig eine typische Claudicatio-Symptomatik erfragt, liegt die Treffsicherheit deutlich höher (Norgren et al.
2007). Bei zusätzlicher Berücksichtigung vaskulärer Strömungsgeräusche liegt die Sensitivität in der Baseler Studie bei 84 % (Da Silva et al.
1980).
Die Beurteilung von
arteriellen Strömungsgeräuschen sollte berücksichtigen, dass diese nach körperlicher Anstrengung verschärft, unter Ruhebedingungen aber auch fehlen können. Bei Verdacht auf eine relevante arterielle Stenose kann der Auskultationsbefund ggf. nach Muskelarbeit (Kniebeugen, Zehenstände etc.) erneut überprüft werden. Sensibilitätsverluste sowie eine Reduktion der Muskelkraft können Hinweise auf eine kritische
Extremitätenischämie sein (Differenzialdiagnose: neurologische Ursache). Die Beurteilung des
venösen Systems erfolgt am stehenden Patienten. Dokumentiert werden sollten die Ausdehnung von Varizen, deren Schmerzhaftigkeit (Differenzialdiagnose: Tiefe Venenthrombose, Thrombophlebitis, Varikophlebitis) sowie Stadien der chronisch venösen Insuffizienz.
Funktionelle Tests bei Verdacht auf Schultergürtelkompressionssyndrom
In diesem Kapitel werden nur entsprechende Funktionstests vorgestellt. Auf eine komplette Beschreibung der Pathophysiologie, Anamnese und klinischen Symptomatik der Krankheitsbilder wird hier nicht eingegangen.