Skip to main content
Orthopädie und Unfallchirurgie
Info
Publiziert am: 09.09.2022

Achsdrehfehler der unteren Extremität

Verfasst von: Stephanie Böhm und Eeva Koskimies-Virta
Variationen der Drehverhältnisse im Kindes- und Jugendalter sind ein häufiger Grund für Arztkonsultationen. Viele Eltern werden insbesondere von extern (Kindergarten, Schule) auf vermeintliche Rotationsfehlstellungen ihrer Kinder aufmerksam gemacht und sind besorgt den besten Zeitpunkt für eine eventuell notwendige Therapie zu verpassen. Die meisten Befunde liegen jedoch im altersentsprechenden Normalbereich, korrigieren sich im Laufe des Wachstums von selbst und bedürfen keinerlei therapeutischer Massnahmen oder weiterer bildgebender Diagnostik.

Hintergrund und natürliche Entwicklung der Rotationsverhältnisse vom Säugling bis zum jungen Erwachsenen

Variationen der Drehverhältnisse im Kindes- und Jugendalter sind ein häufiger Grund für Arztkonsultationen. Viele Eltern werden insbesondere von extern (Kindergarten, Schule) auf vermeintliche Rotationsfehlstellungen ihrer Kinder aufmerksam gemacht und sind besorgt, den besten Zeitpunkt für eine eventuell notwendige Therapie zu verpassen. Die meisten Befunde liegen jedoch im altersentsprechenden Normalbereich, korrigieren sich im Laufe des Wachstums von selbst und bedürfen keinerlei therapeutischer Massnahmen oder weiterer bildgebender Diagnostik.
Die Entwicklung der unteren Extremität beginnt in der 4. Gestationswoche. Während der 7. Woche rotiert die gesamte untere Extremität nach innen und macht in der verbleibenden intrauterinen Phase und der darauffolgenden kindlichen Entwicklung eine Außenrotation durch (Staheli 1993).
Dies äußert sich in einer Veränderung der Antetorsion von durchschnittlich 30–40 Grad bei Geburt auf ca. 15 Grad (mit grosser Normalvariation, Jungen 14 Grad(−2–29), Mädchen 18 Grad (3–33 Grad)) (Bråten et al. 1992) im jungen Erwachsenenalter und erklärt das leichte in-toeing bei Kleinkindern, das im jungen Erwachsenenalter nur selten zu sehen ist.
Die Tibiatorsion ist bei Geburt häufig neutral bis leicht innenrotiert und entwickelt im Laufe des Wachstums eine Außenrotationstellung, die sich auf ungefähr 15 Grad beläuft (Staheli 1993; Karol 1997; Hefti 2006).

Klinische Untersuchung

Eine ausführliche Anamnese im Zusammenhang mit der klinischen Erhebung eines Rotationsstatus ist essenziell, um zwischen Normvarianten und pathologischen Befunden zu unterscheiden. Röntgenbilder sind im Regelfall nicht erforderlich (Rerucha et al. 2017).
Zunächst werden Größe und Gewicht gemessen und mit befindlichen Wachstumskurven des Kindes verglichen, da ein normales Wachstum die Wahrscheinlichkeit für eventuell bestehende systemische Erkrankungen um ein Vielfaches senkt. Desweiteren wird die Hautkonstitution, das Gesicht und das generelle Erscheinungsbild beurteilt.
Für die klinische Untersuchung sollte der Patient bis auf die Unterwäsche enkleidet sein. Bereits während des Gesprächs mit den Eltern kann beobachtet werden, wie das Kind sich im Raum bewegt, und eventuelle Auffälligkeiten des Gangmusters können erkannt werden. Hierbei ist insbesondere auf die Positionierung der Kniescheibe (zeigt sie nach innen oder außen) und auf den Fußöffnungswinkel zu achten
Der Patient sollte im Gehen (von ventral und dorsal), im Sitzen und im Liegen untersucht werden. Kleine, noch nicht gehfähige Kinder können auf dem Schoß eines Elternteils untersucht werden. Der Rotationsstatus umfasst die Bewegungsprüfung von Hüfte, Knie und Fuß.
Die femorale Anteversion und andere Rotationsvarianten lassen sich am besten in Bauchlage untersuchen (alternativ im Sitzen auf dem Schoß der Eltern). Die Innen- und Außenrotation beider Hüften wird evaluiert (Abb. 1 und 2).
Der „Trochanteric prominence angle test (Craigs-Test)“ wird ebenfalls in Bauchlage durchgeführt. Dabei rotiert der Untersucher die Hüfte nach innen, bis der Trochanter major maximal palpiert werden kann. Der Winkel zwischen Tibiaachse und Mittellinie repräsentiert die bestehende Anteversion.
Zur Messung der Tibiatorsion kommt der sogenannte „Thigh-Foot-Angle“ zur Anwendung. Dabei wird in Bauchlage bei 90 Grad gebeugtem Knie die Fußachse gegenüber der Oberschenkelachse bestimmt (Abb. 3). Eine weitere Messmethode ist die Bestimmung der bimalleolären Achse, die bei nach vorne zeigender zentrierter Patella gemessen wird und das Verhältnis zwischen Knierotationsachse und transmalleolarer Achse beschreibt (Staheli 1985).
Bei der Untersuchung der Füße wird zunächst darauf geachtet, wie der Fußprogressionswinkel (Staheli 1985) verläuft. Auch die Beschaffenheit der Fußaußenkante ist von Bedeutung, da eine deutliche Kurviering nach medial auf einen Metatarsus Adductus hindeuten kann. Die Dorsalextensions-/Plantarflexion im Sprunggelenk sollte im Sitzen überprüft werden. Zeigt sich die Dorsalextension eingeschränkt und besteht zudem eine Adduktusfehlstellung, ist an die Diagnose Klumpfuß zu denken.
Zusätzlich zum Rotationsstatus von Hüfte, Knie und Fußgelenken ist der Patient auf
  • Beinlängendifferenzen,
  • Achsdeformitäten,
  • mögliche Gelenkhypermobilität und
  • eventuelle Wirbelsäulendeformitäten
zu untersuchen.
Rotationsprobleme, die innerhalb des normalen Rahmens liegen, bezeichnet man als „Rotationsvarianten“, die außerhalb des Normalen nennt man „Torsionsdeformitäten“ (Staheli 1985).

Radiologische Untersuchung

Besteht ein Toeing-in als Normalvariation in der Extremitätenentwicklung, bedarf dies keiner weiterführenden radiologischen Diagnostik (Rerucha et al. 2017). Ein Röntgenbild ist nur im Fall einer fraglich vorhandenen Differentialdiagnose oder bei bestehenden Hüft-/Knieschmerzen indiziert.
Spezielle röntgenologische Techniken, um die Tibiatorsion oder femorale Anteversion zu quantifizieren oder den Verlauf der Rotationsentwicklung zu messen, sind ebenfalls nicht indiziert. Im Laufe der letzten Jahre wurde die strahlenintensive Rippstein II-Aufnahme durch schonendere Massnahmen (CT mit niedriger Strahlendosis samt MRT) abgelöst.
CT- und MRT-Untersuchungen werden ebenfalls äußerst selten im Fall einer präoperativen Planung benötigt. Dies ist der Fall, wenn sich die Torsionsfehler nicht spontan bis Ende des Wachstums korrigiert haben. In der operativen Planung kommen CT (Abb. 4), 3D-CT und MRT zur Bestimmung des Winkels zwischen Femurhals in Relation zu den Femurkondylen zum Einsatz.

Metatarsus Adductus

Der Metartarsus adductus (auch als Pes adductus oder Sichelfuß bezeichnet) beschreibt die Adduktion des Vorfußes gegenüber dem Rückfuß (Hefti 2006).
Der Rückfuß ist vollkommen flexibel und eine Fehlstellung liegt nicht vor. Im Regelfall korrigiert sich der Sichelfuß ohne weitere Behandlung von selbst bis zum 3.–4. Lebensjahr (Ponseti und Becker 1966). Ist im Alter von ca. 3 Monaten noch keine sichtbare Verbesserung eingetreten, können physiotherapeutische Maßnahmen eingeleitet werden (die Übungen werden durch die Eltern selbst im Heimprogramm durchgeführt).
Einige seltene rigide Fälle benötigen die Gipsredression, die in solchen Fällen noch vor Laufbeginn eingeleitet wird. Die angelegten Oberschenkelgipse abduzieren – entgegen der Klumpfußbehandlung – ausschließlich den Vorfuß und setzen ihren Druckpunkt im Calcaneo-Cuboid-Gelenk. Die ursprüngliche Methode, die auch heute noch angewandt wird, stammt von Ponseti (Ponseti und Becker 1966).
Sollte es nach erfolgter Gipsredression trotzdem erneut zum Rezidiv kommen, können Nachtschienen oder Spezialschuhe zum Einsatz kommen, deren Effekt jedoch kontrovers diskutiert wird (Herzenberg und Burghardt 2014). Operative Maßnahmen bei Pes adductus sind die Ausnahme und auch hier besteht kein allgemeiner Konsensus – weder über ihre Durchführung noch über deren Effekt. Die beschriebenen Maßnahmen reichen von einem Release des M. abductor hallucis bis hin zu Vorfußosteotomien.
Ein möglicher Zusammenhang zwischen Hüftdysplasie und Metatarsus adductus wird ebenfalls kontrovers diskutiert (Kumar und McEwen 1982).

Tibiatorsion/Toeing-in und Toeing-out

Die häufigste Ursache für das Toeing-in (Tibia-Innenrotationsfehlstellung) im frühen Kindesalter ist eine erhöhte Tibia-Innenrotation, die mittels des Thigh Foot Angle und/oder der bimalleolären Achse evaluiert wird. Die Patella ist im freien Gang zentriert respektive neutral ausgerichtet (im Gegensatz zur erhöhten femoralen Anteversion, bei der die Patella aufgrund der femoralen Ausrichtung nach innen zeigt). Der Befund fällt meist nach Gangbeginn auf, Mädchen und Jungen sind gleichermaßen betroffen, und häufig ist die Fehlstellung asymmetrisch (zweimal häufiger links als rechts).
Im Gegensatz zum Toeing-in fällt die Außenrotationsfehlstellung der Tibia erst später im jungen Erwachsenenalter auf. Ein häufig einseitiges Auftreten (meist rechts) wird beschrieben (Karol 1997).
Eltern berichten, dass ihre Kinder zuweilen stolpern oder auch hinfallen. Konservative Maßnahmen wie Physiotherapie und Schienenbehandlung haben sich als ineffektiv erwiesen (Karol 1997). In seltenen Fällen, bei klinischen Beschwerden und einem Thigh Foot Angle von −10 oder +40 Grad, kann die operative Behandlung indiziert sein. Da sich die Torsionsverhältnisse in aller Regel im Laufe des Wachstums korrigieren, sollte mindestens der Status des 10. Lebensjahres abgewartet werden.
Bei fortbestehender Pathologie kann dann eine supramalleoläre Tibiaosteotomie (Abb. 5) mit Kirschnerdrahtfixation und anschließender 6-wöchiger Gipsbehandlung oder eine Plattenfixation mit sofort möglicher Belastung des operierten Beines indiziert sein.

Femorale Anteversion

Die femorale Anteversion beschreibt den Winkel zwischen Femurhals in Relation zum Femurschaft in der Frontalebene. Eine erhöhte Anteversion ist bei Mädchen doppelt so häufig zu beobachten wie bei Jungen und ist im Gegensatz zur Tibia-Innenrotation oftmals symmetrisch in ihrem Auftreten (Karol 1997). Die femorale Anteversion ist im Kindesalter zwischen 4 und 6 Jahren am größten und mindert sich dann kontinuierlich bis ins junge Erwachsenenalter mit ungefähr 1,5 Grad/Jahr. Die Werte belaufen sich bei Geburt auf 35–40 Grad und im Adoleszentenalter auf 8 Grad (Durchschnitt Männer) bis 14 Grad (Durchschnitt Frauen). In mehr als 80 % (Svenningsen et al. 1989) aller Fälle wird demnach eine spontane Korrektur im Laufe des Wachstums ohne therapeutische Maßnahmen erfolgen. Im Gegensatz zur Tibia-Innenrotationsfehlstellung, die im freien Gang eine zentrierte Patella aufweist, fällt bei erhöhter femoraler Anteversion ein „kneeing in“ in der Schwungphase mit Einwärtsdrehen der Patella auf.
Die Kinder sitzen häufig in der sogenannten „W Position“ (Abb. 6) und neigen dazu, zu stolpern, was wiederum bei den Eltern Anlass zur Besorgnis auslöst. Weder Krankengymnastik und Orthosen noch das Umsetzen aus der W- in die Neutralposition haben sich als effektiv erwiesen. Die femorale Anteversion stellt – im Gegensatz zur Retroversion – keine Präarthrose dar (Wedge et al. 1989; Weinberg et al. 2017; Oppermann et al. 2017; Hubbard et al. 1988), jedoch wird ihr eine Bedeutung im Auftreten vorderer Knieschmerzen zugeschrieben. Eine bildgebende Diagnostik ist nur im Falle geplanter operativer Maßnahmen indiziert.
Die Indikation ist auch hier sorgfältig zu evaluieren (laut Staheli et al. sollte sich die Anteversion auf mindestens 50 Grad belaufen) und das 10 Lebensjahr sollte für eventuelle Spontankorrekturen abgewartet werden. Korrekturosteotomien können sowohl am proximalen als auch distalen Femur durchgeführt werden.

Femorale Retroversion

Die sog. Coxa Retrotorta beschreibt die pathologische Drehung des Schenkelhalses in der Transversalebene nach hinten. Sie wird als congenital beschrieben und in Zusammenhang gebracht mit Erkrankungen wie der Epiphyseolysis capitis femoris und Coxa vara, dem congenitalen Femurdefekt und der Spina bifida. Die femorale Retroversion tritt bei Kindern mit infantiler Cerebralparese auf. Im Gegensatz zur femoralen Anteversion besteht ein erhöhtes Risiko, eine frühzeitigen Arthrose zu erleiden (Tönnis und Heinecke 1999; Hubbard et al. 1988; Reikerås et al. 1983).
Als diagnostische Bildgebung der ersten Wahl kommt auch hier wieder das Rotations-CT zum Einsatz.
Der therapeutische Ansatz ist primär operativ mit Hilfe einer proximalen Derotationsosteotomie (Abb. 7) (in manchen Fällen kombiniert mit einer zusätzlichen Valgisation).

Malicious Malalignment

Das „Malicious Malalignment“ oder auch „Torsional malalignment syndrome“ beschreibt den Zustand bestehender erhöhter femoraler Anteversion und pathologischer Tibia-Außenrotation (Abb. 8).
Neben einem auffälligen Gangmuster mit deutlichem „Kneeing-in“ und gleichzeitigem „Toeing-out“ wird ein Zusammenhang mit dem Auftreten vorderer Knieschmerzen diskutiert (Bruce und Stevens 2004).
Möglicherweise führt das Malalignment bei einigen wenigen Patienten auch zu einer Erhöhung des Q-Winkels und daraus resultierend zu einer patellaren Instabilität mit Subluxation-/oder gar Luxationstendenz (Leonardi et al. 2014). Derotationsosteotomien (Abb. 9) haben sich in extremen Fällen als effektiv erwiesen (Delgado et al. 1996).
Die Empfehlung der konservativen und symptomatischen Behandlung überwiegt doch bei Weitem (Leonardi et al. 2014) und operative Maßnahmen spielen in unserem klinischen Alltag eine eher untergeordnete Rolle.

Differenzialdiagnose

Toeing-in: Neurologische Grunderkrankungen, M. Blount, Skelettdysplasien, Metabolische Knochenerkrankungen, Metatarsus adductus, Klumpfuß.
Toeing-out: Epiphyseolysis capitis femoris, Coxa vara congenita, Hüftluxation, hypermobiler Plattfuß.
Literatur
Bråten et al (1992) Femoral anteversion in normal adults. Ultrasound measurements in 50 men and 50 women. Acta Orthop Scand 63(1):29–32CrossRef
Bruce WD, Stevens PM (2004) Surgical correction of miserable malalignment syndrome. J Pediatr Orthop 24:392–396CrossRef
Delgado et al (1996) Treatment of severe torsional malalignment syndrome. J Ped Orth 16(4):484–488CrossRef
Hefti F (2006) Kinderorthopädie in der Praxis. Springer, Berlin/Heidelberg. ISBN 3-540-34400-4
Herzenberg JE, Burghardt RD (2014) Resistant metatarsus adductus: prospective randomized trial of casting versus orthosis. J Orthop Sci 19(2):250–256CrossRef
Hubbard et al (1988) Medial femoral torsion and osteoarthritis. J Pediatr Orthop 8(5):540CrossRef
Karol LA (1997) Rotational deformities in the lower extremities. Curr Opin Pediatr 9(1):77–80CrossRef
Kumar SJ, McEwen GD (1982) The incidence of hip dysplasia with metatarsus adductus. Clin Orth Relat Res 4(164):234–235
Leonardi et al (2014) Bilateral double osteotomy in severe torsional malalignment syndrome: 16 years follow up. J Orthopaed Traumatol 15:131–136CrossRef
Oppermann et al (2017) Does increased femoral antetorsion predispose to cartilage lesions of the patellofemoral joint? Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc 25(9):2695–2701CrossRef
Ponseti I, Becker JR (1966) Congenital metatarsus adductus: the results of treatment. J Bone Joint Surg Am 48(4):702–711CrossRef
Reikerås O et al (1983) Anteversion of the acetabulum and femoral neck in normal and in patients with osteoarthritis of the hip. Acta Orthop Scand 54(1):18–23CrossRef
Rerucha CM et al (2017) Lower extremity abnormalities in children. Am Fam Phys 96(4):226–233
Staheli L (1993) Rotational problems in children. J Bone Joint Surg 75(6):939–949CrossRef
Staheli LT (1985) Lower-extremity rotational problems in children. J Bone Joint Surg 67(1):39–47CrossRef
Svenningsen et al (1989) Regression of femoral anteversion. A prospective study of intoeing children. Acta Orthop Scand 60:170–173CrossRef
Tönnis D, Heinecke A (1999) Acetabular and femoral anteversion: relationship with osteoarthritis of the hip. J Bone Joint Surg 81(12):1747–1770CrossRef
Wedge et al (1989) Anteversion of the femur and idiopathic osteoarthrosis of the hip. J Bone Joint Surg 71:10440–11043CrossRef
Weinberg et al (2017) Femoral version and tibial torsion are not associated with hip or knee arthritis in a large osteological collection. J Pediatr Orthop 37(2):120–128CrossRef