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Orthopädie und Unfallchirurgie
Info
Verfasst von:
Kiril Mladenov
Publiziert am: 12.12.2019

Early-Onset-Skoliose

Early-Onset-Skoliosen (EOS) sind meistens nicht idiopathischer Genese. Das ätiologische Spektrum ist sehr breit und variiert von anlagebedingten Formations- und Segmentationsstörungen bis hin zu neuromuskulären Erkrankungen und syndromassoziierten Entitäten. Unbehandelt führen EOS zu irreversiblen substanziellen Veränderungen des Lungenparenchyms mit daraus resultierender schwerwiegender respiratorischer Insuffizienz und die damit verbundenen Beeinträchtigung der Lebensqualität und Einschränkung der Lebenserwartung. Die aktuellen Behandlungskonzepte basieren nicht nur auf Korrektur der Krümmung und Wiederherstellung der Rumpfstatik und der Brustkorbsymmetrie, sondern legen den Fokus der Behandlungsziele auf Erhalt von Wachstum, Lungenentwicklung und Atemfunktion. Von den nicht operativen Maßnahmen hat die Seriengipsredression einen hohen Stellenwert, entweder als Vorbereitung für anschließende Korsettversorgung oder als Zeitgewinnungsstrategie, um den Zeitpunkt der Operation hinauszuzögern. Die meisten Kinder mit EOS müssen jedoch operativ versorgt werden. Zur operativen Korrektur werden prinzipiell nicht versteifende, mitwachsende Verfahren angewendet. Die neuesten Entwicklungen ermöglichen eine nicht invasive Implantatverlängerung, dadurch werden die Risiken von multiplen Operationen verringert.

Definition und Stellenwert

Als Early-Onset-Skoliose (EOS) bezeichnet man jede vor dem 10. Lebensjahr erstmanifestierte strukturelle Skoliose (El-Hawary und Akbarnia 2015). Die Definition wurde auf internationaler Ebene akzeptiert und im Jahre 2015 im „Consens Statement“ der Scoliosis Research Society veröffentlicht (Skaggs et al. 2015). Grund für die Festsetzung der Altersgrenze auf 10 Jahre sind die Erkenntnisse, dass die pulmonale Entwicklung in der ersten Lebensdekade von entscheidender Bedeutung ist und im Alter von 10 Jahren nahezu komplett abgeschlossen ist (Dimeglio und Canavese 2012). Eine Wachstumshemmung in dieser frühen Entwicklungsphase verursacht substanzielle Veränderungen des Lungengewebes mit daraus resultierenden Atemfunktionsstörungen, die nach Vollendung des 10. Lebensjahrs einen irreversiblen Charakter haben (Gollogly et al. 2004). Klinische Beobachtungen zeigen, dass Patienten mit unbehandelter Early-Onset-Skoliose ein deutlich erhöhtes Risiko für restriktive Ateminsuffizienz und eine signifikant eingeschränkte Lebenserwartung jenseits des 50. Lebensjahres verbunden mit einer dreifach höheren Mortalität verglichen mit der Normalbevölkerung aufweisen (Pehrsson et al. 1992). Darüber hinaus liegen klinische Daten vor, dass eine Wachstumshemmung der thorakalen Wirbelsäule als Folge einer konventionellen Spondylodese im Kleinkindesalter eine restriktive pulmonale Insuffizienz verursacht (Karol et al. 2008).
Anhand der klinischen Beobachtungen wurden die kausalen Zusammenhänge zwischen frühkindlicher Skoliose, Thoraxdeformierung, extrapulmonaler Restriktion und der daraus resultierenden Beeinträchtigung der pulmonalen Entwicklung erkannt. Diese pathophysiologische Verkettung wurde mit dem Begriff Thoraxinsuffizienz-Syndrom bezeichnet und definiert die Unfähigkeit des Brustkorbs, eine regelrechte Lungenentwicklung und Atemfunktion zu unterstützen (Campbell et al. 2003). Die aktuellen Erkenntnisse haben zu einem Paradigmenwechsel in den Behandlungsstrategien frühkindlicher Skoliosen geführt. Es wurden wachstumserhaltende („growth-friendly“) operative Techniken, aber auch psychologische Instrumente zur Evaluierung der Lebensqualität von Kindern mit EOS entwickelt und eingeführt (Mladenov et al. 2019).

Wachstum der Wirbelsäule und des Brustkorbs

Die Höhe der Brustwirbelsäule (BWS; Brustwirbelkörper [BWK] 1–12) beträgt bei der Geburt 12 cm, mit 5 Jahren 18 cm und nach Wachstumsende 27 cm. Das longitudinale Wachstum von Geburt bis zur Vollendung des 5. Lebensjahres beträgt 1,3 cm pro Jahr, von 5–10 Jahre 0,7 cm pro Jahr und in die Pubertätsphase (11–15 Jahre) 1,1 cm pro Jahr.
Die gesamte BWS macht insgesamt 30 % der Sitzhöhe aus und jeder einzelne Brustwirbel inklusive korrespondierender Bandscheibe 2,5 % (Dimeglio und Canavese 2012).
Eine im Kindesalter aufgetretene Wachstumsstörung der BWS hat eine Rumpfverkürzung im Erwachsenenalter zur Folge. Je früher die Wachstumsstörung auftritt und je mehr Segmente beteiligt sind, desto signifikanter die Höhenverminderung ausfallen würde. Die kritische Höhe der BWS nach Wachstumsende liegt laut Literaturangaben bei 18 cm. Darunter ist mit einer schweren respiratorischen Insuffizienz zu rechnen (Karol et al. 2008).
Die Höhe der Lendenwirbelsäule (LWS) beträgt bei der Geburt 7,5 cm und nach Wachstumsende 16 cm. Das macht 18 % der Sitzhöhe aus. Im Alter von 10 Jahren hat die LWS 90 % ihrer endgültigen Höhe erreicht. Eine Spondylodese der LWS mit 10 Jahren führt zu keiner relevanten Wachstumshemmung (Dimeglio und Canavese 2012).
Der Brustkorbvolumen beträgt
  • bei der Geburt 6 %,
  • mit 5 Jahren 30 % und
  • mit 10 Jahren 50 %
des Volumens im Erwachsenenalter.
Das Thoraxvolumen verdoppelt sich in der Pubertätsphase überwiegend durch Zunahme der Zirkumferenz. Die Brustkorbtiefe bei Erwachsenen beträgt durchschnittlich 18 cm bei Frauen und 21 cm bei Männern, die Brustkorbweite beträgt 25 bzw. 28 cm (Dimeglio und Canavese 2012).
Die wichtigste Phase für die Lungenentwicklung sind die ersten 8 Lebensjahre. Histopathologische Post-mortem-Untersuchungen stellten fest, dass in Patienten mit EOS die Anzahl der Alveoli deutlich weniger als erwartet war, hinzu zeigten sich signifikante emphysematöse Veränderungen (Berend et al. 1991). Aus dieser Beobachtung lässt sich ableiten, dass die extrinsisch wirkenden mechanischen Faktoren nicht nur eine Kompression, sondern vor allem eine Proliferationshemmung hervorrufen. Es liegen Nachweise vor, dass die Anzahl der Alveoli in den ersten 4 Lebensjahren mit einem Multiplikationsfaktor von 10 exponentiell steigt und dass die Entwicklung des bronchialen Systems im Alter von 9 Jahren schon abgeschlossen ist (Berend et al. 1991). Dies bedeutet, dass die bis zu diesen Zeitpunkt aufgetretenen Parenchymveränderungen irreversibel sind.
Die Atemfunktion ist aber nicht nur volumengebunden, sondern abhängig von komplexen dynamischen Interaktionen zwischen Wirbelsäule, Rippen, Brustkorb, Brustwand, Atemmuskulatur und Lungenparenchym, die in ihrer Gesamtheit betrachtet werden sollen. Für die regelrechte Funktion ist die Integrität jeder einzelnen Komponente wichtig. Abweichungen von der Norm im Sinne von Deformierungen oder Asymmetrien führen zur Beeinträchtigung der Mobilität und zu signifikanten Funktionsstörungen des „kosto-vertebro-sternalen“ Komplexes. Daher ist eine Wiederherstellung der regelrechten Form und Symmetrie des Brustkorbs von entscheidender funktioneller Bedeutung und soll angestrebt werden.

Klinische Untersuchung

Außer krümmungsspezifischen Parametern wie Krümmungslokalisation, Thoraxtorsion und Flexibilität werden auch Thoraxform, Atembeweglichkeit, Kopfkontrolle und Gleichgewichtswahrnehmung untersucht. Die Haut soll nach Café-au-Lait-Flecken (Abb. 1) und nach kutanen Stigmata für eine okkulte Dysraphie inspiziert werden („hairy patch“) (Abb. 2a, b). Bei der neurologischen Untersuchung sollen selbst geringe Auffälligkeiten oder Reflexasymmetrien den Verdacht auf eine neurologische Ursache wecken.

Bildgebung

Bei klinischem Hinweis auf eine strukturelle Wirbelsäulendeformität soll direkt während des ersten Patientenkontakts eine Nativröntgendiagnostik veranlasst werden. Goldstandard ist die Abbildung der Gesamtwirbelsäule in 2 Ebenen im Stand bei frei-gehfähigen Patienten und im Sitzen bei nicht gehfähigen Personen. Gestückelte oder Teilaufnahmen sowie Liegeaufnahmen sind ohne Aussagekraft und daher nicht brauchbar.
Unter den weiterführenden bildgebenden Verfahren steht die Magnetresonanztomographie (MRT) an erste Linie zum Ausschluss begleitender oder ursächlicher intraspinaler Anomalien. Selbst bei unauffälligem neurologischen Befund wurden in ca. 20 % der Fälle mit EOS intraspinale Anomalien beobachtet (Pahys et al. 2009; Dobbs et al. 2002). Eine MRT-Evaluierung der gesamten Neuroachse vom Hirnstamm bis zur Sakrumspitze ist für Krümmungen, die bei der Erstvorstellung mehr als 20° nach Cobb betragen, in Fällen mit nachgewiesener Progredienz der Krümmung oder bei neurologischen Auffälligkeiten obligat (Gupta et al. 1998).
Die häufigsten im MRT beobachteten Entitäten sind:
  • Arnold-Chiari-Malformation – am besten sichtbar in sagittalen Sequenzen des kraniozervikalen Übergangs, ggf. mit Begleitsyringomyelie (Abb. 3a, b, c)
  • Konustiefstand – sichtbar in sagittalen T1- und T2-Sequenzen des lumbosakralen Übergangs; nach dem ersten Lebensjahr soll im Normalfall die Konusspitze oberhalb der Bodenplatte des zweiten LWK liegen
  • Tethered Cord/verdicktes Filum terminale – für die Beurteilung des Filum terminale sind transversale, Dünnschicht-T1- und -T2-Sequenzen des lumbosakralen Übergangs unabdingbar

Skolioseformen und Therapie

Ursächlich können die Early-Onset-Skoliosen in idiopathische und nicht idiopathische Formen eingeteilt werden. Im Gegensatz zu der Adoleszentenskoliose sind die EOS meistens nicht idiopathischer Genese. Hier gilt das Prinzip, dass jede EOS bis zum Beweis des Gegenteils nicht idiopathischer Natur ist. Daher sind eine ausführliche klinische und neurologische Untersuchung und eine Abklärung unabdingbar.

Therapieoptionen

Die individuelle Therapiestrategie bei einem Kind mit EOS stützt sich auf folgende Prinzipien:
  • Die Therapie umfasst die gesamte Lebensspanne des Patienten.
  • Die Brustkorbdeformität stellt ein wesentliches Teil der Problematik dar, daher wird außer der Korrektur der spinalen Deformität auch die Wiederherstellung der Thoraxform, -symmetrie und -beweglichkeit mit adressiert.
  • Wachstumserhalt von Wirbelsäule und Thorax berücksichtigen.
  • Priorität auf Erhalt und Optimierung der Lungenfunktion legen.
  • Repetitive Eingriffe sind mit hohem, iatrogenem Komplikationsrisiko verbunden, sie sind daher wenn möglich zu vermeiden.
  • Begleiterkrankungen in Betracht ziehen.
  • Nutzen-Risiko-Verhältnis für jeden Patienten individuell kritisch prüfen.

Idiopathische Early-Onset-Skoliose

Bei der idiopathischen EOS bleibt die Ursache unklar. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen. Die Krümmung ist in ca. 90 % der Fälle linkskonvex, der Apex ist typischerweise im thorakolumbalen Übergang lokalisiert. Meistens befinden sich begleitende Skelettauffälligkeiten. Die häufigste davon sind Plagiozephalie und Hüftgelenksdysplasie. Diese Beobachtungen untermauern die mechanische Hypothese für die Entstehung der idiopathischen EOS (Wynne-Davies 1968).
Je nach Spontanverlauf unterscheiden sich 2 Formen idiopathischer EOS:
  • Typ I: nicht progrediente „benigne“ Form – die Krümmung bildet sich spontan zurück.
  • Typ II: progrediente Form – unbehandelt nimmt die Skoliose stetig zu, es besteht zeitnaher Therapiebedarf.
Kinder mit der benignen Form sind bei der Erstvorstellung meistens jünger als 12 Monate und haben typischerweise eine einzige milde Krümmung. Dagegen sind Kinder mit der progredienten Form älter als 18 Monate und weisen eine stärker ausgeprägte Doppelkrümmung auf. Zwei wichtige radiologische Parameter mit prognostischer Aussagekraft bei der idiopathischen EOS sind der RVAD („rib vertebral angle difference“) und das Rippenüberlappungszeichen („rib phase“), die von Mehta beschrieben wurden (Abb. 4 und 5) (Mehta 1972).
Krümmungen mit RVAD von weniger als 20° und negativen Rippenüberlappungszeichen (Phase 1) haben eine 90 %ige Wahrscheinlichkeit für spontane Rückbildung und werden klinisch alle 6 Monate und radiologisch jährlich kontrolliert. Dagegen sind Krümmungen mit RVAD von mehr als 21° und einem positiven Rippenüberlappungszeichen (Phase 2) in etwa 85 % der Fälle progredient.
Aktuell liegen noch keine repräsentativen wissenschaftlichen Belege über die Wirksamkeit krankengymnastischer, physikaltherapeutischer, osteopathischer oder manualmedizinischer Maßnahmen als „Stand Alone“-Therapie bei strukturellen EOS vor.
Therapiemethode der Wahl bei der idiopathischen EOS vom Typ II ist die Seriengipsredression. Die Technik gewann in den 1980er-Jahren an Popularität und wurde im Laufe der Zeit verfeinert (Mehta 2005). Die korrigierenden Rumpfgipse werden in Intubationsnarkose auf einer speziell dafür konzipierten Vorrichtung (Risser-Tisch) angelegt. Das Korrekturmanöver beinhaltet die simultane Anwendung einer longitudinalen Traktion, einer Derotation und eines lateraleren Drucks auf die apikalen Rippen. Der Gips ist dünn gepolstert und gut modelliert, es wird obligat ein abdominelles Fenster und optional ein oder zwei thorakale Fenster ausgeschnitten. Die Methode ist geeignet für die Altersgruppe unter 5 Jahre und dient zur sukzessiven Korrektur der Krümmung entweder als Vorbereitung vor Korsetttherapie oder als Zeitgewinnungstechnik, um den Zeitpunkt der ersten operativen Versorgung hinauszuschieben.
Mehta beschrieb in ihrer Originalstudie die Ergebnisse mit „serial casting“ bei 136 Kindern mit EOS (Mehta 2005). Bei 94 Kindern mit Behandlungsbeginn vor dem 7. Lebensmonat wurde eine komplette Ausheilung der Skoliose 3,5 Jahre nach Beginn der Therapie beobachtet. Bei den restlichen 42 Kindern mit Behandlungsbeginn ab einem Alter von 2,5 Jahren konnte die Gipstherapie die Zunahme der Skoliose verlangsamen. Ein Drittel dieser Patientenkohorte brauchte aber im Verlauf eine definitive operative Korrektur.
In einer anderen Studie mit 55 Patienten wurde in 90 % der Fälle eine operative Therapie vermieden, wobei der Follow-up relativ kurz war (Sanders et al. 2009). Die Prognose war günstiger, wenn die Initialkrümmung weniger als 60° betrug.
In einer weiteren Studie mit 29 Patienten konnte der Zeitpunkt der Operation um knapp 4 Jahre hinausgezögert werden. Anzumerken ist, dass ein Drittel der Probanden eine nicht idiopathische Skoliose hatten (Fletcher et al. 2012).
In der Literatur herrscht noch keine einheitliche Meinung über die Gesamtdauer der Seriengipsredressionstherapie und den Turnus, in dem die Gipse gewechselt werden. In meiner Institution werden insgesamt 3 sukzessive Gipsredressionen im Abstand von 4 Wochen appliziert. Im Anschluss erfolgt dann nahtlos die Korsettversorgung. Die eigenen Erfahrungen zeigen, dass bei 95 % der Patienten bis zur letzten Nachuntersuchung eine Operation vermieden werden konnte. Bei den übrigen 5 % wurde der Zeitpunkt der Operation signifikant nach hinten verschoben. Die Ergebnisse sind identisch mit denen anderer Autoren, die ein unterschiedliches Regime angewendet haben, bei dem sowohl die Tragedauer der einzelnen Gipse als auch die Gesamtdauer der Gipstherapie viel länger waren.
Die übrigen Therapiemodalitäten sind identisch denen der Adoleszentenskoliose. Es muss ausdrücklich betont werden, dass das Korsett Vollzeit getragen wird und erst ab einer Tragedauer von mindestens 18 h/Tag effizient ist.
Die Korsettversorgung ist die primäre Therapie bei Kindern über 5 Jahren mit idiopathischen Krümmungen unter 45°. Abb. 6 zeigt den Spontanverlauf bei idiopathischer EOS vom Typ I und Abb. 7 bei idiopathischer EOS vom Typ II. Die charakteristischen Merkmale beider idiopathischen EOS-Formen und die Parameter mit prognostischer Bedeutung sind in Tab. 1 zusammengefasst.
Tab. 1
Charakteristische Merkmale der idiopathischen Early-Onset-Skoliosen
Parameter
Typ I
benigne
Typ II
progredient
Verlauf
Rückbildung
Zunahme 5–10° pro Jahr
Pubertäres Rebound
Nein
Rasche Progredienz
Alter bei Erstdiagnose (Monate)
<6
>12
Krümmungsart
Single
Double
Cobb-Winkel bei Erstdiagnose
<40
>40
RVAD < 20°
91 %
18 %
Rib-Phase
1
2

Kongenitale Early-Onset-Skoliose (Fehlbildungs-EOS)

Die Skoliose ist anlagebedingt und wird durch eine strukturelle Formveränderung des Wirbels im Sinne einer Fehlbildung verursacht. Letztere entsteht auf dem Boden intrauteriner Formations- und/oder Segmentationsstörungen im Bereich der Wirbelsomiten, die in einer sehr frühen Phase der embryonalen Entwicklung (4.–5. Schwangerschaftswoche) stattfindet, und kann pränatal mithilfe einer Feinultraschalluntersuchung schon ab Beginn des zweiten Trimesters festgestellt werden.
Es wurde eine Häufigkeit von 1:1000 in der Literatur beschrieben (Sparrow et al. 2012). Bei isolierten einfachen Wirbelfehlbildungen geht man in den meisten Fällen von einer Spontanmutation als Ursache aus. Es liegt eine familiäre Häufung von 1–5 % vor, was eine Rolle genetischer Faktoren in der Pathogenese vermuten lässt. In einem experimentellen Mausmodell wurde die Interaktion zwischen genetischer Veranlagung (Haploinsuffizienz der „Signaling notch“-Gene) und kurzzeitiger intraembryonaler Ischämie, bei der die Signalübertragung von Fibroblasten-Wachstumsfaktoren (FGF) gehemmt wird, experimental reproduziert (Sparrow et al. 2012). Eine rein genetische Vererbung wurde bei den komplexen und bei den syndromassoziierten Fehlbildungen nachgewiesen (Conradi-Hünermann-Syndrom, spondylokostale Dysplasie etc.).
Bei der kongenitalen Skoliose ist der Befall anderer Organsysteme sehr häufig. In einer Studie mit 305 Fällen wurde in 84 % der Probanden eine Anomalie mindestens eines anderen Organsystems festgestellt. Am häufigsten wurden kardiale (54 %), intraspinale (43 %) und urogenitale (39 %) Begleitanomalien beobachtet. (Furdock et al. 2019).
Das Spektrum der Wirbelfehlbildungen ist sehr heterogen und variiert zwischen isolierten monosegmentalen Formveränderungen bis hin zu hochkomplexen Fehlbildungen mit Befall mehrerer Wirbelsegmente. Eine besondere Form ist die Assoziation mit Rippenanomalien im Sinne von Rippensynostosen oder Rippenaplasien, die eine zusätzliche Thoraxdeformierung und pulmonale Restriktion hervorrufen („volume depletion deformity“).
Morphologisch unterscheidet man Formationsstörungen, Segmentationsstörungen und kombinierte Störungen. Das typische Beispiel für eine Formationsstörung ist der Halbwirbel. In diesem Fall ist eine Hälfte des Wirbelkörpers und der dazugehörige Wirbelpedikel nicht vorhanden. Abhängig von der Verbindung zum kranial und kaudal liegenden Wirbelkörper unterteilen sich die Halbwirbel in
  • vollsegmentiert,
  • semisegmentiert und
  • nicht segmentiert (Abb. 8 und 9).
Bei Segmentationsstörungen sind die einzelnen Wirbel nicht voneinander getrennt, anstelle einer Bandscheibe und eines Apophysenknorpels im Bereich der Boden- bzw. der Deckplatte liegt eine interkorporelle knöcherne Verbindung mit den benachbarten Wirbeln vor. Diese wird als knöchernen „Bar“ bezeichnet. Die morphologische Analyse der Fehlbildungen hat einen sehr hohen prognostischen Stellenwert und ist entscheidend für die Festlegung der Therapiestrategie.
Bei den progredienten Formen besteht nicht nur eine strukturelle Formveränderung des Wirbels, sondern auch ein „Fehlwachstum“, das durch die anlagebedingte Wachstumsasymmetrie verursacht wird. Das Progredienzrisiko ist vom morphologischen Aspekt der Anomalie abhängig und variiert zwischen 1–10° pro Jahr. Nicht segmentierte und semisegmentierte Halbwirbel haben ein niedriges Progredienzrisiko von 1–2° pro Jahr, vollsegmentierte Halbwirbel haben ein moderates Progredienzrisiko von 3–5° pro Jahr. Die höchste Progredienzneigung von >10° pro Jahr wurde bei Krümmungen, verursacht durch einen vollsegmentierten Halbwirbel in der Kombination mit einer kontralateralen Segmentationsstörung (knöchernen „Bar“), beobachtet (McMaster und Ohtsuka 1982). Eine Zunahme der Krümmung in Wachstumsphasen wurde in 75 % der Fälle beschrieben, eine operative Behandlung ist in ca. 50 % der Fälle mit kongenitaler EOS erforderlich (Marks und Qaimkhani 2009).
Die therapeutische Vorgehensweise hängt von mehreren Faktoren ab. Entscheidend dabei sind:
  • Morphologischer Aspekt der Fehlbildung (voll-, semi-, nichtsegmentiert)
  • Ausmaß und Dynamik der Krümmung im Verlauf, Krümmungszunahme
  • Koronares und sagittales Rumpfgleichgewicht, Lotverlust, assoziierte Kyphosierung
  • Prognose und Progredienzrisiko, Restwachstum
Milde und moderat ausgeprägte Krümmungen <30°, mit niedrigem Progredienzrisiko (semi- oder nichtsegmentierter Halbwirbel) bei regelrechter spinaler Balance werden klinisch alle 6 Monate und radiologisch jährlich kontrolliert. Eine operative Korrektur ist sehr selten indiziert (Abb. 8).
Ausgeprägte Krümmungen mit hohem Progredienzrisiko (vollsegmentiert), nachgewiesene Zunahme der Skoliose und/oder signifikante Lotabweichung benötigen in der Regel eine operative Korrektur (Abb. 9). Ausschlaggebend für die OP-Indikation ist nicht der absolute Winkelwert, sondern die Dynamik bzw. die Zunahme der Skoliose im Verlauf.
Methode der Wahl für die Behandlung isolierter Halbwirbel ist die Halbwirbelresektion mit anschließender monosegmentaler Spondylodese (Ruf und Harms 2002). Die Operationstechnik beinhaltet die Halbwirbelentfernung inklusive der benachbarten Bandscheiben und eine 360°-Spondylodese, die über einen rein dorsalen Zugang durchgeführt wird (Abb. 10). Bei entsprechender Indikation wird die Operation ab einem Alter von 3 Jahren durchgeführt. Es wurden Korrekturen von etwa 60 % der Initialkrümmung beschrieben, die Komplikationsrate ist sehr niedrig (0–1 %), es wurden nur selten (<1 %) transitorische neurologische Ausfälle beobachtet (Mladenov et al. 2012). Wenn die Platzverhältnisse es zulassen, wird ergänzend eine ventrale interkorporelle Abstützung (Cage) aus Stabilitätsgründen, aber auch zur Vermeidung einer Kyphosierung und zur Förderung der Fusion bevorzugt (Abb. 11). Die Operation soll obligat unter intraoperativem Neuromonitoring (IOM) stattfinden. Anzumerken ist, dass selbst bei kleinen Kindern bis zu 3 Segmente fusioniert werden können, ohne dabei eine relevante Wachstumshemmung zu verursachen, da das durchschnittliche Restwachstum pro Segment 0,7 mm pro Jahr beträgt (Dimeglio 2006).
Die intervertebrale Hemiepiphysiodese hat einen sehr eingeschränkten Indikationsbereich. Mit dieser Technik wird eine konvexseitige In-situ-Fusion ohne primäre Krümmungskorrektur durchgeführt; somit kann lediglich eine Zunahme der Skoliose verhindert werden. Geeignet dafür sind komplexe Segmentationsstörungen in anatomisch schwer zugänglichen Abschnitten der Wirbelsäule (HWS und zervikothorakaler Übergang).
Bei EOS, die durch multiple, komplexe Formations- und/oder Segmentationsstörungen, insbesondere in der Assoziation mit Rippenanomalien (Synostosen, Aplasien), bedingt ist, ist mit einer signifikanten Einschränkung der Vitalkapazität und mit einer respiratorischen Insuffizienz zu rechnen. Die Therapiestrategie in solchen Fällen soll nicht nur die Korrektur der Skoliose, sondern auch den Wachstumserhalt und die Wiederherstellung der Thoraxform und des Volumens beinhalten. Nichtoperative Maßnahmen sind nicht erfolgversprechend und sogar kontraindiziert, da diese nur eine zusätzliche Deformierung des Brustkorbes und eine Lungenunterentwicklung erzeugen.
Die Operationstechnik, bekannt als Thorakostomie, beinhaltet: (Abb. 12):
  • Durchtrennung der Rippensynostosen
  • Expansionsthorakoplastik
  • Implantation von vertikal expandierbaren Titanrippen (VEPTR), die alle 6 Monate bis zum Wachstumsende operativ verlängert werden
In der Literatur wurden gute Ergebnisse beschrieben. Das regelrechte BWS-Wachstum wurde erhalten (Flynn et al. 2013), es konnte eine Korrektur der Skoliose von 55° präoperativ auf 39° bei der letzten Nachuntersuchung erreicht werden (Emans et al. 2005). Im Hinblick auf die Vitalkapazität wurde eine konstante forcierte Vitalkapazität (FVC) beobachtet. So blieb in einer Studie die FVC nahezu unverändert (präoperativ 58 %; bei der letzten Kontrolle 7,5 Jahre nach der Initialoperation 56 %) (Gadepalli et al. 2011). In einer anderen Studie wurde sogar eine FVC-Verbesserung von 14 % pro Jahr beobachtet – alle Kinder in der Kohorte waren junger als 6 Jahre zum Zeitpunkt des Primäreingriffs. Somit wird eine Frühintervention befürwortet (Motoyama et al. 2006).
Die Methode umfasst folgende Nachteile (Campbell 2013):
  • Notwendigkeit für repetitive Eingriffe unter Vollnarkose
  • Wundinfekte mit kumulativem Risiko von 3,3 % für jede weitere Operation
  • Mechanische Komplikationen, wie z. B. Implantatlockerung und Durchwanderung, mit einer Rate von 0,52 Komplikationen pro Patient und Behandlungsjahr (errechnetes Komplikationsrisiko von 30 % nach 5 Jahren)
  • Verringerung der Korrekturrate nach jeder weiteren Verlängerung, bekannt als „law of diminishing returns“
  • Spontane Fusion der Wirbelsäule mit einem kumulativen Risiko von 11 % pro Patient und Behandlungsjahr; errechnet liegt das Risiko nach 9 Behandlungsjahren bei 100 % (Groenefeld und Hell 2013)

Thorakogene Early-Onset-Skoliose

Isolierte Rippensynostosen ohne Wirbelanomalien sind eine sehr seltene Entität und haben meistens lediglich kosmetische Bedeutung (Merks et al. 2005). Nur sehr ausgeprägte Formen mit multiplen Rippensynostosen haben das Potenzial, eine relevante Verminderung des Thoraxvolumens zu verursachen. Eine Expansionsthorakoplastik ist sehr selten und nur bei drohendem Thoraxinsuffizienzsyndrom indiziert. Die iatrogene thorakogene Skoliose nach stattgehabter posterolateraler Thorakotomie im Säuglingsalter wurde mit einer Häufigkeit von 22–55 % beschrieben. Die kritische Zeit für die Entwicklung einer Skoliose sind die ersten 3 Jahre nach der Operation. Die Krümmungen sind milde ausgeprägt (<20°) und selten therapiebedürftig (Roclawski et al. 2009; Van Biezen et al. 1993).

Neuromuskuläre Early-Onset-Skoliose

Neuromuskuläre EOS sind in der Regel progredient. Für das Progredienzrisiko spielt neben der Grunderkrankung auch die Ausprägung der Skoliose bei der Erstdiagnose eine entscheidende Rolle. Als Faustregel gilt, je schwerer die Behinderung und ausgeprägter die Ausgangskrümmung sind, desto größer ist das Progredienzrisiko. Das Risiko für die Entwicklung einer relevanten, korrekturbedürftigen Skoliose liegt bei Patienten mit Morbus Duchenne, spinaler Muskelatrophie Typ 2 und Myelomeningozele (MMC) mit hochthorakalem Lähmungsniveau bei nahezu 100 % (Tab. 2) (Persson-Bunke et al. 2012; Saito et al. 1998; Müller und Nordwall 1992; Trivedi et al. 2002).
Tab. 2
Inzidenz der Skoliose je nach zugrunde liegender Krankheit und Subgruppe (GMFCS, Gross Motor Function Classification System)
Diagnose
Subgruppe
Inzidenz Skoliose (%)
Zerebralparese (CP)
GMFCS I, II, III
<25
GMFCS IV, V
50
Spinale Muskelatrophie
Typ 2
100
Typ 3
30
 
80
Morbus Duchenne
 
90
MMC (Myelomeningozele)
Hochthorakal
100
Thorakolumbal
50
Sakral
20
Nichtoperative Maßnahmen wie z. B. Seriengipsredression oder Korsett haben bei neuromuskulären EOS nur einen sehr eingeschränkten Anwendungsbereich, hauptsachlich als Zeitgewinnungsstrategie, um den Zeitpunkt der Operation hinauszuschieben, obwohl bei den meisten Kindern im weiteren Lebensverlauf eine operative Korrektur erforderlich ist.
EOS, die durch Entitäten im Bereich der Neuroachse (Arnold-Chiari-Syndrom, Tethered Cord etc.) bedingt sind, werden kausal neurochirurgisch behandelt. Bei zeitnaher Intervention und milder Ausprägung der Krümmung von <30° ist in den meisten Fällen mit Rückbildung der Skoliose nach Behebung der neurochirurgischen Grundproblematik zu rechnen.
Neuromuskuläre EOS mit Krümmungen jenseits der 50°-Grenze und solche mit nachgewiesener Progredienz werden operativ versorgt. Therapeutisches Verfahren der Wahl ist die Versorgung mit einem wirbelbasierten mitwachsenden System, das auf dem Prinzip der aktiven Distraktion basiert. Es werden Ankerpunkte in Form von Pedikelschrauben oder Laminahaken verwendet, die im oberen thorakalen und im tief lumbalen bzw. sakralen Bereich direkt an der Wirbelsäule fixiert werden. Ein typisches Beispiel sind die traditionellen „growing rods“ (TGR). Obwohl ein Wirbelsäulenwachstum von 1,2 cm pro Jahr und eine Korrektur von 71 % der Primärkrümmung beschrieben wurden (Akbarnia et al. 2005), war die konventionelle Technik, bedingt durch die notwendigen repetitiven operativen Verlängerungen, mit einer hohen Infektionskomplikationsrate verbunden. Das Infektrisiko stieg mit jedem Eingriff um weitere 24 % (Bess et al. 2010).
Um diesen Nachteil zu vermeiden, wurden Systeme entwickelt, die sich auf einem magnetischen Prinzip beruhen (MCGR, „magnetically-controlled growing rods“). Der Teleskopstab besitzt in seinem Inneren eine an einen Gewindestab gekoppelte magnetische Einheit. Bei Drehung des inneren Magneten fährt der Teleskopstab aus, dadurch wird der Abstand zwischen beiden Stabenden größer. Der innere Magnet wird durch das Magnetfeld eines äußeren Geräts, den Kontroller, in Drehung gebracht. Der Kontroller wird auf der Haut direkt über der inneren Magneteinheit angelegt, sodass über die Magnetwellen, die durch die Weichteile durchtreten, die Verlängerung nichtinvasiv erfolgen kann. Das Konstrukt besteht aus 2 Teleskopstäben (Doppelstabkonstrukt), die links und rechts der Dornfortsätze angebracht werden und mit den kranialen und kaudalen Ankerpunkten gekoppelt sind (Abb. 13 und 14). Die Verlängerungen werden in regelmäßigen Abständen (in der Regel alle 4 Monate) ambulant und ohne Narkose vorgenommen.
Die ersten Erfahrungen mit MCGR sind vielversprechend. So konnte in einer Studie mit durchschnittlichem Follow-up von 47 Monaten eine Korrektur der Skoliose von 54° präoperativ auf 37° bei der letzten Kontrolle und ein Wachstum der Wirbelsäule (BWK 1 bis SWK 1) von im Schnitt 11 mm pro Jahr nachgewiesen werden. Komplikationen traten bei 21 von 31 Patienten auf (67 %). 7 davon waren spezifisch den MCGR geschuldet. Die Komplikationen traten im Schnitt erst 38 Monate nach der Primäroperation auf. Das Komplikationsrisiko betrug 0,23 pro Patient für jedes Jahr nach der Implantation (Subramanian et al. 2018). In einer weiteren monozentrischen Studie mit 30 Probanden und Follow-up von mindestens 2 Jahren wurden bei 37 % der Kinder Komplikationen beobachtet, die eine ungeplante operative Intervention erforderten, außerdem wurde eine Verringerung der Distraktionsmöglichkeit bereits 2 Jahre nach Primärimplantation festgestellt (Studer et al. 2019).
Obwohl mit MCGR die Anzahl operativer Eingriffe pro Patient verglichen mit TGR deutlich reduziert wurde, konnte durch die Verwendung von MCGR weder eine signifikante Verringerung der Komplikationen noch der psychologischen Belastung bisher belegt werden. Dies betrifft auch Patienten, die von TGR auf MCGR konvertiert wurden (Lampe et al. 2019; Aslan et al. 2018; Bauer et al. 2019; Bekmez et al. 2019). Da die Technik relativ neu ist, liegen noch keine ausreichenden Daten vor. Die Langzeitevaluation steht noch aus.
Eine hilfreiche ergänzende Methode bei ausgeprägten (>90°) rigiden Skoliosen, insbesondere bei solchen, die mit Kyphosierung assoziiert sind, ist die präoperative Haloextension (Abb. 15). Die longitudinale Traktion wird rund um die Uhr für die Dauer von 4 Wochen mit bis zu 60 % des Körpergewichts unter stationären Bedingungen ausgeübt. Somit können signifikant die Stressbelastung auf die Implantate reduziert und mechanische Komplikationen verringert werden (Caubet und Emans 2011).

Syndromale Early-Onset-Skoliose

Die Gruppe der syndromalen EOS ist sehr heterogen. Meistens sind mehrere Organsysteme betroffen, und es liegen multiple Komorbiditäten vor. Diese sollen im Vorfeld der Operation ausführlich abgeklärt werden, um perioperative Risiken zu minimieren. Die Therapiestrategie wird individuell nach den Bedürfnissen des Patienten erarbeitet. Die Korrektur der Wirbelsäulendeformität muss in dem komplexen Gesamtbehandlungskonzept integriert werden. Eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit und entsprechende hochspezialisierte Infrastruktur sind unabdingbar. Syndromale Patienten haben eine signifikant höhere perioperative Morbidität. Typische Probleme sind kardiopulmonale Komplikationen, Blutungsneigung und postoperative Wundinfekte. Die ossären Strukturen sind dysplastisch, die Deformitäten ausgeprägt und nicht selten „exotisch“, deshalb werden in diesem Patientenkollektiv Pseudarthrosen und Osteosyntheseversagen viel häufiger beobachtet. Die Operationsindikation soll erst nach sehr kritischer Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses gestellt werden (Levy et al. 2015; Sponseller et al. 1995; Tsirikos et al. 2005; Odent et al. 2008).
Syndrome, die häufig mit einer Skoliose assoziiert sind, und ihre Besonderheiten sowie die Skolioseprävalenz sind in Tab. 3 aufgelistet.
Tab. 3
Syndromassoziierte Skoliosen, Besonderheiten und Skolioseprävalenz
Syndrom
Besonderheiten
Skolioseprävalenz (%)
Jarcho-Levin-Syndrom
Thoraxhypoplasie, Thoraxinsuffizienzsyndrom
 
Skolioseentwicklung ab dem 5. Lebensjahr
65
Marfan-Syndrom (Mladenov et al. 2012)
Kardiologische Problemen, Blutungsneigung, höheres Infektrisiko
50
Neurofibromatose Typ I (Dimeglio 2006)
Dysplastische knöcherne Strukturen, rigide Krümmungen
62
Prader-Willi-Syndrom (Flynn et al. 2013)
 
75
Hohes Pseudarthroserisiko
75
Die Behandlungsmethoden richten sich nach Art und Ausprägung der Krümmung. Nichtoperative Methoden wie Seriengipsredression und Korsettversorgung haben eingeschränkte Bedeutung und finden meistens als Zeitgewinnungstechnik Anwendung. Von den operativen Techniken sind die mitwachsende Operationsverfahren (VEPTR, TGR, MCGR) Methode der Wahl. Die Anwendungsmodalitäten sind analog wie bei den neuromuskulären Skoliosen.

Fazit

  • Unbehandelt führen EOS zur extrinsischen Thoraxrestriktion und respiratorischer Insuffizienz im Erwachsenenalter.
  • Die Behandlung soll zeitnah nach der Diagnosesicherung eingeleitet werden.
  • EOS sind meistens nicht idiopathischer Genese. Die idiopathische EOS ist eine Ausschlussdiagnose.
  • Es liegt keine Evidenz über die Effizienz von krankengymnastischen Maßnahmen als „Stand alone“-Therapie vor.
  • Die Seriengipsredression ist für EOS idiopathischer und nicht idiopathischer Genese (ausgenommen Fehlbildungsdeformitäten) als Vorbereitung einer Korsetttherapie oder als Zeitgewinnungsstrategie effizient.
  • Bei kongenitalen Skoliosen, die mit Rippenanomalien und bestehendem oder drohendem Thoraxinsuffizienzsyndrom assoziiert sind, ist die Expansionsthorakoplasik Methode der Wahl.
  • Progrediente EOS neuromuskulärer Genese werden über mitwachsende Systeme, die auf einer aktiven Distraktion basieren, operativ behandelt (TGR, MCGR).
  • Die Evaluation der Ergebnisse bei der Behandlung von Kindern mit EOS ist durch den Mangel an evidenzbasierten Daten erschwert. Ein repräsentatives Studiendesign setzt den Vergleich zwischen unbehandelten Patienten und solchen, die nicht operativ oder mit einem mittwachsenden System operativ behandelt wurden, voraus. Die Durchführung von randomisierten kontrollierten Studien (RCT), die nicht behandelte Kinder einschließen, ist momentan (wahrscheinlich auch perspektivisch) nicht möglich, da bei einem RCT-Design aufgrund bereits verfügbarer Behandlungsmethoden und anzunehmendem ungünstigen Spontanverlauf bei Behandlungsabstinenz (in manchen Fällen sogar mit letalem Ausgang) unüberwindbare ethische Probleme bestehen.
In Tab. 4 ist ein Überblick der Behandlungsmethoden und der Indikationsbereiche bei EOS dargestellt.
Tab. 4
Überblick der Behandlungsmethoden und der Indikationsbereiche bei EOS
Behandlungsmethode
Indikation
Kontraindikation
Anmerkungen
Beobachtung
Idiopathische EOS Typ 1 (benigne Form), RVAD <20°
Kongenitale EOS mit niedrigem Progredienzrisiko, nicht segmentierte Halbwirbel
Krümmungen mit nachgewiesener Progredienz
Vollsegmentierte Halbwirbel mit ungünstiger Prognose
Bestehendes oder drohendes TIS
Klinisch alle 6 Monate
Radiologisch jährlich
Seriengipsredression
EOS idiopathischer und nicht idiopathischer Genese, Alter<5 Jahre
Rigide, ausgeprägte Krümmungen
Kongenitale Skoliose, Halbwirbel
Multiple Formations- und/oder Segmentationsstörungen mit Rippenanomalien
3× im Abstand von 4 Wochen unter Intubationsnarkose
Halbwirbelresektion
Isolierter Halbwirbel
Multiple Fehlbildungen
Rein dorsaler Zugang
Bis zu 3 Segmente möglich
Vertikal expandierbare Titanrippenprothese (VEPTR)
Kongenitale Skoliose mit multiplen Formations- und/oder Segmentationsstörungen mit Rippenanomalien
Krümmungen ohne Formveränderungen der Wirbel und ohne thorakogenem Befall
Repetitive Eingriffe erforderlich
Hohe Komplikationsrate (Infekt, spontane Fusion)
TGR/MCGR
Neuromuskuläre Skoliose
Kongenitale, rigide Deformitäten
MCGR bevorzugt
Noch keine Langzeitergebnisse mit MCGR
Haloextension
Ausgeprägte Krümmungen >90°
Flexibilität im Bending <30 %
Instabilität
Anomalie der Neuroachse (AC, Tethered Cord), Compliancemangel
4 Wochen präoperativ, Stationär mit bis zu 60 % Körpergewicht
AC, Arnold-Chiari-Syndrom; MCGR, magnetically-controlled growing rods; RVAD, rib vertebral angle difference; TGR, traditional growing rods; TIS, Thoraxinsuffizienz-Syndrom
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