Definition
Die
Osteochondrosis dissecans (OCD) ist eine erworbene, potenziell ausheilende Erkrankung des subchondralen Knochens, die im Verlauf zu der Entwicklung eines instabilen oder freien Knorpel-Knochen-Gelenkfragments sowie zu einem konsekutiv entstehenden Gelenkflächendefekt führen kann. Abhängig vom Funktionszustand der Epiphysenfuge wird zwischen einer juvenilen (JOCD) und einer adulten OCD (AOCD) unterschieden. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass die adulte Form eine in der Jugendzeit nicht erkannte, nicht geheilte und asymptomatische JOCD ist (Weiss et al.
2018). Dabei wird der JOCD aufgrund der noch nicht verschlossenen Wachstumsfugen eine bessere Prognose zugeschrieben (Wall und Von Stein
2003; Kocher et al.
2006; De Smet et al.
1997).
Selten verläuft die Erkrankung asymptomatisch, kann sich jedoch vor allem bei Kindern und Jugendlichen durch schmerzhafte Begrenzung der täglichen sportlichen Aktivität bis hin zu funktionellen Einschränkungen, wie Bewegungsblockaden bei Voranschreiten der Erkrankung, äußern.
Epidemiologie
Es besteht eine
Prävalenz von 15–29 auf 100.000 Personen (Kocher et al.
2006). Häufiger betroffen sind das männliche Geschlecht (männlich zu weiblich: 1,5–13,1 zu 1) und ein jüngeres Patientenalter (12,5 ± 2 Jahre) (Kessler et al.
2014; Hevesi et al.
2018). Die JOCD kann in allen konvexen Gelenken, besonders im Knie, Sprunggelenk und im Ellenbogen, vorkommen; am häufigsten ist sie im Knie zu finden. Jedoch sinkt die Inzidenz für eine JOCD im Knie mit steigendem Alter, während die Inzidenz für eine JOCD im Sprunggelenk steigt (Weiss et al.
2018).
Am Kniegelenk sind die mediale Femurkondyle in bis zu 70–80 % (am häufigsten im posterolateralen, dem der Notch zugewandten Bereich), die laterale Femurkondyle in bis zu 15–20 % und die Trochlea oder die Patella in bis zu 5–10 % der Fälle betroffen (Cavalheiro et al.
2018). In ca. 30 % der Fälle tritt die JOCD gleichzeitig an beiden Kniegelenken auf (Mubarak und Carroll
1981).
Ätiologie
Die Ätiologie ist trotz der mehr als 150-jährigen Forschungshistorie nicht abschließend geklärt. Vergleichbare Befunde aus der Veterinärpathologie liefern Hinweise auf eine potenzielle Genese aus einer lokalisierten Chondronekrose der sekundären Wachstumsfuge, die den Femurkondylus umfasst. Diese Wachstumsfuge ist vom Knochenkern aus perfundiert. Durch repetitiven Stress kann es zu Zerreißungen der zuführenden Gefäße und damit zur Chondronekrose kommen (Olstad et al.
2008,
2013,
2018).
Im Laufe des Skelettwachstums gelangt der so geschädigte Bezirk in den femoralen Knochenkern. Hier kann eine knöcherne Integration erfolgen oder bei weiterer mechanischer Überbeanspruchung eine Fehlheilung, eine Pseudarthrose zwischen Knorpel-Knochenschuppe und Knochenkern entstehen. Durch die Pseudarthroseprogredienz kann eine intraläsionale Substanzzunahme erfolgen. Die JOCD kann aufgrund ausbleibender knöcherner Einheilung instabil werden und dissezieren, d. h. sich aus der Femurkondyle teilweise oder vollständig lösen.
Es scheinen mehrere Faktoren zur Genese beitragen zu können; so werden unterschiedliche Risikofaktoren für das Entstehen einer JOCD diskutiert: Eine langjährige aktive bis hochaktive sportliche Betätigung wird dabei fast immer beobachtet. Als weitere Risikofaktoren gelten außerdem Scheibenmenisken, insbesondere für die Entstehung einer JOCD im lateralen Kompartiment, sowie ein erhöhter
Body-Mass-Index (Jacobs et al.
2014; Hughston et al.
1984; Kessler et al.
2018; Hefti et al.
1999; Aichroth
1971; Cahill
1995; Lindén
1976). Einige wenige Autoren gehen von einer genetischen Komponente als Ursache aus (Mackie und Wilkins
2010; Yellin et al.
2017; Gornitzky et al.
2017). So konnte unter anderem gezeigt werden, dass eine
Missense-Mutation im
Aggrecan-(ACAN-)Gen zu einer familiären OCD führen kann (Stattin et al.
2010). Es wird eine endokrine Störung als Risikofaktor diskutiert, dabei konnte ein Zusammenhang zwischen einer JOCD und dem „human growth hormone“ gezeigt werden (Hussain et al.
2011). Auch
Vitamin-D3-Mangel
wird als mögliche Ursache oder mindestens als ein Risikofaktor für das Voranschreiten oder die ausbleibende Heilung der JOCD in Betracht gezogen (Krause et al.
2015).
Eine avaskulär subchondrale Osteonekrose
galt lange als die primäre Ursache (Shea et al.
2013). Es konnte jedoch festgestellt werden, dass der subchondrale Knochen, bei Läsionen ohne freies Dissekat
vital ist und aktive Frakturreparaturmechanismen zeigt, die vom Verlauf her an eine Pseudarthrose denken lassen (Chiroff
1975). Daher wird heute davon ausgegangen, dass die Osteonekrose eher sekundär entsteht (Krause et al.
2015).
Die meist akzeptierte Ursache stellen repetitive Mikrotraumen dar (Bohndorf
1998; Robertson et al.
2003; Jans et al.
2012; Andriolo et al.
2018). Dazu passt, dass fast ausschließlich hochaktive sportliche Kinder von der JOCD im Knie betroffen sind (Hughston et al.
1984; Kutscha-Lissberg et al.
2004).
In Tierversuchen an Ferkeln und Fohlen konnte ein Zusammenhang zwischen der Entstehung einer OCD-Läsion und der Blutversorgung der vaskularisierten sekundären Wachstumszone um den femoralen Knochenkern gezeigt werden (Olstad et al.
2008). Die Blutversorgung ist in diesem Übergangsbereich vom Knochen zur Wachstumsfuge an der Ossifikationsfront anfällig für mechanische Störungen, wodurch es zu einer Chondronekrose in dem durch sie versorgten Wachstumsfugenbereich kommt (Olstad et al.
2008; Ytrehus et al.
2004).
In dieselbe Richtung weisen humane Reihenuntersuchungen von Tóth und Kollegen: Bei 59 Biopsien von kindlichen Sektionen (1 Monat bis 11 Jahre) konnten in systematisch untersuchten Prädilektionsarealen bei 7 Untersuchten histologisch Knorpelnekrosen nachgewiesen werden, wie sie aus der Veterinärpathologie bekannt sind (Tóth et al.
2018). Entscheidend ist die Erkenntnis, dass eine JOCD schon jahrelang vor der klinischen Relevanz morphologische Veränderungen zeigen kann. Auch Olstad konnte zeigen, dass eine eingeschränkte Blutversorgung im Bereich des Wachstumsknorpels im Zusammenhang mit einer humanen JOCD steht (Olstad et al.
2018).
Auch wenn die Ätiologie weiter Gegenstand der Forschung ist und ein klarer Konsens noch nicht gefunden wurde, kann die Pathogenese der Krankheit in 4 Stadien nach Bohndorf von 1998 entsprechend der Morphologie in der Magnetresonanztomografie (MRT) eingeteilt werden.
Zu Beginn im Stadium 1 steht eine subchondrale Knochendichteminderung.
Im
Stadium 2 kommt es zu einem intraossären Ödem sowie zu einer Störung der Heilung und zur Bildung einer „Übergangszone“ aus lose verbundenem faserigem Gewebe, Kapillaren, Fibroblasten und
Leukozyten (Bohndorf
1998). Chiroff et al. konnten sowohl auf dem Grund der Läsionen als auch an den gelösten Fragmenten fibrocartilaginöses Gewebe finden, was beides auf eine pseudarthrotische Entwicklung schließen lässt (Chiroff
1975). Dadurch, dass die knöcherne mechanische Unterstützung des Knorpels verringert ist, kommt es zu einem Schaden am Knorpel (Clanton und DeLee
1982; Radin und Rose
1986).
Bei Voranschreiten der OCD kommt es im Stadium 3 zu einer Demarkierung der Läsion von dem sie umgebenden Knochen. Jedoch ist das Fragment noch nicht vollständig aus der Läsion gelöst. Erhaltene Teile des Gelenkknorpels bieten noch Halt für das Dissekat.
Durch weitere mechanische Einwirkungen geht die Läsion in das
Stadium 4 über, in dem sich das Fragment löst und eine „Gelenkmaus
“ entsteht (Petersen et al.
2006).