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Orthopädie und Unfallchirurgie
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Publiziert am: 31.01.2020

Kinderorthopädische Untersuchung: Hüftgelenk

Verfasst von: Anna K. Hell, Konstantinos Tsaknakis und Heiko M. Lorenz
Die systematische, kinderorthopädische Untersuchung des Hüftgelenks beginnt mit der Anamnese, die abhängig vom Alter und von der vermuteten Diagnose entsprechende Eckdaten erheben sollte. Schwangerschafts-, Geburts- und Familienanamnese müssen ebenso wie spezifische Fragen zum Schmerz erfasst werden. So kann zwischen einer angeborenen oder einer erworbenen Problematik unterschieden und typische Erkrankungen (Trauma, Tumor, Infektion) differenziert werden. Danach folgt die aktive Untersuchung, die die Beurteilung des Gangbildes und des Standes beinhaltet. Die Spontanhaltung und die Palpation können auf spezielle Erkrankungen hinweisen (z. B. Epiphyseolysis capitis femoris). Der Bewegungsumfang sollte primär aktiv, dann passiv nach der Neutral-Null-Methode erfasst werden. Bestimmte klinische Tests bzw. Bewegungseinschränkungen können für die Diagnosefindung wegweisend sein. Die Untersuchung der Säuglingshüfte stellt eine Sonderform dar. Im Allgemeinen geht es um den Ausschluss einer Hüftdysplasie oder Hüftluxation, wobei der Ultraschall als ergänzendes Diagnostikum beweisend ist. Beim Säugling wird klinisch nach einer Abspreizhemmung, einer Faltenasymmetrie und einer Beinlängendifferenz geschaut.

Anamnese

Vor der eigentlichen Untersuchung des kindlichen Hüftgelenks steht immer die Anamnese. Diese wird beim kleinen Kind normalerweise von der begleitenden Bezugsperson erfragt. Das größere Kind oder der Jugendliche kann selbstständig Auskunft geben.
Wichtig sind die Fragen nach der Schwangerschafts- und Geburtsanamnese (Beckenendlage, Steißgeburt, Hinweise auf Chromosomenanomalien), die beispielsweise Hinweise auf das Vorliegen einer Hüftdysplasie oder auf einen Neuralrohrdefekt geben können. Durch eine sorgfältige Familienanamnese können Erkrankungen mit genetischer Prädisposition oder Vererbung detektiert werden (z. B. Hüftdysplasie, epiphysäre Dysplasie, hereditäre sensomotorische Neuropathie). Das Alter bei Gehbeginn liefert wichtige Hinweise, ob die Meilensteile der Entwicklung zeitgerecht verliefen oder ob eventuell eine neurologische Begleitproblematik vorliegt.
Im Allgemeinen wird aber der Schmerz das Leitsymptom bei der Hüftuntersuchung sein. Hier müssen die typischen erworbenen Krankheitsentitäten abgefragt werden:
  • Trauma
  • Infekt
  • Rheuma
  • Tumor
  • Degenerativ (Leistungssport)
  • Andere
Wichtige Fragen sind in diesem Zusammenhang:
  • Wo sind die Schmerzen lokalisiert und wann treten sie auf?
  • Sind die Schmerzen abnehmend, zunehmend oder gleichbleibend?
  • Strahlen die Schmerzen aus bzw. wie ist die Schmerzqualität?
  • Sind die Schmerzen belastungsabhängig?
  • Treten die Schmerzen auch nachts auf bzw. wacht das Kind durch die Schmerzen auf?
Besonders zunehmende, belastungsunabhängige Schmerzen, die auch nachts auftreten, müssen einen Ausschluss einer Infektion oder eines Tumors nach sich ziehen.

Klinische Untersuchung

Kinder möchten nicht gerne von einer fremden Person angefasst werden. Daher sollten die Inspektion und aktive Beweglichkeit, wenn immer möglich, den Hauptteil der Untersuchung einnehmen. Um eine möglichst „normale“ Situation zu schaffen, rufen wir die Familien oft selber im Wartezimmer auf. Dies ermöglicht die Beobachtung des Gangbildes auf dem Weg vom Warte- ins Untersuchungszimmer, ohne dass „schön“ für den Arzt gelaufen wird. Grundsätzlich erfolgt die Untersuchung des Kindes am vollständig entkleideten (Ausnahme Unterwäsche oder Windel) Patienten und immer im Seitenvergleich.

Untersuchung des Gangbildes

Bei der Untersuchung des Gangbildes wird vor allem darauf geachtet, ob ein „unrundes“ Gangbild (= Hinken) vorliegt. Beim Verkürzungshinken fällt das Kind auf der kürzeren Seite wie in eine Vertiefung. Beim Schmerzhinken wird die betroffene Seite nur kurz belastet und der Oberkörper über das Standbein verlagert. Dadurch wird das Drehmoment der Hüftabduktoren verringert. Durch die zeitlich unterschiedliche Belastung wirkt das Gangbild unregelmäßig. Das Trendelenburg-Duchenne-Hinken deutet meistens auf eine geschwächte Glutealmuskulatur hin. Weiterhin können natürlich noch andere Ursachen wie eine Versteifung oder eine neurologische Grunderkrankung ein Hinken verursachen.
Die Rotationsstellung der Beine wird beim Gehen anhand der Ausrichtung der Patellae und anhand der Fußstellung beurteilt. Typisch ist hier das sogenannte Kneeing-In und Toeing-In als Normalvariante im Kleinkindesalter bei physiologisch erhöhter Antetorsion. Die Schuhabnutzung gibt zusätzliche Hinweise auf Rotationsproblematiken. Selbstverständlich muss das gesamte Kind bei der Beurteilung des Gangbildes erfasst werden. Wir achten auf die Rumpfstellung und Bewegung (schwenkt der Rumpf über ein Hüftgelenk?), aber auch auf die Armbewegung (möglicher Hinweis auf eine zerebrale Bewegungsstörung), und natürlich muss bei der Beurteilung des Ganges auch eine Analyse der Knie- und Sprunggelenksstellung und Beweglichkeit erfolgen.
Um einen Eindruck der Schmerzhaftigkeit zu erhalten, bitten wir das ältere Kind, auf einem Bein zu hüpfen. Dies gibt einen guten Eindruck über das Schmerzgeschehen am Hüftgelenk und die generellen koordinativen Fähigkeiten.
Bei komplexen Auffälligkeiten im Gangbild ist eine instrumentelle dreidimensionale Ganganalyse sinnvoll. So kann dann eine detaillierte Problemanalyse erfolgen.

Untersuchung im Stehen

Bei der Untersuchung im Stehen erfolgt die klinische Beurteilung des Beckengradstandes und der Beinlänge durch Auflegen der Hände auf die Beckenkämme (Abb. 1). Es muss darauf geachtet werden, dass das Kind die Knie durchstreckt und die Füße beidseits plantar aufsetzt.
Beinlängendifferenzen können so einfach erkannt werden. Diese werden dann mit Brettchen ausgeglichen (Abb. 2). Im gleichen Untersuchungsgang wird durch die Vorneigung des Rumpfes eine Wirbelsäulendeformität erfasst.
Im Seitprofil kann die Beckenvorneigung beurteilt werden („anteriores pelvic tilting“). Besonders kleine Kinder werden oft vorgestellt, da sie vermeintlich einen zu dicken Bauch und ein Hohlkreuz hätten (Abb. 3).
Das Trendelenburg- und Duchenne-Zeichen wird ebenfalls im Stehen ermittelt. Das Kind wird gebeten, ein Bein anzuheben. Normal ist, dass das Becken auf der Spielbeinseite etwas angehoben wird. Sinkt das Becken auf der Spielbeinseite ab (Trendelenburg-Zeichen), spricht dies für eine Insuffizienz der Adduktorenmuskeln. Beim Duchenne-Zeichen wird diese Insuffizienz durch eine Verlagerung des Oberkörpers über das Standbein teilweise kompensiert.

Palpation und Spontanlage

Die Palpation nimmt bei der Untersuchung der kindlichen Hüfte eine untergeordnete Stellung ein. Lediglich Schmerzdruckpunkte können so eruiert werden.
Die Spontanlage gibt jedoch oft schon Aufschluss über eine Hüftproblematik. Die hier dargestellte Verkürzung und Außenrotationsstellung des Beines beim Jugendlichen ist suspekt auf eine Epiphyseolysis capitis femoris (Abb. 4).

Bewegungsumfang

Der Bewegungsumfang kann aktiv und passiv gemessen werden. Im Allgemeinen wird man das Kind zuerst auffordern, aktive Bewegungen durchzuführen.
Hier eignet sich besonders der Schneidersitz (Abb. 5) und der Najadensitz (Abb. 6), um eine grobe Einschätzung der Beweglichkeit und Symmetrie zu erhalten. Hierbei handelt es sich um Kombinationsbewegungen. Gerade das kleine Kind ist oft „stolz“, wenn es dies vorführen darf.
Der Messung des Bewegungsumfanges der Hüftgelenke muss immer an beiden Seiten erfolgen. Die Dokumentation der Beweglichkeit erfolgt nach der Neutral-Null-Methode (Seyfarth 1974).

Flexion und Extension

In Rückenlage wird die Flexion des Hüftgelenks gemessen (Abb. 7) und die Extension, falls ein Streckdefizit vorliegt (Abb. 8a–b). In Abb. 8b ist demonstriert, wie die Hüften scheinbar komplett gestreckt sind bei vorliegendem Hohlkreuz. Wird das Gegenbein (Abb. 8a) flektiert, bis die Lendenwirbelsäule die Unterlage erreicht, wird die Lendenlordose ausgeglichen (Thomas-Handgriff) und das untersuchte Bein hebt sich von der Unterlage, sodass dann das Extensionsdefizit gemessen werden kann (Abb. 8a). Bei Hyperextension im Hüftgelenk wird der Bewegungsumfang entweder in Seiten- oder in Bauchlage ermittelt.
Weicht das Bein bei zunehmender Hüftgelenksflexion in eine immer stärker werdende Außenrotation ab (Abb. 9), wird dies ein positives Drehmann-Zeichen genannt, das typischerweise bei der Epiphyseolysis capitis femoris auftritt, aber auch bei anderen Hüfterkrankungen vorkommen kann.

Abduktion und Adduktion

Die Hüftabduktion und Hüftadduktion werden ebenfalls in Rückenlage gemessen. Hier sollten beim Kind beide Beine gleichzeitig ab- und adduziert werden, um eine Beckenkippung zu vermeiden (Abb. 10a–b).

Außenrotation und Innenrotation

Die Rotationsmessung im Hüftgelenk sollte sowohl in 90°-Hüftbeugung (Abb. 11) als auch in Hüftstreckung (Abb. 12a–b) erfolgen, wobei letztere Untersuchung wichtiger ist und hier die Außenrotation geringer ist als in der Beugestellung. Sehr gut kann die Hüftrotation in Bauchlage beim Kind untersucht werden (Abb. 12b).
Beim gesunden jungen Kind wird man im Allgemeinen eine vermehrte Innenrotationsfähigkeit im Hüftgelenk messen. Dies ist durch die physiologisch erhöhte femorale Antetorsion bedingt. Die femorale Antetorsion beschreibt im weitesten Sinne die Vorwärtsdrehung des Femurkopfes, d. h. den räumlichen Winkel zwischen der Schenkelhals- und der distalen Femurkondylenachse (siehe Kap. „Funktionelle Anatomie und Biomechanik des Hüftgelenks“). Die klinische Messung der femoralen Antetorsion erfolgt entweder in Bauchlage oder sitzend mit hängenden Unterschenkeln (Abb. 13, Ruwe et al. 1992). Die eine Hand des Untersuchers tastet den Trochanter major (Pfeil), während die andere Hand den Unterschenkel als Zeiger bewegt. Der Trochanter major muss maximal horizontalisiert eingestellt werden (also am stärksten zu tasten und parallel zur Sitzfläche). Dann kann anhand der Stellung des Unterschenkels die femorale Antetorsion bestimmt werden. Die Rotationsanalyse der unteren Extremität wird durch die klinische Messung der Tibiatorsion komplettiert.
Das Vierer-Zeichen ist eine Kombinationsbewegung, bei der die Beweglichkeit bzw. Einschränkung im Hüftgelenk, aber auch im Ileosakralgelenk und der unteren Wirbelsäule geprüft wird. Es ist positiv, wenn eine Seitendifferenz vorliegt bzw. wenn durch eine Einschränkung der Abduktion und Fehlstellung in Außenrotation der erkrankten Hüfte eine Annäherung an die Unterlage nicht möglich ist (Abb. 14). Dies lässt bei Kindern z. B. auf einen Morbus Perthes schließen.

Säugling

Die Hüftuntersuchung des Säuglings stellt eine Sonderform der Hüftgelenksuntersuchung dar und dient in der Mehrzahl der Fälle dem Ausschluss einer Hüftinstabilität bzw. -luxation. Sie wird überwiegend in Rückenlage durchgeführt. Eine kurze Beurteilung der Wirbelsäule mit Ausschluss von Dysraphiezeichen sollte erfolgen.
Zum älteren Kind bestehen 2 Unterschiede: Es liegt eine physiologische Hüftbeugekontraktur vor (Haas et al. 1973), und die Prüfung der Abduktion wird in 90°-Hüftbeugung und 90°-Kniebeugung durchgeführt (Abb. 15). Eine asymmetrische Abspreizung (Abspreizhemmung) muss den Ausschluss einer Koxitis oder einer Hüftdysplasie bzw. -luxation nach sich ziehen.
An den gestreckten Beinchen ventral und ggf. auch dorsal wird nach einer Faltenasymmetrie gesucht (Abb. 16). Asymmetrische Hautfalten können auf eine Hüftdysplasie hinweisen, aber auch als Normvariante vorliegen und sind ein sehr unsicheres Zeichen. In 90°-Hüftbeugung und 90°-Kniebeugung wird die Beinlänge überprüft, die durch einen Kalibersprung auf Kniegelenkshöhe festgestellt wird.
Die klinische Instabilitätsuntersuchung der Säuglingshüfte, z. B. mit dem Roser-Ortolani-Zeichen oder dem Ludloff-Hohman-Luxationszeichen, wird in der heutigen Zeit wegen der möglichen zusätzlichen Schädigung des Hüftkopfes und der Pfanne unterlassen. Hier wird beim Roser-Ortolani-Zeichen durch eine 90°-Knie- und -Hüftbeugung und eine Adduktion durch leichten Druck auf das Knie eine dorsale Luxation des subluxierten Hüftkopfes ausgelöst. In der Umkehr kann dann durch eine Hüftabduktion und leichten Druck auf den Trochanter major eine Reposition des Hüftkopfes über den Pfannenrand erfolgen. Dies hört man als Schnappen. Eine Schädigung von Pfanne und Kopf ist jedoch möglich, sodass die sonographische Untersuchung, die weitaus hüftschonender und aussagekräftiger ist, heute primär durchgeführt wird.

Bildgebende Diagnostik

Die Bildgebung am kindlichen Hüftgelenk gehört im weitesten Sinne zur klinischen Untersuchung des Hüftgelenks dazu. Ausführlich wird die bildgebende Diagnostik im Kap. „Kinderorthopädische Untersuchung: Bildgebende Verfahren“ erläutert.

Zusammenfassung

Die systematische Untersuchung des Hüftgelenkes beim Säugling, Kind und Jugendlichen ist in Tab. 1 dargestellt.
Tab. 1
Systematische Untersuchung des Hüftgelenkes beim Säugling, Kind und Jugendlichen
Anamnese
Angeboren oder erworben?
• Familien-, Geburtsanamnese
• Trauma
• Infekt
• Tumor
• Andere
• Wo? Hüfte, Leiste, Knie
• Belastungsabhängig
• Zu- oder Abnehmend
• Nachtschmerz
Untersuchung
 Gangbild
Unrundes Gangbild (Hinken)
• Ursache (Schmerz, Verkürzungs-, Trendelenburg-, Duchenne-Hinken)
Rotationsanalyse
 Stand
Beckenschiefstand, Beinlänge
Atrophie, Beckentorsion, Muskelinsuffizienz
 Sitzen
Schneidersitz
Najadensitz
Femorale Antetorsionsmessung
 Rückenlage
Flexion/Extension (Thomas-Handgriff)
Ab-/Adduktion
Außen-/Innenrotation mit gestreckter und 90° gebeugter Hüfte
Drehmann-Zeichen
Vierer-Zeichen
 Seitenlage
Hüftextension
 Bauchlage
Hüftextension
Außen-/Innenrotation bei gestreckter Hüfte
Femorale Antetorsionsmessung
Säugling
(in Rückenlage)
Faltenasymmetrie
Beinlängendifferenz in 90°-Hüft- und -Kniebeugung
Abspreizhemmung
(Ortolani-Zeichen, Instabilität)
Bildgebende Diagnostik
Röntgen
Magnetresonanztomographie (MRT)
(Computertomographie)
Literatur
Haas SS, Epps CH Jr, Adams JP (1973) Normal ranges of hip motion in the newborn. Clin Orthop Relat Res 91:114–118CrossRef
Ruwe PA, Gage JR, Ozonoff MB, DeLuca PA (1992) Clinical determination of femoral anteversion. A comparison with established techniques. J Bone Joint Surg Am 74:820–830CrossRef
Seyfarth H (1974) Die Prinzipien der Neutral-Null-Durchgangsmethode. Beitr Orthop Traumatol 21:276–285PubMed