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Orthopädie und Unfallchirurgie
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Publiziert am: 26.09.2019

Lappenplastik: Latissimus-dorsi-Lappen

Verfasst von: Christoph Wallner, Björn Behr und Marcus Lehnhardt
Bei der Latissimus-dorsi-Lappenplastik handelt es sich um eine verlässliche Lappenplastik aus dem Bereich der rekonstruktiven Chirurgie. Das 1896 erstbeschriebene Verfahren ist eine der ältesten Lappenplastiken und wird insbesondere für die plastische Deckung an der Thoraxwand, im Kopf- und Halsbereich in gestielter Form verwendet. Als freie Lappenplastik eignet sich die Latissimus-dorsi-Lappenplastik vor allem zur Deckung flächengroßer und tiefer Defekte, die man durch den muskulären Anteil plombieren kann. Es besteht auch die Möglichkeit, die Lappenplastik durch den N. thoracodorsalis sensibel innerviert zu transferieren. Besondere Beliebtheit erlangte die gestielte Latissimus-dorsi-Lappenplastik durch die Anwendung in der Senologie zur Rekonstruktion der Brust. Durch die dünne, aber flächige Beschaffenheit lassen sich ausgedehnte kraniale Defekte decken, die durch einen Perforatorlappen unzureichend erfasst werden können. Als freier Gewebetransfer sind flächige Defekte an den Extremitäten Haupteinsatzgebiete. Neben den üblichen Kontraindikationen für eine freie Lappenplastik sind frühere axilläre Eingriffe und Eingriffe am lateralen Rücken, die entweder den Muskel oder die Blutzufuhr beeinträchtigen, Kontraindikationen. Eine relative Kontraindikation stellt die Verwendung der Lappenplastik von der nicht dominanten Handseite dar, sofern der Patient eine unbeeinträchtigte Kraft im Oberarm benötigt, z. B. beim Beruf oder Sport (kompetitive Tennisspieler oder Schwimmer). Faktoren, die lange Zeit als Kontraindikation einer freien Lappenplastik galten, wie z. B. fortgeschrittenes Alter oder Multimorbidität, sollten heute nur noch begrenzt limitieren. Hingegen sollte einer fehlenden Compliance des Patienten eine wichtige Rolle bei der Indikationsstellung zukommen.

Einleitung

Die Latissimus-dorsi-Lappenplastik ist eine der vielseitigsten und verlässlichsten Lappenplastiken in der rekonstruktiven Chirurgie. Neben dem freien Lappentransfer wird die Latissimus-dorsi-Lappenplastik häufig gestielt in der Brustrekonstruktion, der Thoraxwanddeckung und der Kopf- und Halsrekonstruktion verwendet. Bereits im Jahr 1896 publizierte Iginio Tansini unter dem Titel „La technique de l’amputation de la mamelle pour carcinoma mammaire“ die erste beschriebene Latissimus-dorsi-Lappenplastik – in diesem Fall zur Brustrekonstruktion (Maxwell 1980). Der erste dokumentierte mikrochirurgische Transfer einer Latissimus-dorsi-Lappenplastik geht auf das Jahr 1978 zurück – durchgeführt und beschrieben durch Marko Godina (Kosutic 2007).
Es ist die flächengrößte Lappenplastik, die auf einem einzelnen Pedikel gehoben werden kann, und kann sogar mit der Serratus-, Scapular- oder Parascapularlappenplastik kombiniert werden, um größere Defekte abzudecken. Im Durchschnitt ist der Muskel ziemlich dünn (weniger als 1 cm dick), sodass er mit Leichtigkeit auf unregelmäßigen Oberflächen drapiert werden kann. Wenn der Latissimus mit dem N. thoracodorsalis reinnerviert wird, kann er auch als funktioneller Muskel verwendet werden.

Indikation und Kontraindikation

Die Latissimus-dorsi-Lappenplastik kann entweder als gestielter oder freier Lappen gestaltet werden. Gestielt findet die Lappenplastik besonders in der Senologie bzw. bei der autologen Rekonstruktion der ipsilateralen Brust Anwendung. Patienten, die nach koronarer Bypass-Operation eine Sternumosteomyelitis mit begleitendem sternalen Defekt erleiden, bieten sich auch für eine Latissimus-dorsi-Lappenplastik an. Meist ist bei diesen Patienten die Option einer gestielten Rectus-abdominis-Lappenplastik bei Entnahme der LIMA (linke Arteria mammaria interna) oder RIMA (rechte Arteria mammaria interna) für den Koronarbypass nicht mehr gegeben.
Die freie Lappenplastik bietet sich aufgrund der flächigen, aber trotzdem dünnen Beschaffenheit insbesondere für laterale faziale, temporale und craniofaziale Defekte an. Auch für Defekte, die eine interne und externe Deckung benötigen (z. B. sog. äußere und innere Wange), eignet sich der Lappen. Bei Defekten sowohl nach Tumor oder Trauma, die durch einen Perforatorlappen flächenmäßig unzureichend gedeckt werden können, kann die Latissimus-dorsi-Lappenplastik eingesetzt werden. Auch für Substanzdefekte, die die Plombierung einer Wundhöhle erfordern, ist sie ideal. Ebenfalls können mit der dicken Faszie des Musculus latissimus dorsi abdominelle Defekte vollschichtig gedeckt werden (Kim et al. 2015).
Neben den üblichen Kontraindikationen für eine freie Lappenplastik sind frühere axilläre Eingriffe und Eingriffe am lateralen Rücken, die entweder den Muskel oder die Blutzufuhr beeinträchtigen, Kontraindikationen. Eine relative Kontraindikation stellt die Verwendung der Lappenplastik von der dominanten Handseite dar, sofern der Patient eine unbeeinträchtigte Kraft im Oberarm benötigt, z. B. beim Beruf oder Sport (kompetitive Tennisspieler oder Schwimmer).
Faktoren, die lange Zeit als Kontraindikation einer freien Lappenplastik galten, wie z. B. fortgeschrittenes Alter oder Multimorbidität, sollten heute nur noch begrenzt limitieren. Hingegen sollte einer fehlenden Compliance des Patienten eine wichtige Rolle bei der Indikationsstellung zukommen.

Anatomie

Der Musculus latissimus dorsi (lat. für „breitester Rückenmuskel“ oder „sehr breiter Rückenmuskel“) ist mit einer Ausdehnung von bis zu 20 cm mal 40 cm der größte Muskel des Körpers. Er entspringt an der Crista iliaca und an der thoracolumbalen Faszie lateral der Mittellinie an der Wirbelsäule und zieht durch die Axilla zum Humerus. Er ist deshalb konturengebend an der dorsalen Axillarfalte. Der Muskel inseriert in den Humerus und agiert als humeraler Adduktor und Rotator. Die kombinierte Bewegung resultiert in einer Führung der Hand zum Gesäß, weshalb der Muskel auch Schürzenbindermuskel genannt wird. Er entfaltet seine Hauptwirkung z. B. bei Klimmzügen oder Ruderbewegungen. Der Musculus latissimus dorsi ist zudem Teil der Atemhilfsmuskulatur.
Die Innervation erfolgt durch den Nervus thoracodorsalis, der wiederum als Nerv des Plexus brachialis aus dem sechsten bis achten Halssegment des Rückenmarks stammt. Der Nerv verläuft mit der gleichnamigen Arterie und Vene. Die Arteria thoracodorsalis geht als Ast aus der Arteria subscapularis ab, diese wiederum als vorletzte aus der Arteria axillaris (Abb. 1).

Operationstechnik

Neben den üblichen präoperativen Vorbereitungsmaßnahmen sollte eine einfache Gerinnungsdiagnostik, eine bedachte Indikationsstellung der Latissimus-dorsi-Lappenplastik und eine ausführliche Aufklärung über operative und postoperative Maßnahmen mit dem Patienten erfolgen.
Der Patient wird üblicherweise in Seitenlage auf entsprechende Lagerungskissen gelegt, wobei der Arm der zu entnehmenden Seite oben in eine entsprechende Vorrichtung gelagert oder gehängt wird. Der ipsilaterale Arm wird teilweise oder vollständig mit abgewaschen und verbleibt im Operationsfeld, sodass er frei um das Feld bewegt werden kann. Mit dem Verbringen des Patienten in Seitenlage muss auf eine Weichlagerung aller aufliegenden Stellen geachtet werden (Thoraxkissen, Ellenbogenkissen, Kniepolster). Nach dem Abwaschen des Patienten wird der Rand des M. latissimus dorsi mit einem Markierungsstift umrandet. Die Inzision wird dann markiert und erstreckt sich von der Axilla oder der hinteren Axillarfalte nach unten und medial über den Latissimusmuskel. Hierbei kann eine Hautinsel zu Monitoring-Zwecken oder auch als Teil der Weichteildeckung mit geplant werden (siehe Abb. 2). Die Länge des benötigten Muskels bestimmt die Schnittlänge. Für eine sichere Durchblutung einer benötigten Hautinsel können Stabdoppler, Powerdoppler oder auch ein Fluorescence Imaging System verwendet werden.
Anschließend wird mit oder ohne Hautinsel am Muskel entlang präpariert. Hier eignet sich das Monopolar mit einer speziellen Nadel (z. B. Colorado-Nadel). Es wird von der Hautinsel bzw. des Vorderrands des Muskels zentrifugal bis zu den Ansatzpunkten präpariert. Erfahrungsgemäß erscheint es sinnvoll, bereits zu Beginn am Vorderrand des Muskels zu unterminieren und im oberen Muskeldrittel den Stiel zu identifizieren. Etwaige Perforatoren werden ligiert.
Nach Darstellung des Muskels wird entsprechend der benötigten Fläche der Muskel kaudal und dorsal mit dem Kauter durchtrennt. In maximaler Ausdehnung wäre das dorsal die Wirbelsäule und kaudal das Ende des Muskels.
Nun erfolgt die Unterminierung des Muskels von dorsal und kaudal. Hierbei kann zu Beginn rasch präpariert werden. Nach ventrokranial ist mit dem Lappenstiel zu rechnen. Bei erfolgter Identifizierung sollte am Stiel entlang präpariert werden. Dies sollte bis in die Axilla durchgeführt werden. Die A. thoracodorsalis entspringt aus der A. subscapularis, die entsprechend der benötigten Pedikellänge mitgehoben werden kann. Zuletzt wird der sehnige Anteil des Muskels, der am Humerus ansetzt, durchtrennt, sodass der Muskellappen nur noch durch den Stiel mit dem Spenderareal verbunden ist (Abb. 3 und 4). Es wird nach Clippen der Spendergefäße der Muskellappen entnommen.
Die Wunde des Spenderareals sollte nach Blutstillung und Einführen von einer oder zwei Drainagen mit einer tiefen und oberflächlichen Naht verschlossen werden. Gegebenenfalls können auch Steppnähte in der Tiefe durchgeführt werden, um die Inzidenz eines Seromas zu verringern. Selbiges gilt für die Anwendung von Fibrinkleber, was in der Literatur als seromvermindert angeben wird. In dem Zentrum der Autoren wird zusätzlich noch ein Thoraxgurt angelegt.

Postoperative Maßnahmen

Bei einer Rekonstruktion im Bereich der unteren Extremität kann wie bei anderen Lappenplastiken eine Aufhängung oder Polsterung notwendig sein, sodass es zu keinem Aufliegen der Lappenplastik kommt. Erfahrungsgemäß hat sich eine Antikoagulation außerhalb einer individuellen Therapie mit einer prophylaktischen Dosis an niedermolekularen Heparinen bewährt (Kremer et al. 2016).
In Bezug auf das Monitoring gestaltet sich bei einer Latissimus-dorsi-Lappenplastik ohne Hautinsel die rein klinische Beurteilung der Lappenperfusion schwieriger als beispielsweise bei einer Perforatorlappenplastik. Hier kann der erfahrene Chirurg anhand der Muskelbeschaffenheit die Qualität beurteilen. Vorrangig sollte hier aber eine dopplergestützte Beurteilung erfolgen. Alternativ bietet sich auch ein Fluorescence Imaging System an.
Sollte bei einer rein muskulären Lappenplastik eine Spalthauttransplantation notwendig gewesen sein, werden am fünften Tag nach Eingriff die Adhärenzpolster entfernt.

Limitationen

Durch die „elegantere“ Deckung von entsprechenden Defekten traten in den letzten Jahren immer mehr perforatorgestützte Lappenplastiken in den Vordergrund. Latissimus-dorsi-Lappenplastiken wurden zurückgedrängt und finden nun hauptsächlich bei den klaren Indikationen wie Plombierungen oder großen flächigen Defekten Anwendung. Zu bemerken ist auch die relativ hohe Komplikationsrate an der Hebestelle: Zwischen 6–20 % der Patienten entwickeln bei der relativ großen Hebedefekthöhle ein Serom (Bonomi et al. 2012). Im Vergleich liegt die Serominzidenz bei ALT- („anterolateral thigh“-)Lappenplastiken bei etwa 3 % (Collins et al. 2012). Studien zeigen z. B. die Anwendung von Steppnähten oder Fibrinkleber als Prophylaxe für ein Serom sinnvoll (Sajid et al. 2011).
Literatur
Bonomi S, Settembrini F, Salval A, Gregorelli C, Musumarra G, Rapisarda V (2012) Current indications for and comparative analysis of three different types of Latissimus Dorsi Flaps. Aesthet Surg J 32(3):294–302. https://​doi.​org/​10.​1177/​1090820X12437783​CrossRefPubMed
Collins J, Ayeni O, Thoma A (2012) A systematic review of anterolateral thigh flap donor site morbidity. Can J Plast Surg 20(1):17–23. http://​www.​ncbi.​nlm.​nih.​gov/​pubmed/​23598761CrossRef
Kim JT, Kim SW, Youn S, Kim YH (2015) What is the ideal free flap for soft tissue reconstruction? A ten-year experience of microsurgical reconstruction using 334 latissimus dorsi flaps from a universal donor site. Ann Plast Surg 75(1):49–54. https://​doi.​org/​10.​1097/​SAP.​0000000000000010​CrossRefPubMed
Kosutic D (2007) The life and work of Marko Godina: in memory of a pioneer in reconstructive microsurgery. J Plast Reconstr Aesthet Surg 60(10):1171–1172. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​bjps.​2006.​11.​034CrossRefPubMed
Kremer T, Bauer M, Zahn P, Wallner C, Fuchs P, Horch RE, … Kneser U (2016) Perioperative management in microsurgery – consensus statement of the German speaking society for microsurgery of peripheral nerves and vessels. Handchir Mikrochir Plast Chir 48(4). https://​doi.​org/​10.​1055/​s-0042-108806CrossRef
Maxwell GP (1980) Iginio Tansini and the origin of the latissimus dorsi musculocutaneous flap. Plast Reconstr Surg 65(5):686–692. http://​www.​ncbi.​nlm.​nih.​gov/​pubmed/​6988856CrossRef
Sajid MS, Betal D, Akhter N, Rapisarda IF, Bonomi R (2011) Prevention of postoperative seroma-related morbidity by quilting of latissimus dorsi flap donor site: a systematic review. Clin Breast Cancer 11(6):357–363. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​clbc.​2011.​04.​006CrossRefPubMed