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Orthopädie und Unfallchirurgie
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Publiziert am: 31.01.2020

Medikamentöse Schmerztherapie in der Orthopädie und Unfallchirurgie: Allgemeines zum Einsatz von Analgetika in der orthopädischen und traumatologischen Schmerztherapie

Verfasst von: Anke Eckardt
„Primum nil nocere“ – Das Wichtigste ist es, nicht zu schaden. Diese ärztliche Grundregel, die Hippokrates zugeschrieben wird, hat auch in der Orthopädie und Traumatologie besondere Bedeutung. Nach akutem Trauma, in der perioperativen Situation, bei Neurokompression (z. B. durch einen Bandscheibenvorfall), bei Patienten mit chronischen Schmerzsyndromen durch Wirbelsäulenleiden, bei Arthrose, bei CRPS, bei ossären Metastasen etc. bedarf es eines teilweise intensiven und kombinierten Einsatzes von Analgetika.

„Primum nil nocere“ – Das Wichtigste ist es, nicht zu schaden

Diese ärztliche Grundregel, die Hippokrates zugeschrieben wird, hat auch in der Orthopädie und Traumatologie besondere Bedeutung.
Nach akutem Trauma, in der perioperativen Situation, bei Neurokompression z. B. durch einen Bandscheibenvorfall, bei Patienten mit chronischen Schmerzsyndromen durch Wirbelsäulenleiden, bei Arthrose, bei CRPS (komplexes regionales Schmerzsyndrom), ossären Metastasen etc. bedarf es eines teilweise intensiven und kombinierten Einsatzes von Analgetika.
Nur wenige Kliniken können für ihre stationären Patienten auf die Hilfe eines kompetenten Schmerzdienstes zählen, was natürlich flächendeckend wünschenswert wäre. Die Regel ist aber, dass Orthopäden und Unfallchirurgen die medikamentöse Schmerztherapie der Patienten selbst durchführen. Es braucht also ein solides Basiswissen bezüglich Risiken und Nebenwirkungen der eingesetzten Substanzen und Zeit, eine gründliche Schmerz- und Medikamentenanamnese zu erheben. Vorerkrankungen und etwaige Allergien müssen beim Patienten erfragt und dokumentiert werden.
Für alle Analgetika gilt, dass sie nur in wirksamer, adäquater Dosis eingesetzt werden sollen. Ist die Wirkung unzureichend, muss falls möglich höher dosiert oder ein potenteres Präparat eingesetzt werden. Bei fehlender Wirkung und relevanten Nebenwirkungen sollte das Medikament gewechselt werden. Auch wenn die Wirkstoffe beim Patienten nicht oder nicht ausreichend analgetisch wirken, haben sie dennoch relevante Nebenwirkungen.
Einzig für den Einsatz von Opioiden gibt es keine starre Obergrenze, der unkritische, hoch dosierte Einsatz geht allerdings mit dem Risiko einer Opioid-induzierten Hyperalgesie einher.
Der Einsatz einer visuellen Analogskala oder numerischen Ratingskala ist im klinischen Alltag etabliert, sollte aber durchaus auch in der ambulanten Schmerztherapie zur Beurteilung der Wirksamkeit von Analgetika eingesetzt werden (siehe Kaps. „Medikamentöse Schmerztherapie in der Orthopädie und Unfallchirurgie: Schmerztherapie bei erworbenen, degenerativen Erkrankungen“ und „Medikamentöse Schmerztherapie in der Orthopädie und Unfallchirurgie: Peri-/postoperative Schmerztherapie, Akutschmerztherapie“).
Der längerfristige Einsatz von Analgetika erfordert eine dauerhafte Überwachung und Anbindung des Patienten an den verordnenden Arzt.
Nicht nur aktive Befragungen des Patienten hinsichtlich Risikofaktoren und potenzieller Nebenwirkungen, sondern auch Kontrolluntersuchungen des Labors sind erforderlich, damit unerwünschte Effekte erfasst werden können. Gegebenenfalls muss der Wirkstoff dann abgesetzt werden (Tab. 1).
Tab. 1
Risikofaktoren für unerwünschte Arzneimittelwirkungen, empfohlene Laboruntersuchungen und weiterführende Maßnahmen. (Modifiziert nach Maier et al. 2017)
Wirkstoff
Risikofaktoren und Anamnese
Laboruntersuchungen
Erfassung klinischer Symptome und Konsequenzen (nach sofortigem Absetzen des Medikaments)
Paracetamol
Asthma, Neurodermitis, Analgetikaallergie, Nieren- und Leberschäden, Alkoholkonsum
Blutbild, Nieren- und Leberwerte vor Beginn der Einnahme, später mindestens jährlich
Bei Leberschaden, Gerinnungsproblematik: Sonographie, evtl. Vergiftungszentrale kontaktieren
Metamizol
Wie Paracetamol (siehe oben)
Differenzialblutbild nach 7–10 Tagen, später alle 3–6 Monate
Bei Halsschmerzen: HNO-Untersuchung
Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR)
Wie Paracetamol (siehe oben), Ulkus- und Blutungsanamnese, Herzinsuffizienz, koronare Herzkrankheit (KHK), Infarkte, Hypertonie, Ödemneigung, Sulfonamidallergie
Blutbild, Nieren- und Leberwerte, Gerinnung, Elektrolyte; im Verlauf alle 3 Monate Laborkontrolle, bei Hypertonie häufige Blutdruckmessungen
Bei Anämie, Oberbauchschmerz: Gastroskopie
Bei Ödemen: Nierenfunktion abklären
Opioide
Nieren- und Lebererkrankungen, Schlafstörungen, Obstipation, respiratorische Erkrankungen, zerebrale Einschränkung und Demenz, Sturzanamnese, psychosomatische Erkrankungen, Abhängigkeitserkrankungen
Blutbild, Nieren- und Leberwerte vor Beginn der Therapie; ggf. Urin- und Serumscreening bei Verdacht auf Abusus
Bei Verdacht auf schlafassoziierte Atemstörung: Polysomnographie und Blutgasanalyse

Schmerzentstehung, nozizeptiver und neuropathischer Schmerz

Die International Association for the Study of Pain hat Schmerz als ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis definiert, das mit akuter oder potenzieller Gewebsschädigung einhergeht oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird.
Die Unterscheidung zwischen nozizeptiven und neuropathischen Schmerzen ist von evidenter Bedeutung für die medikamentösen Behandlungsansätze.
Nozizeptive Schmerzen entstehen durch Aktivierung von Nozizeptoren bei mechanischen, thermischen oder chemischen Reizen, also auch durch Entzündungsmediatoren. Insofern sind sie mit den klassischen Nichtopioid- und Opioidanalgetika gut therapierbar, und das WHO-Stufenschema kann angewandt werden.
Neuropathische Schmerzen sind Folgen von Läsionen oder Erkrankungen des somatosensorischen Nervensystems.
Allodynie (gesteigerte Schmerzempfindung auf taktile Reize), Hyperalgesie (erniedrigte Schmerzschwelle) und Dysästhesien (Missempfindungen) gehören zum zu behandelnden Spektrum der Symptome. Hierbei sind Nichtopioidanalgetika in der Regel ohne relevante Wirkung, auch Opioidanalgetika helfen häufig nicht oder nicht ausreichend. Die Behandlung erfolgt in der Regel mit Koanalgetika (z. B. Antikonvulsiva oder Antidepressiva).
Ein Sonderfall neuropathischer Schmerzen ist das komplexe regionale Schmerzsyndrom (CRPS), bei dem durch eine Läsion am somatosensorischen Nervensystem eine Sensibilisierung des Axons oder Spinalganglions erfolgt. Hier helfen dann häufig lediglich Blockierungen des Sympathikus und andere spezielle therapeutische Ansätze.

Wichtige Begriffe

Akuter Schmerz: Schmerz, der zeitlich nach einem akuten Ereignis (Verletzung, Operation) auftritt oder nach einer rezidivierend auftretenden Kausalgie (aktivierte Arthrose, Migräne)
Allodynie: Schmerzempfindung durch mechanischen Reiz, der normalerweise keinen Schmerz verursacht
Analgesie: Fehlender Schmerz bei normalerweise schmerzauslösendem Reiz
Anästhesie: Fehlende Empfindung mechanischer, thermischer oder ansonsten schmerzhafter Reize durch Deafferenzierung (auch medikamentös)
Chronifizierter Schmerz: Chronischer Schmerz, in dessen Folge somatische, psychische oder soziale Beeinträchtigungen oder Konsequenzen aufgetreten sind
Chronischer Schmerz: Sammelbegriff für Schmerzen, die länger als 6 Monate andauern
Chronischer muskuloskelettaler Schmerz: Nozizeptive Schmerzen durch muskuloskelettale Erkrankungen, die länger als 3 Monate anhalten
Dysästhesie: Unangenehme, nicht obligat mit Schmerzen assoziierte Empfindung, spontan auftretend oder durch Berührung provozierbar
Hyperalgesie: Erhöhte Schmerzempfindlichkeit bei überschwelligen mechanischen oder thermischen Reizen
Hypästhesie: Verringerte Wahrnehmung von sensiblen Reizen
Hyperästhesie: Verbesserte Wahrnehmung von sensiblen, nicht schmerzhaften Reizen
Hypoalgesie: Abnormal erniedrigte Empfindlichkeit gegenüber Schmerzreizen
Neuralgie: Schmerzen im Versorgungsgebiet eines peripheren Nervens
Neuropathie: Funktionsdefizit oder Funktionsstörung eines peripheren Nervens
Neuropathischer Schmerz: Schmerzen ausgelöst durch eine Pathologie des somatosensorischen Nervensystems
Nozizeptiver Schmerz: Schmerz durch Erregung primär nozizeptiver Nervenendigungen durch thermische, chemische oder sonstige Noxen (z. B. Ischämie, Trauma, Infektion, Arthrose), geht nicht mit einer Schädigung der Nervenendigungen einher
Parästhesie: Abnorm wahrgenommene (nicht unangenehme) Empfindung, spontan oder durch Berührung
Neuropathischer Schmerz:
  • Peripherer neuropathischer Schmerz: Ausgelöst durch Erkrankungen der peripheren Anteile des somatosensorischen Nervensystems
  • Zentraler neuropathischer Schmerz: Schmerzen bei spinalen oder zerebralen Erkrankungen mit Affektion der zentralen Anteile des somatosensorischen Systems
Periphere Sensibilisierung: Gesteigertes Antwortverhalten einer primären nozizeptiven Afferenz nach physiologischem Reiz
Sensibilisierung: Gesteigertes Antwortverhalten von Nervenzellen auf normale Stimuli, z. B. bei Hyperalgesie und Allodynie
Literatur
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Lehrbücher
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Leitlinien
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