Skip to main content
Orthopädie und Unfallchirurgie
Info
Publiziert am: 01.08.2019

Modernes Traumamanagement

Verfasst von: Jan-Dierk Clausen, Marcel Winkelmann und Philipp Mommsen
Die Behandlung von Traumapatienten stellt aufgrund ihrer Komplexität eine große Herausforderung dar. Eine adäquate Versorgung von Schwerverletzten bedarf interdisziplinärer Behandlungsstrategien basierend auf standardisierten Algorithmen. Dies gilt sowohl für die präklinische Behandlung, die Schockraumphase als auch den gesamten stationären Verlauf mit operativer Versorgung und intensivmedizinischer Therapie. Grundlage aller Behandlungsalgorithmen sind zum einen das Verständnis für den Unfallmechanismus, der maßgeblich das zu erwartende Verletzungsmuster und somit auch die zu erwartenden Komplikationen beeinflusst, zum anderen das Verständnis für die eigenständige Pathophysiologie des Traumas. Dabei wird das Trauma mit den hieraus resultierenden systemischen Veränderungen, neben dem aus dem Unfall resultierenden Verletzungsmuster, zunehmend als eigenes Krankheitsbild verstanden. Im Rahmen der interdisziplinären Traumaversorgung sollten neben den Einzelverletzungen auch die systemischen Auswirkungen des Traumas adressiert werden.
Die Behandlung von Traumapatienten stellt aufgrund ihrer Komplexität eine große Herausforderung dar. Eine adäquate Versorgung von Schwerverletzten bedarf interdisziplinärer Behandlungsstrategien basierend auf standardisierten Algorithmen. Dies gilt sowohl für die präklinische Behandlung, die Schockraumphase als auch den gesamten stationären Verlauf mit operativer Versorgung und intensivmedizinischer Therapie. Grundlage aller Behandlungsalgorithmen sind zum einen das Verständnis für den Unfallmechanismus, der maßgeblich das zu erwartende Verletzungsmuster und somit auch die zu erwartenden Komplikationen beeinflusst, zum anderen das Verständnis für die eigenständige Pathophysiologie des Traumas. In der jüngeren Vergangenheit konnten besonders im Hinblick auf die Pathophysiologie des Traumas maßgebliche Erkenntnisfortschritte erzielt werden. Dabei wird das Trauma mit den hieraus resultierenden systemischen Veränderungen, neben dem aus dem Unfall resultierenden Verletzungsmuster, zunehmend als eigenes Krankheitsbild verstanden. Demzufolge sollten im Rahmen der interdisziplinären Traumaversorgung neben den vorhandenen Einzelverletzungen auch die systemischen Auswirkungen des Traumas adressiert werden. Andernfalls können trotz suffizienter Versorgung der Einzelverletzungen lebensgefährliche Organdysfunktionen bis hin zum Multiorganversagen („mutiple organ dysfunction syndrome“, MODS) resultieren.
Die Notwendigkeit einer suffizienten Traumaversorgung begründet sich in der Tatsache, dass Traumata eine omnipräsente Problematik darstellen. Sie treten im Sinne eines pandemischen Krankheitsbildes ubiquitär auf und haben sowohl für den Betroffenen selbst als auch für sein Umfeld weitreichende Folgen. Weltweit sind ca. 9 % der Todesfälle auf Traumata zurückzuführen. In der Altersgruppe unter 45 Jahre stellt das Trauma noch vor kardiovaskulären und malignen Erkrankungen die häufigste Todesursache dar. Dementsprechend sind die adäquate Traumaversorgung, aber auch die Prävention des Auftretens von Traumata von zentraler Bedeutung. In den folgenden Kapiteln soll die interdisziplinäre Traumaversorgung unter dem Gesichtspunkt des modernen Traumaverständnisses dargelegt werden.

Definition und Epidemiologie

Gemäß der Definition von Tscherne bezeichnet man mit dem Begriff Polytrauma gleichzeitig entstandene Verletzungen von 2 oder mehr Körperregionen oder Organsystemen, von denen wenigstens eine Verletzung oder deren Kombination lebensbedrohlich ist. Basierend auf dem Injury Severity Score (ISS), der die Gesamtverletzungsschwere anhand der 3 am schwersten verletzten Körperregionen auf einer Skala von 0–75 quantifiziert, wird bei einem ISS ≥16 von einem Polytrauma gesprochen (Baker et al. 1974). Die im Jahre 2014 publizierte Berliner Definition beinhaltet die Kombination von relevanten Verletzungen von mindestens 2 Körperregionen mit einem Punktwert der Abbreviated Injury Scale (AIS) ≥3 und von mindestens einem pathologischen Wert bei einem von 5 physiologischen Parametern (Alter, systolischer Blutdruck, Bewusstsein, „base excess“, Gerinnung) (Pape et al. 2014).
In Deutschland wird pro Jahr von annähernd 30.000 schwer verletzten Patienten im Rahmen von Verkehrsunfällen, bei der Arbeit oder in der Freizeit ausgegangen (Haas et al. 1997; Kühne et al. 2006; Liener et al. 2004). Die jährliche Inzidenz polytraumatisierter Patienten in Deutschland lässt sich allerdings nicht exakt beziffern, da diese nicht vollständig in einer zentralen Datenbank registriert werden. Die wichtigste Quelle im Hinblick auf Demografie, Verletzungsmuster, Behandlung und Outcome beim Polytrauma stellt das TraumaRegister der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (TraumaRegister DGU®) dar, in dem alle Traumapatienten, die nach ihrer stationären Aufnahme aufgrund ihrer Verletzungsschwere einer intensivmedizinischen Behandlung bedürfen, erfasst werden. Alle im Folgenden angegebenen Zahlen und Daten basieren auf dem Jahresbericht 2018 des TraumaRegister DGU® für den Zeitraum bis Ende 2017. Mit 95,9 % überwiegen in Deutschland stumpfe Verletzungsmechanismen, während penetrierende Verletzungen mit 4,1 % deutlich seltener sind. Neben Verkehrsunfällen, die in über der Hälfte der Fälle ursächlich sind, stellen vor allem Stürze aus <3 m und >3 m Höhe (40,5 %) die Hauptursache für das Auftreten eines Polytraumas dar.

Demografie und Verletzungsmuster

Entsprechend des Jahresberichtes 2018 des TraumaRegister DGU® ist mit 69,8 % überwiegend das männliche Geschlecht betroffen. Der Anteil von Kindern unter 16 Jahren liegt bei 4,0 %. Das Durchschnittsalter polytraumatisierter Patienten beträgt 51,9 ± 22,6 Jahre. Bei der Verteilung der Verletzungen mit einem AIS ≥3 finden sich in der Analyse der letzten 3 Jahre dabei am häufigsten Schädel-Hirn-Traumata (SHT), Thoraxverletzungen und Extremitätenverletzungen.

Behandlung und Outcome

Nach den Ergebnissen des TraumaRegister DGU® werden Schwerverletzte in Deutschland im Durchschnitt 14,5 ± 16,5 Tage stationär behandelt. Die durchschnittliche Beatmungsdauer und intensivmedizinische Behandlungszeit betragen 2,6 ± 6,9 bzw. 6,2 ± 9,8 Tage. Bei 31,5 % der polytraumatisierten Patienten entwickelte sich im Jahr 2017 während des stationären Aufenthaltes eine Dysfunktion mindestens eines Organsystems und bei 18,7 % sogar ein Multiorganversagen. Eine Sepsis wurde in 6,6 % der Fälle beobachtet.
Basierend auf den Daten des TraumaRegister DGU® lag die Letalität beim Polytrauma über die letzten 10 Jahre für die erfassten Patienten (nur primär aufgenommene Patienten) bei 11,7 %. Generell weist die Mortalität von schwer verletzten Patienten einen charakteristischen zeitlichen Verlauf auf. Ein relevanter Anteil der versterbenden Patienten erliegt bereits innerhalb der ersten 24 Stunden (sog. Frühletalität) den erlittenen Verletzungen. Unmittelbar oder innerhalb von Minuten nach dem schädigenden Ereignis, also meist während der präklinischen Versorgung von Unfallverletzten, können fulminante Blutungen aus freien Rupturen der großen Gefäße (z. B. der Aorta) sowie schwerste Schädel-Hirn- und Rückenmarksverletzungen zum Tode führen. Ursächlich für das Versterben von Unfallverletzten mit schweren, aber nicht unmittelbar letalen Verletzungen innerhalb der ersten Stunden nach dem Trauma sind intrakranielle Blutungen sowie schwerwiegende Thorax-, Abdominal- und Beckenverletzungen mit entsprechenden Blutungskomplikationen.
Aus diesen Ausführungen lässt sich ableiten, dass insbesondere in der Frühphase nach Trauma eine interdisziplinäre Versorgung mit dem Ziel der Blutungskontrolle erforderlich ist. Diese erfolgt insbesondere durch chirurgische oder interventionelle Maßnahmen, Substitution von Blutprodukten und durch eine gezielte, auf Algorithmen basierende Substitution von Gerinnungsfaktoren.

Sozioökonomische Aspekte

Auch aus sozioökonomischer Sicht ist eine adäquate Traumaversorgung von großer Relevanz, einerseits aufgrund der hohen Kosten der Akutbehandlung, andererseits wegen der hohen Folgekosten bedingt durch bleibende gesundheitliche Beeinträchtigungen (z. B. Arbeitsunfähigkeit, erforderliche Umschulungsmaßnahmen, Frühberentung). Rund ein Drittel aller Traumapatienten sind zum Zeitpunkt der Entlassung aus der stationären Behandlung gemessen am Glasgow Outcome Scale mäßig behindert bis nicht ansprechbar. Im Langzeitverlauf sind nach Daten der World Health Organization (WHO) etwa 12 % der gesundheitsbedingten Probleme traumaassoziiert.

Pathophysiologie des Traumas

In den letzten Jahren hat sich das Verständnis der pathophysiologischen Prozesse nach Polytrauma deutlich gewandelt. Generell werden nach Trauma eine Vielzahl komplexer Vorgänge mit dem Ziel der Wiederherstellung der Integrität und der immunologischen Homöostase in Gang gesetzt. Diese Reaktion des Körpers auf das Trauma wird unter dem Begriff der „host defense response“ subsummiert. Die Antwort umfasst komplexe neuroendokrine, metabolische und immunologische Vorgänge. Dabei laufen grundsätzlich pro- und anti-inflammatorische Reaktionen parallel ab:
  • „Systemic inflammatory response syndrome“ (SIRS) – pro-inflammatorisch
  • „Compensatory anti-inflammatory response syndrome“ (CARS) – anti-inflammatorisch
Sind diese Reaktionen im klinischen Verlauf im Einklang, wird der Zustand einer physiologischen Homoöstase erreicht (Abb. 1). Sollte allerdings die pro- oder anti-inflammatorische Reaktion überwiegen, kann es zur Entwicklung von Komplikationen (z. B. MODS) kommen (Abb. 2). Daher ist ein verbessertes Verständnis bezüglich der Pathophysiologie von SIRS und CARS für die Entwicklung neuer therapeutischer Ansätze, nicht nur im Rahmen des Schockraummanagements, sondern auch in der nachfolgenden intensivmedizinischen Behandlung polytraumatisierter Patienten essenziell.
Die pro- und anti-inflammatorische Reaktionen des SIRS und CARS können durch verschiedene Faktoren induziert und in ihrer Stärke beeinflusst werden (z. B. durch Trauma per se, Trauma-assoziierten Schock, therapeutische Maßnahmen). Basierend auf diesen Zusammenhängen wurden verschiedene Modelle zum Einfluss der posttraumatischen Immunantwort auf den klinischen Verlauf entwickelt.

„One-hit“-Modell

Unter dem so genannten ersten Hit versteht man das Trauma mit seinen unmittelbaren Folgeerscheinungen (v. a. Hypoxie, Azidose und Hypotonie). Hierdurch kommt es zu einer Vielzahl immunologischer Prozesse, wie der Freisetzung von pro-inflammatorischen Mediatoren (z. B. Zytokine) und der Aktivierung des Komplementsystems. Klinisch kann der Patient in dieser Phase die Symptome eines SIRS bieten, das vorliegt, wenn mindestens 2 der in Tab. 1 genannten Kriterien erfüllt sind.
Tab. 1
SIRS-Kriterien
Körpertemperatur >38 °C oder <36 °C
Tachykardie (Herzfrequenz >90/min)
Tachypnoe (Atemfrequenz >20/min) oder Hyperventilation (PaCO2 <4,3 kPa oder 33 mmHg)
Leukozytose (>12.000/mm3) oder Leukopenie (<4000/mm3) oder >10 % unreife neutrophile Granulozyten im Differenzialblutbild
Folge dieser pro-inflammatorisch geprägten Reaktion sind vor allem das Auftreten einer disseminierten intravasalen Gerinnung sowie eine Störung der Endothelbarriere durch Schädigung der Endothelzellen. Die Störung der Endothelfunktion wird unter dem Begriff des „capillary leak“ subsummiert. Am Ende dieser schwerwiegenden Veränderungen kann die Entwicklung eines MODS stehen. Zeitgleich wird im Rahmen kompensatorischer Vorgänge nach Trauma aber auch eine anti-inflammatorische Immunreaktion induziert, bei deren Überwiegen eine erhöhte Infektanfälligkeit entstehen kann.
Zusammenfassend basiert das „One-hit“-Modell somit auf der Annahme, dass die posttraumatische Immunantwort nahezu ausschließlich durch das initiale Trauma diktiert wird.

„Two-hit“-Modell

Analog zum „One-hit“-Modell berücksichtigt das „Two-hit“-Modell ebenfalls das initiale Trauma als so genannten „first hit“. Darüber hinaus werden endogene und exogene Faktoren im Rahmen der weiteren stationären Behandlung als repetitive sekundäre „hits“ in Betracht gezogen (Abb. 2).
Die sekundär schädigenden Ereignisse bedingen den Übergang einer initial milden immunologischen Reaktion in eine schwere Verlaufsform mit der potenziellen Entwicklung von Komplikationen (z. B. MODS). Die wesentlichen endogenen Faktoren („antigenic load“) im Sinne eines „second hit“ sind in Tab. 2 dargestellt.
Tab. 2
Endogene Faktoren im Sinne des „second hit
Endogen („antigenic load“)
Hypoxie, respiratorische Dysfunktion
• Kardiovaskuläre Dysfunktion
• Metabolische Dysfunktion des Säure-Basen-Haushalts (v. a. Azidose)
• Ischämie-Reperfusion
• Infektion
Die exogenen Faktoren („interventional load“) stehen im direkten Zusammenhang mit therapeutischen Maßnahmen, insbesondere mit chirurgischen Interventionen (Tab. 3).
Tab. 3
Exogene Faktoren im Sinne des „second hit
Exogen („interventional load“)
• Transfusionen
• Operationen
• Blutung, Koagulopathie

Trauma-induzierte Koagulopathie

Traditionell wurde die posttraumatische Gerinnungsstörung als sekundäres Phänomen aufgefasst, verursacht durch den massiven Verlust und kontinuierlichen Verbrauch von Gerinnungsfaktoren. Potenziert wird dieses Verlust- bzw. Verbrauchsproblem durch eine iatrogene Verdünnung im Rahmen der Volumentherapie sowie durch gerinnungshemmende Begleitumstände, wie Hypothermie und Azidose. Dieses Phänomen wurde häufig als „bloody vicious cycle“ beschrieben.
Basierend auf dem heutigen Verständnis der posttraumatischen Pathophysiologie reicht dieser Erklärungsansatz jedoch nicht aus, um die hochkomplexe, frühzeitig einsetzende Koagulopathie nach Trauma zufriedenstellend darzulegen. Die posttraumatische Gerinnungsstörung wird daher heutzutage auch als Trauma-induzierte Koagulopathie (TIC) bezeichnet. Hierbei handelt es sich um ein eigenständiges multifaktorielles Geschehen. Eine Hypothermie sowie die Verdünnung durch die Volumentherapie werden lediglich als verstärkende Faktoren angesehen.
Im Detail wird angenommen, dass die Gewebeschädigung und die zuvor beschriebene inflammatorische Reaktion nach Trauma zu einem deutlichen Anstieg der endothelialen Thrombomodulin-Produktion führt, wobei Thrombomodulin freies Thrombin (Faktor IIa) bindet. Der Thrombin-Thrombomodulin-Komplex wiederum aktiviert Protein C, das in seiner aktivierten Form (aPC) Faktor Va und Faktor VIIIa inhibiert. Zudem verringert aPC die Konzentration des endogenen Fibrinolysehemmers Plasminogenaktivator-Inhibitor 1 (PAI 1), der als Fibrinolyseinhibitor einen der wichtigsten Mediatoren für die Hemmung des gewebespezifischen Plasminogenaktivators (t-PA) darstellt. Aus all diesen Vorgängen resultiert eine Hyperfibrinolyse mit Verbrauch von Gerinnungsfaktoren. Auf der Grundlage der geschilderten pathophysiologischen Vorgänge wurde der Begriff „Sextet der posttraumatischen Koagulopathie“ geprägt (Abb. 3). Hierauf basierend wurde als therapeutische Maßnahme die Gabe von Tranexamsäure im Rahmen der präklinischen und klinischen Behandlung schwer verletzter Patienten implementiert.

Versorgung von Traumapatienten

Zur Aufrechterhaltung der Qualitätsstandards bei der Versorgung schwer verletzter Patienten wurden in Deutschland verschiedene Maßnahmen etabliert. Hierzu gehört beispielsweise die Einrichtung eines flächendeckenden Netzwerks von Traumazentren, die sich in Traumanetzwerken organisiert haben. Die Kliniken innerhalb dieser Traumanetzwerke werden nach der jeweiligen Versorgungsstufe in lokale, regionale und überregionale Traumazentren eingeteilt. Die jeweiligen Traumazentren unterliegen einer regelmäßigen unabhängigen Zertifizierung, in denen personelle und strukturelle Anforderungen zur Sicherstellung einer adäquaten Traumaversorgung überprüft werden.
Die Behandlung von Schwerverletzten innerhalb dieser Kliniken erfolgt anhand standardisierter Algorithmen basierend auf der aktuellen S3-Leitlinie „Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung“ und dem „Weißbuch Schwerverletztenversorgung“ der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU).
Ebenso wurden systematische Ansätze für die präklinische Therapie und die Schockraumbehandlung etabliert, die auf einem Prioritäten-orientierten Behandlungsalgorithmus basieren. Ziel ist es, potenziell lebensbedrohliche Verletzungen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, weiteren Schaden vom Patienten abzuwenden und damit die Mortalität des Schwerverletzten zu senken. Für den präklinischen Bereich kommt beispielsweise das Prehospital Trauma Life Support (PHTLS®) zur Anwendung, für die Schockraumbehandlung wird insbesondere das Konzept des Advanced Trauma Life Support (ATLS®) verwendet.

PHTLS® und ATLS®-Konzept

Diese Konzepte beruhen im Wesentlichen auf der systematischen Triage möglicher Probleme, die kurzfristig zu einer vitalen Bedrohung des schwer verletzten Patienten führen können. Im Wesentlichen sind dies Störungen, die zu einem Sauerstoffmangel führen, wie eine Verlegung der Atemwege, Oxygenierungs-, Ventilations- und Perfusionsstörungen sowie Blutungskomplikationen. Für eine systematische Behandlung wurde das so genannte cABCDE-Schema etabliert (Tab. 4).
Tab. 4
cABCDE-Schema gemäß ATLS®
c (critical bleeding)
Erkennung und Sofortmaßnahmen zur Kontrolle v. a. äußerer Blutungen (Tourniquet, Druckverband, Hämostyptika)
A (Airway)
Freimachen und Freihalten der Atemwege unter Berücksichtigung möglicher Verletzungen der Halswirbelsäule
B (Breathing)
Herstellung einer ausreichenden Ventilation und Oxygenierung
Wesentliche Krankheitsbilder:
- Apnoe oder Hypo-/Hyperventilation
- (Spannungs-)Pneumothorax
- Massiver Hämatothorax
C (Circulation)
Erkennung und Behandlung von Blutungen
Ausschluss einer Perikardtamponade
Kreislaufstabilisierung durch kalkulierte Volumentherapie
D (Disability)
Einschätzung des Ausmaßes von Hirn- und Rückenmarksschädigungen (v. a. hohe Querschnittssyndrome oder deutlich erhöhte Hirndrücke)
E (Exposure)
Reposition und Retention von Frakturen
Vermeidung und Behandlung einer Hypothermie
Im Rahmen des PHTLS®/ATLS®-Konzepts arbeitet der behandelnde Arzt die jeweiligen Punkte des cABCDE-Schemas ab. Sobald in einem Teilaspekt ein Problem erkannt wird, wird dieses primär behoben und das Schema erneut abgearbeitet. Ebenso wird das ABCDE-Schema bei einer etwaigen Änderung der Vitalfunktionen erneut durchlaufen.

Präklinische Versorgung

Golden period of shock

Bis Anfang des 21. Jahrhunderts bestand das Konzept der „golden hour of shock“, das die Notwendigkeit eines Beginnes der definitiven medizinischen Therapie binnen 60 min nach Trauma vorsah. Eine neuere Studie konnte zuletzt zeigen, dass, solange die präklinische Rettungszeit 3 Stunden nicht überschreitet, die Initialphase nach Trauma vielmehr als eine „golden period of shock“ zu verstehen ist (Kleber et al. 2013). Dies beeinflusst maßgeblich die rettungsdienstlichen Versorgungskonzepte von Traumapatienten. Galt zunächst noch das Konzept des „scoop and run“ als einzige Option der Traumaversorgung, in dessen Rahmen der Patient mehr oder minder unversorgt in ein Krankenhaus verbracht wird, hat sich heutzutage vielmehr ein Konzept des kalkulierten „work and go“ etabliert, bei dem am Unfallort die für das Überleben wichtigen Maßnahmen systematisch (z. B. nach dem PHTLS®-Konzept) durchgeführt und der Patient zeitnah in eine geeignete Zielklinik eingeliefert wird.

Volumentherapie

Ein wesentlicher Aspekt der prähospitalen Traumaversorgung ist die Volumentherapie primär mit kristalloiden Infusionslösungen. Die Gabe von Erythrozytenkonzentraten in der Präklinik wird hierzulande nicht praktiziert. Konsistent über die Jahre ist, dass etwa 85–90 % aller Patienten präklinisch Volumen bekommen. Deutlich divergent im Vergleich zum Beginn des 21. Jahrhunderts ist jedoch die substituierte Menge. Waren es zum Anfang des 21. Jahrhunderts noch durchschnittlich 2000 ml, so lag der Wert im Jahr 2017 bei nur noch etwa 650 ml. Die restriktivere präklinische Volumengabe erklärt sich aus der Assoziation der präklinisch applizierten Infusionsmenge mit dem Auftreten einer posttraumatischen Gerinnungsstörung (Hussmann et al. 2013).

Gerinnungstherapie

Aufgrund des tiefer gehenden pathophysiologischen Verständnisses der TIC wurde die Tranexamsäure als Antifibrinolytikum in das präklinische Traumamanagement implementiert, um die bereits nach wenigen Minuten auftretende Hyperfibrinolyse positiv zu beeinflussen. Die Studienlage hierzu ist allerdings komplex. Studien (z. B. CRASH-2-Studie) konnten eine Mortalitätsreduktion durch die Applikation von Tranexamsäure vor der Gabe von Blutprodukten nachweisen (Shakur et al. 2010). Kritisch diskutiert wird jedoch, ob dieser Effekt tatsächlich auf der antifibrinolytischen Wirkung beruht oder vielmehr auch Tranexamsäure-induzierte, immunmodulatorsiche Prozesse eine Rolle spielen können. Hier bedarf es weiterer, prospektiv-randomisierter Studien. Generell gilt heute aber, dass insbesondere bei Vorliegen einer akuten Blutung bzw. Annahme einer akuten Blutungssituation (inklusive des schweren SHT) Tranexamsäure bereits präklinisch appliziert werden sollte.

Schockraummanagement

Grundlage einer adäquaten Schockraumversorgung ist das Zusammenspiel von unterschiedlichen medizinischen Fachdisziplinen, Pflegekräften und dem Rettungsdienstpersonal. Die Versorgung des Schockraumpatienten beginnt bereits mit der korrekten Anmeldung des Patienten durch den Rettungsdienst. Nur so kann sichergestellt werden, dass auch alle notwendigen Fachdisziplinen im Schockraum vor Ort sind. Eine weitere Voraussetzung für einen reibungslosen Ablauf ist eine klare hierarchische Ordnung der anwesenden Beteiligten. Es ist zwingend notwendig, dass ein Mitglied des Schockraumteams als Teamleiter fungiert und somit die Mitglieder des Schockraumteams koordiniert und die entsprechende Priorisierung in der Versorgung der einzelnen Verletzungen vornimmt. Im Schockraum sollte eine systematische Versorgung des Patienten nach dem ABCDE-Schema, basierend auf dem ATLS®-Konzept, erfolgen. In jeder Klinik sollten Algorithmen für die Versorgung des Patienten im Allgemeinen (Basiskonzept Schockraummanagement, Phasenkonzept Minute 1–10 nach ATLS®-Kriterien) sowie auch für die Behandlung der einzelnen Organsysteme (Becken, Thorax, Abdomen, SHT, Gefäßverletzung etc.) vorgehalten werden. So ist eine standardisierte Versorgung des Traumapatienten gewährleistet.

Anmeldung Traumapatient

In jedem Traumazentrum sollte die Anmeldung von Traumapatienten über eine spezielle Telefonnummer beim Schockraumteamleiter erfolgen. Dieser erhebt per Telefon erste wichtige Informationen, die eine Beurteilung des Verletzungsmusters und der Vitalfunktionen ermöglichen sollen. Relevant sind hier vor allem:
  • Anmeldendes Rettungsmittel (RTW [Rettungswagen], NAW [Notarztwagen], RTH [Rettungshubschrauber])
  • Detaillierte Darstellung des Unfallmechanismus (z. B. Sturz aus wie viel Metern Höhe oder der Geschwindigkeitsunterschied bei Verkehrsunfall)
  • Kreislauf- und Ventilationssituation des Patienten (Katecholamintherapie, Beatmung, GCS [Glasgow Coma Scale])
  • Verletzungsmuster mit ggf. Bewertung der Verletzungsschwere
  • Ggf. Vorbereitung notwendiger Sofortmaßnahmen (Operationssets, ungekreuzte Blutkonserven)
  • Geschätzte Ankunftszeit
Dies ermöglicht dem Schockraumteamleiter entsprechend der klinischen Einschätzung und der hierauf abgestimmten Alarmpläne das Zusammenrufen des nötigen Schockraumteams. Hierbei ist es wichtig, dass alle wichtigen Fachdisziplinen bei Eintreffen des Patienten bereits im Schockraum vor Ort sind, um den Informationsverlust zwischen Rettungsdienstpersonal und dem Schockraumteam möglichst klein zu halten. Die einzelnen Fachabteilungen sollten sich bereits im Vorfeld über ihre Rolle im Schockraum im Klaren sein. Der Schockraumteamleiter befasst sich im Wesentlichen mit der Organisation des Schockraumteams. Anhand der im Rahmen des Schockraummanagements gewonnenen Erkenntnisse muss dieser im interdisziplinären Konsens auch die Versorgungsprioritäten festlegen. Der Anästhesie obliegt die Atemwegssicherung, die Anlage intravenöser Zugänge, die Fortführung bzw. Beginn einer Narkose, die Applikation von Katecholaminen sowie die Überwachung der Substitution von Gerinnungs- und Blutprodukten. Alle anderen Disziplinen führen Untersuchungen der einzelnen Organsysteme analog zu dem entsprechenden Fachbereich durch und koppeln die gewonnenen Erkenntnisse an den Schockraumteamleiter zurück, sodass dieser das weitere Vorgehen planen kann.
Die Pflegekräfte haben ebenfalls zentrale Aufgaben. Hierzu gehören zum einen das Entkleiden und der anschließende Wärmeerhalt des Patienten, zum anderen organisatorische Aufgaben (Organisation von Blutprodukten, Aufziehen von Medikamenten, Impfungen etc.).
Auch das radiologische Personal muss bereits initial zur Durchführung eines Ganzkörper-CT, ggf. ergänzt durch konventionelle Bildgebung im Schockraum anwesend sein. Ebenso wichtig ist auch die Information des OP-Personals, damit ggf. die zügige operative Versorgung im Anschluss an die Schockraumversorgung erfolgen kann.

Übergabe im Schockraum

Es hat sich bewährt, dass jedes Mitglied des Schockraumteams bereits vor Eintreffen des Patienten im Schockraum einen zuvor festgelegten Platz einnimmt. Darüber hinaus ist es von essenzieller Bedeutung, dass bei der Übergabe im Schockraum alle Beteiligten maximal fokussiert sind und nur der Schockraumteamleiter in der Anfangsphase mit dem Rettungsteam kommuniziert. Nur so ist ein möglichst geringer Informationsverlust zu gewährleisten. Hierbei sollte die Übergabe durch das Rettungsteam wie folgt strukturiert sein:
  • Patientenalter
  • Unfallmechanismus
  • Ergebnisse des cABCDE-Schema plus primärer Glasgow Coma Scale (GCS)
  • Verletzungsmuster
  • Präklinisch durchgeführte Therapiemaßnahmen
  • Sonstige wichtige Informationen
Erst im Anschluss an die Übergabe erfolgt das Umlagern des Patienten auf die Schockraumtrage. Danach beginnt die Beurteilung des Patienten nach dem cABCDE-Schema. Bezogen auf die radiologische Diagnostik wird durch die S3-Leitlinie „Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung“ die zeitnahe Durchführung eines Ganzkörper-CT empfohlen. Insbesondere in Kliniken, die noch kein CT im oder in unmittelbarer Nähe des Schockraums haben, kann parallel zur Patientenuntersuchung nach dem cABCDE-Schema eine konventionelle Röntgendiagnostik erfolgen (v. a. Thorax a.p., Becken a.p.). Sollten bei einem der ABCDE-Parameter Auffälligkeiten vorliegen, werden diese analog des ATLS®-Konzepts direkt behoben (z. B. Intubation bzw. Umintubation, Koniotomie, Thoraxdrainage, Beckengurt, Laparatomie bzw. Thorakotomie). Im Anschluss an die Diagnosesicherung wird im Konsens der Abteilungen unter Führung des Schockraumteamleiters das weitere Vorgehen festgelegt. Hier ist insbesondere die Entscheidung zwischen „Damage Control Orthopaedics/surgery“ und dem Konzept des „early total care“ entscheidend. Sobald die ersten Laborergebnisse sowie die Ergebnisse der „Point-of-care“-Gerinnungsdiagnostik vorliegen, sollten diese in die Entscheidungsfindung einfließen und entsprechend Störungen therapiert werden.

Radiologische Diagnostik

Bei jedem Patienten sollte so bald wie möglich nach Eintreffen im Rahmen des ATLS®-Konzepts ein eFAST („extended Focused Assessment with Sonography for Trauma“) durchgeführt und die entsprechende Probleme nach dem cABCDE-Schema adressiert werden. Der diagnostische Goldstandard beim Polytrauma ist die Ganzkörper-CT-Untersuchung. Diese wurde Anfang des 21. Jahrhunderts etabliert und steht mittlerweile nahezu flächendeckend zur Verfügung. Bezüglich der räumlichen Lokalisation des CT existieren weiterhin unterschiedliche baulich bedingte Situationen. Die zeitgemäße Lösung ist, dass sich das CT im oder in unmittelbarer Nähe des Schockraums befindet. Dies wird auch in der S3- Leitlinie „Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung“ empfohlen. Studien konnten zeigen, dass so die Zeit bis zur Durchführung der Ganzkörper-CT um 10–13 min gesenkt werden kann, eine Verbesserung des Outcome konnte jedoch nicht nachgewiesen werden (Saltzherr et al. 2012). In vielen Krankenhäusern sind jedoch weiterhin das CT und der Schockraum noch örtlich voneinander getrennt. Voraussetzung für ein adäquates Management der Patienten ist in diesen Fällen eine gute infrastrukturelle Anbindung des Schockraums an das CT, sodass dieses möglichst zeitnah nach Aufnahme des Patienten angefertigt werden kann. Häufigster Kritikpunkt der Ganzkörper-CT-Untersuchung ist die vergleichsweise hohe Strahlenbelastung. In einer Studie konnten Brenner und Kollegen zeigen, dass die strahlungsinduzierte Mortalität bei etwa 1:1250 liegt (Brenner und Elliston 2004). In derselben Studie konnte auch nachgewiesen werden, dass bei Kindern durch eine Ganzkörper-CT-Untersuchung ein etwa 10-fach erhöhtes Risiko für ein strahlungsinduziertes Malignom vorliegt. Diesem vergleichsweise hohen Risiko steht eine relative Reduktion der Mortalität des Polytraumapatienten durch das Ganzkörper-CT gegenüber. Die Gruppe um Huber-Wagner konnte bereits 2009 zeigen, dass diese relative Reduktion der Mortalität bei 13–25 % liegt (Huber-Wagner et al. 2009). Dies konnte durch weitere Studien untermauert werden, sodass diese Untersuchungsmethode heute als Goldstandard gilt (Kloth et al. 2011).

Blutung und hämorrhagischer Schock

Der hämorrhagische Schock gehört zu den wesentlichen Komplikationen im Schockraum und ist einer der Hauptgründe für das Versterben in der Frühphase der Behandlung. Der Schock ist gekennzeichnet durch ein generalisiertes Versagen des kardiozirkulatorischen Systems mit regionalem oder globalem Missverhältnis zwischen Sauerstoffangebot und Sauerstoffbedarf.
Für die Versorgung des Traumapatienten ist insbesondere der hämorrhagische Schock von Bedeutung. Für die umgehende Einleitung adäquater therapeutischer Maßnahmen ist zunächst die schnelle Detektion entsprechender klinischer Symptome und die richtige Einschätzung dieser im Kontext der jeweiligen Situation unabdingbar. Klinische Symptome eines Schocks bzw. eines drohenden Schocks können vielfältig (z. B. Unruhe, Blässe, Hypotonie, Tachykardie, relative Bradykardie) sein und darüber hinaus durch patientenspezifische Faktoren beeinflusst werden (z. B. Therapie mit Betablockern, Diabetes, Schwangerschaft). Zur Vereinfachung der Diagnostik wurde aus den klinischen Parametern ein Wert abgeleitet, der das Erkennen eines Schockzustands vereinfachen soll. So wurde der Schockindex etabliert, der das Verhältnis aus Pulsfrequenz zu systolischem Blutdruck beschreibt. Für die Interpretation sind folgenden Grenzwerte definiert worden:
  • <1: physiologisch
  • 1: drohender Schock
  • >1: manifester Schock
Problematisch bei Verwendung des Schockindex sind vor allem die Detektion einer relativen Bradykardie mit falsch negativer Interpretation und die ggf. erst spät auftretende Hypotonie, die durch eine laufende Katecholamintherapie maskiert werden kann. Als prognostisch günstigere Parameter für die Einschätzung des initialen Schockgeschehens, aber auch zur Verlaufsbeurteilung bzgl. des Therapieerfolgs, haben sich in Registerauswertungen der „base excess“, der pH-Wert und die Laktat-Konzentration bei Aufnahme erwiesen.
Generell gilt ein standardisiertes Vorgehen zur frühzeitigen Detektion eines Schockgeschehens mit Verdacht auf eine zugrunde liegende Hämorrhagie bzw. Hypovolämie als unabdingbar:
  • Diagnostik einer Blutung durch klinische Inspektion, eFAST und/oder radiologische Diagnostik und sofortige Therapie (Laparotomie, Thorakotomie, Beckengurt/-zwinge, Tourniquet etc.)
  • Gerinnungsdiagnostik: konventionell und „point of care“ mittels Thrombelastografie/Thrombelastometrie
Point-of-care-Gerinnungsdiagnostik
Aufgrund des hohen Zeitaufwands der konventionellen Gerinnungsdiagnostik hat sich zunehmend der Einsatz von „Point-of-care“-Diagnostiksystemen bereits im Schockraum durchgesetzt. Prinzipiell stehen hier 2 Verfahren zur Verfügung. Zum einen die Thrombelastografie (TEG), zum anderen die Thrombelastometrie (ROTEM), wobei beide Verfahren in ihren Eigenschaften hinsichtlich diagnostischer Aussagekraft und Zeitaufwand vergleichbar sind. Neben dem zeitlichen Vorteil mit Ergebnissen innerhalb von wenigen Minuten ermöglichen diese viskoelastischen Verfahren auch eine Aussage über die Gerinnselqualität im Hinblick auf Festigkeit und Auflösung des Blutgerinnsels. Darüber hinaus ist insbesondere bei Patienten mit unphysiologischer Körpertemperatur eine bessere Abschätzung der tatsächlichen Gerinnungssituation möglich, wohingegen im Rahmen der konventionellen Gerinnungsdiagnostik artifizielle Messbedingungen bei 37 °C in gepufferter Zitratlösung vorliegen (Abb. 4).
Studien insbesondere für den Einsatz der „Point-of-care“-Diagnostik im perioperativen Rahmen konnten einen geringeren Transfusionsbedarf und eine gezieltere Gerinnungstherapie nachweisen. So konnten Görlinger et al. 2012 zeigen, dass bei Einsatz einer „Point-of-care“-Diagnostik insgesamt bis zu 90 % weniger FFP („fresh frozen plasma“, gefrorenes Frischplasma) und bis zu 60 % weniger Erythrozytenkonzentrate transfundiert werden mussten (Görlinger et al. 2012). Studienergebnisse für den Einsatz im Schockraum zeigten ebenfalls einen Vorteil bezüglich der Möglichkeit einer frühzeitigen und zielgerichteten Gerinnungstherapie (Schöchl et al. 2009).
Gerinnungsmanagement
Das Gerinnungsmanagement setzt sich aus einem stufenweisen Konzept zusammen (Abb. 5). Hierbei ist es essenziell, dass die verschiedenen Maßnahmen ineinandergreifen und parallel ablaufen.
An der Basis dieser therapeutischen Pyramide steht die chirurgische Blutungskontrolle (Beckenschlinge, Fixateur externe, Beckenzwinge etc.). Gleichzeitig sollte bei unkontrollierbaren Blutungen, solange kein höhergradiges SHT oder ein Wirbelsäulentrauma mit Neurologie vorliegt, das Konzept der permissiven Hypotonie etabliert werden. Dieses beinhaltet das Anheben des systolischen Blutdrucks auf einen Maximalwert von 90 mmHg bzw. einen mittleren arteriellen Druck von 65 mmHg. Auf diese Weise werden zum einen der Blutverlust reduziert, zum anderen kann restriktiver bezüglich der Volumensubstitution vorgegangen werden, wodurch zusätzliche Dilutionseffekte vermieden werden. Das Konzept der permissiven Hypotonie wird umgehend beendet, sobald eine Blutungskontrolle erreicht worden ist.
Parallel sollten Begleitfaktoren adressiert werden, die den Prozess vor allem der plasmatischen Gerinnung zusätzlich verschlechtern. Hierzu zählen im Wesentlichen der Ausgleich bzw. das Vermeiden von Azidose, Hypothermie und Hypokalzämie.
Trotz aller Maßnahmen einer gezielten Gerinnungstherapie spielt die Substitution von Blutprodukten (Thrombozytenkonzentrate, Erythrozytenkonzentrate, gefrorenes Frischplasma) weiterhin eine wesentliche Rolle. Wichtig ist hier ebenfalls ein frühzeitiger Beginn. Empfehlungen bezüglich der Substitution von Blutprodukten sind in Tab. 5 dargestellt. Die aktuellen Leitlinien bezüglich der Transfusion von Erythrozytenkonzentraten und gefrorenem Frischplasma empfehlen zumindest für Europa ein Transfusionsverhältnis von 1:1.
Tab. 5
Transfusionsempfehlungen beim Polytrauma
Blutprodukt
Empfehlung
Thrombozytenkonzentrate
>50.000/μl bei TIC
>100.000/μl bei schwerem SHT oder massiver Blutung
Gefrorenes Frischplasma
20 ml/kg KG bei aktiver Blutung
Erythrozytenkonzentrate
Hämoglobinwert >10 g/dL, Hämatokrit 30 %
KG, Körpergewicht; SHT, Schädel-Hirn-Trauma; TIC, Trauma-induzierte Koagulopathie
Neben Blutprodukten spielt auch die Gabe von gerinnungsaktivierenden Substanzen eine Rolle. Im Wesentlichen kommt hier die Tranexamsäure als Antifibrinolytikum zum Einsatz. Es sollten bei akuten Blutungen 2 g Tranexamsäure vor weiterer Gerinnungstherapie appliziert werden, um die häufig bestehende Hyperfibrinolyse abzufangen.
Deutlich unterhalb der Tranexamsäure angesiedelt ist die Empfehlung zur Gabe von Desmopressin. Das Vasopressin-Analogon stimuliert die endotheliale Liberation von von-Willebrand-Faktor und Faktor VIII. Appliziert werden sollten 0,3 μg/kg Körpergewicht (KG) über 30 min.
Eine Therapie mit Antithrombin III, das über die Hemmung von Thrombin antikoagulatorische Effekte besitzt, wird aktuell nicht empfohlen.
Von zentraler Bedeutung im Rahmen des Gerinnungsmanagements ist heutzutage die Substitution von einzelnen Gerinnungsfaktoren. Der höchste Empfehlungsgrad besteht in diesem Zusammenhang für Fibrinogen (Faktor I). Es sollte in jedem Fall bei aktiven Blutungen und einem Fibrinogen-Level <1,5 g/l appliziert werden. Die Dosis sollte zwischen 2–4 g (entsprechend 30–60 mg/kg KG) betragen.
PPSB (Faktor II, VII, IX, X) dient als Antagonist von oralen Antikoagulanzien. Es sollten bei persistierender TIC oder nach Quick-Wert 1000–2500 I.E. (20–25 I.E./kg KG) appliziert werden. Die Gabe von Fibrogammin® (Faktor XIII) wird ebenfalls bei persistierender TIC empfohlen, ggf. auch ex juvantibus. Die Dosis sollte bei 15–20 I.E./kg KG liegen. Novo Seven® (rekombinanter Faktor VIIa) kann im Sinne eines „off label use“ als Ultima Ratio bei TIC gegeben werden, um optimale Begleitfaktoren für eine suffiziente Gerinnung zu schaffen. Die Dosis beträgt 90 μg/kg KG. Klinikintern sollten standardisierte Verfahrensanweisungen für das Gerinnungsmanagement im Sinne der „damage control resuscitation“ etabliert werden.

Damage control orthopaedics (DCO)

Bezüglich der chirurgischen Versorgung muskuloskelettaler Verletzungen beim Polytrauma sollte im Sinne des „Two-hit“-Modells die eigenständige Systembelastung des operativen Eingriffs Berücksichtigung finden. Zur Vermeidung eines relevanten „second hit“ mit Entwicklung von posttraumatischen Komplikationen sollte in der Frühphase nach einem Trauma das Ausmaß der chirurgischen Maßnahmen an den physiologischen Status des Patienten angepasst werden.
Im Gegensatz zum Konzept der frühen chirurgischen Ausversorgung des Patienten („early total care“, ETC) mit dem Ziel der primär definitiven Frakturreposition und -retention beinhaltet das „Damage-control-orthopaedics“-Konzept (DCO) eine primär möglichst kurze Operationszeit zugunsten eines reduzierten Gewebeschadens. Das DCO-Konzept wurde zu Beginn der 1990er-Jahre eingeführt und beinhaltet initial die temporäre Stabilisierung von Extremitätenfrakturen (v. a. Femurschaftfrakturen) mittels Fixateur externe. Nach intensivmedizinischer Stabilisierung des Patienten erfolgt sekundär die definitive Frakturversorgung.
Es kann als anerkannt gelten, dass der stabile Patient vom ETC profitiert, wohingegen der instabile Patient nach dem DCO-Konzept behandelt werden sollte. Für Patienten in einem unklaren Gesamtzustand („borderline patient“) ist die beste Versorgungsstrategie Gegenstand kontroverser Diskussionen. Verschiedene Arbeitsgruppen haben für die Identifizierung dieser Gruppe von Patienten in einem unklaren Gesamtzustand Kriterien entwickelt.
2009 definierte die Arbeitsgruppe um Bouillon die „rule of six“ (Bouillon et al. 2009). Diese definiert 6 Kriterien, wobei bereits bei Vorliegen eines der Kriterien eine DCO zu erwägen ist:
  • Hämoglobin <6 g/dl
  • Quick-Wert <60 %
  • Base excess <−6 mmol/l
  • Thrombozyten <60.000/μl
  • Alter >60 Jahre
  • Zeit bis zur Operation >6 Stunden
Pape et al. empfahlen, beim Vorliegen von mindestens 2 der folgenden Kriterien überwiegend das DCO-Konzept primär in Erwägung zu ziehen (Pape et al. 2002):
  • ISS >40
  • Hypothermie (Körperkerntemperatur <35 °C)
  • ISS >20 mit begleitendem Thoraxtrauma (AIS >2)
  • ISS >20 mit begleitendem Abdominal- oder Beckentrauma (AIS >2) oder hämorrhagischem Schock (RRsystolisch <90 mmHg)
  • Bipulmonale Lungenkontusionen
  • Pulmonalarteriendruck >24 mmHg
  • Anstieg des Pulmonalarteriendrucks >6 mmHg während Femurmarknagelung
Aktuelle Publikationen belegen, dass die chirurgische Strategie nicht starr in ETC oder DCO festgelegt werden sollte. Vielmehr kann die Versorgungsstrategie stetig und dynamisch an den aktuellen Gesamtzustand des Patienten angepasst werden. Um diesem Vorgehen Rechnung zu tragen, wurde das „Safe-definitive-surgery“-(SDS-)Konzept entwickelt, das eine dynamische Kombination der Versorgungsstrategien ETC und DCO beinhaltet (Pfeifer und Pape 2016). So wird der Patient im Rahmen des SDS-Konzepts regelmäßig reevaluiert und die gewählte chirurgische Strategie dementsprechend angepasst. Somit lassen sich die Vorteile von DCO und ETC kombinieren und sich dadurch womöglich eine „sichere definitive Versorgung“ (SDS) des schwer verletzten Patienten gewährleisten.
Literatur
Baker SP, O’Neill B, Haddon W et al (1974) The injury severity score: a method for describing patients with multiple injuries and evaluating emergency care. J Trauma 14:187–196CrossRef
Bouillon B, Rixen D, Maegele M et al (2009) Damage control orthopaedics. What is the current situation? Unfallchirurg 112:860–869CrossRef
Brenner DJ, Elliston CD (2004) Estimated radiation risks potentially associated with full-body CT screening. Radiology 232:735–738CrossRef
Görlinger K, Fries D, Dirkmann D et al (2012) Reduction of fresh frozen plasma requirements by perioperative point-of-care coagulation management with early calculated goal-directed therapy. Transfus Med Hemother 39:104–113CrossRef
Haas NP, von Fournier C, Tempka A et al (1997) Trauma center 2000. How many and which trauma centers does Europe need around the year 2000? Unfallchirurg 100:852–858
Huber-Wagner S, Lefering R, Qvick LM et al (2009) Effect of whole-body CT during trauma resuscitation on survival: a retrospective, multicenter study. Lancet 373:1455–1461CrossRef
Hussmann B, Lefering R, Waydhas C et al (2013) Does increased prehospital replacement volume lead to a poor clinical course and an increased mortality? A matched-pair analysis of 1896 patients of the Trauma Registry of the German Society for Trauma Surgery who were managed by an emergency doctor at the accident site. Injury 44:611–617CrossRef
Kleber C, Lefering R, Kleber AJ et al (2013) Rescue time and survival of severely injured patients in Germany. Unfallchirurg 116:345–350
Kloth JK, Kauczor HU, Hosch W (2011) Imaging in the emergency room. Med Klin Intensivmed Notfallmed 106:82–88CrossRef
Kühne CA, Ruchholtz S, Buschmann C et al (2006) Trauma centers in Germany. Status report. Unfallchirurg 109:357–366CrossRef
Liener UC, Rapp U, Lampl L et al (2004) Incidence of severe injuries. Results of a population-based analysis. Unfallchirurg 107:483–490
Pape HC, Hildebrand F, Pertschy S et al (2002) Changes in the management of femoral shaft fractures in polytrauma patients: from early total care to damage control orthopedic surgery. J Trauma 53:452–461CrossRef
Pape HC, Lefering R, Butcher N et al (2014) The definition of polytrauma revisited: an international consensus process and proposal of the new ‚Berlin definition‘. J Trauma Acute Care Surg 77(5):780–786CrossRef
Pfeifer R, Pape HC (2016) Diagnostics and treatment strategies for multiple trauma patients. Chirurg 87:165–175CrossRef
Saltzherr TP, Bakker FC, Beenen LF et al (2012) Randomized clinical trial comparing the effect of computed tomography in the trauma room versus the radiology department on injury outcomes. Br J Surg 99:105–113CrossRef
Schöchl H, Frietsch T, Pavelka M et al (2009) Hyperfibtrinolysis after major trauma: differential diagnosis of lysis patterns and prognostic value of thrombelastometry. J Trauma 67:125–131CrossRef
Shakur H, Roberts I, Bautista R et al (2010) Effects of tranexamic acid on death, vascular occlusive events, and blood transfusion in trauma patients with significant haemorrhage (CRASH-2): a randomized, placebo-controlled trial. Lancet 376:23–32