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Orthopädie und Unfallchirurgie
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Publiziert am: 05.11.2019

Morbus Thiemann

Verfasst von: Christoph Lutter
Der Morbus Thiemann beschreibt die aseptische Osteonekrose der Phalanxbasen der Finger oder Großzehen. Während einige Studien von einer autosomal dominanten Erkrankung mit einer Gleichverteilung unter den Geschlechtern ausgehen, wird von anderen ein sporadisches Auftreten mit einem gehäuften Auftreten beim männlichen Geschlecht postuliert. Ein beidseitiger Befall ist in der Literatur beschrieben, genaue Zahlen zur Häufigkeit sind jedoch auch hierzu nicht verfügbar. Häufig werden Jugendliche mit noch nicht verschlossenen Wachstumsfugen (ca. 8.–18. Lebensjahr) als Risikogruppe erwähnt. Der genaue Entstehungsmechanismus konnte hierbei bisher nicht vollumfänglich geklärt werden; möglich ist neben Störungen im Bereich der Ossifikationszentren (Osteochondrose) auch eine juvenile Form der Osteonekrose. Die stressbedingte Epiphysenfraktur sollte stets als Differenzialdiagnose in Betracht gezogen werden. Weitere Differenzialdiagnosen sind die rheumatoide Arthritis, die Osteoarthrose, septische Knochennekrose sowie metabolische oder endokrine Krankheitsbilder.

Definition

Der Morbus Thiemann (engl. „Thiemann’s disease“) beschreibt die aseptische Osteonekrose der Phalanxbasen der Finger oder Großzehen, die 1909 von H. Thiemann erstbeschrieben wurde (Abb. 1) (Gewanter und Baum 1985; Seckin et al. 1999; Schantz und Rasmussen 1986; Grifka und Kuster 2011; Thiemann 1909).
Aufgrund des seltenen Auftretens ist die Datenlage bis dato mäßig (Gewanter und Baum 1985; Seckin et al. 1999; Schantz und Rasmussen 1986; Thiemann 1909; Mangat und Jawad 2005). Während einige Studien von einer autosomal dominanten Erkrankung mit einer Gleichverteilung unter den Geschlechtern ausgehen (Allison und Blumberg 1970), wird von anderen ein sporadisches Auftreten mit einem gehäuften Auftreten beim männlichen Geschlecht postuliert (Mangat und Jawad 2005; Melo-Gomes et al. 1981; Radtke et al. 2013).
Ein beidseitiger Befall ist in der Literatur beschrieben, genaue Zahlen zur Häufigkeit sind jedoch auch hierzu nicht verfügbar (Mangat und Jawad 2005). Häufig werden Jugendliche mit noch nicht verschlossenen Wachstumsfugen (ca. 8.–18. Lebensjahr) als Risikogruppe erwähnt. Der genaue Entstehungsmechanismus konnte hierbei bisher nicht vollumfänglich geklärt werden; möglich ist neben Störungen im Bereich der Ossifikationszentren (Osteochondrose) auch eine juvenile Form der Osteonekrose. Die stressbedingte Epiphysenfraktur sollte stets als Differenzialdiagnose in Betracht gezogen werden (Radtke et al. 2013; Schmitt und Lanz 2014; Hochholzer und Schoffl 2005). Weitere Differenzialdiagnosen sind die rheumatoide Arthritis, die Osteoarthrose, septische Knochennekrose sowie metabolische oder endokrine Krankheitsbilder (Mangat und Jawad 2005).

Entwicklung der Hand

Zum Zeitpunkt der Geburt sind Metacarpalia und Phalangen bereits knorpelig angelegt, im Bereich der Handwurzel sind in der Regel zunächst die Kerne des Os capitatum sowie des Os hamatum erkennbar. Im Alter von 10 Monaten bis zum zweiten Lebensjahr entwickeln sich schließlich die epiphysealen Ossifikationszentren der Metacarpalia sowie der Phalangen. Charakteristischerweise entwickeln sich die epiphysealen Ossifikationszentren wie folgt:
1.)
Epiphysen der proximalen Phalangen
 
2.)
Epiphysen der Metacarpalia
 
3.)
Epiphysen der Mittelphalangen
 
4.)
Epiphysen der distalen Phalangen
 
In den meisten Fällen beginnt diese Entwicklung zunächst im Mittelfinger und zuletzt im Kleinfinger. Im dritten bis neunten Lebensjahr gleichen sich die transversalen Diameter von Epiphyse und Metaphyse in der Regel an. Im Alter von 14–16 Jahren kommt es schließlich zu einer Fusion der Wachstumsfugen, die meist in folgender Reihenfolge abläuft (Gilsanz und Ratib 2005):
1.)
Distale Phalangen
 
2.)
Metacarpalia
 
3.)
Proximale Phalangen
 
4.)
Mittelphalangen
 

Ätiopathogenese

Die aseptische Nekrose der Phalanxbasen der Finger oder Großzehen entsteht überwiegend spontan; genaue ätiologische Hintergründe sind nach wie vor größtenteils ungewiss. Histologische Untersuchungen zeigten jedoch im Gegensatz zu anderen aseptischen Osteochondrosen/-nekrosen am Handskelett einen normalen Gefäßstatus sowie keinerlei Entzündungsreaktionen (Mangat und Jawad 2005). Eine traumatische bzw. stressbedingte Frakturentstehung mit resultierender Osteonekroseentwicklung ist oftmals wahrscheinlich (Mangat und Jawad 2005; Radtke et al. 2013; Hochholzer und Schoffl 2005).

Klinik

Klinisch imponieren schmerzarme Schwellungen im PIP-Gelenk (oder DIP-Gelenk) eines Fingers oder dem Großzehengrundgelenk – meist ohne erinnerliches Trauma (Seckin et al. 1999; Schantz und Rasmussen 1986; Mangat und Jawad 2005; Radtke et al. 2013). Damit einhergehend finden sich teilweise Bewegungseinschränkungen im betroffenen Gelenk sowie Druckschmerzhaftigkeit (Gewanter und Baum 1985). Ein Kraftverlust tritt in der Regel nicht auf (Mangat und Jawad 2005). In chronischen Fällen mit dauerhafter Schädigung der Wachstumsfuge bzw. der Gelenkfläche können mitunter Deformitäten im Sinne von Achsabweichungen oder Verkürzungen erkannt werden (Gewanter und Baum 1985; Mangat und Jawad 2005).

Diagnostik

Die Routinelabordiagnostik sowie spezifischere serologische Untersuchungen (Rheumaserologie etc.) erbringen in der Regel keine Auffälligkeiten (Mangat und Jawad 2005). In den meisten Fällen stützt sich somit die Diagnosefindung auf die bildgebenden Verfahren.
Röntgenologisch fällt eine Abflachung sowie Verbreiterung bzw. Verdickung der Epiphyse oftmals in Kombination mit Fragmentierungen dieser auf (epiphysäre Inhomogenität). In fortgeschrittenen Stadien treten Gelenkspaltverschmälerungen sowie weitere osteoarthrotische Erscheinungen hinzu (Abb. 1) (Mangat und Jawad 2005).
Auch die Sonographie nimmt mittlerweile bei knöchernen Verletzungen bzw. Schäden im Bereich der Finger eine wichtige Rolle ein; dank hochfrequenter/hochauflösender Ultraschalltechnik können heutzutage Frakturen im Bereich der Wachstumsfugen dargestellt und insbesondere Verlaufskontrollen durchgeführt werden (Lutter et al. 2017).
In fraglichen Fällen sollte großzügig eine MRT-Diagnostik erfolgen. Diese kann dazu beitragen, akut entzündliche Areale darzustellen bzw. auszuschließen und vitale von avitalen Knochenarealen zu differenzieren, was hinsichtlich der Prognose der Erkrankung einen erheblichen Stellenwert hat. Zudem ist die Dünnschicht-Computertomographie dienlich, um Frakturierungen, auch im Submillimeterbereich auf trabekulärer Ebene, und Epiphysensklerosierungen mit ausreichend hoher Präzision darstellen zu können.

Therapie

Therapie der ersten Wahl ist die konservative Therapie, da die Erkrankung in den meisten Fällen einen selbstlimitierenden und meist erfreulichen Verlauf aufweist. Es empfiehlt sich eine stadienabhängige initiale Ruhigstellung für ca. 4–8 Wochen in Funktionsstellung bei freier passiver Mobilisierung der entsprechenden Finger in Kombination mit analgetisch-antiphlogistischen Maßnahmen. Unter dieser konservativen Therapie zeigt sich in den meisten Fällen ein vollständiger Rückgang der Beschwerdesymptomatik (Grifka und Kuster 2011; Mangat und Jawad 2005).
Selbst bei radiologisch weiterhin nachweisbaren Gelenkveränderungen sind viele Patienten unter einer anschließenden funktionellen Therapie weitgehend beschwerdefrei. Therapierefraktäre Fälle bedürfen einer operativen Maßnahme. Größere Studien hierzu liegen nicht vor, und so ist das operative Management nach wie vor stark einzelfallabhängig. Mögliche Verfahren sind die perkutane Kirschner-Draht-Anbohrung (Stimulierung der Heilung durch Einblutung) (El-Sheikh et al. 2018) sowie die Arthrodese bzw. der Gelenkersatz im weiteren Verlauf (Schantz und Rasmussen 1986; Mangat und Jawad 2005; Melo-Gomes et al. 1981).
Literatur
Allison AC, Blumberg BS (1970) Familial osteoarthropathy. J Bone Joint Surg Br 52:532–534
El-Sheikh Y et al (2018) Surgical management of proximal interphalangeal joint repetitive stress epiphyseal fracture nonunion in elite sport climbers. J Hand Surg Am 43(6):572.e1–572.e5CrossRef
Gewanter H, Baum J (1985) Thiemann’s disease. J Rheumatol 12(1):150–153PubMed
Gilsanz V, Ratib O (2005) Hand bone age. Springer, Berlin/Heidelberg
Grifka J, Kuster M (2011) Orthopädie und Unfallchirurgie. Springer, BerlinCrossRef
Hochholzer T, Schoffl VR (2005) Epiphyseal fractures of the finger middle joints in young sport climbers. Wilderness Environ Med 16(3):139–142CrossRef
Lutter C, Hotfiel T, Schoeffl V (2017) Bouldering, lead and speed – journey to Olympia. In: Faulhaber M Schobersberger W, Schobersberger, Sumann G, Domej W (Hrsg) Jahrbuch 2017. Österreichische Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin. Ausgabe 28. Athesia-Tyrolia Druck GmbH, Innsbruck. ISBN: 978-3-200-05468-4
Mangat P, Jawad A (2005) Case number 32: Thiemann’s disease. Ann Rheum Dis 64:11–12CrossRef
Melo-Gomes JA, Melo-Gomes E, Viana-Queiros M (1981) Thiemann’s disease. J Rheumatol 8(3):462–467PubMed
Radtke C, Steiert A, Vogt P (2013) Morbus Thiemann oder doch epiphyseale PIP Gelenksfrakturen an D3 in jungen Sportkletterern? Ein Case Report von eineiigen Zwillingen. Deutsche Gesellschaft für Handchirurgie. 54. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Handchirurgie. Düsseldorf, 10.–12.10.2013. German Medical Science GMS Publishing House, Düsseldorf. https://​www.​egms.​de/​static/​de/​meetings/​dgh2013/​13dgh36.​shtml
Schantz K, Rasmussen F (1986) Thiemann’s finger or toe disease. Follow-up of seven cases. Acta Orthop Scand 57(1):91–93CrossRef
Schmitt R, Lanz U (2014) Bildgebende Diagnostik der Hand. Thieme, New York
Seckin U et al (1999) Thiemann’s disease: a case report. Rheumatol Int 18(4):157–158CrossRef
Thiemann H (1909) Juvenile epiphysenstörungen (Juvenile epiphyseal disturbance). Fortschr Geb Roentgenstr Nuklearmed 14:79–87