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Orthopädie und Unfallchirurgie
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Publiziert am: 06.11.2019

Morbus van Neck-Odelberg

Verfasst von: Andreas Jendrissek
Die Synchondrosis ischiopubica wird zu den Osteochondrosen gezählt und heute als schmerzhafte Wachstumsstörung im Bereich der ischiopubischen Synchondrose verstanden. Bedeutung erlangt die Erkrankung durch ihre Differenzialdiagnose. Die ischiopubische Synchondrose verknöchert im Alter zwischen dem 4.–12. Lebensjahr mit einer erheblichen morphologischen Vielfalt. Bei Beschwerdesymptomatik ist eine Röntgenuntersuchung des Beckens erforderlich. Bei weiter unklarer Diagnose ist eine MRT-Untersuchung indiziert. Andere Hüftgelenkerkrankungen im Kindesalter, Stressfrakturen, Leistenhernien und die sogenannte weiche Leiste des sportlichen Kindes müssen ausgeschlossen werden. Empfehlungen zur symptomatischen Therapie mit bedarfsweise NSAR, Zurückhaltung bei Sport und Freizeitaktivitäten sind indiziert. Die Erkrankung ist gutartig und die Symptome bessern sich unter Schonung rasch innerhalb von 1–2 Wochen. Der radiologische Befund heilt in der Regel innerhalb von einem bis wenigen Jahren zum Normalbefund aus.

Definition

Der Morbus van Neck-Odelberg (engl. Van Neck disease), oder auch Synchondrosis ischiopubica, wird klassischerweise zu den Osteochondrosen gezählt. Heute wird sie überwiegend als Ossifikationsstörung im Sinne einer Normvariante im Bereich der ischiopubischen Synchondrose verstanden. Bedeutung erlangt die Erkrankung durch ihre Differenzialdiagnose. Grundsätzlich handelt es sich um eine gutartige Ossifikationsstörung des kindlichen Skeletts, die zumeist einen radiologischen Zufallsbefund darstellt, sich jedoch auch durch unspezifische Leisten- oder Gesäßschmerzen äußern kann.
Die Erstbeschreibung erfolgte 1923 durch Odelberg und 1924 durch van Neck, der den Begriff Osteochondritis ischiopubica prägte und pathogenetisch Ähnlichkeiten zum Morbus Perthes vermutete (Odelberg 1924; van Neck 1924; Chaudhari et al. 2017).

Entwicklung der kindlichen Beckenanteile und Ätiopathogenese

Die ischiopubische Synchondrose ist die primär aus hyalinem Knorpel angelegte Verbindung zwischen Sitz- und Schambein. Diese verknöchert sekundär im Alter zwischen dem 4.–12. Lebensjahr, im Mittel im Alter von 9 Jahren (Niethard 2010). Die Verknöcherung kann mit einer erheblichen morphologischen Vielfalt stattfinden, sodass Tumoren vorgetäuscht werden können (Freyschmidt 2001). Ob und inwieweit Perfusionsstörungen, wie auch bei den Osteochondrosen an anderer Lokalisation, eine Rolle spielen, konnte bislang nicht gezeigt werden.
In etwa 70 % der Fälle zeigen sich kugelförmige knöcherne Auftreibungen mit gezackten Rändern, oft beidseits. Einseitige Befunde weisen auf Asymmetrien des Verschlusses der Synchondrose hin. Es handelt sich hier um durchaus physiologische Veränderungen im Sinne einer Normvariante. Einige Autoren postulieren, dass das van-Neck-Odelberg-Syndrom als im Grunde nicht existent (im pathologischen Sinne) angesehen werden sollte (Schaper und Kemperdick 2005).

Klinik

Meistens ist der Befund klinisch stumm (Chaudhari et al. 2017; Stormacq et al. 2017). Von der Symptomatik betroffene Kinder klagen häufig über Spontan- oder Belastungsschmerzen in der Leisten- oder Gesäßregion. Gehäuft treten die Symptome auf, wenn das gegenseitige Bein entlastet werden muss oder sportliche Kinder/Jugendliche das dominante Bein vermehrt belasten (Niethard 2010; Herneth et al. 2004). Die klinische Untersuchung zeigt einen Leistendruckschmerz über dem unteren Schambeinast. Eine passive Dehnung der Adduktorenmuskeln kann ebenfalls Schmerzen auslösen.

Diagnostik

Bei entsprechender Beschwerdesymptomatik ist zunächst eine konventionelle Projektionsradiographie des Beckens das bildgebende Mittel der ersten Wahl. Die aus Strahlenschutzgründen verwendete Bleiabdeckung muss jedoch so angebracht werden, dass ein entsprechender Befund nicht verdeckt wird. Dies ist wohl die häufigste Fehlerquelle, die zur Nichterkennung des Befundes führt.
Es empfiehlt sich, eine Beckenübersicht durchzuführen, um einen beidseitigen Befund nicht zu übersehen. Bei entsprechendem Befund mit „osteolytischem Prozess“ mit unregelmäßiger Verknöcherung und/oder wulstiger Verdickung der Synchondrose (siehe Abb. 1 und 2) ist die Diagnose eindeutig als Normvariante zu erkennen, die im Zweifel auch in Röntgenatlanten nachgeschlagen werden können.
Bei weiter unklarer Diagnose ist eine Kernspintomographie indiziert (Herneth et al. 2000; Wait et al. 2011). Das kindliche Becken zeigt dann in der Verknöcherungsphase der Synchondrose fokale hypointense Signale in der T1-Wichtung sowie Signalanhebungen in der T2-Wichtung, Fettsättigung oder STIR-Sequenzen. Gegebenenfalls manifestieren sich auch Signalanhebungen in den angrenzenden Adduktoren als Zeichen einer Ansatztendinose, vor allem, wenn die Untersuchung mit i. v. Kontrastmittel durchgeführt wurde. Diese Signalanhebungen sind auch bei einseitigem Vorkommen nicht als pathologisch zu bewerten (Schaper und Kemperdick 2005; Stenzel et al. 2015). Kenntnisse über das radiologische Erscheinungsbild sind essenziell, um unnötige mit potenziellem Risiko einhergehende interventionell-diagnostische oder therapeutische Maßnahmen zu vermeiden.

Differenzialdiagnose

Erkrankungen des Hüftgelenks wie der Morbus Perthes, Epiphysenkopflösung, Tumoren des knöchernen Beckens oder des proximalen Femurs, Coxitis fugax, eitrige Coxitis oder Osteomyelitis, Stressfrakturen, Leistenhernien und die sogenannte weiche Leiste des sportlichen Kindes müssen ausgeschlossen und differenzialdiagnostisch abgeklärt werden.

Therapie

Eine symptomatische Therapie mit bedarfs- und körpergewichtsadaptierter Gabe von NSAR (z. B. Nurofen-Saft) wird empfohlen. Körperliche Schonung, Zurückhaltung bei Sport und Freizeitaktivitäten, zeitlich begrenzte Befreiung vom Schulsport sind indiziert. Eine ausführliche Aufklärung und Beratung der Eltern über die Therapiemöglichkeiten, aber auch über den prinzipiell gutartigen Verlauf der Erkrankung ist obligat.

Prognose

Die Erkrankung ist gutartig und die Symptome bessern sich unter Schonung rasch, oftmals sogar innerhalb von 1–2 Wochen. Der radiologische Befund heilt in der Regel innerhalb von einem bis wenigen Jahren zum Normalbefund aus. Häufig verbleibt radiologisch eine Hyperostose der ischiopubischen Synchondrose (Stenzel et al. 2015).
Literatur
Chaudhari AP, Shah G, Patil SS, Ghodke AB, Kelkar SB (2017) Van Neck- Odelberg disease: a rare case report. J Orthop Case Rep 7:24–27PubMedPubMedCentral
Freyschmidt J (2001) Os pubis und Symphyse, Os ischii. In: Brossmann J, Czerny C, Freyschmidt’s FJ (Hrsg) „Köhler/Zimmer“ Grenzen des Normalen und Anfänge des Pathologischen in der Radiologie des kindlichen und erwachsenen Skeletts, 14. Aufl. Thieme, Stuttgart/New York, S 755–760
Herneth AM, Trattnig S, Bader TR, Ba-Ssalamah A, Ponhold W, Wandl-Vergesslich K, Steinbach LS (2000) MR imaging of the ischiopubic synchondrosis. Magn Reson Imaging 18:519–524CrossRef
Herneth AM, Philipp MO, Pretterklieber ML, Balassy C, Winkelbauer FW, Beaulieu CF (2004) Asymmetric closure of ischiopubic synchondrosis in pediatric patients: correlation with foot dominance. AJR Am J Roentgenol 182:361–365CrossRef
Niethard FU (2010) Hüftgelenk und Becken. In: Niethard FU (Hrsg) Kinderorthopädie, 2. Aufl. Thieme, Stuttgart/New York, S 140–141
Odelberg A (1924) Some cases of destruction in the ischium of doubtful etiology. Acta Chir Scand 56:223–284
Schaper J, Kemperdick H (2005) Körperstamm und Extremitäten. In: Referenzreihe B-BG (Hrsg) Kinderradiologie, 2. Aufl. Thieme, Stuttgart/New York, S 97
Stenzel M, Kentouche K, Mentzel HJ (2015) Osteochondrosis of ischiopubic Synchondrosis – Van Neck Disease (VND). Rofo 187(6):486–487PubMed
Stormacq S, Gauquier N, Gilliaux O (2017) Ischiopubic osteochondrosis is revealed by an atypical „acute transient synovitis of the hip“: a case report. Arch Pediatr 24:111–1114
Van Neck M (1924) Osteochondrite du pubis. Archives franco-belges de Chirurgie 27:238–241
Wait A, Gaskill T, Sarwar Z, Busch M (2011) Van Neck disease: osteochondrosis of the ischiopubic synchondrosis. J Pediatr Orthop 31:520–524CrossRef