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Pädiatrie
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Publiziert am: 22.12.2018

Akutes Nierenversagen bei Kindern und Jugendlichen

Verfasst von: Christoph Aufricht
Unter akutem Nierenversagen (ANV) versteht man eine akute und potenziell reversible Funktionseinschränkung mit Anstieg der Nierenfunktionsparameter (z. B. Kreatinin, Harnstoff, Cystatin C). Das ANV geht häufig mit einem Rückgang der Urinausscheidung einher (Oligurie <300 ml/m2 KOF/Tag, Anurie <100 ml/m2 KOF/Tag), kann jedoch auch mit einem abnorm erhöhten Urinvolumen (Polyurie: Diurese über 1200 ml/m2 KOF/Tag) einhergehen.
Definition und Klassifikation
Unter akutem Nierenversagen (ANV) versteht man eine akute und potenziell reversible Funktionseinschränkung mit Anstieg der Nierenfunktionsparameter (z. B. Kreatinin, Harnstoff, Cystatin C). Das ANV geht häufig mit einem Rückgang der Urinausscheidung einher (Oligurie <300 ml/m2 KOF/Tag, Anurie <100 ml/m2 KOF/Tag), kann jedoch auch mit einem abnorm erhöhten Urinvolumen (Polyurie : Diurese über 1200 ml/m2 KOF/Tag) einhergehen.
In den letzten Jahren gibt es Bemühungen, den Schweregrad des ANV international einheitlich zu klassifizieren, mit der sog. RIFLE-Klassifikation (Risk Injury Failure Loss End-stage renal disease) sowie den AKIN-Kriterien (Kriterien des Acute Kidney Injury Network, Tab. 1). Dabei wird versucht, der besonderen Situation der Abschätzung einer Nierenfunktionsstörung durch Kreatininwerte im Kindesalter mit pädiatrischen Kriterien (pRIFLE) gerecht zu werden. Diese Einteilungen sind jedoch lediglich im Erwachsenenkranken gut validiert.
Tab. 1
Klassifikation des akuten Nierenversagens (AVN)
AKIN
RIFLE
pRIFLE
Stadium 1
Serumkreatinin ↑ (Faktor >1,5–2) oder >3 mg/l und/oder Diurese <0,5 ml/kg KG/h in >6 h
Risk
Serumkreatinin ↑ (Faktor 1,5) oder GFR ↓ (>25 %) und/oder Diurese <0,5 ml/kg KG/h in >6 h
Risk
Geschätzte Kreatininclearance ↓ 25 % und/oder Diurese <0,5 ml/kg KG/h in 8 h
Stadium 2
Serumkreatinin ↑ (Faktor >2–3) und/oder Diurese <0,5 ml/kg KG/h in >12 h
Injury
Serumkreatinin ↑ oder GFR ↓ (>50 %) und/oder Diurese <0,5 ml/kg KG/h in >12 h
Injury
Geschätzte Kreatininclearance ↓ 50 % und/oder Diurese <0,5 ml/kg KG/h in 16 h
Stadium 3
Serumkreatinin ↑ (Faktor >3) oder >40 mg/l mit akutem Anstieg von mindestens 5 mg/l und/oder Diurese <0,3 ml/kg KG/h in >24 h oder Anurie >12 h
Renal Failure
Serumkreatinin ↑ (Faktor 3) oder GFR ↓ >75 % oder Serumkreatinin ≥40 mg/l mit akutem Anstieg von 5 mg/l und/oder Diurese <0,3 ml/kg KG/h in 24 h oder Anurie >12 h
Renal Failure
Geschätzte Kreatininclearance ↓ 75 % oder <35 ml/min pro 1,73 m2 KOF und/oder Diurese <0,3 ml/kg KG/h in 24 h oder Anurie in 12 h
Renal Loss
Kompletter Verlust der Nierenfunktion und Dialyse >4 Wochen
Renal Loss
Kompletter Verlust der Nierenfunktion und Dialyse >4 Wochen
ESRD
Dialyse >3 Monate
ESRD
Dialyse >3 Monate
AKIN Acute Kidney Injury Network, RIFLE Risk Injury Failure Loss End-stage renal disease, pRIFLE pediatric RIFLE, ESRD End-stage renal disease, GFR glomeruläre Filtrationsrate
Insbesondere für das Neugeborenenalter stellen die Definition sowie der Schweregrad des ANV ein besonderes Problem dar. Die Höhe des Serumkreatinins beim Neugeborenen ist bei Geburt von der Nierenfunktion der Mutter bestimmt, die weitere Entwicklung dieser Werte (Abfall auf altersentsprechende Normwerte) unterliegt großen Schwankungen, die vom Reifegrad des Kindes abhängig sind. Dies macht die Erkennung und die Abschätzung des Ausmaßes des ANV beim Neugeborenen besonders schwierig. Die Suche nach spezifischen diagnostischen Parametern in dieser Altersgruppe („Biomarker“) ist Gegenstand aktueller Forschung.
Epidemiologie
Trotz der Bemühungen, Register zur genauen Abschätzung der Epidemiologie des ANV bei pädiatrischen Patienten einzuführen, gibt es – aufgrund der uneinheitlichen Definition des ANV – keine ausreichend großen epidemiologischen Studien.
Das primär renale ANV dürfte mit einer Inzidenz von etwa 25/1 Mio. Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren extrem selten sein (Schätzung der ESPED, Erhebungseinheit für seltene pädiatrische Erkrankungen in Deutschland). Die bei Weitem häufigste Ursache des primär renalen ANV ist das hämolytisch-urämische Syndrom. Glomerulonephritiden und andere renale Ursachen machen nur etwa jedes 5. renale Nierenversagen aus.
Getrennt davon ist das sekundäre ANV als Komplikation zugrunde liegender Erkrankungen zu sehen, hier wird die Inzidenz in der Pädiatrie bei etwa 5 % der Intensivpatienten angegeben. Ursachen für das sekundäre ANV sind in erster Linie Dehydratation, Schock oder Asphyxie, wobei der Altersgipfel im Neugeborenen- und Säuglingsalter liegt.
Insgesamt ist die Inzidenz eines ANV im Kindesalter deutlich niedriger als im Erwachsenenalter, einzig in der Neonatologie, wo eine Inzidenz von etwa 8–25 % angenommen wird, ist die Häufigkeit des ANV ähnlich hoch wie beim erwachsenen Intensivpatienten. Trotz des Mangels an validierten Daten wird davon ausgegangen, dass die Häufigkeit des sekundären ANV steigend ist, da zunehmend Kinder mit schweren Grunderkrankungen, wie z. B. extrem kleine Frühgeborene, Kinder mit Herzfehlern oder Stoffwechselerkrankungen durch Verbesserungen der Therapiemöglichkeiten, die allerdings häufig nierenschädigend sind, überleben.
Ätiologie und Pathogenese
Das ANV ist die gemeinsame klinische Manifestation zahlreicher zugrunde liegender Erkrankungen. Aus dem bereits erwähnten epidemiologischen Hintergrund erfolgt eine mögliche Unterteilung in primär renale Ätiologien (hämolytisch-urämisches Syndrom, akute Nephritiden etc.) und in sekundäre ANV, verursacht durch eine oder mehrere andere Grunderkrankungen (Hypovolämie, „Schockniere“, toxische Einflüsse, Infektionen, Obstruktion etc.).
Historisch hat sich die pathophysiologisch einfach nachvollziehbare Einteilung in prärenales, renales und postrenales ANV durchgesetzt, nicht zuletzt deswegen, weil entsprechende diagnostische Algorithmen und therapeutische Schritte gut auf diese Klassifizierung aufbauen können (Tab. 2). In dieser Einteilung entspricht das sog. renale ANV zu einem großen Teil den bereits erwähnten primär nephrologischen Ätiologien. Zusätzlich kommen hier toxisch-metabolische, ischämische sowie entzündliche Schäden hinzu, wenn primär extrarenale Ursachen (z. B. Schock mit Minderdurchblutung der Nieren) bei anhaltender Einwirkung zu intrarenalen Parenchymschädigungen führen.
Tab. 2
Ätiologische Einteilung des akuten Nierenversagens (ANV)
Prärenal
Renal
Postrenal
- Akute Blutung
- Akute Glomerulonephritis
Obstruktion des Ausflusstrakts durch:
- Hämatom, Trauma,
- Harntraktfehlbildungen (Urethralklappen, Ureterozele, Ureterabgangsstenose bei Einzelniere etc.),
- intra-/extrarenale Raumforderungen wie Tumoren, Kristallurie, Steine
- Akuter Flüssigkeitsverlust, z. B. im Rahmen einer Dehydration (bei Durchfallkrankheiten, schwerer Fehlernährung)
- Akute tubuläre Nekrose
- Kardiale Insuffizienz (chronisch, akut z. B. nach Herzoperation)
- Hypoproteinämie, nephrotisches Syndrom
- Interstitielle Nephritis:
 - allergische Reaktion
 - infektassoziiert (Leptospiren, Hantavirus etc.)
- Medikamentöse Perfusionsverringerung z. B. durch ACE-Inhibitoren
- Nierenvenenthrombose
- Schock
- Nephrotoxine (Medikamente, Schwermetalle, Pflanzentoxine, Röntgenkontrastmittel, organische Lösungsmittel etc.)
- Prolongierte arterielle Hypotension
- Trauma
- Prolongierte Dehydration
- Toxische Metaboliten bei Stoffwechselerkrankungen
- Schwere Infektion, septischer Schock
- Vaskuläre Ursachen im Rahmen von systemischen Vaskulitiden
ACE Angiotensin Converting Enzyme
Weiterhin können die prärenalen Ursachen abgegrenzt werden, bei denen sich eine Summe von Erkrankungen findet, die zu einer inadäquaten Versorgung der Niere führt (wie z. B. akute Blutung, Dehydration, Herzinsuffizienz, Verletzungen und andere Ursachen von Hypovolämie, Tab. 2). Das prärenale ANV ist dadurch definiert, dass sich bei einer rechtzeitigen Verbesserung der Versorgung auch die Nierenfunktion verbessert und die akute Erhöhung der Retentionsparameter normalisiert. Alle diese prärenalen Ursachen haben gemeinsam, dass es bei Persistenz zu einer direkten Schädigung der Tubuluszellen kommt. Dadurch kann sich ein primär extrarenales ANV in ein renales entwickeln (s. oben). Tubuluszellen resorbieren unter hohem Sauerstoffbedarf über 99 % des glomerulär ausgeschiedenen Primärharns zurück und bedürfen für diese Funktion einer erhaltenen polaren Architektur der Zytoskelettstruktur. Persistierender Energiemangel führt zu einer Störung der Integrität dieses Systems und dadurch zu einer mit dem Leben nicht vereinbaren erhöhten Ausscheidung der Elektrolyte durch den Harn. Es kommt daher zu einer zunächst funktionellen Reduktion der Diurese, die dann durch Zelltod sowie Abschilferung von geschädigten Tubuluszellen in einem Funktionsversagen sowie einer mechanischen Obstruktion im Sinne der akuten Tubulusnekrose (Schockniere) endet.
Das postrenale Nierenversagen wird in weniger als 5 % der Fälle von ANV beobachtet. Die Ursachen sind hier überwiegend in einer Obstruktion des Ausflusstrakts durch Harntraktfehlbildungen (vor allem der Urethralklappe, Kap. „Fehlbildungen der Nieren (inklusive zystischer Nephropathien) und ableitenden Harnwege“), Tumoren, Steine oder Traumata bedingt. Diese Ursachen sind durch adäquate bildgebende Verfahren rasch festzustellen und spielen insbesondere im Neugeborenenalter eine große Rolle.
Klinische Symptome und Differenzialdiagnose
Die Klinik des ANV ist von der zugrunde liegenden Erkrankung geprägt und dadurch entsprechend vielfältig. So können primär unspezifische Symptome auftreten, wie Abdominalschmerzen oder „Nierenschmerzen“ bei obstruktiven oder infektiösen Ursachen für das ANV, aber auch Müdigkeit, Übelkeit und Erbrechen.
Das klassische Leitsymptom für ANV ist die akute Verminderung der Harnausscheidung mit Oligurie oder Anurie, die jedoch nicht bei jeder Form des ANV vorliegen muss. Bei renalen Ursachen des ANV kann es zusätzlich zu einer auffallenden Verfärbung des Harns kommen (Pyurie, Hämaturie).
Zumeist wird die Diagnose des ANV jedoch im Rahmen der Bestimmung von Laborwerten gestellt. Bei den Laborbefunden finden sich zusätzlich zum Anstieg der harnpflichtigen Substanzen im Serum wie Kreatinin und Harnstoff-Stickstoff (Urämie) auch Elektrolytentgleisungen im Sinne einer reduzierten Ausscheidung (Hyperkaliämie, Hyperphosphatämie, metabolische Azidose), aber auch der Überwässerung (Hyponatriämie).
Anamnese, Untersuchung des Harns sowie bildgebende Verfahren (insbesondere Sonografie) erlauben zumeist rasch die Differenzierung zwischen prärenalem bzw. renalem ANV oder postrenalem ANV.
Die Unterscheidung zwischen prärenalem und renalem ANV ist durch das Ansprechen auf die Behandlung der zugrunde liegenden Ursache (vor allem Hypovolämie, s. unten) gegeben. Im Rahmen einer Ultraschalluntersuchung kann als prärenale Ursache z. B. eine Verminderung der Nierendurchblutung dargestellt werden.
Hinweise auf eine primär renale Ursache für das ANV ergeben sich meist aus der Anamnese, Harnverfärbungen, erhöhtem Blutdruck und speziellen immunologischen oder infektiösen Laborparametern. Des Weiteren spielt hier die Harndiagnostik zur Unterscheidung zwischen prärenalem und renalem ANV eine wesentliche Rolle (siehe Kapitel zu den jeweiligen Nierenerkrankungen). Bei entsprechenden Hinweisen auf renales ANV ist oft eine rasche Nierenbiopsie indiziert, sofern diese den Behandlungsbeginn nicht kritisch verzögert. Typischerweise ist bei einem postrenalen Nierenversagen eine Erweiterung der Harnwege zu sehen, eventuell kann auch die primäre Ursache (z. B. Nierenstein, Tumor) dargestellt werden.
Wichtig ist auch zu bedenken, dass ein ANV bei einer (evtl. undiagnostizierten) chronischen Nierenerkrankung vorkommen kann. Zur Erkennung eines ANV bei einer bereits vorbestehenden chronischen Nierenerkrankung hilft die Suche nach spezifischen Befunden (z. B. kleine dichte Niere in Sonografie, Hinweise auf renale Osteopathie, Kap. „Chronische Niereninsuffizienz bei Kindern und Jugendlichen“).
Klinische Zeichen wie Überwässerung (Ödeme inklusive Lungenödem bei einer Überwässerung von über 6–8 % des Körpergewichts) sowie arterielle Hypertonie mit den Folgen von Herzinsuffizienz, Enzephalopathie (Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen und Krampfanfälle) sind bereits als Komplikationen der reduzierten Nierenfunktion einzuschätzen und treten oft erst bei fortgeschrittenem ANV auf.
Therapie
Die Therapie richtet sich nach der Schwere der Erkrankung. Sollten bereits potenziell lebensbedrohliche Komplikationen des ANV eingetreten sein, ist mit einer unverzüglichen Dialyse zu beginnen, ansonsten sind zunächst konservative Maßnahmen zu wählen. Bei vielen Kindern ist die Stabilisierung auf einer Intensiv- oder Überwachungsstation indiziert.
Oberstes Prinzip sollte die Therapie der Ursache für das Nierenversagen sein. Bei Vorliegen eines prärenalen ANV entspricht nach Identifikation des behandlungsbedürftigen Problems (z. B. Hypovolämie) dessen Beseitigung bereits der Therapie der Wahl. Ebenso ist bei Vorliegen einer postrenalen Ursache des ANV die Harnableitung bzw. die Beseitigung der Obstruktion die Behandlung der Wahl. Kann beim ANV durch Gabe eines ausreichenden Volumenbolus von 10–20 ml/kg KG die Diurese wieder in Gang gesetzt werden, so ist die Diagnose des prärenalen ANV bestätigt, und es folgt die adäquate Flüssigkeits- und Elektrolytbilanzierung unter sorgfältigem Monitoring von Elektrolyten, Gewicht und Kreislauf. Sollte eine Volumenzufuhr jedoch zu keiner Verbesserung der Diurese führen, so ist die Diagnose eines renalen ANV zu stellen.
Generell gilt bei der Behandlung des renalen ANV, dass die Zufuhr von Volumen und Elektrolyten der reduzierten renalen Ausscheidung anzupassen ist. Unter engmaschiger Bilanzierung und Gewichtskontrolle sollte sich die Flüssigkeitszufuhr am insensiblen Wasserverlust (400 ml/m2 KOF) plus renaler Ausfuhr plus anderer Verluste orientieren. Kalium- und Phosphatzufuhr sind zu streichen, eine Azidose muss entsprechend gepuffert werden. Eine behandlungsbedürftige arterielle Hypertonie kann meist, vor allem mit peripher vasodilatierenden Substanzen, kontrolliert werden. Nephrotoxische Medikamente sind abzusetzen, und die restlichen Medikamente müssen an die abnorme Nierenfunktion angepasst werden.
Erreicht man durch diese konservativen Maßnahmen eine klinische Stabilisierung, wird wertvolle Zeit für evtl. weitere notwendige Maßnahmen (z. B. Transferierung an ein pädiatrisch-nephrologisches Zentrum, Biopsie bei primärer Glomerulonephritis, Dialysekatheterimplantation) gewonnen.
Bei ausreichender Harnausscheidung kann beim klinisch stabilen Patienten eine Remission des ANV oft auch ohne Dialyse unter konservativen Maßnahmen abgewartet werden.
Beim oligoanurischen ANV ist die Indikation zur Dialyse besonders sorgfältig gegen den zu erwartenden Verlauf unter konservativer Therapie abzuschätzen. Vor allem beim kleinen und kritisch kranken Kind ist eine ausreichende Kalorienzufuhr häufig ohne Flüssigkeitsentzug durch Dialyse nicht möglich.
Kann man mittels konservativer Maßnahmen keine Stabilisierung erreichen, ist die Indikation zur Dialyse gegeben, bestimmt durch Beurteilung des klinischen Zustands des Patienten und der Laborparameter. Insbesondere eine lebensbedrohliche Hyperkaliämie (<7 mmol) oder Hypervolämie (mit Lungenödem, hypertensiver Krise) sind Indikationen zur raschen Dialysetherapie. Um Zeit bis zum Dialysebeginn zu gewinnen, kann versucht werden, durch Pufferung (Natriumbikarbonatgabe) sowie Infusionen von Glukose/Insulin-Kombinationen, Kalium nach intrazellulär zu verschieben sowie durch orale und rektale Zufuhr von Ionenaustauschharzen eine extrarenale Entfernung von Kalium durchzuführen.
Als Dialyseverfahren kommen Hämodialyse, Peritonealdialyse sowie kontinuierliche Hämofiltrationsverfahren zum Einsatz. Die derzeitige Datenlage erlaubt keinen Vergleich zwischen diesen drei Nierenersatztherapien. Zumeist erfolgt bei primär renalem ANV bei größeren Kindern die Hämo- und bei kleineren die Peritonealdialyse. An Intensivstationen kommen zunehmend die kontinuierlichen Filtrationsverfahren zum Einsatz, die an vielen Zentren auch bereits bei sehr kleinen Kindern angewendet werden. Neben der Erfahrung der einzelnen Zentren spielt für die Auswahl des Verfahrens somit das Alter des Kindes, aber auch die Dringlichkeit des Therapiebeginns, die allgemeinen Kreislauf- und Gerinnungsverhältnisse sowie die voraussichtliche Dauer dieses Verfahrens eine Rolle. Der Einsatz der Dialyse beim ANV des Frühgeborenen mit extrem niedrigem Geburtsgewicht ist derzeit Gegenstand aktueller Forschung.
Verlauf und Prognose
Das ANV selber ist in der Regel gut therapierbar, konservativ oder auch mit Dialyse. Ausnahmen stellen in der Pädiatrie extrem kleine Frühgeborene dar. In diesem Patientenklientel ist die Durchführung der Dialyse oft eine technische Herausforderung und noch nicht wirklich etabliert.
Sowohl beim prärenalen als auch beim postrenalen ANV ist nach Beseitigung der zugrunde liegenden Ursache die Langzeitprognose bezüglich der Nierenfunktion in der Regel sehr gut. So erholen sich die Nieren nach Rehydrierung und Wiederherstellung einer stabilen Kreislaufsituation oder Entfernung der Obstruktion der Harnwege meist (nach unterschiedlich langen Zeitintervallen) vollständig. Allerdings kann eine ausbleibende oder verzögerte Therapie das primär prärenale bzw. postrenale ANV in ein renales ANV überführen.
Die Prognose des renalen ANV ist im Wesentlichen von der Ursache abhängig. Zum Beispiel ist die Prognose beim hämolytisch-urämischen Syndrom (Kap. „Hämolytisch-urämisches Syndrom“), der häufigsten Ursache für ANV im Kindesalter, meist sehr gut mit völliger Erholung der Nierenfunktion in über 90 % der Fälle. Allerdings können chronische Schäden bestehen bleiben, die erst in der Langzeitprognose klinische Relevanz zeigen. Bei renalen Erkrankungen aus dem Formenkreis der Glomerulonephritiden gibt es viele, die zu einer chronischen Niereninsuffizienz führen können (Kap. „Glomerulonephritiden bei Kindern und Jugendlichen“ und Kap. „Chronische Niereninsuffizienz bei Kindern und Jugendlichen“). Generell gilt, je länger das renale ANV bestehen bleibt, umso eher ist mit einer chronischen Schädigung des Nierengewebes zu rechnen. Bezüglich der Langzeitmorbidität wirkt sich ein in der Kindheit überstandenes ANV evtl. erst Jahre später mit Proteinurie, arterieller Hypertonie und anderen Zeichen fortschreitender chronischer Niereninsuffizienz aus. Neuere Studien weisen darauf hin, dass sich im Erwachsenenalter vermehrt chronische Nierenerkrankungen als Folge eines – primär prärenalen – ANV im Kindesalter ergeben. Beim Frühgeborenen scheinen spätere chronische Nierenschäden auch bei ursprünglich nicht dialysepflichtigen ANV häufiger als erwartet zu sein. Zusammengefasst ist bei Kindern, die ein ANV erlitten haben, die Indikation zu langjährigen Nachuntersuchungen der Nierenfunktion gegeben.
Die Beurteilung der extrarenalen Morbidität des ANV ist komplex, weil dies im Kontext mit den zugrunde liegenden Erkrankungen zu sehen ist. So ist bei einem intensivpflichtigen Patienten mit ANV die Prognose wesentlich ungünstiger als bei einem Patienten mit isolierter renaler Erkrankung. Das ANV scheint einen bislang vielleicht unterschätzten Einfluss auf andere Organsysteme zu haben. So hat man z. B. bei erwachsenen beatmeten Patienten einen Einfluss des ANV mit verzögerter Entwöhnung von der Beatmungsmaschine festgestellt.
Die Mortalität bei ANV wird ebenfalls durch die zugrunde liegende Ätiologie bestimmt. Kinder mit primär renaler Erkrankung weisen eine relativ geringe Mortalität (<5 %) auf. Hier ist die Sterblichkeit eher durch extrarenale Komplikationen verursacht (z. B. zerebral-vaskuläre Ereignisse bei hämolytisch-urämischem Syndrom). Wesentlich höher ist die Mortalität bei ANV im Rahmen eines Schockgeschehens oder Multiorganversagens speziell bei intensivpflichtigen Patienten. Hier gilt das ANV als zusätzlicher Mortalitätsfaktor. Dies hat sich auch an neonatologischen Patienten gezeigt, bei denen eine Letalität bei oligoanurischem ANV mit etwa 80 % zu beobachten ist.
Somit stellt das ANV, auch wenn es im Vergleich zu Erwachsenen insgesamt seltener ist, in der Pädiatrie einen relevanten Morbiditäts- und Mortalitätsfaktor dar.