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Pädiatrie
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Publiziert am: 06.02.2019

Angeborene Krankheiten mit Strukturveränderungen des Darms bei Kindern

Verfasst von: Michael J. Lentze
Bei den angeborenen Krankheiten des Dünn- und Dickdarms kommt es postpartal zu schweren Durchfällen meist verbunden mit metabolischer Azidose. Die Durchfälle sind weder den osmotisch noch den sekretorisch hervorgerufenen angeborenen Krankheiten zuzuordnen, sondern gehen in der Regel mit Strukturveränderungen der Dünndarmmukosa einher. Sie erfordern eine Dünndarmbiopsie zu Diagnostik. Auf Grund der pathohistologischen Veränderungen kann dann die Verdachtsdiagnose gestellt und durch entsprechende molekulargenetische Untersuchungen bestätigt werden. Die Therapie der angeborenen Strukturveränderungen des Darms ist schwierig. Oft ist eine jahrelange parenterale Ernährung notwendig. Manchmal kann nur eine Dünndarmtransplantation oder eine Knochmarktransplantation eine Verbesserung der schweren Durchfälle erreichen.

Kongenitale Mikrovillusatrophie

Pathogenese
Bei dieser autosomal-rezessiv vererbten Strukturanomalie der Mikrovilli, die bereits beim Feten im intestinalen Dünndarmepithel vorhanden ist, kommt es entweder unmittelbar postnatal oder nach einigen Wochen zu profusen wässrigen Durchfällen. Ursache ist eine defekte Verankerung der Mikrovilli an der zum Darmlumen hin gerichteten Oberflächenmembran durch eine Mutation im Myosin-5B-Gen. Dies führt zu einer Strukturstörung des Zytoskeletts der Zelle und als Folge davon zu Störungen der normalen Transportkapazität. Folge ist eine verminderte Absorption von Mikronährstoffen inklusive Wasser und einer vermehrte Sekretion von Mineralien und Wasser. Daraus resultiert eine bereits kurz nach der Geburt bestehende gemischte osmotisch-sekretorische Diarrhö, die je nach Nahrungszufuhr zu schweren metabolischen Azidosen und Dehydratation führt. Histologisch zeigt die Dünndarmmukosa eine schwere Zottenatrophie mit verkürzten Krypten. Bei höherer Vergrößerung fallen Enterozyten auf mit apikal gelegenen zytoplasmatischen Vakuolen, die sich in PAS-Färbung rot anfärben. Elektronenmikroskopisch sind intrazelluläre verschieden große Granula sichtbar, die aus eingeschlossen Mikrovilli mit Glykokalix bestehen (Abb. 1). Sie sind pathognomonisch für diese Krankheit. Diese Veränderungen betreffen nur reife Enterozyten, während sie bei Becherzellen, Panethzellen und endokrinen Zellen nicht sichtbar sind. Eine Variante der kongenitalen Mikrovillusatrophie mit ähnlichem klinischen Verlauf und elektronenmikroskopischen Veränderungen tritt bei Mutationen des Syntaxin 3 (STX3) auf. STX3 ist ein apikaler Rezeptor, der für die Verschmelzung von apikalen Vesikeln in die Membran verantwortlich ist.
Klinische Symptome und Diagnose
Nach der Geburt kommt es zu schweren wässrigen Durchfällen mit Stuhlvolumina von 100 ml/kg KG/Tag mit hohen Elektrolytkonzentrationen trotz Sistieren der oralen Nahrung. Alle Patienten benötigen deshalb unmittelbar eine totale parenterale Ernährung. Die schweren Durchfälle lassen sich diätetisch nicht beeinflussen. Medikamentös verbessert der Enkephalinasehemmer Racecadotril die schweren Durchfälle. Die Patienten sind gefährdet durch Sepsis, zunehmende Leberzirrhose mit Leberversagen im Rahmen der parenteralen Ernährung und Elektrolytstörungen. Sie versterben in den ersten Lebensjahren oft an diesen Komplikationen. Diagnostisch beweisend ist die Dünndarmbiopsie mit ihren licht- und elektronenmikroskopisch charakteristischen Veränderungen.
Therapie
Die Behandlung dieser schweren Strukturanomalie der Enterozyten ist rein symptomatisch und besteht im Wesentlichen aus einer totalen parenteralen Ernährung. Langfristig können die Patienten durch eine Dünndarmtransplantation gut überleben.

Intraktable Diarrhö mit persistierender Zottenatrophie in früher Kindheit

Definition
Hier handelt es sich um eine Krankheit mit schweren, lebensbedrohlichen Durchfällen in den ersten 24 Lebensmonaten, die eine totale parenterale Ernährung notwendig macht. Morphologisch geht sie einher mit persistierender Zottenatrophie in mehreren zeitlich voneinander getrennt durchgeführten Dünndarmbiopsien und reagiert nicht auf mehrere und unterschiedliche Behandlungsversuche.
Klinische Symptome und Diagnose
Führendes Krankheitssymptom dieser in den ersten 2 Lebensjahren auftretenden Krankheit ist der chronische Durchfall mit Stuhlvolumina von 100–150 ml/kg KG/Tag. Extraintestinale Autoimmunphänomene können vorhanden sein. Beobachtet wurden dabei folgende Einzelsymptome: Arthritis, Dermatitis, systemischer Lupus erythematodes (SLE), Diabetes mellitus, Iridozyklitis, Glomerulonephritis, Thrombozytopenie und Anämie. Histologisch können aus der Morphologie der Dünndarmmukosa 2 Gruppen unterschieden werden (Tab. 1), die sich sowohl durch den Schweregrad des Mukosaschadens als auch durch besondere „büschelartig“ angeordnete Epithelzellen unterscheiden. Die Stuhlvolumina sind größer in der Gruppe I mit schwererem Mukosaschaden. Auch hat diese Gruppe häufiger Anti-Darm-Antikörper, mehr eiweißverlierende Enteropathie und assoziierte extraintestinale Symptome. Ein eindeutig zuzuordnender Erbgang kann nicht angeben werden. Am ehesten handelt sich um eine Gruppe mit verschiedenartigen Ursachen.
Tab. 1
Histologische Merkmale der intraktablen Diarrhö mit persistierender Zottenatrophie in früher Kindheit
Strukturen
Gruppe I
Gruppe II
Zottenatrophie
Moderat bis schwer
Mild bis moderat
Oberflächenepithel
Normal bis kubisch
Normal bis büschelartig
Kryptentiefe
Hyperplastisch
Normal
Kryptenmorphologie
Nekrotisch und/oder verzweigt und/oder Dedifferenzierung
Kryptenabszesse
Vorhanden
Fehlen
Intraepitheliale Lymphozyten
Normal oder vermehrt
Normal oder vermindert
Zellen der Lamina propria
Vermehrt
Normal oder vermehrt
Therapie
Der überwiegende Teil der Patienten benötigt eine totale parenterale Ernährung über viele Jahre. Zusätzlich können neben der Gabe von Immunglobulinen immunsuppressive Medikamente eingesetzt werden: Kortikosteroide, Azathioprin, Ciclosporin und Cyclophosphamide. Enteral können Elementardiäten eingesetzt werden (z. B. Neocate®). Der Therapieerfolg variiert sehr und muss mit Skepsis gesehen werden. Ob die Dünndarmtransplantation sich hier künftig als Alternative für eine Therapie anbietet, muss abgewartet werden. Die Gesamtmortalität ist mit 47 % für beide Gruppen hoch. Damit bleibt die Prognose für diese Krankheit schlecht.

Kongenitale Tufting-Enteropathie

Im Jahre 1994 haben Reifen und Mitarbeiter eine Form der chronischen Diarrhö bei Neugeborenen beschrieben, die mit wässrigen Durchfällen, Erbrechen und Krampfanfällen einhergeht. Die Morphologie der intestinalen Mukosa hatte jeweils ein charakteristisches Aussehen mit einer mittelschweren Atrophie der Mukosa und kleinen Auswüchsen von mehrschichtigen Epithelzellen – den sog. Tufts. Die Ätiologie dieser pathognomonischen Veränderungen sind Mutationen im Gen für das epitheliale Zelladhäsionsmolekül epCAM. Eine Überlappung mit der in Kap. „Angeborene Krankheiten des Gastrointestinaltrakts“ dargestellten syndromalen Natriumdiarrhö wurde ebenfalls beschrieben.
Die Diagnose kann anhand der typischen Morphologie der Mukosa sowie der molekulargenetischen Analyse des epCAM- oder SPINT2-Gens gestellt werden.
Die Therapie ist rein symptomatisch mit parenteraler Ernährung. Die Prognose ist in Einzelfällen gut.

IPEX-Syndrom

Die X-chromosomal vererbte Autoimmunkrankheit mit Polyendokrinopathie und intraktabler Diarrhö geht mit schweren Symptomen in früher Säuglingszeit einher: insulinpflichtiger Diabetes mellitus, ichtyosiforme Dermatitis, Thyreoiditis, intraktable Diarrhö und hämolytische Anämie. Mutationen im FOXP3-Gen wurden als Ursache dieser Krankheit gefunden. Es kommt als Folge der Mutation zu einer ungebremsten Aktivierung von T-Lymphozyten mit konsekutiven multiplen Autoimmunkrankheiten. Entsprechend finden sich hohe Antikörpertiter im Blut dieser Kinder gegen Blut, Schilddrüse und Pankreaszellen sowie gegen intestinale Zellen und Nierenepithelien. Die schlechte Prognose dieser Krankheit ist nur durch eine Stammzelltransplantation oder eine massive immunsuppressive Therapie zusammen mit einer totalen parenteralen Ernährung aufzuhalten. Im Langzeitverlauf zeigten Patienten mit IPEX-Syndrom nach Stammzelltransplantation eine bessere Lebensqualität und Überleben als Patienten unter Immunsuppression.

Anendocrinosis

Die Krankheit ist gekennzeichnet durch schwere postpartale wässrige lebensgefährliche Durchfälle, die eine totale parenterale Ernährung erfordern, um ein normales Wachstum und Gedeihen zu gewährleisten. Die Durchfälle sistieren bei Nahrungskarenz und treten auch unter Zufuhr von oraler Glukoselösung wieder auf.
Die pathohistologische Untersuchung der Dünndarmbiopsie zeigt zwar eine normale Struktur. Bei Schnitten, die mit Anti-Chromogranin gefärbt wurden, zeigte sich dann aber ein Fehlen der neuroendokrinen Zellen im Dünn- und Dickdarm. Die Aktivität der Disaccharidasen ist normal. Der molekulare Defekt konnte im Neurogenin-3 Gen gefunden werde. Die Krankheit wird autosomal-rezessiv vererbt. Die Therapie besteht in totaler parenteraler Ernährung und dem Versuch mit komplett hydrolysierten Nahrungen oder kohlenhydratfreien Nahrungen ein gewisses Maß an oraler Nahrung zuführen zu können. Die Prognose ist durch Komplikationen der langzeit-parenteralen Ernährung mit Hepatopathie gekennzeichnet. Alle Kinder entwickeln im frühen Schulalter einen Diabetes I.

Tricho-Hepato-Enterisches Syndrom

Bei dieser autosomal-rezessiv vererbten Krankheit kommt es postpartal zu schwerer intraktabler Diarrhö. Die Kinder zeigen faziale Dysmorphien auf wie Hypertelorismus, einen breiten flachen Nasenrücken sowie eine prominente Stirn. Die Haare sind wie Wolle und nicht kämmbar. Sie weisen eine Trichorexis nodosa auf. Die Kinder haben eine Immundefizienz mit erniedrigten Immunglobulinen und fehlender Antwort auf Impfungen. Intrauterin besteht bereits eine Wachstumsverzögerung. Die Dünndarmmukosa zeigt histologisch eine Zottenatrophie. Die verantwortliche Mutation liegt bei 40 % der Patienten im SKIV2L-Gen, einem zytoplasmatischen-exosomalen Kofaktor und bei 60 % im TTC37-Gen, welches für das Protein Thespin kodiert, dessen Funktion aber bislang ungeklärt ist. Die einzig erfolgreiche Therapie besteht in totaler parenteraler Ernährung.
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