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Pädiatrie
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Publiziert am: 31.12.2018

Atemphysiologie bei Säuglingen, Kindern und Jugendlichen

Verfasst von: Jürg Hammer und Urs Frey
Es gibt eine Vielzahl von physiologischen und anatomischen Gründen warum, Säuglinge eine respiratorische Beeinträchtigung viel schlechter bewältigen können als ältere Kinder oder Erwachsene. Der klinische bedeutsamste Unterschied liegt vermutlich im höheren Grundumsatz und des damit verbundenen höheren Sauerstoffverbrauchs in Ruhe. Bezogen auf das Körpergewicht ist der Ruhe-Sauerstoffkonsum etwa 2- bis 3-mal höher als beim Erwachsenen und fällt graduell von etwa 7 ml/kg/min bei Geburt auf etwa 3–4 ml/kg/min im Erwachsenenalter. Zusammen mit einer tieferen funktionellen Residualkapazität resultiert daraus eine geringere respiratorische Reserve, wenn der Organismus den Sauerstoffkonsum erhöhen muss. Dieses Kapitel soll erklären, warum der Respirationstrakt des Säuglings nicht einfach als Miniaturversion des Respirationstraktes eines Erwachsenen betrachtet werden darf.
Es gibt eine Vielzahl von physiologischen und anatomischen Gründen warum, Säuglinge eine respiratorische Beeinträchtigung viel schlechter bewältigen können als ältere Kinder oder Erwachsene. Der klinische bedeutsamste Unterschied liegt vermutlich im höheren Grundumsatz und des damit verbundenen höheren Sauerstoffverbrauchs in Ruhe. Bezogen auf das Körpergewicht ist der Ruhe-Sauerstoffkonsum etwa 2- bis 3-mal höher als beim Erwachsenen und fällt graduell von etwa 7 ml/kg/min bei Geburt auf etwa 3–4 ml/kg/min im Erwachsenenalter. Zusammen mit einer tieferen funktionellen Residualkapazität resultiert daraus eine geringere respiratorische Reserve, wenn der Organismus den Sauerstoffkonsum erhöhen muss. Dieses Kapitel soll erklären, warum der Respirationstrakt des Säuglings nicht einfach als Miniaturversion des Respirationstraktes eines Erwachsenen betrachtet werden darf.

Obere Luftwege

Die Nase trägt beim Säugling fast zur Hälfte, beim Erwachsenen sogar etwas mehr, zum gesamten Atemwegswiderstand bei. Generell ist der Widerstand bei Mundatmung viel kleiner als bei Nasenatmung. Aufgrund der speziellen Konfiguration der oberen Luftwege im Säuglingsalter atmen Neugeborene und Säuglinge fast obligat oder wenigstens präferenziell durch die Nase. Die Epiglottis ist relativ groß, weich und hoch im Pharynx gelegen, sodass diese dem weichen Gaumen anliegen kann, was die Nasenatmung begünstigt. Ebenfalls beeinträchtigt die verhältnismäßig große Zunge die Mundatmung. Neugeborene und Säuglinge sind wohl in der Lage bei Obstruktion der Nasenpassage durch den Mund zu atmen, jedoch deutlich weniger effizient als ältere Kinder. Deshalb kann bereits eine banale Rhinitis die Atmung des Säuglings erheblich beeinträchtigen. Während der ersten 2 Lebensjahre verlagert sich der Larynx dann kaudalwärts unter die Zunge, was die Mundatmung und die Sprachentwicklung erleichtert.
Nach der Nase ist der Larynx die engste Stelle der oberen Luftwege, wobei beim Säugling das Krikoid die größte Enge darstellt. Beim älteren Kind und beim Erwachsenen ist dies dann die Glottisöffnung (Stimmbänder).

Untere Luftwege

Die Luftwege des Säuglings und Kleinkindes sind wohl relativ groß im Vergleich zu denjenigen eines Erwachsenen, hingegen in absoluten Maßen sind sie klein. Geringe Veränderungen im Durchmesser der Luftwege haben deshalb beim Säugling einen viel größeren Anstieg des Atemwegswiderstandes zur Folge, da sich dieser in der 4. Potenz jeder Verringerung des Radius erhöht. Zudem sind die Luftwege des Säuglings viel elastischer und können bei forcierter Atmung leichter kollabieren. Der dynamische Luftwegkollaps spielt in der Pathophysiologie obstruktiver Luftwegserkrankungen im Kindesalter deshalb eine wichtige Rolle. Der maximale Fluss durch die Atemwege ist also nicht nur durch den Atemwegsdurchmesser, sondern zusätzlich durch die hohe Compliance der Atemwegswand limitiert.
Beim Erwachsenen machen die größeren Luftwege (>2 mm im Durchmesser) den größten Teil des Atemwegswiderstandes aus, da die kleinen Luftwege eine viel größere Querschnittsfläche für den gesamten Luftfluss zu Verfügung stellen. Beim Säugling tragen die kleinen Luftwege proportional noch viel mehr zum gesamten Atemwegswiderstand bei. Dieser Anteil verringert sich aber mit zunehmendem Alter durch Zunahme von Länge und Durchmesser der Luftwege. Dies erklärt, warum Erkrankungen der ganz kleinen Luftwege (z. B. Bronchiolitis) beim Erwachsenen eher klinisch stumm verlaufen, jedoch beim Säugling deutliche Symptome und eine signifikante Zunahme der Atemarbeit verursachen.

Brustkorb

Insgesamt trägt der Brustkorb beim Säugling wegen seiner Form, hohen Compliance und Deformierbarkeit wenig zur Atmung bei. Die Rippen liegen viel horizontaler, was die Effizienz der Interkostalmuskulatur den Thoraxdurchmesser zu vergrößern verringert. Aufgrund des weichen Thoraxskeletts kommt es beim Säugling bei vielen pathologischen Zuständen mit vermehrter Atemarbeit zu charakteristischen Retraktionen, d. h. der Thorax wird während der Inspiration eingezogen (paradoxe Atembewegung). Dabei wird viel Atemarbeit für das Einziehen von Rippen anstelle von Luft verschwendet. Dasselbe Phänomen kann bei Verlust der stabilisierenden Interkostalmuskulatur beobachtet werden (neuromuskuläre Erkrankungen, thorakale Rückenmarksverletzungen, REM-Schlaf etc.). Erst mit dem Erreichen des 1. Lebensjahres ist der Anteil des Brustkorbes an der Atmung mit dem Erwachsenen vergleichbar.

Lungenparenchym

Richtige Alveolen werden erst etwa ab der 28. Gestationswoche gebildet und diese vergrößern sich in Zahl, Größe und Komplexität bis etwa zum 3. Lebensjahr. Das Lungenvolumen eines Termingeborenen verdoppelt sich bis zum 6. Lebensmonat und verdreifacht sich bis zum 1. Lebensjahr. Das unterschiedliche Wachstum von Luftwegen und Lungenparenchym wird als disynaptisches Wachstum bezeichnet und resultiert in Luftwegen, die in Bezug auf das Lungenvolumen bei Geburt relativ groß sind.
Lungenparenchym und Luftwege wachsen erst nach Abschluss der Alveolarisation gleichmäßig.
Die elastische Retraktionskraft des Lungenparenchyms (Alveolarsepten) nimmt mit Ausreifung und Wachstum der Lunge fortlaufend bis ins Adoleszentenalters zu. Durch ihren radialen Zug auf die Atemwege beeinflusst sie deren Kaliber und den Atemwegswiderstand. Wegen der geringen Zahl von Alveolen im Säuglingsalter ist der radiale Zug des elastischen Lungenfasergerüstes auf die Atemwege noch gering. Dies erklärt, warum die Luftwege im Säuglingsalter leichter und sogar trotz geringem Enfaltungsdruck kollabieren können.
Kollaterale Ventilationswege (intraalveoläre Kohn’sche Poren, bronchoalveoläre Lambert’sche Kanäle) sind bei Säuglingen noch nicht vorhanden und bilden sich erst ab dem 3. bis 4. Lebensjahr vollständig aus. Während eine Obstruktion der kleinen Luftwege (<2 mm im Durchmesser) bei älteren Kindern und Erwachsenen kaum eine Verminderung der Vitalkapazität zur Folge hat, da die verschlossenen Alveolen über kollaterale Kanäle ventiliert werden können, bleiben diese beim Säugling wegen der fehlenden kollateralen Ventilation von der Atmung ausgeschlossen. Dadurch wird das Ventilations-Perfusions-Gleichgewicht schneller gestört und das Auftreten von Hypoxämie und Hyperkapnie bei obstruktiven Erkrankungen der kleinen Luftwege (z. B. Bronchiolitis, Asthma) begünstigt.
Die Atemruhelage wird durch das Gleichgewicht zwischen der elastischen Retraktionskraft der Lunge und des Thorax bestimmt. Wegen der hohen Thoraxcompliance erreicht der Säugling sein Equilibrium bei einem relativ viel kleineren Lungenvolumen. Eine Exspiration bis zum elastischen Gleichgewicht ist für den Säugling jedoch ungünstig, da es dabei zum Atemwegskollaps kommen würde. Mittels verschiedener Regulationsmechanismen halten deshalb Säuglinge ihre Atemruhelage aktiv oberhalb des elastischen Gleichgewichtes:
1.
Das Zwerchfell verliert während der Exspiration nie seine ganze tonische Aktivität, was die Retraktionskraft erhöht und die Atemruhelage anhebt.
 
2.
Die relativ hohe Atemfrequenz der Säuglinge verhindert durch die kurze Exspirationszeit eine vollständige Entleerung der Lunge bis zum elastischen Gleichgewicht.
 
3.
Zusätzlich verkleinern die Säuglinge während der Exspiration die Glottisöffnung aktiv, um den Ausatmungswiderstand zu erhöhen und damit eine Erhöhung des endexspiratorischen Lungenvolumens zu erzielen. Besonders deutlich tritt dieses Phänomen („Grunting“, exspiratorisches Stöhnen) beim ateminsuffizienten Neugeborenen auf, der durch eine lautstarke Stimmbandadduktion versucht die funktionelle Residualkapazitiät zu erhöhen und den Kollaps der Luftwege zu vermindern.
 
Mit der Zunahme der elastischen Retraktionskraft und der besseren Stabilität des Thorax verschwinden diese Mechanismen gegen Ende des 1. Lebensjahres.

Atemmuskulatur

Das Zwerchfell ist der wichtigste Atemmuskel und jede Beeinträchtigung der Zwerchfellfunktion prädisponiert insbesondere den Säugling zu Atemnot (Zwerchfellparese, geblähtes Abdomen, Lungenblähung). Das ältere Kind kann eine Zwerchfellparese wegen der geringeren Thoraxcompliance viel besser kompensieren.
Zwerchfell und Interkostalmuskeln sind Antagonisten an der unteren Thoraxapertur und stabilisieren diese während der Inspiration. Der Ansatzwinkel des Zwerchfells an der unteren Thoraxapertur ist beim Säugling viel horizontaler als beim älteren Kind. Dadurch besteht die Tendenz zur Retraktion der unteren Rippen während der Inspiration, da das Zwerchfell den Thorax nach innen zieht – eigentlich eine exspiratorische Tätigkeit. Eine paradoxe Einwärtsbewegung der unteren Thoraxapertur während der Inspiration kann bei pulmonaler Überblähung (Hoover-Zeichen) beobachtet werden.
Bei Geburt besteht das Zwerchfell histochemisch hauptsächlich aus schnellen Typ-II-Muskelfasern und es ist deshalb relativ schlecht ausgerüstet eine hohe Atemarbeit aufrecht zu erhalten. Erst mit dem Erreichen des 1. Lebensjahres sind die langsameren, ermüdungsresistenten Typ-I-Muskelfasern vollständig ausgebildet. Ebenfalls benötigen Frühgeborene noch erhebliche Reifungsprozesse in der Koordination der Atemmuskulatur der oberen Luftwege und des Zwerchfells, was sie für obstruktive Apnoen anfällig macht.

Pathophysiologische Veränderungen

Lungenphysiologisch unterscheidet man obstruktive von restriktiven Ventilationsstörungen. Bei vielen Lungenkrankheiten liegen jedoch kombinierte Funktionsstörungen vor, wobei meist eine der beiden Komponenten dominiert. In der Regel wird die Atemarbeit durch eine optimale Kombination von Atemzugvolumen und Atemfrequenz so ökonomisch wie möglich ausgeführt. Da tiefe Atemzüge einen großen Kraftaufwand verlangen, wird bei einer restriktiven Störung die Atmung flacher und die Frequenz erhöht, während bei obstruktiven Störungen die Atemfrequenz vermindert und das Atemzugvolumen erhöht wird. Eine Ausnahme dazu bildet der Säugling, da er aufgrund seiner besonderen Atemmechanik auf eine Erhöhung der Atemarbeit generell mit einer Zunahme der Atemfrequenz reagiert.

Obstruktive Luftwegserkrankungen

Eine Obstruktion der Luftwege kann durch verschiedenste Mechanismen zustande kommen (Abb. 1).
Bei Obstruktionen der extrathorakalen Atemwege entsteht meist ein typischer inspiratorischer Stridor. Wegen der notwendigen Erhöhung des negativen, intrathorakalen Drucks zur Inspiration kommt es zu ausgeprägten thorakalen Retraktionen und paradoxen Atembewegungen, welche beim Säugling wegen seiner hohen Thoraxcompliance besonders ausgeprägt sind. Da auch die Luftwege eine hohe Compliance aufweisen, kommt es während heftiger Inspirationen zusätzlich zum Kollaps der extrathorakalen Atemwege, insbesondere der Trachea. Dieser dynamische Kollaps verschlimmert dabei die bereits bestehende Atemwegsobstruktion.
Umgekehrt stehen bei Obstruktionen der peripheren Atemwege exspiratorische Symptome im Vordergrund. Lungenfunktionell kommt es zu einer Erhöhung des Atemwegswiderstandes und zur Lungenblähung, erkennbar an einer Zunahme der FRC (funktionelle Residualkapazität), des TGV (thorakales Gasvolumen) oder der RV/TLC-Ratio (RV, Residualvolumen; TLC, totale Lungenkapazität). Bei kompletter Obstruktion größerer Luftwege entsteht zudem eine Gasaustauschstörung durch Atelektasenbildung. Forcierte Exspirationen begünstigen wegen der Erhöhung des transpulmonalen Drucks den dynamischen Kollaps der intrathorakalen, kompressiblen Atemwege. Schreit der Säugling wird der dynamische Luftwegskollaps während der Exspiration noch verstärkt. Dies erklärt, warum in vielen Situationen beruhigende Maßnahmen beim Säugling zu einer Besserung der Atemnot beitragen.

Restriktive Ventilationsstörungen

Restriktive Lungenerkrankungen sind charakterisiert durch eine Verminderung der Lungenvolumina ohne Erhöhung des Atemwegswiderstandes. Ursachen können eine Erkrankung des Lungenparenchyms (z. B. Pneumonie, Surfactant-Mangel, interstitielle Lungenerkrankungen), der Pleura (z. B. Erguss, Pneumothorax), Erkrankungen des Thorax (z. B. Kyphoskoliose), neuromuskuläre Erkrankungen (z. B. Muskeldystrophien) oder ein ausgeprägter Zwerchfellhochstand sein.
Weiterführende Literatur
Bryan AC, Wohl MB (1986) Respiratory mechanics in children. In: Geger SR (Hrsg) Handbook of physiology Section 3, Bd. 3, Pt 1. American Physiology Society, Bethesda, S 179–191
Frey U (2001) Why are infants prone to wheeze? Physiological aspects of wheezing disorders in infants. Swiss Med Wkly 131:400–406PubMed
Hammer J, Eber E (Hrsg) (2005) The pecularities of infant respiratory physiology. In: Paediatric pulmonary function testing. Prog Resp Res, Bd 33. Karger, Basel, S 2–7
Kerem E (1996) Why do infants and small children breathe faster? Pediatr Pulmonol 21:65–68CrossRef
Polgar G, Wenig TR (1979) The functional development of the respiratory system from the period of gestation to adulthood. Am Rev Respir Dis 120:625–695PubMed