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Pädiatrie
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Publiziert am: 19.10.2019

Atypische bakterielle Infektionen bei Kindern und Jugendlichen: Mykobakteriosen

Verfasst von: Hans-Iko Huppertz und David Nadal
Mykobakterien sind aerobe, sporenlose, unbewegliche Stäbchen und werden eingeteilt in die 3 Spezies-Gruppen Tuberkulose-Komplex, nichttuberkulöse Mykobakterien und Lepra. Erstere und letztere werden nur von Mensch-zu-Mensch übertragen. Demgegenüber sind nichttuberkulöse Mykobakterien ubiquitär, und die Infektionsquelle können unbelebte Natur oder Tiere sein. Das Krankheitsspektrum reicht insbesondere bei nichttuberkulösen Mykobakterien von unspezifischen Manifestationen bis zu spezifischen Bildern wie Lungentuberkulose oder lepromatöse Lepra. Der Immunkompetente kann Infektionen mit Mykobakterien meist eingrenzen und zuweilen keine Symptome zeigen, während der Immuninkompetente eine Dissemination der Infektion und schwersten Verlauf mit Tod erfahren kann. Beim Immuninkompetenten werden die „typischen“ Krankheitsbilder wegen der verminderten Eingrenzung der Infektion atypisch und entgehen deshalb oft einer frühzeitigen klinischen Erkennung. Das klinische Verdachtsmoment ist weichenstellend für Diagnose, Therapie und die Unterbrechung der Infektkette.
Mikrobiologie
Mykobakterien sind aerobe, sporenlose, unbewegliche Stäbchen und gehören zusammen mit Nocardia, Streptomyces, Rhodococcus, Corynebacterium und anderen Genera zur Ordnung der Actinomycetales. In ihrer Zellwand enthalten sie unterschiedliche Mengen an Mykolsäuren, die den Farbstoff Karbolfuchsin binden. Dies kann diagnostisch genutzt werden, denn selbst unter Einwirkung schwacher Säuren kann Karbolfuchsin nicht mehr aus der Zellwand herausgelöst werden, dies bezeichnet man als Säurefestigkeit in der Ziehl-Neelsen-Färbung.
Mykobakterien haben eine Generationszeit von 2 bis >20 Stunden (Mycobacterium leprae: 14 Tage). Erste Kolonien zeigen sich nach einer Bebrütungszeit von 2 Tagen bis 8 Wochen. Die Wachstumsansprüche sind extrem unterschiedlich. Mycobacterium leprae wurde bisher noch nicht auf zellfreien Medien angezüchtet.
Aus klinischer Sicht kann man Mykobakterien in 3 Gruppen einteilen (Tab. 1):
Tab. 1
Einteilung von Mykobakterien nach klinischer Symptomatik
Spezies
Krankheit
M. tuberculosis-Komplex
M. tuberculosis
Häufigster Erreger der Tuberkulose in Deutschland
M. bovisa
Rindertuberkulose; heute selten auf Menschen übertragen
M. africanum, M. canetti
Seltene Tuberkuloseerreger in Afrika
M. microti, M. pinnipedii
Seltener Tuberkuloseerreger; tierpathogen
Nicht-Tuberkulose-Mykobakterien
M.-avium-intracellulare-Komplex (MAC)
Chronische Lymphadenitis des Kleinkindes; chronische disseminierte Infektionen bei T-Zell-Defekt, chronische Lungeninfektion
M. kansasii
Tuberkuloseähnliche Symptome bei chronischer Lungenkrankheit; Infektion anderer Organe
M. marinum
Papulöse, dann ulzerierende Hautinfektion; Lymphadenitis; „tiefe Infektionen“ nach Kontakt zu kontaminiertem Wasser/Wassertieren
M. scrofulaceum
Lymphadenitis des Kleinkindes; selten andere Infektionen
M. ulcerans
Chronische Ulzeration nach Trauma in Afrika (Buruli-Ulkus), Australien (Bairnsdale-Ulkus) oder Südamerika
M. haemophilum
Knötchen, Abszesse, Fisteln bei T-Zell-Defekt; Lymphadenitis bei Kindern
M.-fortuitum-Komplexb
Infektionen nach Verletzung: Haut, Skelett, Weichteile, Dissemination; chronische Lungenentzündung
M. xenopi
Meist Lungeninfektion bei konsumierender Grundkrankheit
M. szulgai
Sehr selten: chronische Lungeninfektion bei Männern im mittleren Alter
M. malmoense
M. simiae
Lungeninfektionen, vor allem in Israel beschrieben
M. genavense
Disseminierte Infektion bei AIDS
Lepra
 
aDer Tuberkulose-Impfstamm (Bacille-Calmette-Guérin, BCG) ist ein attenuierter M.-bovis-Stamm
bBeinhaltet die 3 schnell wachsenden Spezies M. fortuitum, chelonae und abscessus. Daneben gibt es wenigstens 19 schnell wachsende Spezies mit rein saprophytärem Charakter
1.
Erreger der Tuberkulose,
 
2.
Erreger einer Vielzahl „unspezifischer“ Krankheiten, wie Lymphadenitis, Sepsis oder Osteomyelitis,
 
3.
Erreger der Lepra.
 
Tuberkelbazillus ist der Trivialname für die Erreger der Tuberkulose des Menschen, nämlich M. tuberculosis, M.bovis und selten M. microti, M. africanum und M. canetti. In Mitteleuropa wird die Tuberkulose fast ausschließlich von M. tuberculosis hervorgerufen.
Die lipidreiche Zellwand enthält Glykoplipide und mykolsäurehaltige Glykopeptide und schützt Tuberkulosebakterien vor Umweltfaktoren, Komplement und Makrophagen. Sie hemmt die Fusion von Phagosom und Lysosom und ermöglicht es Mykobakterien, in nichtaktivierten Makrophagen zu überleben. Der Cordfaktor (mykobakterielle Mykolsäure verbunden mit Trehalose, ein wichtiger Virulenzfaktor), bewirkt die für M. tuberculosis charakteristische, zopfartige, parallele Anordnung der Bakterien in einer Reihe, hemmt die Leukozytenchemotaxis und führt zur Granulombildung im Makroorganismus. Zu diagnostischen Zwecken wird Tuberkulin, ein Protein der Zellwand, verwendet.
Nicht-Tuberkulose-Mykobakterien (NTM) oder mycobacteria other than tuberculosis (MOTT) sind weit verbreitet in der Umwelt. Sie sind im Gegensatz zu Tuberkulose-Mykobakterien nicht pathogen für Meerschweinchen, wurden daher lange Zeit auch als apathogen für den Menschen betrachtet und hießen atypische Mykobakterien. Sie sind jedoch durchaus menschenpathogen und keinesfalls atypisch für das Genus Mycobacterium – daher ist dieser Begriff obsolet.
Leprabakterien können weder auf unbelebten Medien noch in Zellkulturen angezüchtet werden: Es gelingt hingegen, sie in Spezialkulturen für eine gewisse Zeit metabolisch aktiv zu halten. Vitale Leprabakterien färben sich klar und einheitlich an, während sich abgestorbene Erreger nur irregulär darstellen. Die Diagnose Lepra wird in Nichtendemiegebieten oft histopathologisch gestellt. Der sog. morphologische Index gibt die Prozentzahl der gleichmäßig angefärbten Leprabakterien an und erlaubt so eine Aussage über die Zahl der lebenden Bakterien im Gewebe. Mycobacterium leprae wächst am besten bei Temperaturen zwischen 20 und 30 °C, daher liegt die Prädilektionsstelle von Lepraläsionen im Bereich der kälteren Körperregionen. Es vermehrt sich außer im Menschen nur noch im Armadillo und in den distalen Extremitäten von Nagern.
Mikrobiologische Diagnostik (außer M. leprae)
Die verschiedenen Verfahren benötigen unterschiedlich lange für den Erregernachweis.
Mikroskopie
Der Nachweis der Säurefestigkeit erfolgt mit der Ziehl-Neelsen-Färbung und/oder mit dem Fluorochrom Auramin. Der wichtigste Vorteil der Mikroskopie ist die rasche Verfügbarkeit des Ergebnisses und die Möglichkeit von Aussagen zur Kontagiosität. Nachteile sind die niedrige Sensitivität – Erregernachweis erst ab 104 Bakterien/ml – und die fehlende Aussage über die nachgewiesene Spezies.
Klassische Kultur
Diese erfolgt auf Spezialnährböden, benötigt 4–8 Wochen und ist weniger sensitiv als neuere Verfahren. Hinzu kommen weitere 1–3 Wochen für die biochemische Differenzierung und Resistenztestung.
Schnellkultur
Die Anzüchtung in speziellen Flüssigmedien erlaubt den frühzeitigen Erregernachweis durch halb automatische Bestimmung von mykobakteriellen Stoffwechselprodukten innerhalb von 1–2 Wochen. Ist Stoffwechselaktivität nachweisbar, so erlauben DNA-Sonden die Speziesdifferenzierung innerhalb von Stunden. Wenn die molekulare Grundlage von Resistenzen gegen Tuberkulostatika bekannt ist, kann diese auch rasch genotypisch erkannt werden, insbesondere gegen INH und RMP.
PCR aus klinischem Untersuchungsmaterial
Entsprechende Verfahren stehen zur Verfügung, die Sensitivität liegt bei 65 %, die Spezifität bei 98 %.

Tuberkulose

Definition
Die Tuberkulose ist eine Infektionskrankheit, die bei einem Teil der Menschen nach Infektion durch Bakterien des M.-tuberculosis-Komplexes auftritt und die klinisch meist als Pneumonie, seltener als Krankheit eines anderen Organs, in Erscheinung tritt. Die Infektion persistiert lebenslang. Als offene Tuberkulose wird eine Tuberkulose-Erkrankung bezeichnet, wenn sich im Sputum oder der Lavage mikroskopisch (!) säurefeste Stäbchen nachweisen lassen.
Epidemiologie
Noch 1895 starben jährlich 25 von 10.000 Menschen in Deutschland an Tuberkulose. Mit der Verbesserung der sozialen Situation der Bevölkerung nahm die Zahl der Neuerkrankungen ab. Dieser Trend wurde weiterhin gefördert durch die Ausrottung der Rindertuberkulose in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Wirksame Medikamente zur Behandlung der Tuberkulose haben diese auch heute noch anhaltende Abnahme der Tuberkuloseinzidenz nur beschleunigt. Im Jahr 2016 wurden nach Daten des RKI in Deutschland 7,1 Tuberkulosefälle pro 100.000 Menschen registriert. Die Fallzahl bei Kindern bis 15 Jahren lag bei 233 Fällen, womit sie erneut leicht zunahm. Die höchste Inzidenz mit 2,9/100.000 zeigen Kinder unter 5 Jahren. Die Inzidenz bei ausländischen Staatsbürgern lag in Deutschland 20-mal höher als bei deutschen Kindern.
Weltweit nimmt die Tuberkulose zu. Etwa ein Drittel der Weltbevölkerung ist mit M. tuberculosis infiziert. Daraus resultieren rund 9,2 Mio. Neuinfektionen und 1,7 Mio. Todesfälle jährlich.
In den industrialisierten Ländern ist die Tuberkulose durch Migration wieder in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Migranten haben weltweit ein erhöhtes Tuberkuloserisiko. Auch die AIDS-Pandemie hat einen – regional stark unterschiedlichen – Beitrag zur weltweiten Zunahme der Tuberkulose geleistet.
Nach Kontakt mit Tuberkulosebakterien erkranken rund 10 % der Infizierten. Etwa die Hälfte davon wird dann selbst zur potenziellen Infektionsquelle. Dies sind praktisch ausschließlich Erwachsene mit kavernöser Lungentuberkulose. Nur wenn ein Infizierter wiederum wenigstens 20 empfängliche Personen ansteckt, bleibt demnach die Durchseuchung konstant. Liegt die Zahl der Infizierten niedriger, so nimmt die Tuberkulose zwangsläufig ab. Frühzeitige „Fallfindung“ und ein intaktes, rasch und konsequent handelndes öffentliches Gesundheitssystem sind daher die wichtigsten Maßnahmen zur Eindämmung der Tuberkulose.
Tuberkulosebakterien werden vorwiegend durch Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch übertragen. Milch (M. bovis), kontaminierte Kleidung, Bronchoskope und andere Gegenstände spielen hierzulande eine untergeordnete Rolle. Kinder infizieren sich vornehmlich bei Erwachsenen oder älteren Geschwistern. Kleinere Endemien wurden beschrieben, in denen Babysitter, Lehrer, Schulbusfahrer, Pflegepersonal, Gärtner oder Süßwarenverkäufer die Infektionsquelle waren. Gelegentlich erkrankten Kinder nach dem Besuch ihrer Großeltern in einem Altersheim. Das Erkrankungsrisiko nach Infektion mit M. tuberculosis ändert sich mit dem Lebensalter. So liegt das Risiko für Säuglinge bei 40–50 %, für Kleinkinder (1–5 Jahre) über 20 %, für Adoleszenten (11–15 Jahre) um die 15 %, dagegen bei Kindern zwischen 5 und 11 Jahren nur bei 5 %, bei Erwachsenen bei 5–10 %.
Pathogenese
Für die Verbreitung der menschlichen Tuberkulose ist die Lungenkaverne bedeutsam. Aus ihr kann ein Kranker bei einem einzigen Hustenstoß mehr als 3000 erregerhaltige Tröpfchen (Durchmesser 2–5 μm) expektorieren, die die Alveolen eines neuen Wirts erreichen können und dort von den Alveolarmakrophagen phagozytiert werden. Die kontaminierten Tröpfchen können stundenlang in der Luft suspendiert bleiben. Ein Infektionsrisiko besteht somit selbst dann noch, wenn der Kranke den Raum schon lange verlassen hat.
Nach 1. Infektion (Primärinfektion) kann sich der Erreger zunächst ungehemmt im Makroorganismus vermehren und in alle Organe verstreut werden. Diese „frühe Aussaat“ im Rahmen der Erstinfektion ist die Grundlage dafür, dass im Rahmen einer relativen Abwehrschwäche im späteren Leben eine postprimäre Organtuberkulose entstehen kann. Etwa 3–8 Wochen nach 1. Infektion setzt die T-zelluläre lmmunität gegen M. tuberculosis ein, nachweisbar durch eine Hypersensitivitätsreaktion Typ IV gegen das Erregerprotein Tuberkulin, die mithilfe eines Hauttests (Mantoux-Test) festgestellt werden kann.
Spezifische CD4-positive Lymphozyten aktivieren Makrophagen über Zytokine (z. B. IFN-γ), intrazelluläre Mykobakterien können jetzt abgetötet werden. Spezifische CD8-positive Lymphozyten können Tuberkelbazillen enthaltende Zellen (z. B. Alveolarzellen) zerstören und fördern Aufnahme und Abtötung der Erreger durch Makrophagen. Die verschiedenen immunologischen Mechanismen führen auch zur Bildung von Granulomen. Diese können schließlich vernarben und verkalken – die Infektion bleibt klinisch „stumm“.
Die pathologisch-anatomischen Veränderungen und Vorgänge hängen entscheidend ab von der Menge des vorhandenen Erregerantigens und von der Immunitätslage des Wirts. Bei guter Immunitätslage und geringen Mengen an Antigen entsteht ein Granulom (proliferative oder produktive Form). Bei Infektion mit großen Mengen an Antigen und gleichfalls guter Immunitätslage ist die entzündliche Reaktion weniger gut organisiert, durch lytische Enzyme von degenerierenden Makrophagen entstehen Nekrosen. Diese haben ein charakteristisches käseartiges Aussehen, man spricht von „Verkäsung“. Bei schlechter Abwehrlage des Wirts finden sich nur wenige Granulozyten und Makrophagen, man spricht von nichtreaktiver Tuberkulose.
Lungentuberkulose im Kindesalter
Nach Inhalation gelangen infektiöse Tröpfchen vorwiegend in die vorderen Segmente der Oberlappen, den Mittellappen und die Lingula sowie in den unteren Anteil der Unterlappen (Gohn-Fokus). In den Alveoli werden die Mykobakterien von Alveolarmakrophagen phagozytiert, können aber nicht abgetötet werden. Infizierte Makrophagen transportieren die Tuberkelbakterien zu den regionalen Lymphknoten. Radiologisch sieht man ein hantelförmiges Infiltrat aus parenchymatösem Herd und vergrößertem Hilus, den Ranke-Primär-Komplex. Erstinfizierte ohne aktivierte zelluläre Abwehr können die Infektion auch an dieser Stelle noch nicht begrenzen. Es erfolgt eine lymphohämatogene Dissemination mit metastatischer Absiedlung vor allem in apikal-posteriore Lungenanteile (Simon-Spitzenherde), Lymphknoten, Nieren und Meningen. Eine lymphohämatogene Streuung nach Erstinfektion ist besonders bei Säuglingen häufig und kann zum Bild der Miliartuberkulose führen, mit einer Vielzahl von Herden in allen Organen (Abb. 1). Zu jeder Zeit im späteren Leben können solche Herde im Rahmen einer Abwehrschwäche gleich welcher Ursache reaktiviert und Ausgang einer sog. aktiven postprimären Tuberkulose werden.
Am primären Infektionsherd können sich die Mykobakterien gerade im frühen Kindesalter bei unzureichender zellvermittelter Immunität oft weiter ausbreiten, es entsteht eine sog. primäre progrediente Pneumonie. Röntgenologisch imponiert diese mit massiver mediastinaler Lymphadenopathie und einer Infiltration meist in den unteren oder mittleren Lungenabschnitten (Abb. 2). Hilus- und Mediastinallymphknoten können extrem groß werden und zum Bronchialkollaps mit distaler Atelektase führen. Aus dem Einbruch von infizierten Lymphknoten in das Bronchialsystem kann eine schwere Pneumonie in den sekundär infizierten Lungenbezirken resultieren.
Jenseits des Kleinkindesalters sind Kinder relativ resistent gegenüber einem Fortschreiten der Krankheit. Die Herde werden durch Rückbildung, Einkapselung und Verkalkung eingedämmt. In den allermeisten Fällen persistieren die Erreger jedoch latent in den primär infizierten Herden, ohne dass eine Krankheit klinisch manifest wird. Die wesentliche Bedeutung der Infektion mit Tuberkulosebakterien in der Kindheit resultiert aus der Entstehung von Infektionsherden, von denen im späteren Leben eine aktive Tuberkulose ausgehen kann.
Lungentuberkulose bei Jugendlichen und Erwachsenen
Früher fanden die meisten Erstinfektionen mit M. tuberculosis während der Kindheit statt. Mit Abnahme der Häufigkeit einer primären Tuberkuloseinfektion in der Kindheit wird in den Industrienationen auch bei Jugendlichen und Erwachsenen häufiger eine Erstinfektion beobachtet. Noch immer ist aber die Tuberkulose in dieser Altersgruppe meist eine postprimäre Tuberkulose. Bedingungen, die das Entstehen einer klinisch manifesten (reaktivierten) Tuberkulose fördern, sind alle Formen von Stress, konsumierende Krankheiten, Krankheiten mit T-Zell-Defekt (z. B. Morbus Hodgkin, AIDS), Krankheiten des RES, Kortikosteroide, Virusinfektionen (Masern, Varizellen), Schwangerschaft, Krebstherapie, Gastrektomie, ileojejunaler Bypass, terminale Niereninsuffizienz, destruierende Lungenkrankheiten, Trauma.
Radiologisch sieht man meist (posteriore) apikale oder subapikale Infiltrate mit oder ohne Kavitation und ohne Vergrößerung von Hiluslymphknoten. Die initialen Lungenherde der unteren und anterioren Lungenfelder und die Hiluslymphknotenvergrößerung sind nicht mehr nachweisbar. Nekrotische Lungenherde haben die Tendenz zur Verflüssigung. Ihr Inhalt kann schließlich nach Anschluss an das Bronchialsystem abgehustet werden. So entstehen Kavernen, aus denen sich M. tuberculosis in 5–6 Logarithmen höherer Konzentration isolieren lässt als aus anderen infizierten Lungenabschnitten. Dies ist ein Grund dafür, weshalb Erwachsene mit Tuberkulose wesentlich infektiöser sind als Kinder. Durch Expektoration infektiösen Materials können im oberen Respirationstrakt und im Gastrointestinaltrakt weitere intrakanikuläre Tuberkuloseherde entstehen. Persistierende Kavernen können sekundär mit Aspergillusarten oder mit NTM (vor allem M.-avium-intracellulare) kolonisiert werden.
Klinische Symptome und Verlauf
Bei der primären Tuberkulose im Kindesalter beobachtet man zum Zeitpunkt der Tuberkulin-Konversion neben unspezifischen Befunden, wie Fieber und Abgeschlagenheit, gelegentlich ein Erythema nodosum oder eine Keratoconjunctivitis phlyktaenulosa. Beide Manifestationen werden als allergische Reaktion auf Tuberkulosebakterien interpretiert. Ein serofibrinöser Pleuraerguss ist die Folge von Nekrosen in der Lunge mit Einbruch in den Pleuraspalt. Bis zum 5. Lebensjahr sind primäre, progrediente Verläufe häufig, Tuberkulose vor der Pubertät ist selten Folge einer postprimären Infektion. Die Reaktivierung eines Tuberkuloseherdes kann asymptomatisch verlaufen und zufällig entdeckt werden.
Patienten mit Tuberkulose klagen über Anorexie, Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust, Schüttelfrost und/oder Nachtschweiß. Da diese Symptome erst langsam und schleichend auftreten, werden sie oft erstaunlich spät bemerkt und über lange Zeit von Patient und Eltern toleriert. Beim Adoleszenten sind Husten und vermehrte Sputumproduktion Folge einer Kavernenbildung und einer Reizung der Bronchialschleimhaut. Das Sputum ist mukopurulent und weist außer der eventuell positiven Ziehl-Neelsen-Färbung keine Besonderheiten im Vergleich zum Sputum bei Pneumonie anderer Ursache auf. Gelegentlich wird fälschlicherweise die Diagnose chronische Bronchitis oder chronischer Raucherhusten gestellt.
Eine Hämoptoe kann durch endobronchiale Erosionen, Gewebeabriss aus einer Kaverne oder durch eine Arrosion der A. pulmonalis (Rasmussen-Aneurysma) entstehen. Eine Hämoptoe kann auch Folge einer Superinfektion mit Aspergillusarten sein. Brustschmerzen sind meist durch eine entzündliche Pleurabeteiligung bedingt. In der Nachbarschaft zu einer Kaverne entsteht eine trockene Pleuritis ohne Erguss. Ein serofibrinöses Exsudat tritt meist früh im Laufe der Infektion auf. Ein Tuberkuloseempyem ist selten. Heiserkeit und Dysphagie weisen auf eine laryngeale Infektion hin. Späte Symptome sind auch Darmperforation, Bildung großer tuberkulöser Tumoren, perirektaler Abszess und Fistelbildung.
Bei der körperlichen Untersuchung gibt es keinen pathognomonischen Befund. Klopfschalldämpfung und verminderter Stimmfremitus weisen auf eine pleurale Verdickung hin. Rasselgeräusche treten oft erst kurz nach einem Hustenstoß auf. Über großen Kavernen lässt sich ein amphorisches Atemgeräusch auskultieren.
Laborbefunde sind üblicherweise uncharakteristisch im Sinne einer Entzündungsreaktion verändert. Im Blutbild sieht man bei fortgeschrittener Krankheit eine normochrome, normozytäre Anämie. Die Leukozytenzahl liegt zwischen 10.000 und 15.000/μl. Eine Monozytose beobachtet man bei weniger als 10 % aller Patienten, häufiger eine relative und absolute Lymphozytose. Häufig findet sich auch eine Thrombozytose. Sehr selten verursacht die Tuberkulose eine leukämoide Reaktion im Differenzialblutbild. Die BSG ist stark beschleunigt, sie eignet sich vor allem als Verlaufsparameter zur Kontrolle des Therapieerfolgs. Hämaturie oder sterile Pyurie weisen auf eine Nierentuberkulose hin. Bei sehr starker Albuminurie ist an eine sekundäre Amyloidose zu denken. Eine Hyponatriämie kann Folge einer inadäquaten Sekretion von antidiuretischem Hormon sein. Differenzialdiagnostisch ist an einen tuberkulosebedingten Morbus Addison zu denken. In den ersten Wochen der Behandlung einer Tuberkulose beobachtet man gelegentlich eine Hyperkalzämie. Sehr selten resultiert daraus ein renaler Kaliumverlust.
Extrapulmonale Tuberkulose
Etwa jeder 5. Patient mit aktiver Tuberkulose leidet hierzulande an einer nichtpulmonalen Form. Intrakanalikulär entstandene Infektionen betreffen vorwiegend den Gastrointestinaltrakt. Sie waren früher eine häufige Komplikation der kavernösen Tuberkulose oder Folge einer Ingestion von M. bovis. Lymphohämatogen bedingte extrapulmonale Tuberkulosen sind Folge einer Reaktivierung von Herden, die zum Zeitpunkt der Erstinfektion entstanden. Die große Mehrzahl der nichtpulmonalen Lungentuberkulosen sind Lymphadenitiden.
Miliartuberkulose
Die gewöhnlich transitorische und leicht verlaufende hämatogene Streuung bei Erstinfektion kann vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern zu einer rasch progredienten Aussaat mit Tausenden von Herden führen. Die Kinder erkranken akut mit hohem, intermittierendem Fieber, Nachtschweiß und gelegentlich Schüttelfrost. Wichtig ist, bei unklarem schwerem fieberhaftem Krankheitsbild an die Miliartuberkulose zu denken, eine entsprechende Diagnostik zu veranlassen und die Anamnese erneut sehr gründlich hinsichtlich bekannter Risikokonstellationen zu vertiefen. Bei Erwachsenen ist das Krankheitsbild zumindest initial weniger dramatisch. Kopfschmerzen weisen auf eine Meningitis hin, Bauchschmerzen auf eine Peritonitis und Brustschmerzen auf eine Pleuritis. Der Röntgenbefund ist meist wegweisend (Abb. 1). Der Tuberkulinhauttest ist bei mindestens einem Viertel der Patienten negativ. Unter den Laborwerten kann eine Anämie, selten auch eine Neutrophilie auffallen. Direktpräparat und Kultur von Sputum und Magensaft sind bei mehr als der Hälfte der Patienten negativ (!). Gut geeignet für einen raschen mikroskopischen Erregernachweis sind Biopsate von Lymphknoten, Leber oder Knochenmark.
Tuberkulose des ZNS
Die tuberkulöse Meningitis ist in der Regel Folge der Ruptur eines subdural gelegenen Herdes in den Arachnoidalraum, seltener Folge einer hämatogenen Aussaat. Drei Viertel der Kinder leiden gleichzeitig an einer pulmonalen Tuberkulose. Die meningeale Entzündung findet sich vor allem an der Hirnbasis. Man findet ein dickes, gelatinöses Exsudat, das später fast fibrösen Charakter annimmt und die Hirnnerven ummauert. Bei Beteiligung von Hirnarterien kann ein Infarkt entstehen, bei Beteiligung kleinerer Arterien ein variables neurologisches Bild, das an eine Enzephalitis erinnert.
Klinisch beobachtet man eine Vielzahl von Symptomen, die von leichten, Wochen andauernden Kopfschmerzen bis hin zum Bild einer akuten Meningoenzephalitis reichen. Eine Hyponatriämie ist Folge einer inadäquaten ADH-Sekretion; weitere Laborbefunde sind uncharakteristisch. Im Liquor findet man überwiegend eine Pleozytose mit einer Zellzahl zwischen 100 und 500/mm3, vorwiegend Lymphozyten und einen Proteingehalt zwischen 100 und 500 mg/dl. Der Liquorzucker ist bei nur 17 % der Patienten erniedrigt (<45 mg/dl). Mit CT oder MRT des Schädels lassen sich Tuberkulome, basale Meningitis, Hirninfarkt und gegebenenfalls ein (beginnender) Hydrocephalus internus diagnostizieren. Eine hochgradige basale Exsudation geht mit einer schlechten Prognose einher. Die tuberkulöse spinale Meningitis ist selten und kommt mit oder ohne intrazerebrale Tuberkulose vor. Tuberkulome können raumfordernd wirken und Zeichen der Kompression des Rückenmarks oder der Nervenwurzeln verursachen.
Skeletttuberkulose
Die Hälfte der Skeletttuberkulosen betrifft die Wirbelsäule, meist als Folge einer hämatogenen Infektion. Diese beginnt an den anterioren Teilen der Wirbelkörper, die zusammenbrechen. Es entsteht ein Gibbus. Tuberkulöses Material entleert sich in einen paraspinalen Abszess, der sich entlang dem M. ileopsoas ausbreitet. Die Tuberkulose peripherer Skelettabschnitte tritt klinisch meist als eine Kombination aus monartikulärer Arthritis und Osteomyelitis in Erscheinung, ohne dass Zeichen der Tuberkulose eines anderen Organs auffindbar wären.
Nierentuberkulose
Die Diagnose ist leicht zu stellen, wenn bei Patienten mit Dysurie, Makrohämaturie und ggf. Flankenschmerz eine Kultur für Mykobakterien angelegt wird. Eine sterile Leukozyturie gilt zwar als klassisch für eine renale Tuberkulose, doch hat ein beachtlicher Prozentsatz der Patienten gleichzeitig eine Harnwegsinfektion mit einem „gewöhnlichen“ Erreger.
Gastrointestinale Tuberkulose
Ulzera, Perforation, Obstruktion, Fistelbildung, Blutungen und Malabsorption sind mögliche Symptome einer gastrointestinalen Tuberkulose. Die häufigste Fehldiagnose ist ein Morbus Crohn. Typisch ist eine Infektion des Zäkums. Mycobacterium tuberculosis ist die häufigste Ursache einer granulomatösen Hepatitis. Die tuberkulöse Peritonitis wird meist durch rupturierende Abdominallymphknoten verursacht. Häufig klagen die Patienten über Fieber, Bauchschmerz, Gewichtsverlust und Anorexie. Die Diagnose wird häufig erst durch die Biopsie gestellt.
Lymphknotentuberkulose
Die tuberkulöse Lymphadenitis tritt vorzugsweise bei sonst asymptomatischen Patienten auf. Fast immer sind die zervikalen oder supraklavikulären Lymphknoten betroffen. Die Diagnose wird durch Biopsie gesichert, die Therapie ist ansonsten konservativ.
Tuberkulose bei Patienten mit AIDS
Die Tuberkulose ist nach der Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie und der Infektion mit M. avium intracellulare (MAI) vielerorts die dritthäufigste Infektionskrankheit bei Patienten mit AIDS. Im Gegensatz zu HIV-negativen Patienten manifestiert sich die Krankheit bei etwa 50 % der Patienten extrapulmonal. Nur durch eine aggressive Diagnostik – Knochenmarkpunktion, Lymphknotenbiopsie – lässt sich die Diagnose frühzeitig sichern. Die antiretrovirale Behandlung hat die Gefahr der Immunrekonstitution zu beachten.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Bei Verdacht auf pulmonale Tuberkulose oder bei Tuberkulose-Exposition im Rahmen einer Umgebungsuntersuchung ist ein Röntgenbild des Thorax anzufertigen. Eine Röntgenaufnahme in p.a.-Projektion (bei Säuglingen a.p.-Projektion) gilt im Regelfall als ausreichend. Eine seitliche Aufnahme ist nicht routinemäßig indiziert, kann aber bei unklaren Befunden ergänzend durchgeführt werden.
Die Computertomografie (CT) der Lunge soll unklaren Fällen mit schwieriger Differenzialdiagnostik, starkem klinischem Verdacht und unauffälligem konventionellen Röntgenbild oder dem Verdacht auf Komplikationen vorbehalten bleiben.
Zur Sicherung der Diagnose und für die mikrobiologische Resistenzprüfung ist der Nachweis des Erregers unentbehrlich. Bei Erwachsenen und älteren Kindern (>13 Jahre) kann dieses Ziel mit 3–5 Sputumproben erreicht werden. Die Aspiration von Magensaft ist eine adäquate Alternative, besonders bei jüngeren Kindern, die kein Sputum expektorieren können. Alternativ kann man mittels Inhalation von β-Mimetika und hypertoner Kochsalzlösung Sputum induzieren. Gelegentlich ist eine Bronchoskopie indiziert, sie erlaubt auch das Absaugen aufgestauten Sekrets. Bei Miliartuberkulose liefert die transbronchiale Lungenbiopsie den differenzialdiagnostisch wichtigen Hinweis der Granulombildung. In einem Drittel der Fälle mit tuberkulöser Meningitis lassen sich mikroskopisch säurefeste Stäbchen im Liquor nachweisen.
Die immunologische Auseinandersetzung des Organismus mit Tuberkulosebakterien wird durch einen intrakutanen Tuberkulosehauttest nach Mendel-Mantoux oder einen IGRA (siehe unten) nachgewiesen. Man appliziert 2 Einheiten (TU) in 0,1 ml RT23 streng intradermal in die Volarseite eines Unterarms. Diese Menge entspricht den früheren 10 Einheiten „gereinigtes Tuberkulin“ (GT) und dieses wiederum entspricht 5 IE des z. B. in den USA verwendeten purified protein derivative (PPD). Das Ablesen – genauer gesagt Abfühlen – erfolgt nach 72 Stunden.
Eine maximale Induration (nicht Rötung!) bis 5 mm Durchmesser ist negativ, bis 6–14 mm positiv und wird bei über 15 mm als sog. Starkreaktion bezeichnet. Falsch-positive Befunde (bis 10 mm) können durch eine Infektion mit NTM bedingt sein, aber auch durch eine Tuberkuloseimpfung. Falsch-negative Hauttestergebnisse beobachtet man bei Sarkoidose, Virusinfektionen (Masern, Varizellen), Krankheiten des RES und unter Therapie mit Glukokortikoiden. Negative Mendel-Mantoux-Tests werden auch in den ersten 3 Monaten nach Infektion mit M. tuberculosis und bei Miliartuberkulose beobachtet.
Zunehmende Bedeutung haben die Interferon-Gamma-Freisetzungstests (IGRA) erlangt. Dabei wird den isolierten Lymphozyten des Patienten hochspezifisches M.-tuberculosis-Antigen zugesetzt und die produzierte Menge an IFN-γ oder die Zahl der IFN-γ produzierenden Lymphozyten gemessen. Bei hoher Spezifität weist der IGRA eine Sensitivität zwischen 60 und 80 % auf. In der Spezifität nach BCG-Impfung oder nach Infektion mit den meisten NTM und in der Sensitivität bei Lymphopenie, zellulärem Immundefekt oder unter immunsuppressiver Therapie ist er dem Tuberkulinhauttest überlegen. Wird die Auswertung des Tuberkulinhauttests nach BCG-Impfung stratifiziert, sind beide Verfahren gleichwertig. Bei Kindern unter 5 Jahren sind häufiger falsch-negative oder nicht auswertbare Resultate beschrieben, sodass in dieser Altersgruppe der Tuberkulinhauttest weiter Standard ist.
Die folgenden 4 Fragen haben einen hohen negativ-prädiktiven Wert (99,8 %) zum Ausschluss einer Tuberkulose. Wird eine der Fragen positiv beantwortet, sollte eine entsprechende Diagnostik, d. h. Tuberkulin-Hauttest oder IGRA, angeschlossen werden.
  • Hat Ihr Kind Kontakt zu Tuberkulose gehabt?
  • Ist jemand aus Ihrer Familie, Ihr Kind eingeschlossen, in einem Land mit hoher Tuberkulosehäufigkeit geboren oder hat sich (innerhalb der letzten 2 Jahre) für längere Zeit in einem solchen Land aufgehalten?
  • Hat Ihr Kind regelmäßigen Kontakt mit Erwachsenen, die ein hohes Tuberkulose-Risiko besitzen, z. B. Obdachlose, Drogenkonsumenten, Migranten?
  • Hat Ihr Kind eine HIV-Infektion (oder Immundefekt)?
Das diagnostische Problem besteht darin herauszufinden, ob 1. ein Kind mit M. tuberculosis infiziert ist und ob 2. eine behandlungsbedürftige aktive Krankheit besteht. Hierzu gibt es 4 Kriterien:
1.
Kontakt zu einem Patienten mit ansteckender (kavernöser) Lungentuberkulose.
 
2.
Kultureller Nachweis von M. tuberculosis oder positive PCR.
 
3.
Positiver Tuberkulinhauttest oder positiver IGRA.
 
4.
Auffällige Röntgenaufnahme des Thorax oder klinische Symptome, die auf eine Tuberkulose hinweisen.
 
Die Diagnose einer aktiven Tuberkulose gilt als gesichert, wenn neben dem 4. Kriterium wenigstens ein weiteres Kriterium zutrifft. Wenn beim klinisch gesunden Patienten nur das 1. und das 3. Zeichen positiv sind, spricht man von latenter Tuberkulose.
Therapie
Vor Verfügbarkeit einer effektiven Chemotherapie lag die Letalität der Tuberkulose bei 50 %, und nur 25 % der Patienten wurden geheilt. Die lange Generationszeit der Tuberkulosebakterien hat 3 therapeutisch relevante Konsequenzen:
1.
Es ist ausreichend, die Medikamente nur 1-mal täglich oder sogar nur 2-mal pro Woche zu geben.
 
2.
Die Therapie muss über viele Monate erfolgen.
 
3.
Eine adäquate Compliance ist notwendig, um eine Heilung zu ermöglichen und um Resistenzen zu verhindern.
 
Erstrang-Therapeutika
Folgende Medikamente gelten als Erstrang-Therapeutika:
1.
Isoniazid (INH): Die empfohlene Dosis liegt bei 10 mg/kg KG/Tag p.o. bei Kindern bis zum Vorschulalter, bei Adoleszenten 7,5 mg/kg und maximal 300 mg. Isoniazid hemmt kompetitiv den Pyridoxin-Metabolismus, weswegen zur Vermeidung einer peripheren Neuropathie prophylaktisch 10 mg Pyridoxin verordnet werden. Eine geringgradige Erhöhung der Leberenzyme wird häufig beobachtet und verschwindet oft auch unter Fortführung der Therapie. Eine akute Lebernekrose ist bei Kindern selten und kündigt sich durch eine klinische Symptomatik an: Eltern und ältere Kinder sind darauf hinzuweisen, dass beim Auftreten von Schmerzen im rechten Oberbauch, bei Übelkeit und Appetitlosigkeit, bei Braunverfärbung des Urins oder bei einer unerklärten Temperaturerhöhung auf >38,3 °C für mehr als 3 Tage der Arzt aufzusuchen ist. Die Leberenzyme sollen vor dem Beginn einer Chemotherapie gegen Tuberkulose überprüft werden und dann in seltener werdenden Abständen, es sei denn, eines der vorangehend genannten Symptome wird beobachtet.
 
2.
Rifampicin (RMP): RMP (15 mg/kg KG/Tag p.o., maximal 600 mg/Tag) ist ebenfalls potenziell hepatotoxisch. Der Patient ist ausdrücklich auf die RMP-bedingte Rotverfärbung von Urin, Tränen und anderen Körpersekreten hinzuweisen. Kontaktlinsen können sich unter RMP permanent rot färben und werden dadurch unbrauchbar.
 
3.
Pyrazinamid (PZA): PZA hat bakterizide Aktivität, erzielt gute Konzentrationen auch im Liquor und ist selten lebertoxisch. Es wird auch von Kindern gut vertragen und in der Initialphase der Tuberkulosetherapie verwendet (35 mg/kg KG/Tag p.o., maximal 2 g/Tag). Beachte: Der BCG-Stamm ist intrinsisch PZA-resistent. PZA sollte daher bei BCG-itis als Komplikation der Tuberkulose-Impfung nicht eingesetzt werden.
 
4.
Ethambutol (EMB): EMB kann Ursache einer Neuritis nervi optici sein. Erstes Zeichen ist oft eine Störung des Rot-grün-Sehens. Da diese Nebenwirkung erst bei älteren Kindern diagnostiziert werden kann, wird EMB meist erst jenseits des Kleinkindalters eingesetzt (20–30 mg/kg KG/Tag p.o., maximal 2 g). Vierwöchentliche Kontrollen des Farbsehvermögens sind indiziert.
 
Ersatzmedikamente
Daneben gibt es Ersatzmedikamente, Zweitrang-Anti-Tuberkulotika, die bei Resistenz oder Unverträglichkeit zum Einsatz kommen (Tab. 2).
Tab. 2
Zweitrang Anti-Tuberkulotika zur Anwendung bei resistenten Tuberkelbakterien
Gruppe
Substanzklasse
Medikamente
Abkürzung
A
Fluorchinolone
Levofloxacin
Lfx
Moxifloxacin
Mfx
B
Injizierbare Medikamente
Am
Capreomycin
Cm
Streptomycin
SM
C
Orale Medikamente
Protionamid
PTH
Ethionamid
ETH
Cycloserin
CS
Linezolid
Lzd
Clofazimin
Cfz
D1
Zusätzliche Medikamente
Hochdosis-INH
INHh
D2
Bedaquilin
Bdq
Delamanid
Dlm
D3
Paraaminosalicylsäure
PAS
Meropenem
Mpm
Imipenem/Cilastin
IMP
Amoxicillin/Clavulansäure
Amx/Clv
Therapeutisches Vorgehen
Je ausgeprägter und schwerer die Infektion verläuft, desto größer wird die Anzahl von Bakterien im Körper des Patienten und desto wahrscheinlicher muss mit der Anwesenheit resistenter Mykobakterien gerechnet werden. Daher hängt die Anzahl der einzusetzenden Medikamente bei Tuberkulose auch von der Schwere der Krankheit ab.
Präventive Therapie
Eine Monotherapie für 9 Monate mit INH als präventive Chemotherapie ist indiziert,
  • wenn der Krankheitsverdächtige asymptomatisch ist,
  • einen normalen Befund bei der körperlichen Untersuchung aufweist,
  • eine unauffällige Röntgenaufnahme des Thorax bietet,
  • kein Hinweis für eine INH-Resistenz bei der Kontaktperson vorliegt und
  • wenn der einzige Grund für die Therapie die Konversion eines Tuberkulosehauttests ist oder ein positiver IGRA gefunden wurde.
Diese Personen sind mit M. tuberculosis infiziert, aber nicht an Tuberkulose erkrankt und haben eine latente Tuberkulose. Auch Patienten, die mit TNF-α-Antagonisten behandelt werden sollen und im Hauttest oder im IGRA positiv sind, erhalten eine präventive Chemotherapie. Eine 3-monatige Behandlung ist ausreichend, wenn man INH mit Rifampicin kombiniert. Bei INH-Unverträglichkeit kann RMP über 4 Monate gegeben werden.
Nach Exposition zu offener Tuberkulose mit INH-sensiblem Erreger und negativem Hauttest/negativem IGRA erhalten alle Kinder ohne Krankheitszeichen für 3 Monate INH. Die Hauttestung/der IGRA ist nach 3 Monaten zu wiederholen. Fällt der Test negativ aus, kann INH abgesetzt werden. Bei Tuberkulinkonversion wird INH für weitere 6 Monate gegeben, alternativ INH und RMP für weitere 3 Monate. HIV-Infizierte sollten weiterhin für 12 Monate behandelt werden.
Therapie der aktiven Tuberkulose
Die Standardtherapie der aktiven Tuberkulose besteht aus INH, RMP, PZA für 2 Monate, dann folgen weitere 4 Monate INH, RMP. Bei komplizierter Primärtuberkulose wie Lymphknoteneinbruch oder Ventilationsstörung durch Kompression eines Bronchus wird initial zusätzlich für 2 Monate EMB gegeben, danach für 6 Monate INH und RMP. Das gleiche Schema gilt auch für extrapulmonale Tuberkulosen mit den im Folgenden genannten Ausnahmen. Falls die tägliche Medikamenteneinnahme nicht sicher gewährleistet ist, kann man auch die Gesamtdosis auf 2 Tage einer Woche verteilen und den Patienten in der Praxis oder dem Gesundheitsamt unter Aufsicht die Medikamente einnehmen lassen (direct observed therapy, DOT).
Eine initiale Vierfachtherapie ist indiziert bei Skeletttuberkulose, Miliartuberkulose, tuberkulöser Meningitis sowie bei vermuteter oder dokumentierter Resistenz gegenüber einem der verwendeten Medikamente. Die Gesamtbehandlungsdauer bei schweren Formen der Tuberkulose sollte 9–12 Monate betragen.
Bei Mehrfachresistenz (resistent gegen INH und RMP) oder höhergradiger Resistenz müssen Medikamente mit nachgewiesener Empfindlichkeit eingesetzt werden: mindestens 4 Präparate, darunter ein injizierbares Aminoglykosid und ein Fluorochinolon für mindestens 12 Monate Gesamtdauer unter DOT.
Der mögliche Nutzen einer Therapie mit Glukokortikoiden bei Tuberkulose ist bis heute nicht belegt. Prednisongaben werden bei Meningitis empfohlen, um die entzündliche Reaktion zu reduzieren und um so eine Liquorzirkulationsstörung zu vermeiden.
Chirurgische Therapie
Gelegentlich ist eine chirurgische Therapie indiziert, etwa bei Spondylitis tuberculosa mit Ausfallsymptomatik im Bereich der Extremitäten oder bei Ileus im Rahmen einer Darmtuberkulose. Ergüsse und Empyeme sollten – auch aus diagnostischen Gründen – abpunktiert werden. Die operative Therapie dient immer nur der Verhinderung von Komplikationen, nur eine antituberkulöse Chemotherapie ist kurativ.
Prophylaxe
Die meisten Kinder mit Tuberkulose sind nicht infektiös. Aufgrund des geringeren Hustenstoßes und meist paucibazillärer Tuberkulose sind Übertragungen durch Säuglinge und Kleinkinder sehr unwahrscheinlich. Bei initial mikroskopisch positivem Befund aus respiratorischem Sekret (Sputum, Lavage) werden Kontrollen der Proben gefordert und der Patient soll mindestens 21 Tage isoliert werden. Kontrollen erfolgen, bis die Zahl der Erreger im Sputum unter antimikrobieller Therapie signifikant abnimmt, also bei negativer Ziehl-Neelsen-Färbung. Zur Versorgung muss das Personal FFP3-Masken tragen. Neugeborene von Müttern mit offener Tuberkulose sollten so gepflegt werden, dass eine Übertragung ausgeschlossen ist.
In Ländern mit hoher Tuberkulose-Prävalenz wird die BCG-Impfung des Neugeborenen durchgeführt, eine Lebendimpfung mit einem von M. bovis abgeleiteten Stamm. Als Komplikation kann an der Injektionsstelle ein Impfulkus auftreten, die regionären Lymphknoten können anschwellen und vereitern und eine Osteitis folgen. Bei angeborenen schweren Immundefekten oder HIV-Infektion ist auch eine eventuell tödlich verlaufende disseminierte Infektion möglich.
Prognose
Die Prognose der Tuberkulose ist bei frühzeitiger Therapie vor Einsetzen von Komplikationen gut. Bei Resistenz gegen Medikamente und/oder fehlender oder mangelhafter Adhärenz kommen aber Todesfälle vor. Die Letalität der Tuberkulosemeningitis ist besonders bei Säuglingen und alten Menschen hoch (20–60 %). Bei 25 % der Überlebenden bleiben neurologische Ausfälle.
Die Tuberkulose ist eine meldepflichtige Krankheit. Jeweils aktuelle Details zur Epidemiologie, dem Vorgehen bei Kontaktpersonen, der Diagnostik und Therapie findet sich auf der Website des Robert Koch-Institutes (http://www.rki.de). Es empfiehlt sich, die Behandlung eines Kindes mit Tuberkulose in Absprache mit einem Experten zu planen und durchzuführen.

Krankheiten durch Nicht-Tuberkulose-Mykobakterien

Mycobacterium avium und M. intracellulare werden zum M.-avium-intracellulare-Komplex (MAC) zusammengefasst. Sie können weltweit aus Erde, Wasserquellen, Hausstaub, Wildtieren, Haustieren oder verschiedenen Nahrungsmitteln isoliert werden. Mycobacterium avium ist ein wichtiger Krankheitserreger bei Geflügel.

NTM-bedingte Lymphadenitis

Bei Kindern sind MAC-Bakterien heute die bei weitem häufigsten Ursachen für die durch Nicht-Tuberkulose-Mykobakterien (NTM) bedingte Lymphadenitis. Dies ist eine Krankheit vorwiegend des Kleinkindesalters, wenn auch Fälle bei Erwachsenen beschrieben sind. Meist sind zervikale, submandibuläre, prä- oder postaurikuläre Lymphknoten betroffen. Die Lymphadenitis beginnt langsam, ist meist einseitig und indolent. Gelegentlich entleert sich spontan eitriges Material aus dem infizierten Gebiet. Eine orale antibiotische Therapie wird wegen des Verdachts auf eine Infektion mit Staphylokokken oder Streptokokken oft begonnen, führt aber nur bei Superinfektion zur vorübergehenden Besserung. Die Kinder sind in gutem Allgemeinzustand. Differenzialdiagnostisch sind Aktinomykose, Katzenkratzkrankheit, pyogene Abszesse, Mumps, Parotissteine, Halszysten und Malignome zu bedenken. Die Diagnose wird histologisch und kulturell gesichert. Bei sehr suggestiver klinischer Situation kann im Einzelfall darauf auch verzichtet werden. Dem Labor ist der Verdacht mitzuteilen, da spezielle Medien und verlängerte Inkubationsdauer notwendig sind. MALDI-TOF und PCR können die Diagnose beschleunigen und die Speziesidentifizierung erleichtern. Nur die Anzucht erlaubt die antimikrobielle Resistenztestung.
Die Therapie besteht in der möglichst vollständigen Exzision des infizierten Gewebes, um eine weitere, evtl. länger dauernde Eiterung und Hautvernarbung zu vermeiden. Ist eine vollständige Entfernung nicht möglich bzw. nicht zu erwarten, sollte der Chirurg dann allenfalls eine Probe entnehmen, aber keine große, möglicherweise verstümmelnde oder wichtige Strukturen (z. B. N. facialis) gefährdende Operation durchführen. Die Frage der antibiotischen Therapie ist umstritten. Im Regelfall ist aufgrund der selbstlimitierenden Erkrankung eine antibiotische Therapie nicht notwendig. Im Einzelfall kann die durch langsam wachsende MAC hervorgerufene Lymphadenitis über 12 Monate mit Clarithromycin, RMP und EMB behandelt werden, evtl. sogar länger. Im Allgemeinen sind MAC gegen diese Substanzen empfindlich.
Finden sich andere NTM, muss die Therapie entsprechend modifiziert werden. Bei Nachweis von M. fortuitum, M. abscessus, oder M. chelonae sollte unbedingt eine antimikrobielle Resistenztestung veranlasst werden.

Andere Infektionen

Bei Patienten mit chronischen Lungenkrankheiten rufen MAC-Bakterien eine schleichende, indolente Pneumonie hervor. Oft werden Tuberkuloselungenkavernen infiziert. Bei Patienten mit zystischer Fibrose führen sie zu vermehrtem Husten, Luftnot und Verschlechterung der Lungenfunktion. Selten verursachen MAC-Bakterien noduläre Hautveränderungen, Ekthyma, Nephritis, Prostatitis, Peritonitis, Mastoiditis, Endokarditis, Knochen- und Weichteilinfektionen. Eine Erregerdissemination kommt auch bei immunkompetenten Menschen vor. Bei Patienten mit AIDS sind Fieber, Nachtschweiß und Gewichtsverlust die Kennzeichen einer disseminierten MAC-Infektion mit extrem hoher Erregerzahl vor allem im Blut und anderen Organen des RES (Kap. „HIV-Infektion und AIDS bei Kindern und Jugendlichen“). Die optimale Therapie ist nicht etabliert, je nach Ergebnis der In-vitro-Resistenztestung wird entweder Clarithromycin oder aber Azithromycin kombiniert mit Ethambutol und Rifabutin, Rifampicin, Clofazimin oder Ciprofloxacin. Eine Monotherapie ist kontraindiziert.
Mycobacterium kansasii verursacht ein von der Tuberkulose kaum zu unterscheidendes Krankheitsbild bei Erwachsenen mit chronischer Lungenkrankheit. Darüber hinaus sind Osteomyelitis, granulierende Hautentzündungen, Phlegmone, Perikarditis sowie eine disseminierte Infektion vor allem bei nichtimmunkompetenten Patienten beschrieben. Selten ist das Bakterium Ursache einer Lymphadenitis beim Kind. Die Therapie besteht in der Gabe von Isoniazid, Rifampicin und Ethambutol für wenigstens 12 Monate.
Mycobacterium marinum führt nach einer Inkubationszeit von 2–8 Wochen bei Menschen mit kleineren Hautulzerationen nach Kontakt mit kontaminiertem Wasser, Fischen oder Krustentieren zu einer oberflächlichen Hautinfektion. Zunächst beobachtet man kleine Papeln, die sich dann vergrößern und schließlich ulzerieren. Eine zweite Form manifestiert sich als lokaler Abszess an der Infektionsstelle, der sich lymphogen ausbreitet. „Tiefe“ Infektionen von Knochen, Gelenken, Bindegewebe und (selten) auch eine Erregerdissemination sind beschrieben worden. Einige Patienten sprechen auf eine 4- bis 12-wöchige Therapie mit Cotrimoxazol oder Tetrazyklin an. Auch Kombinationen aus RMP, EMB und Clarithromycin wurden angewendet. Eine operative Intervention kann hilfreich sein.
Mycobacterium scrofulaceum war früher der häufigste Erreger der Lymphadenitis durch NTM bei Kindern. Selten werden andere Krankheiten wie Konjunktivitis, Pneumonie, Osteomyelitis oder granulomatöse Hepatitis hervorgerufen.
Mycobacterium ulcerans ist Ursache des sog. Buruli-Ulkus in Afrika bzw. des Bairnsdale-Ulkus in Australien und Ulzera in Südamerika: Nach einem Trauma entsteht eine lokale Induration, die ulzeriert und sich subkutan ausbreitet. Die Patienten sind dabei unbeeinträchtigt.
Mycobacterium haemophilum verursacht granulomatöse Hautinfektionen vor allem bei Patienten mit einem T-Zell-Defekt (Transplantatempfänger, AIDS). Man sieht multiple Knötchen, oft in Clustern, meist an den Extremitäten, aber auch im Gesicht, aus denen sich Abszesse und Fisteln entwickeln können. Gelegentlich ist das Bakterium Erreger einer Lymphadenitis bei Kleinkindern. Wegen spezieller Wachstumsbedingungen (Hämin) ist bei Krankheitsverdacht das Labor zu unterrichten.
Zu den schnell wachsenden Mykobakterien zählen das in der Umwelt ubiquitär vorkommende M. fortuitum und M. chelonae. Vor allem nach Verletzungen treten Weichteil- und Skelettinfektionen auf. Hautinfektionen, chronische Lungeninfektion, Dissemination, Otitis media und Kornealulzera sind beschrieben.

Lepra

Definition
Lepra ist eine chronische Infektionskrankheit der Haut, der Nerven und der Schleimhaut des oberen Respirationstrakts.
Epidemiologie
Weltweit leiden 6 Mio. Menschen an Lepra, davon ist die Hälfte unbehandelt. Endemiegebiete existieren in Asien, Afrika, Lateinamerika und im pazifischen Raum. Pro Jahr erkranken 200.000 Menschen neu, die meisten in Indien und Brasilien. Polymorphismen des angeborenen und adaptiven Immunsystems einschließlich HLA-Assoziationen sind mit der Empfänglichkeit und der Form verbunden. In Indien und Afrika sind 90 % der Fälle „tuberkuloid“, in Asien nur 50 %. Man schätzt, dass 90 % der Menschen über eine natürliche Immunität verfügen. Die Übertragung von M. leprae ist bis heute nicht sicher geklärt, wahrscheinlich aber erfolgt sie über Aerosoltröpfchen, die durch Niesen Infizierter freigesetzt werden, wie auch über kontaminierte Erde.
(siehe auch Abschn. „Mikrobiologie“.)
Pathogenese
Mycobacterium leprae wird zwar von Makrophagen Erkrankter phagozytiert, kann aber nicht abgetötet werden und vermehrt sich intrazellulär in Histiozyten der Haut und in Schwann-Zellen. Man findet einen Mangel an M.-leprae-responsiven T-Zell-Vorläufern und eine Vermehrung von T-Suppressorzellen. Man unterscheidet eine tuberkuloide (paucibazilläre) von einer lepromatösen (multibazillären) Lepra.
Klinische Symptome und Verlauf
Nach einer Inkubationszeit von 5–7 Jahren entstehen bei der tuberkuloiden paucibazillären Lepra – gute Immunitätslage – einige gut demarkierte, hypopigmentierte und empfindungsfreie Hautareale mit zentraler Abheilung und Ausbreitungstendenz an den Rändern. Bei der lepromatösen multibazillären Lepra – geringe zelluläre Immunität, histologisch Nachweis vieler säurefester Stäbchen – werden Papeln, Knötchen und Infiltrate an Händen, Füßen und im Gesicht in symmetrischer Verteilung beobachtet. Beim Grenz- oder Mischtyp der Lepra gibt es beide Läsionsformen nebeneinander. Im Frühstadium findet man lediglich hypopigmentierte Bezirke. Wiederholte und von Patienten nicht bemerkte, weil schmerzlose Traumen, Ulzerationen und Frakturen führen zu Deformitäten. Nervenabszesse, akute Orchitis, tibiale Periostitis, Amyloidose, Erythema nodosum, Konjunktivitis, Keratitis und Iridozyklitis sind weitere typische Komplikationen.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Der Erfahrene wird klinisch kaum Schwierigkeiten haben. Ärzte in Nichtendemiegebieten sollten differenzialdiagnostisch u. a. Sarkoidose, Leishmaniose, Lupus vulgaris, Lymphom, Syphilis und Granuloma anulare beachten. Bei typischen klinischen Symptomen ist eine Hautbiopsie vom Rand einer Läsion zum Erregernachweis indiziert. Serologische und molekularbiologische Verfahren stehen zur Verfügung. Um eine Frühdiagnose zu stellen, sollte auch bei neurologischen Manifestationen ohne Hauterscheinungen an die Diagnose gedacht werden.
Therapie
Bei tuberkuloider Lepra wird Dapson (1 mg/kg KG/Tag; Erwachsene 100 mg) nach Ausschluss eines Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangels zur Vermeidung von Resistenzen kombiniert mit RMP (10 mg/kg KG/Tag; Erwachsene 600 mg/Tag) und Clofazimin (1 mg/kg KG/Tag; Erwachsene 50 mg/Tag) für wenigstens 2 Jahre appliziert. Kortikosteroide und gegebenenfalls Thalidomid sind bei Erythema nodosum und Immun-Rekonstitutionssyndrom (IRIS) indiziert. Die Betreuung eines Kindes mit Lepra sollte in Absprache mit einem hierin erfahrenen Tropenmediziner erfolgen.
Prophylaxe
Desinfektion von Nasensekreten und Händewaschen nach Kontakt mit Erkrankten sind empfohlene Maßnahmen. Haushaltskontaktpersonen Erkrankter sollten initial und dann jährlich über wenigstens 5 Jahre hinweg auf das Vorliegen von Krankheitszeichen hin untersucht werden. Für Kontaktpersonen wird die einmalige Gabe von Rifampicin empfohlen.
Prognose
Bei der lepromatösen Form nehmen unter Therapie die Hautinfiltrate innerhalb von Monaten ab, sie verschwinden innerhalb von Jahren. Auch die neurologische Symptomatik bessert sich oft. Bei mehr als 90 % der Patienten ist die Hautbiopsie nach 6 Jahren negativ. Tuberkuloide Läsionen können abnehmen und sogar verschwinden, Hyp- und Anästhesie bleiben oft bestehen.
Weiterführende Literatur
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