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Pädiatrie
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Publiziert am: 09.05.2019

Bewegungsstörungen und Neurotransmittererkrankungen bei Kindern und Jugendlichen

Verfasst von: Birgit Assmann und Christine Klein
In diesem Kapitel werden Bewegungsstörungen vom Typ Dystonie, Parkinsonismus und Chorea bezüglich ihrer pädiatrischen Differenzialdiagnosen dargestellt. Myoklonien, Tremor, Tics und zerebelläre Symptome werden nur als Teilaspekte von beschriebenen Erkrankungen behandelt. Spastische und neuromuskulär bedingte Bewegungsstörungen sind nicht Gegenstand des Kapitels. Die dargestellten Neurotransmitterdefekte betreffen genetisch bedingte Störungen von Synthese, Abbau und Transport der biogenen Amine Dopamin und Serotonin (und damit auch der Katecholamine), nicht jedoch von GABA und anderen Transmittersubstanzen. Die Auswahl der Erkrankungen, die Ausführlichkeit der Darstellung und die Anzahl der Literaturzitate sind nicht nach akademischen Gesichtspunkten, sondern nach pragmatischen Gesichtspunkten für die pädiatrische klinische Praxis zusammengestellt. Seltene und insbesondere relativ neu gefundene behandelbare Erkrankungen werden z. B. überproportional detailliert beschrieben.
Der Begriff extrapyramidales System (EPS) ist mit seinen ursprünglichen anatomischen und funktionellen Implikationen inhaltlich überholt. Die Basalganglien, die zunächst als anatomischer Sitz des EPS definiert wurden, sind komplex mit kortikalen Arealen verschaltet (siehe unten). Es ist daher davon auszugehen, dass die pathophysiologisch relevante Störung bei einigen der sogenannten extrapyramidalen Erkrankungen nicht in den Basalganglien selbst liegt oder zumindest nicht auf diese begrenzt ist. Die Basalganglien haben nicht nur die Funktion einer Optimierung unserer Willkürmotorik, sondern spielen auch eine wesentliche Rolle bei der Integration von Informationen aus dem limbischen System und sind essenziell für kognitive Prozesse.
Dieser Abschnitt behandelt die für Kinderärzte relevanten Krankheiten mit prominenter Beteiligung der Basalganglien und mit besonderer Gewichtung der effektiv behandelbaren Störungen.
Physiologie
Zu den Basalganglien (Abb. 1) zählen: Nucleus (N.) caudatus, Putamen, Globus pallidus (internus, externus, ventralis), N. subthalamicus, Substantia nigra sowie N. accumbens und Teile des Tuberculum olfactorium. Die beiden letztgenannten Kerne gehören auch zum limbischen System. Das Corpus striatum gilt als Synonym für die miteinander anatomisch zusammenhängenden Strukturen N. caudatus und Putamen sowie N. accumbens und partiell Tuberculum olfactorium. Von der Eingangsstation der Basalganglien (Striatum und Teile des N. subthalamicus) führen 2 Hauptwege zur Ausgangsstation (internes Pallidum und Substantia nigra pars reticularis), der direkte und der indirekte Weg. Dysbalancen zwischen diesen beiden Wegen wurden zur Erklärung von hypokinetischen versus hyperkinetischen Bewegungsstörungen herangezogen. Auf dem heutigen Erkenntnisstand ist diese Deutung nur ein Teilaspekt in einem sehr komplex verschalteten System, z. B. wurde der N. subthalamicus als wichtige Schaltstelle erkannt, unter anderem da er auch unter Umgehung des Striatums direkte Impulse aus motorischen kortikalen Arealen erhält (hyperdirekter Weg). Dieser hyperdirekte Weg sowie weitere fokussierte und zeitgleich oder zeitversetzt divergierende Impulse dienen dazu, die im Rahmen eines kortikal entworfenen Bewegungsplans gewünschte motorische Aktivität selektiv zu fördern, während gleichzeitig die dem Bewegungsplan entgegengesetzten Impulse unterdrückt werden. Weiterhin bestehen 5 basalganglionär-thalamokortikale Regelkreise (Basalganglienschleifen), die nach aktuellem Stand in 3 Familien untergliedert werden: motorische Schleifen, präfrontale Schleifen (für komplexe kognitive Funktionen) sowie limbische Schleifen. Sie projizieren streng somatotop getrennt und damit parallel von kortikalen Zellen oder wenigen Zellsäulen über unterschiedliche Kerne der Basalganglien zum Thalamus und von dort zu kortikalen Arealen. Diese Regelkreise bestehen also jeweils aus unzähligen sogenannten Privatleitungen („miniloops“).
Damit wird plausibel, dass Dysfunktionen der Basalganglien komplexe Mischungen von Bewegungs- und Verhaltensstörungen/Zwangshandlungen zeigen können, wie z. B. beim Tourette-Syndrom. Pathophysiologische Details sind bei vielen Störungen jedoch noch ungeklärt.
Begriffsbestimmungen extrapyramidaler Bewegungsstörungen
  • Akinetisch-rigides Syndrom (synonym: Parkinsonismus): Rigor (nicht geschwindigkeitsabhängige Tonuserhöhung), Bradykinese (erschwerte Initiation von Bewegungen, reduzierte Spontanmotorik, reduziertes Mitschwingen der Arme beim Gehen, reduzierte Mimik, evtl. sogenanntes Einfrieren der Bewegungen, gegebenenfalls Mikrografie), gegebenenfalls Tremor und posturale Instabilität.
  • Dystonie: Bewegungsstörung, die durch anhaltende oder intermittierende Muskelkontraktionen gekennzeichnet ist, welche abnorme, häufig repetitive, drehende Bewegungen, Haltungen oder beides verursacht. Dystone Bewegungen folgen typischerweise einem Muster und können mit Tremor einhergehen. Dystonien werden häufig durch Willkürbewegungen ausgelöst oder akzentuiert und sind mit Überlaufbewegungen assoziiert.
    • Athetose: wird überwiegend als distale Ausprägung von Dystonie eingeordnet.
  • Dystonie-Parkinsonismus-Syndrom: eine Kombination, die sich auch bei ausgeprägtem kongenitalem Dopaminmangel findet.
  • Chorea: rasche, unregelmäßige, aber kontinuierlich auftretende, teilweise ruckartige Bewegungen, die in zufälliger Sequenz verschiedene Körperteile involvieren.
    • Ballismus bezeichnet ruckartige Kontraktionen proximaler Muskeln und ist wahrscheinlich eine proximale Variante der Chorea.
    • Hemiballismus, d. h. Ballismus einer Körperseite, ist meist Folge einer einseitigen Läsion des N. subthalamicus.
  • Myoklonus: ruckartige Muskelkontraktion, meist irregulär, auch rhythmisch. Myoklonien können von verschiedenen Zentren des Nervensystems generiert werden (z. B. Kortex, Hirnstamm, Rückenmark). Bei extrapyramidalen Bewegungsstörungen treten sie meist im Zusammenhang mit Dystonien auf.
  • Tic: stereotype Bewegungsstörung mit einem breiten Spektrum. Einfache motorische Tics bestehen meist aus Zuckungen oder Bewegungen im Gesicht- und Schulterbereich (Zwinkern, Naserümpfen, Kopfschütteln usw.). Kennzeichnend ist, dass die pathologische Bewegung vom Patienten vorübergehend unterdrückt werden kann. Tics interferieren nicht mit Willkürmotorik, zeigen sich bei Anspannung seltener (z. B. Arztbesuch). Persistenz im Schlaf ist möglich. Komplexe motorische Tics bestehen aus „Handlungen“, z. B. Nasekratzen, Hüpfen oder ähnliches. Vokale Tics können aus einfachem Räuspern oder Grunzen über stereotype Imitation von Lauten bis hin zur Echolalie oder Koprolalie führen (Kap. „Tic-Störungen“).
  • Tremor: oszillierende, meist rhythmische Bewegungen. Halte-(Aktions-) und Ruhetremor findet sich bei einigen Bewegungsstörungen, Intentionstremor ist Ausdruck zerebellärer Dysfunktion (Tab. 1).
Tab. 1
Qualitäten verschiedener Bewegungsstörungen. (Mod. nach Surtees, mit freundl. Genehmigung; Unterrichtsmaterial des Great Ormond Street Hospital, London)
  
Chorea
Dystonie
Tica
Myoklonus
Tremor
Intention
Ruhe
(+)
(+)
++
(+)
++
Intention
++
++
 
++
 
Geschwindigkeit
Schnell
++
 
++
++
 
Langsam
 
++
  
++
Region
Proximal
++
++
++
++
 
Distal
++
++
++
++
++
Komplexizität
Einfach
  
++a
++
++
Komplex
++
++
   
Variabilität
Stereotyp
  
++
++
++
 
Variabel
++
++
   
aTic bezieht sich hier auf die einfachen Tics, komplexe Tics werden im Text erläutert
Diese Bewegungsstörungen können in Kombination oder chronologischen Abfolgen im Rahmen der jeweiligen Grunderkrankung vorkommen (z. B. erst Dystonie, dann zusätzlich Parkinsonismus). Im Schlaf sistieren die Störungen fast immer, im Wachzustand führt psychische Anspannung außer bei Tics meist zur Verstärkung. Der Begriff Dyskinesie wird häufig für medikamenteninduzierte hyperkinetische Bewegungsstörungen verwendet, oder wenn die Zuordnung unsicher erscheint und eine Mischung aus Chorea > Dystonie beobachtet wird.
Bildgebung bei Krankheiten des extrapyramidalen Systems
Goldstandard ist eine Magnetresonanztomografie (MRT). Spezielle Verfahren, z. B. SPECT (single photon emission computer tomography) oder PET (Positronenemissionstomografie) sind für Kinder nicht validiert, für Jugendliche im Einzelfall möglicherweise hilfreich.

Transiente Störungen zur Differenzialdiagnose von extrapyramidalen Krankheiten

Transiente Dystonie des Säuglings

Diese beginnt meist <6 Monate (bis ca. 2 Jahre möglich) und dauert 1–6 Monate. Typischerweise sind die Arme betroffen (Pronation und Hyperflexion des Handgelenks bei Stütz in Bauchlage), seltener Rumpf oder Bein. Weitere Kennzeichen sind: Sistieren der Dystonie bei Willkürbewegungen der betroffenen Extremität, normale Entwicklung, normale klinische, biochemische und MRT-Befunde. Die Ursache ist unklar, vereinzelt wurde familiäre Häufung beobachtet.

Benigner paroxysmaler Tortikollis

Die Manifestation liegt meist zwischen Neugeborenenalter und 10 Monaten. Typischerweise ereignen sich 1–3 Attacken pro Monat mit einer Dauer von Minuten bis zu maximal 2 Wochen. Auch Latero- oder Retrokollis sowie Rumpf- und Beckenbeteiligung werden beobachtet (Ähnlichkeit mit asymmetrisch tonischem Nackenreflex), teilweise auch Blickdeviation oder rollende Augenbewegungen, Ptosis und Mydriasis oder zerebelläre Ataxie. Auslösung oft durch Lagewechsel von horizontal nach vertikal. Prodromi mit Blässe, Irritabilität, Weinen, Ataxie, Erbrechen sind häufig (Verdacht auf Dysfunktion des Labyrinthorgans, Beziehungen zur benignen paroxysmalen Vertigo? Migräneäquivalent?). Zerebrale Bildgebung (hintere Schädelgrube und kraniozervikaler Übergang!), Suche nach gastroösophagealem Reflux und EEG sind indiziert. Im Intervall zeigt sich ein normaler neurologischer Befund.
Falls die Symptomatik stark belastend ist, kann Topiramat als Prophylaxe und im Anfall gegebenenfalls ein Antiemetikum eingesetzt werden. Die Attacken sistieren spontan bis etwa zum 5. Geburtstag.

Transiente infantile Chorea

Bei Säuglingen um 6 Monate können choreatiforme Bewegungen bei emotionaler Erregung auftreten, es liegt keine Interferenz mit Willkürmotorik vor. Der neurologische Befund und die Entwicklung sind normal.
Paroxysmale tonische Blickdeviation (= benigner tonischer Aufwärtsblick), Spasmus nutans und „shuddering attacks“ (=benigner Säuglingsmyoklonus) sind in Kap. „Nichtepileptische Anfälle und paroxysmale Phänomene bei Kindern und Jugendlichen“ beschrieben.

Dystonien, Dystonie-Parkinsonismus- und Parkinson-Syndrome

Die jüngste Dystonie-Klassifikation von 2013 unterscheidet 2 Hauptachsen: eine klinische und eine ätiologische. Klinische Merkmale umfassen dabei das Erkrankungsalter (Neugeborenenalter, Kindheit, Jugend, frühes oder spätes Erwachsenenalter), die Symptomverteilung (fokal, segmental, multifokal oder generalisiert), den zeitlichen Verlauf (statisch oder progredient; persistierend, aktionsinduziert, Änderungen im Tagesverlauf oder paroxysmal) und mögliche begleitende Zeichen. Liegen keine begleitenden Zeichen – mit Ausnahme eines möglichen Tremors – vor, spricht man von einer isolierten Dystonie. Ist die Dystonie mit anderen Bewegungsstörungen (z. B. Parkinsonismus) kombiniert, liegt eine kombinierte Dystonie vor. Ist die Dystonie Teil eines komplexen Syndroms, das auch nicht-neurologische Zeichen beinhalten kann und wobei die Dystonie nicht zwingend im Vordergrund steht, handelt es sich um eine komplexe Dystonie.
Bei allen Dystonieformen sind geübte Bewegungsabläufe meist stärker betroffen als ungeübte. Daher kann ein Patient, der beim Vorwärtsgehen eine ausgeprägte Dystonie zeigt, beim Rückwärtsgehen kaum beeinträchtigt sein, evtl. sogar von einem auf den nächsten Punkt zielgerichtet springen (analog: Ballfangen bei Dystonie der oberen Extremitäten). Diese Beobachtungen sowie die häufig bizarren Köperhaltungen führen immer wieder dazu, dass die Bewegungsstörung fälschlich als psychogen eingeordnet wird. Fokale Dystonien bei Kindern sind fast immer progredient bis zur Generalisierung – je jünger, desto mehr (d. h. differenzialdiagnostische Überlegungen sollten primär nicht unter dem Stichwort fokale Dystonie erfolgen).
Die ätiologische Achse der Dystonien umfasst ein breites Spektrum von traumatisch über metabolisch, entzündlich bis genetisch. Beschreibungen von Dystonien sollen sich zur exakten Darstellung der Symptome einer Dystonie und gegebenenfalls der Ätiologie dieses Schemas bedienen, z. B. monogene, generalisierte, isolierte Dystonie mit Beginn im Kindesalter (DYT-Tor1A). Die früher benutzte Nomenklatur, die klinische und ätiologische Merkmale vermischte, und dadurch in vielen Fällen weder korrekt noch spezifisch anwendbar war, wurde zugunsten der oben genannten Begriffe verlassen. Dabei entspricht die isolierte Dystonie am ehesten der früheren primären, die kombinierte beschreibt in der Regel die früheren Dystonie-plus-Syndrome und komplexe Dystonien überlappen am ehesten mit Merkmalen der früher als sekundär bezeichneten Formen.
Im Folgenden werden monogene Dystonien mit Beginn im Kindesalter und zweifelsfrei bestätigtem Gendefekt detaillierter beschrieben. Die genetische Klassifikation der Dystonien entstand historisch, nachdem zunächst eine Region, dann ein Genort der idiopathischen Torsionsdystonie zugeordnet werden konnte (9q32= DYT1). Diese Auflistung erblicher Dystonieformen in chronologischer, nummerierter Reihenfolge hat sich bei der ständig wachsenden Zahl genetisch bedingter Dystonieformen als zunehmend unpraktisch und auch fehlerhaft erwiesen. Das in großen Teilen inkonsistente Nummerierungssystem war inkomplett und enthielt eine Reihe nicht bestätigter „Dystoniegene“ sowie Genorte und Beschreibungen dystoner Symptome einzelner Familien, ohne dass ein Gen überhaupt bekannt war. Die aktuelle Nomenklatur genetischer Dystonien kombiniert das Präfix DYT, das – mit einem Bindestrich getrennt – vom betreffenden kausalen Gen gefolgt ist (z. B. DYT-TOR1A). Bei kombinierten oder komplexen Dystonieformen, bei denen ein weiterer Phänotyp prominent ist, gibt es zusammengesetzte Präfixe, z. B. DYT/PARK bei den Dystonie-Parkinsonismus-Syndromen.

Isolierte monogene Dystonien

Ein vollständiger und nach spezifischen demografischen und genetischen Merkmalen filterbarer Überblick über die isolierten und ausgewählte kombinierte Dystonieformen findet sich unter www.mdsgene.org. Die in dieser Online-Datenbank repräsentierten Daten beruhen auf einer systematischen und kompletten Analyse der Weltliteratur in der englischen Sprache der jeweiligen Dystonieform.
Die meisten der hier beschriebenen isolierten Dystonien folgen einem autosomal-dominanten Erbgang. Die Mutationen in den entsprechenden Genen zeigen eine reduzierte Penetranz, d. h. ein Teil der Mutationsträger manifestiert die Erkrankung nicht. Weiterhin typisch sind ein breites phänotypisches Spektrum und ein variables Erkrankungsalter.

DYT-TOR1A (im Kindesalter beginnende, generalisierende Dystonie)

Diese Dystonieform, auch als Oppenheim-Dystonie, Dystonia musculorum deformans und früher DYT1-Dystonie bekannt, manifestiert sich typischerweise in der Kindheit an einer Extremität, häufig an einem Bein. Die Dystonie breitet sich im Verlauf zumeist auf andere Körperregionen in kaudo-kranialer Richtung aus und spart Hals und Gesicht nicht selten aus. Die einzige bestätigte und weltweit vorkommende Mutation im Torsin1A(TOR1A)-Gen ist eine Dreibasenpaar-Deletion (GAG) in Exon 5, die zum Verlust eines Glutamats führt. Die Penetranz dieser Mutation ist auf ca. 30 % reduziert; isolierte Formen (z. B. als Schreibkrampf) können ebenfalls vorkommen. Diese Dystonieform erklärt ca. 15–55 % aller isolierten, generalisierten Dystonien in der nichtjüdischen Bevölkerung und – aufgrund eines Gründereffekts – 80–90 % in der Aschkenasi-jüdischen Bevölkerung. Wie bei allen isolierten Dystonien ist die mentale Entwicklung der Kinder unbeeinträchtigt, es liegen keine Augenbewegungsstörungen, keine pyramidalen, zerebellären oder sensiblen Störungen vor. Labordiagnostik und zerebrale Bildgebung sind unauffällig. Die Lebenserwartung ist nicht grundsätzlich reduziert. Bei Manifestation in oder nach der Adoleszenz beginnt die Dystonie häufig in den oberen Extremitäten und verläuft insgesamt leichter, eine Generalisierung ist nicht obligat. Die Patienten profitieren erheblich von einer tiefen Hirnstimulation.

DYT-THAP1 (in der Jugend beginnende, generalisierende Dystonie mit prominenter Dysphonie)

Das Erkrankungsalter dieser Dystonieform liegt in der Jugend und betrifft vorwiegend die Muskeln der Zunge, des Larynx und des Gesichtes, was häufig in eine prominente Dysphonie mündet und bis zur Aphonie führen kann. Eine Tendenz zur Generalisierung besteht ebenfalls, wobei die unteren Extremitäten jedoch häufig nur gering betroffen sind. DYT-THAP1 wurde ursprünglich bei Mennoniten identifiziert, kommt aber weltweit vor, im Gegensatz zu DYT-TOR1A jedoch in Verbindung mit ca. 100 unterschiedlichen, bekannten Mutationen im THAP1-domain-containing-1(THAP1)-Gen. Die Penetranz dieser Mutationen ist mit ca. 50 % ebenfalls reduziert. Das Ansprechen auf eine tiefe Hirnstimulation ist bei DYT-THAP1-Patienten variabel und häufig nur von mäßigem Erfolg gekennzeichnet.

DYT-PRKRA (in der Jugend beginnende, generalisierende Dystonie)

DYT-PRKRA ist eine sehr seltene Dystonieform, die im Kindesalter beginnen kann und ursprünglich zu den kombinierten Dystonien gezählt wurde. In der Rückschau auf die älteren sowie in der neueren Literatur scheint sich jedoch das Vorliegen eines Parkinsonismus nicht zu bestätigen, sodass diese Dystonieform hier bei den isolierten Formen erwähnt wird. Sie folgt als einzige in dieser Gruppe einem autosomal-rezessiven Erbgang und ist durch biallelische Mutationen im Protein-Activator-of-Interferon-Induced-Protein-Kinase-EIF2AK2(PRKRA)-Gen verursacht.

DYT-KMT2B (im Kindesalter beginnende, generalisierende Dystonie mit Dysphonie, teilweise mit Zusatzbefunden)

Die genaue Einordnung von DYT-KMT2B, einer dominant vererbten Dystonieform, aber auch mit häufigem Auftreten von De-novo-Mutationen im Lysine-Methyltransferase-2B(KMT2B)-Gen ist noch nicht eindeutig abgeschlossen. Phänotypisch zeigen die meisten Patienten eine sich ab der frühen Kindheit von den Beinen her ausbreitende Dystonie, die später auch eine Dysphonie einschließt und z. T. in Kombination mit einer Mikrozephalie und einer zumindest leichten kognitiven Beeinträchtigung vergesellschaftet sein kann. Einige Kinder zeigen auch syndromale Auffälligkeiten des Gesichts, sodass man DYT-KMT2B gegebenenfalls auch als komplexe Dystonie ansehen kann. Bei zwar noch relativ geringer Datenlage scheint die Behandlung mit tiefer Hirnstimulation gute Erfolge zu bringen.

Weitere Formen

DYT-GNAL und DYT-ANO3 sind segmentale Dystonien mit Beginn vorwiegend im Erwachsenenalter durch Mutationen in den Genen G Protein Subunit Alpha L (GNAL) und Anoctamin 3 (ANO3) verursacht und werden in diesem Kapitel nicht näher beschrieben.

Kombinierte monogene Dystonien

Die kombinierten monogenen Dystonien werden untergliedert in Dystonie-Parkinsonismus-Syndrome, Myoklonus-Dystonie-Syndrome und Parkinson-Syndrome und umfassen zahlreiche Erkrankungen, die im Folgenden näher beschrieben werden.
Kombinierte monogene Dystonien
1.
Dystonie-Parkinsonismus-Syndrome
a.
Dopamin-Transporterdefektsyndrom (MIM 613135)
 
b.
Vesikulärer Monoamin-Transporterdefekt VMAT2 (MIM 193001)
 
c.
Biosynthesestörungen von Dopamin und Serotonin
 
d.
Therapie von Dystonie und Dystonie-Parkinsonismus
 
 
2.
Myoklonus-Dystonie-Syndrome
a.
Paroxysmale Dyskinesien
  • PxMD-MR1 (paroxysmale nicht-kinesiogene Dyskinesie)
  • PxMD-PRRT2 (paroxysmale kinesiogene Dyskinesie)
  • PxMD-SLC2A1 (paroxysmale Anstrengungs-induzierte Dyskinesie)
 
 
3.
Parkinson-Syndrome
 

Dystonie-Parkinsonismus-Syndrome

Ein Teil der Dystonie-Parkinsonismus-Syndrome beruht auf angeborenen Störungen des Dopamin-, Katecholamin- und Serotoninstoffwechsels oder des -transportes und manifestiert sich meist ab dem Säuglings- oder frühen Kindesalter. Diese genetischen Defekte sind oft kausal oder zumindest symptomatisch mit dopaminerger Medikation sowie teilweise mit 5-Hydroxytryptophan und anderen Maßnahmen zu behandeln. Je früher die Behandlung einsetzt, desto besser ist die Prognose. Daher werden diese Störungen im Folgenden ausführlicher dargestellt als andere genetisch bedingte Bewegungsstörungen.

Dopamin-Transporterdefektsyndrom (MIM 613135)

Betroffen ist das SLC6A3-Gen, Genort 5p15.33, Protein DAT1 (synaptischer Dopamintransporter). Klinisch führend ist ein progredientes infantiles Parkinsonismus-Dystonie-Syndrom mit stark erhöhten Dopaminmetaboliten im Liquor, meist im Verlauf einer Sakkadeninitiationsstörung, evtl. auch einem „ocular flutter“ und gelegentlich okulogyren Krisen. Im Säuglingsalter kann die Bewegungsstörung zunächst choreatiform imponieren, im Verlauf werden die Patienten hypokinetisch-rigide. Im Gegensatz zur progredienten Bewegungsstörung bleibt die mentale Entwicklung mit Fortschritten bestehen. Therapeutisch liegen bislang nur symptomatische Ansätze vor. Verläufe mit Manifestation im Schulalter wurden beschrieben. Pharmakologisch wird der Dopamintransporter DAT1 von Methylphenidat blockiert.

Vesikulärer Monoamin-Transporterdefekt VMAT2 (MIM 193001)

Mutationen im SLC18A2 Gen (10q25.3) wurden 2013 publiziert als Ursache einer komplexen Entwicklungsstörung mit zusammenfassend Parkinsonismus-Dystonie und Ptosis sowie vegetativer Symptomatik (Schwitzen, kalte Extremitäten, behinderte Nasenatmung, Schlafstörungen). Der vesikuläre Monoamintransporter sorgt für die Füllung präsynaptischer Vesikel mit Dopamin und mit Serotonin. Die beschriebene Symptomatik lässt sich mit einem Mangel an Dopamin (v. a. der motorische Teil) und Serotonin (der vegetative Teil) gut erklären. Die Gabe von L-Dopa führt zu Verschlechterung, die Gabe eines Dopaminagonisten (Pramipexol) hingegen zu deutlicher Verbesserung der Symptome. 2016 wurden Geschwister einer zweiten Familie publiziert und 2017 ein weiteres betroffenes Kind. Weder Liquor- noch Urinbefunde sind wegweisend, jedoch ist eine erniedrigte Serotoninkonzentration im Vollblut hinweisend. Die Diagnose ist molekulargenetisch zu stellen. Der VMAT2 wird pharmakologisch durch die Gabe von Tetrabenazin gehemmt, was zur Reduktion von Dopamin, Serotonin und Noradrenalin im Vesikel führt mit konsekutiv geringeren Konzentrationen im synaptischen Spalt bei einem Aktionspotenzial.

Biosynthesestörungen von Dopamin und Serotonin

Physiologie und Pathophysiologie
In Abb. 2 ist der Biosyntheseweg der Neurotransmitter Dopamin und Serotonin skizziert, die zusammenfassend auch biogene Amine genannt werden. Die wesentlichen Enzyme sind:
a.
Enzyme der Biosynthese von Tetrahydrobiopterin: Guanosintriphosphatcyclohydrolase I (GTPCH1), 6-Pyruvoyltetrahydopterin-Synthase (PTPS), Sepiapterinreduktase (SR), Dihydropteridinreduktase (DHPR) (Kap. „Aminoazidopathien“),
 
b.
Enzyme der Synthese von Dopamin und Serotonin: Tyrosinhydroxylase (TH), Tryptophanhydroxylase (TRH), aromatische L-Aminosäuredecarboxylase (AADC),
 
c.
Enzyme des Abbaus von Serotonin und Dopamin: Catechol-O-Methyltransferase (COMT), Monoaminoxidase (MAO).
 
Ein Defekt der Tyrosinhydroxylase (TH) führt zu isolierter Dopaminverarmung, alle anderen Defekte zu simultanem Mangel von Serotonin und Dopamin. Ein genetischer Defekt der Tryptophanhydroxylase wurde bislang bei keinem Patienten gefunden, sodass die Symptomatik des isolierten Serotoninmangels, die bei diesem Defekt bestehen würde, bislang unbekannt ist. Autosomal-rezessive Defekte von Synthese oder Recycling von Tetrahydrobiopterin (PTPS-, SR-, DHPR-Mangel) führen zusätzlich zu einem Mangel an NO (Stickoxid), der wahrscheinlich Schäden an Neuronen und Myelin verursacht. Diese Patienten können zusätzlich zu den Folgen des Mangels an Dopamin und Serotonin (im Säuglingsalter Hypotonie, dann Parkinsonismus-Dystonie) eine kongenitale Mikrozephalie und manchmal eine Epilepsie zeigen. PTPS- und DHPR-Mangel sowie der seltene autosomal-rezessiv erbliche GTPCH1-Mangel fallen im Neugeborenenscreening durch erhöhte Phenylalaninwerte auf (sog. atypische Phenylketonurie, Kap. „Aminoazidopathien“). Der DNAJC12-Mangel wurde 2017 erstmals publiziert und fällt ebenfalls durch Hyperphenylalaninämie im Neugeborenenalter sowie Mangel an biogenen Aminen im Liquor auf. Das klinische Bild der bisher beschriebenen 25 Patienten ist extrem heterogen und reicht unbehandelt von einer unauffälligen neurologischen Entwicklung bis zur schweren globalen Behinderung mit Bewegungsstörung, die vorwiegend aus Dystonie-Parkinsonismus besteht und L-Dopa-responsiv ist (siehe unten, „Therapie von Dystonie und Dystonie-Parkinsonismus“, „Pterindefekte“). Das Gen kodiert für ein co-Chaperon, das für die funktionsfähige Struktur der Phenylalanin- und wahrscheinlich auch der Tyrosin- und Tryptophanhydroxylase erforderlich ist. SR-Mangel sowie der autosomal-dominante GTPCH1-Mangel zeigen keine Hyperphenylalaninämie.
Durch spezielle Liquor- und gegebenenfalls weiterführende Untersuchungen kann in den meisten Fällen das defekte Enzym identifiziert werden. Die klinischen Symptome dieser Störungen sind am deutlichsten durch das Ausmaß des Dopaminmangels geprägt, sodass die Zuordnung zum zugrunde liegenden Defekt nicht allein klinisch erfolgen kann. Die Mehrzahl der Patienten kann kausal behandelt werden, daher sollte die Indikation zu entsprechender Liquordiagnostik (siehe unten) großzügig gestellt werden!
Klinische Symptome
Vollbild des schweren Dopaminmangels (Dystonie-Parkinsonismus-Syndrom)
Ausgeprägte Hypotonie im Neugeborenen- und Säuglingsalter mit fehlender Spontanmotorik, Ptosis, Miosis, im Verlauf leichte distale Chorea, evtl. auch Tremor, fehlende Mimik und okulogyre Krisen (konjugierte Blickwendung nach oben). Falls nicht behandelt wird, folgen reduziertes Hirnwachstum, psychomotorische Entwicklungsstörung und ab dem 2. Lebenshalbjahr insbesondere bei Pterindefekten die Entwicklung einer Epilepsie. Die Dystonie zeigt sich ebenfalls gegen Ende des 1. Lebenshalbjahres gegebenenfalls mit Rigor und Bradykinese kombiniert. Bei Neu- und Frühgeborenen können evtl. anfangs Hypoglykämieneigung und instabile Blutdrucke beobachtet werden (Katecholaminmangel). Die zerebrale Bildgebung ist meist normal.
Leichter und moderater Dopaminmangel
Ein leichter Dopaminmangel zeigt sich in 3 klinischen Erscheinungsformen:
  • Segawa-Syndrom (uneinheitliche Verwendung des Begriffs in der Literatur): Beginn meist im Vorschulalter mit „eigenartigem“, dystonem Gangbild. Verstärkung der Symptomatik im Verlauf des Tages, Besserung nach Schlaf. Langsame Progredienz zu oberen Extremitäten (im Erwachsenenalter zusätzlich Parkinson-Symptome). Die mentale Entwicklung ist unbeeinträchtigt. Biochemisch findet sich meist ein GTPCH1-Mangel, aber auch Parkin-Mutationen oder Mutationen in PINK1 sind möglich.
    Anmerkung: Häufig wird Segawa-Syndrom mit dopa-responsiver Dystonie (DRD) gleichgesetzt. 25 % der DRD-Patienten zeigen keine tageszeitabhängigen Fluktuationen. Jedoch sind manche Dystonien mit L-Dopa/Carbidopa zu bessern, die nicht genetisch durch Dopaminsynthesemangel verursacht sind (z. B. Mutationen in Parkin, PINK1 oder hypoxisch induzierte und andere Dystonien oder Dystonie-Parkinsonismus-Syndrome).
  • Spastische Diparese, die sich klinisch nicht sicher von einer hereditären spastischen Spinalparalyse unterscheiden lässt (z. B. sind GTPCH1- und TH-defiziente Patienten beschrieben). Daher sollte immer ein L-Dopa/Carbidopa-Versuch bei Verdacht auf hereditäre spastische Spinalparalyse durchgeführt werden.
  • „Zerebralparese“: Bei einigen Patienten wurde eine vermeintliche Zerebralparese diagnostiziert, bevor eine kongenitale Neurotransmitterstörung gefunden wurde.
Eine hohe phänotypische Variabiltät monogener Defekte findet sich auch innerhalb der gleichen Familie (meist bei GTPCH1-Mangel).
Diagnose
Liquordiagnostik
Ein typisches Segawa-Syndrom kann ohne Untersuchung des Liquor cerebrospinalis diagnostiziert und behandelt werden. Bei weniger typischem Bild sollte vor Beginn einer Therapie eine gezielte Liquoranalytik erfolgen. Dopaminmetabolite im Liquor sind u. a. bei intravenöser Dopamintherapie erfahrungsgemäß nicht auswertbar, obwohl Dopamin eine intakte Blut-Hirn-Schranke nicht passieren sollte. Medikamente, die in anderen Transmittersystemen wirken, z. B. GABA-erge Substanzen, müssen zur Punktion nicht abgesetzt werden. Wegen kraniokaudaler Gradienten der Metabolite sowie ausgeprägter Altersabhängigkeit sollten die Abnahmemodalitäten vorher mit dem jeweiligen Labor abgeklärt werden, da die wenigen Labore, die diese Spezialanalytik anbieten, eigene Abnahmeprotokolle und Referenzbereiche erarbeitet haben. Wichtigster Punkt ist das sofortige Tieffrieren in Trockeneis oder flüssigem Stickstoff am Patientenbett, außerdem sollten die Fraktionen in nummerierten Gefäßen asserviert werden und für die Bestimmung der Pterinspezies lichtgeschützt (Alufolie) und evtl. mit den Stabilisatoren DTE und DETAPAC versetzt sein (letzteres ebenfalls abhängig vom Labor). Junge Säuglinge mit DHPR-Mangel zeigen häufig normale Pterine im Urin und evtl. im Liquor, daher ist in solchen Fällen die Enzymanalyse aus Trockenblut erforderlich.
Phenylalaninbelastungstest
Bei Patienten mit Segawa-Syndrom oder in unklaren Fällen kann die Durchführung eines Phenylalaninbelastungstests hilfreich sein (Anleitung von auswertendem Labor erfragen). Dieser kann auch unter L-Dopa-Therapie durchgeführt werden.
Bestätigung der Verdachtsdiagnose
Außer bei TH-Mangel ist die Bestimmung der Enzymaktivitäten möglich, z. B. aus Fibroblasten. TH-Defekte können derzeit nur molekulargenetisch bestätigt werden.

Therapie von Dystonie und Dystonie-Parkinsonismus

L-Dopa/Carbidopa
Neben Dopaminsynthesedefekten oder sekundärem Dopaminmangel (z. B. im Rahmen einer Enzephalitis) sprechen auch andere Dystonien, teilweise auch paroxysmale Dystonien auf L-Dopa an, sodass ein entsprechender Therapieversuch bei vielen Dystonien in der Pädiatrie an erster oder zweiter Stelle erwogen werden kann. Einige Empfehlungen sind im Folgenden aufgelistet.
  • L-Dopa bis zu einer Tagesdosis von ca. 300–400 mg immer mit 25 % Carbidopa, bei höheren Dosen vorzugsweise mit 10 % Carbidopa verordnen (Carbidopa verhindert Inaktivierung in der Darmmukosa und Blut-Hirn-Schranke, fixe Kombinationen im Handel). Mischungen mit Benserazid werden präpubertär nicht empfohlen (wegen Beeinträchtigung der Epiphysenfugen bei Ratten).
  • Mindestens 4(–6) Einzeldosen (ED), solange kein Retardpräparat eingesetzt werden kann.
  • Je ausgeprägter der Dopaminmangel/die Symptomatik, desto vorsichtiger sollte dosiert werden. Bei schwer betroffenen Patienten Therapiebeginn z. B. mit 0,5 mg/kg KG/Tag in 4 ED, Steigerung frühestens nach ca. 2–3 Tagen, um die gleiche Dosis bis maximal 10–12 mg/kg KG/Tag. Bei typischem Segawa-Syndrom Anfangsdosis von 1–2 mg/kg KG/Tag in (3-)4 ED möglich mit Steigerung alle 1–2 Wochen um die gleiche Menge bis zur erforderlichen Dosis. Die „volle Substitutionsdosis“, z. B. bei TH-Mangel, beträgt ca. 10(–12) mg/kg KG/Tag in Kombination mit 25 % Carbidopa. (Im angelsächsischen Raum wird oft 10 % Carbidopa eingesetzt, was zu verminderter Verfügbarkeit von L-Dopa im Gehirn führt, mutmaßlich deswegen werden auch höhere Dosierungen beschrieben.) Gerade bei schwer betroffenen Patienten ist jedoch im Bereich von 5–8 mg/kg KG/Tag oft die Grenze der Verträglichkeit erreicht, obwohl noch eine Hypotonie/Dystonie vorliegt.
  • Nebenwirkungen (bei zu schneller Aufdosierung oder Erreichen der maximal tolerierten Dosis) sind: Chorea ca. 1 h nach Gabe (bei nicht retardiertem L-Dopa), Übelkeit, Erbrechen (Aspirationsrisiko bei hypotonen Säuglingen!), Schlafstörung. Domperidon kann gegen Übelkeit eingesetzt werden, gegebenenfalls Verteilung auf zusätzliche Einzeldosen, Reduktion der Tagesdosis bzw. Reduktion der Abenddosis effektiv. Evtl. auch Einsatz von Selegelin (siehe unten).
  • Dauer eines L-Dopa-Versuchs: Atypische Patienten benötigen evtl. 2–3 Monate (selten) und/oder die volle Dosis von ca. 10 mg/kg KG/Tag bis zum Ansprechen, während Patienten mit typischem Segawa-Syndrom innerhalb von Stunden auf geringe Dosen L-Dopa ansprechen. Um atypischen Patienten nicht die Chance einer effektiven Therapie zu nehmen, sollte ein L-Dopa-Versuch daher mit einschleichender Dosierung (siehe oben) bis zur maximal tolerierten Dosis bzw. 10 mg/kg KG/Tag durchgeführt werden, die dann idealerweise über ca. 2 Monate beibehalten wird. Das Absetzen kann in deutlich größeren Dosissprüngen erfolgen. Wenn nach dieser Zeit kein Effekt auf die Symptomatik beobachtet wurde, kann diese als Dopa-nonresponsiv beurteilt werden.
Bei Dopa-responsiven Patienten mit weniger ausgeprägter Symptomatik oder starken Fluktuationen (mit und ohne L-Dopa) kann im Rahmen eines individuellen Heilversuchs auch Pramipexol eingesetzt werden, ein Agonist an dopaminsyntheseregulierenden Autorezeptoren (D3/D2). Da L-Dopa auch zur Bildung freier Radikale führt, wird bei Parkinson-Patienten im frühen Stadium jetzt häufig die Therapie mit Pramipexol begonnen. Der Dopaminagonist Pergolid hat Affinität zu Dopamin-1- und -2-Rezeptoren (D1/D2) und kann ebenfalls im Rahmen eines Heilversuchs eingesetzt werden, z. B. bei AADC-Mangel, der in der Regel nicht L-Dopa-responsiv ist. Falls Fluktuationen bestehen (Wechsel zwischen Dystonie-Parkinsonismus und Chorea als Folge des An- und Abflutens von Dopamin), kann der Zusatz von Selegelin durch Verzögerung des Dopaminabbaus helfen (Selegelin hemmt MAO-B). Man sollte zu Beginn der Zusatztherapie die L-Dopa-Dosis um (30–)50 % reduzieren und gegebenenfalls anschließend langsam wieder steigern. Ein erheblicher Teil der L-Dopa-responsiven Patienten ist alternativ oder zusätzlich mit Anticholinergika behandelbar (z. B. Trihexyphenidyl, Beginn bei Schulkindern mit 2 mg/Tag und Steigerung um 2 mg/Woche bis zur Toleranzgrenze, max. bis 60 mg/Tag in 3 ED). Hochdosiertes Baclofen kann mit L-Dopa kombiniert werden.
Pterindefekte
Bei Pterinsynthesedefekten fehlt auch Serotonin, sodass diesen Patienten auch 5-Hydroxytryptophan (5-HTP, Vorstufe des Serotonin, Abb. 2) substituiert werden muss: im Allgemeinen ca. 2 mg/kg KG/Tag weniger als L-Dopa mit einer Maximaldosis von ca. 8(–10) mg/kg KG/Tag. Das mit L-Dopa fix kombinierte Carbidopa ist ausreichend für beide Substanzen. Sollte 5-HTP alleine verabreicht werden, ist analog ein Zusatz von 25 % bzw. 10 % Carbidopa erforderlich. 5-HTP muss mindestens so vorsichtig eindosiert werden wie L-Dopa und zeigt vor allem gastrointestinale Unverträglichkeiten. Patienten mit PTPS- und PCD-Mangel sowie DNAJC12 sollen zusätzlich Tertahydrobiopterin (BH4) 5–10 mg/kg KG/Tag zur Behandlung der peripheren Hyperphenylalaninämie erhalten. Bei mildem PTPS- und PCD-Mangel ist eine Monotherapie mit BH4 ausreichend. Bei Patienten mit DHPR-Mangel soll die Hyperphenylalaninämie nicht mit BH4, sondern diätetisch behandelt werden, zusätzlich ist die Gabe von Folinsäure (10–20 mg/Tag) erforderlich.
AADC-Mangel
Dieser Defekt ist unbefriedigend therapierbar, da L-Dopa und 5-Hydroxytryptophan im Gehirn nicht weiter metabolisiert werden können. Behandlungserfolge sind in ca. 50 % mit Dopaminagonisten (Bromocriptin, Pramipexol, Pergolid) erreichbar. Kombinationen mit Pyridoxin, Selegelin sowie Anticholinergika können versucht werden.
Weitere Therapieoptione
Im Folgenden wird eine Liste verschiedener therapeutischer Strategien skizziert.
  • Zunächst ein Anticholinergikum (Trihexyphenidyl, siehe oben), da es die breiteste Effektivität zeigt.
  • Wenn unwillkürliche Bewegungen stark stören, Tetrabenazin (entspeichert Dopamin- und Noradrenalinvesikel).
  • Evtl. Dopamin-2-Rezeptorblockade mit Tiapredex oder vorzugsweise atypische Neuroleptika, wenn die unwillkürlichen Bewegungen im Vordergrund stehen.
  • Wenn eine eher hyperkinetische, quälende Dystonie besteht, kann im individuellen Heilversuch Zopiclon oder evtl. Zolpidem eingesetzt werden. Es wirkt auf die α1-Untereinheit des GABA-A-Rezeptors und zeigt kaum Toleranzeffekte mit dann zunehmenden Nebenwirkungen. Für den Einsatz bei Kindern gibt es keine wissenschaftlich erfassten Daten.
  • Wenn eher der Tonus (gegebenenfalls mit Schmerzen) problematisch ist, Baclofen hochdosiert.
  • Wenn die Tonuserhöhung im Vordergrund steht, können weitere Tonussenker wie Dantrolen helfen (evtl. auch die tonussenkenden Nebenwirkungen einer antikonvulsiven Therapie).
  • Benzodiazepine sollten überwiegend beim Status dystonicus eingesetzt werden, gegebenenfalls auch Gasnarkose.
  • In verzweifelten Fällen kann die Kombinaton von Tetrabenazin + Neuroleptikum + Trihexyphenidyl versucht werden, die dem Patienten anstelle der Dystonie ein akinetisch-rigides Syndrom verursacht, das besser erträglich ist (Therapie des Tremors mit Trihexyphenidyl).
  • Intrathekales Baclofen mit hochthorakal liegendem Katheter ist eine Option.
  • Für eine zunehmende Anzahl an Patienten kommt die tiefe Hirnstimulation in Frage.
  • Botulinumtoxin kann in einige Muskelgruppen oder in die Glandula parotis zusätzlich injiziert werden.

Myoklonus-Dystonie-Syndrome (DYT/MYOC-SGCE)

Heterozygote Mutationen im Epsilon-Sarcoglycan(SGCE)-Gen (Epsilon-Sarkoglykan) können bei bis zu 70–80 % aller Patienten mit einer klassischen Myoklonus-Dystonie (DYT/MYOC-SGCE) nachgewiesen werden. Die Myoklonus-Dystonie ist durch im Kindesalter oder Adoleszenz beginnende, aktionsinduzierte Myoklonien gekennzeichnet, die sich unter Einfluss von Alkohol bessern, sowie einer dystonen Symptomatik, die bei vielen Patienten weniger stark als die Myoklonien ausgeprägt ist und vorwiegend die obere Körperhälfte betrifft. Neben motorischen Symptomen entwickeln Träger von SGCE-Mutationen auch häufig psychiatrische Symptome, insbesondere Angst- und Zwangsstörungen und eine Alkoholabhängigkeit. Unter den mehr als 80 beschriebenen Mutationen sind auch Deletionen einzelner Exone oder des gesamten Gens. Letztere sind nicht selten von Deletionen benachbarter Gene begleitet, was mit zusätzlichen klinischen Auffälligkeiten wie Gelenkproblemen einhergehen kann. Wie bei anderen dominant-vererbten Dystonien ist auch bei der DYT-SGCE die Penetranz reduziert. Ursächlich dafür ist das sog. maternale Imprinting, welches dazu führt, dass nur das paternale Allel aktiv ist. Bei Weitergabe der Mutation von der Mutter an die nachfolgende Generation ist die Mutation „unschädlich“, weil die mütterliche DNA aufgrund von epigenetischer Methylierung nicht abgeschrieben wird. Dies ist relevant für die genetische Beratung, da es aufgrund des maternalen Imprintings sehr unwahrscheinlich ist, an der DYT-SGCE zu erkranken, wenn die Mutation von der Mutter vererbt wird. In späteren Generationen kann die Erkrankung hingegen wieder auftreten, wenn die Mutation über einen Sohn übertragen wird.
Es sind weitere Kandidatengene für die Myoklonus-Dystonie beschrieben, aber bisher nicht unabhängig bestätigt und daher hier nicht näher vorgestellt.

Paroxysmale Dyskinesien

Paroxysmale Dyskinesien sind klinisch zumeist durch eine Kombination aus Dystonie, Chorea, Athetose oder Ballismus gekennzeichnet. Sie treten attackenförmig auf, haben zumeist eindeutige Auslöser und können viele Male pro Tag auftreten. Es werden vor allem 3 Hauptformen unterschieden, die alle typischerweise im Kinder- oder Jugendalter beginnen. Die paroxysmalen Bewegungsstörungen werden nach der neuen Nomenklatur mit dem Präfix PxMD bezeichnet (www.mdsgene.org).
  • PxMD-MR1 (paroxysmale nichtkinesiogene Dyskinesie): Attacken der paroxysmalen nicht-kinesiogenen Dyskinesie werden durch Alkohol, Koffein, Stress, Hunger, Müdigkeit oder auch Schokolade ausgelöst. Charakteristisch sind lange Attacken (ca. 10 min bis 6 Stunden, typischerweise in Intervallen von Tagen bis Monaten). Nach der Pubertät nimmt die Attackenfrequenz typischerweise ab. Medikamente sind in manchen Fällen hilfreich (z. B. Clonazepam, Valproat, Gabapentin, Azetazolamid). Zwei pathogene Varianten im Myofibrinogenesis-Regulator-1(MR-1)-Gen (p.A7V und p.A9V) sind als eindeutig pathogen bestätigt.
  • PxMD-PRRT2 (paroxysmale kinesiogene Dyskinesie): Die Attacken der paroxysmalen kinesiogenen Dyskinesie werden durch plötzliche Bewegung ausgelöst. Manchmal genügt bereits die Vorstellung einer schnellen Bewegungsinitiierung, wie z. B. beim Warten an einer Ampel auf das Umspringen auf „grün“. Klinisch gekennzeichnet ist die Erkrankung durch viele kurze Attacken pro Tag (Sekunden bis ca. 2–5 min). Sie beginnt im Lebensalter von 6 Monaten bis ca. 30 Jahren, meist jedoch zwischen 7 und 15 Jahren. Häufig kommt es zu einer „Aura“, meist einer Hemidystonie, bei Gesichtsbeteiligung Dysarthrie/Anarthrie. Als ursächlich wurden Mutationen im Proline-Rich-Transmembrane-Protein-2(PRRT2)-Gen identifiziert. Mutationen in PRRT2 finden sich auch bei der Mehrzahl der Patienten mit familiärer infantiler Epilepsie mit und ohne assoziierte Choreoathetose, wobei unterschiedliche Phänotypen auch innerhalb einer Familie mit derselben familiären Mutation auftreten können. Eine Besserung kann mit Oxcarbazepin (z. B. 6–12 mg/kg KG/Tag), Carbamazepin, Phenytoin (antikonvulsive Standarddosis), Topiramat, Lamotrigin und evtl. Azetazolamid erreicht werden. Nach der Pubertät nimmt die Häufigkeit der Attacken ab.
  • PxMD-SLC2A1 (paroxysmale Anstrengungs-induzierte Dyskinesie): Die Attacken werden durch länger dauernde körperliche Aktivität ausgelöst und können halbseitig auftreten. Kausal sind meist Mutationen im Solute-Carrier-Family-2-Member-1(GLUT1)-Gen (SLC2A1, Glukosetransporter-1-Defekt), die mit ketogener Diät erfolgreich behandelt werden können. Die Attacken sind durch eine Kombination aus Chorea, Athetose und Dystonie gekennzeichnet, wobei die Beine am häufigsten betroffen sind. Die Attackendauer beträgt einige Minuten bis zu einer Stunde. Zusätzlich zu den Bewegungsstörungen können Epilepsie und Migräne auftreten.
Die früher zu den paroxysmalen Dyskinesien hinzugerechnete nächtliche paroxysmale Dystonie wurde als Frontallappenepilepsie auf der Grundlage von Mutationen im nikotinischen Acetylcholinrezeptor identifiziert (ADNFLE, autosomal dominant nocturnal frontal lobe epilepsy, Abschn. 2 in Kap. „Epilepsien bei Kindern und Jugendlichen“). Die Patienten sind im Intervall neurologisch unauffällig, Auslöser und Attackendauer bestimmen die Zuordnung.

Parkinson-Syndrome

Genetische Formen des Morbus Parkinson mit früher Manifestation (durchschnittlich in der 4. Lebensdekade) und einem dem Morbus Parkinson relativ ähnlichen klinischen Bild können in ca. 10 % der Fälle auch bereits im Kindes- oder Jugendalter auftreten, werden rezessiv vererbt und sind durch biallelische Mutationen im Parkin- oder PTEN-induced-Putative-Kinase-1(PINK1)-Gen verursacht. Mutationen im DJ-1-Gen sind nur bei einem einzigen Patienten mit Erkrankungsalter <18 Jahren berichtet und werden hier nicht im Detail behandelt. Die Symptomatik von PARK-Parkin und PARK-PINK1 zeigt im Beginn typischerweise auch eine Dystonie, die gegen Abend stärker wird und sehr gut auf L-Dopa/Carbidopa anspricht, sodass klinisch das Bild einer Dopa-responsiven Dystonie imponieren kann. Von den in der Weltliteratur ca. 100 berichteten PARK-Parkin-Patienten mit einem Erkrankungsalter von <18 Jahren (www.mdsgene.org) erkrankten 12 in der 1. Lebensdekade und – soweit bekannt – zeigten als Erstmanifestation eine Dystonie. Beim selteneren PARK-PINK1-Syndrom sind insgesamt nur 12 Patienten mit einem Erkrankungsalter von <18 Jahren beschrieben (11 davon erkrankten in der 2. Lebensdekade) und eine Dystonie ist auch hier ein prominentes und häufiges Erstsymptom. Unabhängig von der Mutation sprechen die Patienten zumeist hervorragend auf dopaminerge Therapie an.
Parkinsonismus im Sinne einer hypokinetisch-rigiden Bewegungsstörung mit Bradykinesie, evtl. auch posturaler Instabilität findet sich auch als früher oder prominenter Teil der Symptomatik bei verschiedenen anderen genetischen Erkrankungen, z. B. juvenile neuronale Zeroidlipofuszinose, Kufor-Rakeb-Syndrom, Niemann Pick Typ C, oder neuronale intranukleäre Einschlusskörper-Erkrankung.

Komplexe Dystonien

Die meisten der folgenden Erkrankungen, insbesondere ihre Therapie, werden in anderen Kapiteln dieses Buches dargestellt. Hier sollen einige effektiv behandelbare Störungen aufgelistet werden, bei denen (kombinierte) Dystonie-Symptome vorkommen – nach neuer Nomenklatur komplexe Dystonien. Diese sollten großzügig in die Diagnostik einbezogen werden. In Ergänzung zur folgenden Übersicht werden einige der gelisteten Defekte in Bezug auf die neurologischen Aspekte kurz erläutert. Nicht metabolisch-kausal behandelbare Defekte werden anschließend kurz dargestellt.
Effektiv behandelbare Krankheiten mit dystonen Symptomen (früher als sekundäre Dystonien bezeichnet, jetzt komplexe Dystonien)
1.
Manifestation <2 Jahre
  • GAMT-Mangel (Guanidoacetat-Methyltranferase-Mangel)
  • GLUT1-Defekt (Glukosetransporter-1-Mangel)
  • Biotinidasemangel
  • Purinnukleosid-Phosphorylase-Mangel
  • Glutarazidurie Typ I, Methylmalonazidurie und Propionazidurie
  • Pyruvatdehydrogenase-Mangel
 
2.
Manifestation >2 Jahre
  • GLUT1-Defekt (Glukosetransporter-1-Mangel)
  • Methylmalonazidurie, Propionazidurie und Glutarazidurie Typ I
  • Biotin-responsive basal ganglia disease (Thiamintransporter-2-Defekt, SLC19A3)
  • Weitere Thiamin-Transporterdefekte
  • Mangan-Transporterdefekte SLC30A10 und SLC39A14
  • Homocystinurie
  • Pyruvatdehydrogenase-Mangel
 

Purinnukleosid-Phosphorylase-Mangel

Führend ist ein kombinierter Immundefekt, bei dem die pyramidale und extrapyramidale Symptomatik vor dem Immundefekt manifest sein kann. Die Therapie besteht gegebenenfalls in einer Knochenmarktransplantation.

Biotin-responsive basal ganglia disease (Thiamintransporter-2-Defekt, SLC19A3)

Die genetischen Thiamin-Transporterdefekte sind im Kap. „Vitaminresponsive Enzephalopathien bei Kindern und Jugendlichen“ beschrieben. Sie verursachen ein Spektrum von Erkrankungen inklusive Dystonie-Parkinsonismus und Enzephalopathie, die mit Thiamin und evtl. Biotin mit dramatischem Erfolg behandelbar sind.

Mangan-Transporterdefekte

Diese sind in Kap. „Angeborene Glykosylierungsdefekte“ ausführlicher beschrieben. SLC30A10 und SLC 39A14 führen zu endogener Manganintoxikation mit einem progredient verlaufenden Dystonie-Parkinsonismus-Syndrom als neurologischem Leitsymptom mit entsprechenden MRT-Befunden. Die Manifestation liegt meist im Kleinkindes- und Vorschulalter.
Beim SLC30A10-Defekt gehören Hepatopathie und Polyglobulie zum klinischen Bild. Die Mangankonzentrationen im Plasma sind stark erhöht und die Symptome können mit Chelatbildnern (z. B. Na2CaEDTA) sehr deutlich gebessert werden. Der SLC39A8-Defekt führt zu ausgeprägtem Manganmangel und verursacht dadurch in schweren Fällen eine Multisystemerkrankung, die sich biochemisch unter anderem als CDG-II-Muster in der isoelektrischen Fokussierung des Transferrins zeigt. Klinische Leitsymptome sind bereits ab Säuglingsalter ausgeprägte muskuläre Hypotonie mit kognitiver Entwicklungsstörung, Strabismus, (dysproportionierter) Kleinwuchs und zerebelläre Atrophie, gelegentlich auch Epilepsie. Da manganabhängige Enzyme auch mit mitochondrialer Funktion interferieren, wurde auch ein Leigh-like Phänotyp mit CDG-II-Muster beschrieben. Die publizierten Plasmakonzentrationen von Mangan fanden sich im Bereich von unterer Normgrenze bis unterhalb der Nachweisgrenze. Therapeutisch kann zunächst die Glykosilierung (auch des Transferrins, das im Plasma und an der Blut-Hirn-Schranke Mangan transferiert) deutlich verbessert werden und nachfolgend unter anderem Mangan substituiert werden.
Mildere und später beginnende Phänotypen werden wahrscheinlich zukünftig gefunden werden, sodass die Bestimmung von Mangan in Plasma oder Serum in die differenzialdiagnostische Aufarbeitung von Kindern mit motorischen oder kombinierten Entwicklungsstörungen einbezogen werden sollte.

MCT8-Transporterdefekt

Der Monocarboxylat-Transporter(MCT)-8 ist entscheidend für die Aufnahme von Trijodthyronin in Neurone. Genetische Defekte (SLC16A2) haben X-gebundene schwere mentale Retardierung mit extremer Muskelhypotonie und in typischen Fällen peripher dystoner Bewegungsstörung zur Folge bei meist verlangsamten Kopfwachstum und einer erheblichen Verzögerung der Myelinisierung in der zerebralen Bildgebung (wobei Balken und Pyramidenbahn geringer betroffen sind). Die ersten klinischen Beschreibungen wurden als Allan-Herndon-Dudley-Syndrome bekannt. Es entwickelt sich bei manchen Patienten eine Tetraspastik, die trotz Besserung der MRT-Befunde fortbesteht. Bei einigen Patienten wurden stimulussensitive paroxysmale Dystonien/choreoathetotische Bewegungen beobachtet. Diagnostisch wegweisend sind Schilddrüsenparameter im Plasma: T3 und fT3 stark erhöht, T4 und fT4 normal oder niedrig bei (hoch-)normalem TSH. Bei ausgeprägter Kachexie kann ein Behandlungsversuch mit Propylthiouracil hilfreich sein. Aktuell besteht eine Therapiestudie mit Triac (ClinicalTrials.gov, id NCT02060474).

X-linked deafness-dystonia syndrome (Mohr-Tranebjaerg-Syndrom)

Dies ist eine mitochondriale Erkrankung (Kap. „Mitochondriopathien“) mit Defekt des „deafness-dystonia peptide 1“ (Synonym: TIMM8a), Genort Xq22. Dieses Peptid ist zwischen innerer und äußerer Mitochondrienmembran lokalisiert und im komplexen Zusammenspiel mit weiteren Proteinen für den Import von Vorläuferproteinen in das Innere der Mitochondrien erforderlich. Klinische Symptome sind zunächst progrediente Innenohrschwerhörigkeit (<10 Jahre), Entwicklung der Dystonie bei Adoleszenten, Latenz auch >20 Jahre, fakultativ progrediente Sehstörung (größtenteils durch Degeneration der Okzipitallappen sowie milde Optikusatrophie und Retinopathie), Demenz, psychiatrische Erkrankungen oder Verhaltensauffälligkeiten. Die Dystonie kann evtl. durch Clonazepam oder Propranolol gebessert werden.

Differenzialdiagnosen der Dystonien

Transiente Bewegungsstörungen wurden zu Beginn des Kapitels vorgestellt (Abschn. 1).

Sandifer-Syndrom

Das Sandifer-Syndrom ist charakterisiert durch die unten beschriebene Symptomatik bei bestehendem gastroösphagealem Reflux, oft – aber nicht obligat – aufgrund einer axialen Hernie des Magens. Betroffen sind neurologisch gesunde Kinder oder Patienten mit zerebraler Mehrfachbehinderung oder/und vorbestehender Bewegungsstörung. Die Pathogenese ist unklar. Die klinischen Symptome sind ein rezidivierender oder fluktuierender Tortikollis, eine rezidivierende Überstreckung, Verdrehung oder auch rezidivierende Seitwärtsneigung des Rumpfes, bei Säuglingen evtl. nach Mahlzeiten gehäuft, bei älteren Kindern auch unabhängig von der Nahrungsaufnahme. Eine begleitende Anämie kann als Folge von Schleimhautblutungen auftreten.
Die Diagnose wird gesichert mittels pH-Metrie, Sonografie, Kontrastmitteldarstellung des Ösophagus und Ösophagogastroduodenoskopie. Die operative Korrektur der Magenhernie führt zum Sistieren, sofern kein Restreflux bestehen bleibt. Eine symptomatische Therapie führt zur Besserung der Bewegungsstörung.
Wegen der Notwendigkeit einer gezielten Therapie muss die Differenzialdiagnose eines Sandifer-Syndroms bei der Abklärung einer Dystonie stets bedacht werden (Risiko der peptischen Ösophagusstenose und Entwicklung von Metaplasien!).

Chorea

Monogene Chorea

Die sog. benigne hereditäre Chorea wird in vielen Familien ätiologisch einer Mutation des NKX2.1-Gens zugeordnet, das für den thyroid transcription factor 1 (TITF-1) kodiert. Es besteht genetische und phänotypische Variabilität bei meist autosomal-dominantem Erbgang. Der Beginn ist variabel, meist um den 1. Geburtstag (0–12 Jahre, bei TITF-1 <5 Jahre). Die Chorea betrifft in wechselnder Ausprägung alle Körperteile. Es besteht Interferenz mit Willkürmotorik. Der Verlauf ist nach der Anfangsphase nicht progredient mit Besserungstendenzen im Erwachsenenalter. Seit 2012 werden Patienten beschrieben, die eine hyperkinetische, meist choreatiforme Bewegungsstörung zeigen, jedoch zunächst mit Hypotonie und verzögerter motorischer Entwicklung auffallen. Genetisch wurden Mutationen im ADCY5-Gen gefunden. Manche Patienten zeigen zunächst nur episodische Bewegungsstörungen, die ähnlich einer paroxysmalen Chroeoathetose sind, charakteristischerweise jedoch in der Aufwachphase oder der Einschlafphase auftreten. Meist entwickelt sich eine permanente Chorea-dominierte Bewegungsstörung, die üblicherweise nicht progredient, sondern stabil oder mit Besserungstendenzen verläuft. Stürze durch einschießende Dystonien oder Myoklonien können auftreten. Therapeutisch könnte Azetazolamid oder Clonazepam helfen, jedoch haben medikamentöse Therapien hierbei offenbar sehr inkonsistente Effekte.
Biallelische Mutationen im Phosphodiesterase(PDE)-10A-Gen manifestieren sich ebenfalls mit einer im Kindesalter beginnenden Chorea, die mit Auffälligkeiten im Striatum vergesellschaftet ist.

Erworbene Chorea

Die Chorea Sydenham ist eine im Rahmen des rheumatischen Fiebers auftretende Chorea, wobei die Karditis nicht selten klinisch stumm verläuft und die Chorea den anderen Symptomen eines rheumatischen Fiebers um Wochen bis Monate verzögert folgen kann. Vor Beginn der Chorea treten häufig „innere Unruhe“, Stimmungslabilität, Grimassieren, evtl. Hypotonie und vermehrte Stürze sowie Ungeschicklichkeit auf. Auch bei anderen autoimmunologisch verursachten Bewegungsstörungen kann eine choreatische Bewegungsstörung auftreten, oft als Teil einer komplexen Symptomatik (z. B. Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis).

Weitere genetische oder erworbene Erkrankungen mit möglicherweise auftretender Chorea

Dazu gehören Morbus Wilson, spätmanifester Sulfitoxidasemangel, Propionazidurie, Lupus erythematodes, primäres Antiphospholipidsyndrom, bilaterale infantile Nekrose des Corpus striatum, diverse neurodegenerative Erkrankungen, Hyperthyreose, Urämie, hormonelle Antikonzeption u. a.

Chorea bei Neugeborenen (<4 Wochen korrigiertes Alter)

Hierzu zählen pontozerebelläre Hypoplasie Typ II, mitochondriale Erkrankungen, kongenitale Glykosilierungsstörungen (CDG), hypoxisch-ischämisch bedingt, nach Herzoperation.

Therapiemöglichkeiten der Chorea

Bei nicht-immunologischer Chorea kann z. B. antidopaminerg behandelt werden, d. h. mit Tetrabenazin oder Dopamin-2-Rezeptorblockade (Tiapridex oder Neuroleptika) oder auch mit Antikonvulsiva wie Carbamazepin oder Valproat sowie evtl. Clonazepam. Die Langzeitbehandlung mit Neuroleptika, geringfügiger auch mit Tiapredex, beinhaltet das Risiko von Spätdyskinesien, die oft therapieresistent sind. Entsprechend gibt es Ärzte, die in 1. Präferenz Antikonvulsiva einsetzen. Wenn beide Strategien fehlschlagen, kann Amantadin versucht werden. Bei immunologisch bedingter Chorea steht Immunmodulation an 1. Stelle (Steroide, Immunglobuline, Dauertherapie) und gegebenenfalls Erreger-Eradikation. Als individueller Heilversuch kann evtl. Zopiclon als GABA-erges Therapeutikum helfen. Clonazepam oder andere sedierende Medikamente können bei Exazerbationen eingesetzt werden.

Weitere Erkrankungen mit Bewegungsstörungen

Morbus Wilson

Eine neurologische Manifestation ist bei Kindern nicht auszuschließen (Kap. „Morbus Wilson bei Kindern und Jugendlichen“). Ab frühestens 4–5 Jahren beschrieben sind schleichender Beginn mit mildem Tremor (Aktions- oder Ruhetremor), Dysarthrie (verwaschene Artikulation, monotone Sprachmelodie), ataktischem Gangbild oder fokalen Dystonien. Bei manchen Patienten besteht ein Aktions-/Intentionstremor, der die proximalen Muskeln einbezieht bei typischerweise gebeugten Armen (sog. Flügelschlagen), dazu Dysarthrie. Seltener imponiert ein akinetisch-rigides Syndrom oder eine Chorea. Intellektueller Abbau oder/und psychiatrische Symptome sollen bei ca. 25 % der Patienten die Erstsymptome sein (dissoziales Verhalten, Angstneurosen, Depressionen u. a.). Wegen der Wichtigkeit frühzeitiger Therapie sollte großzügig Diagnostik erfolgen. Der pathognomonische (aber nicht spezifische) Kayser-Fleischer-Ring der Kornea kann bei Kindern noch fehlen.

Restless-legs-Syndrom (RLS)

Dies ist eine quälende und insgesamt unterdiagnostizierte Erkrankung unklarer Ätiologie: Bei Manifestation <30 Jahre meist idiopathisch mit wahrscheinlich autosomal-dominantem Erbgang, bei späterer Manifestation oft sekundär bedingt (Urämie, Eisenmangel, rheumatische Erkrankungen, Polyneuropathie, multiple Sklerose u. a.). Der Beginn liegt bei 15–20 % der Patienten im Kindesalter.
Klinische Symptome und Verlauf
Kennzeichnend sind Missempfindungen in den Beinen (selten anderen Körperregionen), die in Ruhephasen, vor allem abends, zunehmen und nur durch Bewegung (oder Reiben, Schütteln) gebessert werden. Daraus resultieren erhebliche Schlafstörungen mit konsekutiven Konzentrationsstörungen (Cave! Verwechslung mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom). Periodische Beinbewegungen (PLM) im Schlaf sind häufig, aber nicht obligat. Der Verlauf ist langsam progredient.
Diagnose
Die Diagnose ist klinisch möglich, in Zweifelsfällen mithilfe einer Polysomnografie. Die in einer Konsensus-Konferenz festgelegten Diagnosekriterien für Kinder beinhalten nach Hornyak et al. aus dem Jahre 2004 in Kurzfassung:
1.
Bewegungsdrang der Beine begleitet von Missempfindungen oder Schmerzen in den Beinen.
 
2.
Auftreten oder Verstärkung der Missempfindungen in Ruhe und Erleichterung durch motorische Aktivität.
 
3.
Verstärkung der Missempfindungen abends und nachts und Erleichterung durch motorische Aktivität.
 
4.
Leidensdruck des Kindes aufgrund der Missempfindungen.
 
5.
Die Punkte 1–4 bestehen seit mindestens 6 Monaten.
 
Therapie
Für Kinder gibt es bislang keine etablierten Therapierichtlinien. Eisensubstitution sollte bei niedrigen Ferritinwerten laut Konsensus-Richtlinien, wie von Allan et al. im Jahre 2018 beschrieben, erfolgen. Gabapentin-Enacarbil, eine Gabapentinvorstufe mit besserer Bioverfügbarkeit und längerer Wirkung, wurde in den USA inzwischen für Erwachsene mit RLS lizensiert. Studien mit Off-label-Einsatz von Gabapentin und Pregabalin belegen deren Wirksamkeit bei geringerer Toleranzentwicklung (Augmentation). Augmentation findet sich bei der gängigen Therapie mit Dopaminagonisten etwas häufiger und insbesondere beim Einsatz von L-Dopa/Carbidopa.

PANDAS (pediatric autoimmune neuropsychiatric disorders associated with streptococcal infections) und PANS (pediatric acute-onset neuropsychiatric syndrome)

Die Symptome bestehen in Tics und/oder Zwangsneurosen („obsessive-compulsive behaviour“), die 1 Woche bis 6 Monate (meist 2–3 Wochen) nach einer Streptokokkeninfektion auftreten. Der Beginn ist oft plötzlich, die Symptomatik besteht über Wochen bis Monate, evtl. Jahre. Da auch nach anderen Infektionen (z. B. mit Mykoplasmen) eine derartige Symptomatik beobachtet wurde, entstanden auf der Konsensus Konferenz 2013 die Bezeichnungen PANS (pediatric acute-onset neuropsychiatric syndrome) oder CANS (childhood acute neuropsychiatric symptoms). Eine Therapie mit Penicillin (10 Tage therapeutische Dosis, dann Langzeitprophylaxe), Erythromycin, Azithromycin oder Cephalosporinen wird zur Eradikation von Streptokokken empfohlen. Jedoch sind die Entität und ihre Pathogenese bei widersprüchlichen Studienergebnissen letztlich nicht bestätigt. Daher sind Serumanalysen der verschiedenen Antikörper zurzeit nicht als verlässliche klinische Routine zu empfehlen und nur im Rahmen von Forschungsprojekten sinnvoll. PANS ist eine Ausschlussdiagnose und erfordert umfangreiche differenzialdiagnostische Abklärung. Eine immunmodulatorische Therapie wird vielfach versucht, Leitlinien sind nicht etabliert.

Morbus Huntington

Dies ist eine autosomal-dominant erbliche neurodegenerative Krankheit (Genort 4p16.3, Huntington, CAG-repeat-Defekt). Bei Antizipation mit zunehmender CAG-repeat-Länge ist eine Manifestation bereits ab dem Alter von 2 Jahren publiziert. Bei kindlichem Morbus Huntington dominieren ein akinetisch-rigides Syndrom (Westphal-Variante), teilweise mit Dystonie kombiniert, Verhaltensstörungen und Demenz sowie bei einem Teil der Patienten Ataxie oder/und tonisch-klonisch generalisierte Anfälle. Im Frühstadium sind isolierte Verhaltensstörungen oder isolierte Dystonie möglich. Eine milde Chorea findet sich häufiger mit zunehmendem Manifestationsalter. Die Überlebensdauer nach Manifestation beträgt ca. 10 Jahre (bei Erwachsenen ca. 15 Jahre). Die Therapie ist symptomatisch. In der MRT findet sich anfangs ein Normalbefund, später eine Verschmächtigung des Nucleus caudatus und Putamen, evtl. mit Signaländerungen, sowie eine progrediente Hirnatrophie.
Molekulargenetisch wurden einige bei Europäern selten auftretende Huntington-disease-like-Syndrome identifiziert.

Hemiplegia alternans

In der Initialphase (Manifestationsalter 10 Tage bis 18 Monate; Kap. „Nichtepileptische Anfälle und paroxysmale Phänomene bei Kindern und Jugendlichen“) kommt es zu paroxysmalen Ereignissen variabler Symptomatik – überwiegend halbseitige Lähmung und/oder Dystonie oder tonische Versteifung mit kurzzeitigen Augenbewegungsstörungen verschiedener Art, wobei der ipsilaterale, einseitige Nystagmus für die Dauer von Minuten am häufigsten ist. Bei einem Teil der Patienten kommen zusätzlich Dyspnoe oder Apnoe (vermutlich aufgrund tonischer Kontraktion der Kehlkopfmuskulatur) sowie vasomotorische Störungen hinzu. Die Intensität der Symptomatik ist fluktuierend, die Dauer der Attacken reicht von Minuten bis Wochen, mit Sistieren im Schlaf und für kurze Zeit nach Erwachen. Die Seite der Lähmung kann innerhalb einer Attacke wechseln und so vorübergehend zur Tetraparese führen. Die beiden letztgenannten Phänomene gelten als pathognomonisch. Im EEG zeigen sich ipsilaterale Verlangsamung, klinisch keine pyramidalen Zeichen, laborchemische und bildgebende Untersuchungen bleiben ohne wegweisende Befunde. Im Verlauf entwickeln sich meist eine chronische Bewegungsstörung (überwiegend Choreoathetose, auch assoziierte Dystonie und zerebelläre Ataxie) sowie kognitive Defizite und zunehmend epileptische Anfälle, die unabhängig von fortbestehenden hemiplegischen Attacken auftreten. Meist tritt die Krankheit sporadisch auf, vereinzelt gibt es eine familiäre Häufung. Nachdem lange nur in wenigen Familien Mutationen im ATP1A2-Gen (1q21) oder CACNA1-Gen gefunden wurden, ist möglicherweise der häufigste zugrunde liegende Gendefekt gefunden: ATP1A3. Mutationen im gleichen Gen können noch den Phänotyp des „rapid-onset dystonia-parkinsonism“ (ehemals DYT12) und des CAPOS-Syndroms verursachen. Die Therapie mit Flunarizin oder Topiramat kann zur Reduktion der Attacken führen, die Beeinflussung des Verlaufs ist ungewiss. Einzelberichte über Erfolge mit Haloperidol, Amantadin u. a. liegen vor.

Pantothenatkinase-2-assoziierte Neurodegeneration (PANK2, ehemals Hallervorden-Spatz-Krankheit)

Dies ist die häufigste Erkrankung aus der Gruppe der neurodegenerative diseases with brain iron accumulation (NBIA, Abschn. 5.7), mit autosomal-rezessivem Erbgang (Genort 20p13). Neben der Eisenablagerung insbesondere in Pallidum und Substantia nigra finden sich Sphäroide (Axonschwellungen) in Basalganglien und Kortex sowie Dysmyelinisierungen. Die infantile Form manifestiert sich im Alter von (6 bis) ca.12 Monaten durch unsicheres Laufen, verspätete Sprachentwicklung. Ab dem Alter von ca. 5 Jahren kommt es zur deutlichen Progredienz mit Stürzen, Verstärkung einer insgesamt armbetonten Dystonie, die Rumpf- und Schlundmuskulatur frühzeitig einbezieht, sowie Verhaltensstörungen und intellektuellem Abbau. Das Sprachverständnis bleibt vergleichsweise gut erhalten bei Anarthrie, Schluckstörung und generalisierter Dystonie. Die juvenile Form beginnt zwischen 6 und 14 Jahren mit eher beinbetonter Dystonie, pyramidalen Zeichen, Dystonie der Schlundmuskulatur, Stagnation, schließlich Regression der intellektuellen Fähigkeiten, Verhaltensstörungen. Zusätzlich findet sich manchmal ein Rigor, bei ca. 20 % eine Epilepsie. Bei beiden Verlaufsformen sind häufig Retinopathie und/oder Akanthozytose assoziiert. Wegweisender Befund in der MRT des Schädels ist das sog. Tigeraugenzeichen (in T2-Wichtung internes Pallidum hyperintens, externes Pallidum hypointens), das jedoch nicht spezifisch ist und im Verlauf der Erkrankung verschwinden kann. Eine kausale Therapie existiert nicht, die Lebenserwartung ist stark verkürzt. Die tiefe Hirnstimulation kann eine deutliche Besserung erzielen, Chelatbildner werden kontrovers diskutiert. Akanthozyten finden sich bei einem Teil der Patienten, hauptsächlich jedoch beim Chorea-Akanthozytose-Syndrom, dem McLeod-Syndrom (beide meist im Erwachsenenalter manifest) und dem Bassen-Kornzweig-Syndrom.

Neurodegeneration with brain iron accumulation (NBIA)

Hierunter fallen auch Patienten mit infantiler neuroaxonaler Dystrophie (Phospholipase-A2G6-Mutation, PLA2G6), Patienten mit fatty acid 2-hydroxylase-associated neurodegeneration (FA2H), die klinisch teils als Leukodystrophie mit Spastik und teils als vorwiegend dystone Störung imponieren, manche lysosomale Erkrankungen wie GM1-Gangliosidose und weitere Erkrankungen. Aktuell sind 12 Gene bekannt, deren Mutationen ein NBIA Syndrom verursachen. Bei einigen Patienten ist die molekulargenetische Ursache weiterhin unklar.

Serotoninsyndrom

Das Serotoninsyndrom entsteht durch Überdosierung von serotoninergen Medikamenten oder diesbezüglich additiv wirksamen Kombinationen. Klinisch im Vordergrund steht eine ausgeprägte vegetative Hyperaktivität (Atmung, Schweiß, Hauttemperatur, Darmmotilität). Tremor, Hyperreflexie, Chorea oder akinetisch-rigides Syndrom sind ebenfalls möglich. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass Kokain ebenfalls die Serotonin-Wiederaufnahme hemmt.

Nichtgenetisch bedingte Bewegungsstörungen

Erkrankungen mit Bewegungsstörungen nach Hypoxie, entzündlichen (demyelinisierenden) Krankheiten, Tumoren, Gefäßprozessen oder Traumata stellen normalerweise kein diagnostisches Problem dar, da eine MRT-Untersuchung des Gehirns üblicherweise im Rahmen der Abklärung durchgeführt wird. Es soll jedoch darauf hingewiesen werden, dass auch paroxysmale Choreoathetosen nichtgenetische Ursachen haben können. Sie können z. B. eine seltene Manifestationsform eines Moya-Moya-Syndroms (MR-Angiografie indiziert!), einer Arnold-Chiari-Malformation oder einer hochsitzenden Syringomyelie sein sowie als Nebenwirkung von Methylphenidat, evtl. auch Ovulationshemmern, oder als Folge eines pathologischen Parathormonstoffwechsels oder eines Phospholipidantikörpers auftreten.
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