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Pädiatrie
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Publiziert am: 04.01.2019

Dysmorphogenetische Syndrome

Verfasst von: Rainer König
Etwa 3–6 % aller Neugeborenen haben große Fehlbildungen, d.  h. in Deutschland werden im Jahr etwa 12.000–40.000 betroffene Kinder geboren. Bei der etwa gleichen Zahl der Kinder, die nach der Geburt als gesund angesehen wurden, wird bis zum 5. Lebensjahr eine Fehlbildung gefunden. Fehlbildungen sind die häufigste Todesursache im 1. Lebensjahr, und sie sind auch der häufigste Grund, warum Kinder in diesem Lebensabschnitt stationär aufgenommen und in der genetischen Sprechstunde vorgestellt werden. Das Erkennen und Einordnen von Fehlbildungen ist damit eine wesentliche Aufgabe des Pädiaters und klinischen Genetikers. Prinzipiell können Patienten eine einzelne Fehlbildung oder multiple Fehlbildungen haben.

Epidemiologie und Ätiologie

Etwa 3–6 % aller Neugeborenen haben große Fehlbildungen, d. h. in Deutschland werden im Jahr etwa 12.000–40.000 betroffene Kinder geboren. Bei der etwa gleichen Zahl der Kinder, die nach der Geburt als gesund angesehen wurden, wird bis zum 5. Lebensjahr eine Fehlbildung gefunden. Fehlbildungen sind die häufigste Todesursache im 1. Lebensjahr, und sie sind auch der häufigste Grund, warum Kinder in diesem Lebensabschnitt stationär aufgenommen und in der genetischen Sprechstunde vorgestellt werden. Das Erkennen und Einordnen von Fehlbildungen ist damit eine wesentliche Aufgabe des Pädiaters und klinischen Genetikers. Prinzipiell können Patienten eine einzelne Fehlbildung oder multiple Fehlbildungen haben. Auf ihre Entstehung wird in Kap. „Angeborene körperliche Anomalien: Definition und Klassifikation“ eingegangen.
Einzelne Fehlbildungen lassen sich einteilen in große morphologische Defekte, die die Lebensfähigkeit oder Funktionsfähigkeit einschränken und einer Korrektur bedürfen, und in kleine morphologische Defekte, die zumeist nur kosmetischer Natur sind. Bei den kleinen morphologischen Defekten sind Fehlbildungen von kleinen Anomalien zu unterscheiden. Kleine Fehlbildungen sind qualitative Störungen, z.  B. zusätzliche Mamille, rudimentärer 6. Finger. Kleine Anomalien sind quantitative Störungen, z.  B. weiter Augenabstand, abfallende Lidachse, kurze Finger. Während kleine Fehlbildungen als Störungen der Organogenese immer pathologisch sind, können kleine Anomalien, die in der Phänogenese entstehen, sowohl normale intrafamiliäre Extremvarianten sein als auch auf eine morphologische Fehlentwicklung hinweisen. Eine Unterscheidung ist nur durch die Untersuchung von Familienangehörigen möglich. Kleine Anomalien, die andere Familienangehörige nicht haben, sind als pathologisch zu werten und weisen z.  B. auf Syndrome hin. Mit anderen Worten: Patienten mit Syndromen haben häufig mehrere kleine Anomalien, die sie von ihren Familienangehörigen unterscheiden und die die Ähnlichkeit mit Patienten mit dem gleichen Syndrom bedingen (der syndromatische Phänotyp überdeckt den genetischen Hintergrund).
Fehlbildungen und angeborene Entwicklungsstörungen des Menschen haben verschiedene Ursachen. Etwa 20 % sind durch Genmutationen, 3–5 % durch Chromosomenaberrationen und 5–10 % durch teratogene Noxen bedingt. Bei 65–70 % ist die Ursache unbekannt. Chromosomenstörungen werden in Kap. „Chromosomale Diagnostik, chromosomale Abberrrationen“ behandelt. Im Folgenden werden einige häufigere monogene Syndrome, Mikrodeletionssyndrome und ätiologisch unklare Syndrome als kurze Zusammenfassung bzw. tabellarisch dargestellt und auch die häufigsten Teratogene besprochen.

Häufige Syndrome

Angelman-Syndrom

Definition und Epidemiologie
Das Syndrom wurde 1965 von Angelman beschrieben (puppet children) und ist gekennzeichnet durch Retardierung, postnatale Mikrozephalie, leichte Gesichtsdysmorphien, fehlende Sprache, Ataxie und Krampfanfälle (MIM 105830). Die Häufigkeit beträgt etwa 1:15.000–20.000.
Ätiologie
Ursache ist ein Funktionsausfall des Gens Ubiquitinproteinligase (UBE3A), das im Gehirn nur auf dem maternalen Allel exprimiert wird (Imprinting) und auf dem Chromosom 15 (15q11–13) lokalisiert ist. Der Funktionsausfall des Gens beruht in den meisten Fällen auf einer zytogenetisch oder molekulargenetisch nachweisbaren (maternalen) Deletion der Region 15q11–q13 (70–75 %). 5 % sind auf Mutationen des Gens UBE3A zurückzuführen, 1–2 % sind durch eine paternale uniparentale Disomie des Chromosoms 15 bedingt, etwa 3 % gehen auf eine Imprinting-Mutation zurück, 1–2 % sind durch chromosomale Rearrangements verursacht, die den Bereich 15q11–13 einbeziehen. Bei etwa 15 % der Patienten konnte bisher keine Ursache gefunden werden.
Symptome und Verlauf
Fütterungsschwierigkeiten und Gedeihstörungen sind häufig. Fühlbare Muskelzuckungen können schon in den ersten Lebensmonaten auftreten. Im Kindesalter fallen Mikro-, Brachyzephalus (90 %), tief liegende (blaue) Augen, Schielen, Mittelgesichtshypoplasie, breiter Mund (75 %), kleine Zähne (60 %), Zungenprotrusion (70 %), prominentes Kinn (95 %), blonde Haare (65 %) und helle Haut auf (Abb. 1). Die psychomotorische Entwicklung ist schwer retardiert. Die aktive Sprachentwicklung bleibt aus, sodass die meisten Kinder nur einige wenige Worte sprechen (98 %), das Sprachverständnis ist dagegen besser erhalten. Die Patienten haben eine Rumpfhypotonie und Extremitätenhypertonie (85 %), sitzen im Durchschnitt mit etwa 1 Jahr und laufen mit etwa 4 Jahren, wobei der Gang breitbasig, steif, unsicher, roboterartig ist (100 %).
Mental liegt eine Debilität bis Imbezillität vor. Phasenartig ablaufende Krampfanfälle (80 %) mit sehr unterschiedlichem Erscheinungsbild manifestieren sich zumeist zwischen dem 1. und 3. Lebensjahr und sind durch Antikonvulsiva nur teilweise zu beherrschen. Das EEG ist fast immer pathologisch und zeigt charakteristische Veränderungen: generalisierte hochamplitudige 4–6/s-Wellen (ohne Müdigkeit), gruppierte, frontal betonte, sehr hochamplitudige 2–3/s-Wellen, Spikes und Sharp waves gemischt mit hochamplitudigen 3–4/s-Wellen posterior besonders nach Augenschluss. Die Kinder haben eine fröhliche Grundstimmung und lachen häufig. Schlafstörungen und hyperaktives, unkonzentriertes Verhalten sind gängige Probleme.
In der Untersuchung von Laan et al. (1996) konnten 85 % der erwachsenen Patienten mit Löffel oder Gabel essen, 85 % ihren Willen ausdrücken bzw. einfachen Aufforderungen nachkommen, 68 % beim An-/Ausziehen helfen bzw. sich allein an- (11 %) oder auskleiden (50 %), 57 % waren tagsüber urinkontinent. 71 % hatten eine Skoliose (gegenüber 10 % im Kindesalter), 39 % waren an den Rollstuhl gebunden.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Diagnostisch werden folgende Untersuchungen eingesetzt: Methylierungstest zum Nachweis einer ausschließlich paternalen Expression des Genbereichs, womit etwa 80 % der Patienten mit Angelman-Syndrom zu erfassen sind; FISH oder MLPA (multiplex ligation-dependent probe amplification) zum Nachweis einer Mikrodeletion bzw. falls keine Deletion vorhanden, Untersuchung mit Mikrosatelliten zum Nachweis einer uniparentalen Disomie; konventionelle Chromosomenanalyse zum Ausschluss einer Translokation; ggf. Mutationssuche im UBE3A-Gen.
Differenzialdiagnostisch ist bei Mädchen besonders das Rett-Syndrom zu erwägen, Überschneidungen bestehen auch zur Alpha-Thalassämie mit mentaler Retardierung (ATR-X-Syndrom).
Therapie
Antikonvulsive Behandlung, überwiegend werden Valproinsäure, Phenobarbital und Carbamazepin eingesetzt. Nonverbale Kommunikationsformen sollten frühzeitig angewendet und gefördert werden, z.  B. Handzeichen, Bildertafeln, „private“ oder formale Gebärdensprache (Makaton), elektronische Kommunikationshilfen. Krankengymnastik, Physiotherapie, Ergotherapie dienen z.  B. zur Stärkung des Gleichgewichts, zum Laufen lernen, zum Erreichen und zur Erhaltung der Mobilität. Zwei Ziele stehen im Vordergrund: Kommunikation ermöglichen und Selbstständigkeit in den Dingen des täglichen Lebens.
Genetische Beratung
Die meisten Fälle sind sporadisch. Bei Patienten mit Deletion und uniparentaler Disomie besteht ein kleines Wiederholungsrisiko (<1 %). Bei Patienten mit Translokation ist das Risiko klein bei einer De-novo-Translokation, bei einer familiären Translokation hängt das Wiederholungsrisiko von der Art der Translokation ab. Bei Patienten mit Imprinting-Mutation bzw. Mutationen im UBE3A-Gen ist das Risiko klein bei einer Neumutation, bei einer vererbten Mutation beträgt es 50 %.

Noonan-Syndrom

Definition und Häufigkeit
Das Noonan-Syndrom wurde 1963 von Noonan und Ehmke beschrieben und ist charakterisiert durch auffällige Fazies mit Hypertelorismus, leichte mentale Retardierung, Herzfehler und Kleinwuchs (MIM 163950). Die Häufigkeit beträgt 1:1000–2500.
Ätiologie und Pathogenese
Mehrere große Familien zeigten eine Kopplung zum chromosomalen Bereich 12q24, andere Familien zeigten diese Kopplung jedoch nicht, was für genetische Heterogenität spricht. 2001 wurden Mutationen im PTPN11-Gen gefunden, dessen Genprodukt (SHP-2; ubiquitäre Nonrezeptor-Tyrosinphosphatase) ein Schlüsselprotein in verschiedenen Signaltransduktionswegen bei der embryonalen Entwicklung, u. a. der Semilunarklappen, ist. Mutationscluster liegen in den Exonen 3, 8 und 13. Alle bisherigen Mutationen führen zu einer Aktivierung (gain of function) der SHP-2-Phosphatase.
Symptome und Verlauf
In etwa einem Drittel der Schwangerschaften fällt ein Polyhydramnion auf. Die Geburtslänge liegt im unteren Normbereich. Postpartal verlieren die Kinder überdurchschnittlich viel an Gewicht, was durch subkutane Ödeme erklärt werden kann. Fütterungsprobleme sind häufig (40–76 %). Kraniofazial imponieren ein Hypertelorismus mit abfallender Lidachse (95 %), Epikanthus, Ptosis (42 %), tief sitzende, posterior rotierte Ohren mit dicker Helix (90 %), tiefes Philtrum mit prominenter Oberlippe (95 %), hoher Gaumen (45 %), Mikrogenie (25 %), kurzer Hals mit überschüssigen Nackenfalten und tiefer Nackenhaargrenze (23–55 %), Abb. 2. Herzfehler werden bei zwei Drittel der Patienten diagnostiziert: Pulmonalstenose, zumeist dysplastische Pulmonalklappe (50 %), Atriumseptumdefekt (ASD, 10 %), hypertrophe Kardiomyopathie (10–20 %), Ventrikelseptumdefekt (VSD, 5 %), weiterhin persistierender Ductus arteriosus (PDA), periphere Pulmonalstenose, Mitralklappenprolaps. Typisch sind Thoraxfehlbildung mit oberer Schildbrust und unterer Trichterbrust (70–95 %) und Cubitus valgus (50 %). Eine nicht zu erklärende Hepatosplenomegalie wurde in 26 %, Nierenfehlbildungen in etwa 11 % der Fälle gefunden. 60–77 % der männlichen Patienten haben einen Hodenhochstand. An der Haut finden sich Café-au-lait-Flecken (10 %), Pigmentnävi (25 %), Lentigines, Keratosis pilaris. Die Haare sind spärlich und dünn (11 %) oder dick und gelockt (29 %). An den Fingern und Zehen fallen „fetal pads“ auf (67 %). Periphere Lymphödeme, aber auch pulmonale Lymphangiektasien und Chylothorax sind durch Dys- und Hypoplasien der Lymphgefäße bedingt (20 %). Blutungsstörungen (20–58 %) umfassen Faktor-XI.C-, -VIII.C-, -XII.C-Mangel, Von-Willebrand-Syndrom und Plättchendysfunktionen. Antimikrosomale Schilddrüsenantikörper werden bei 30 % der Patienten gefunden.
Etwa 25 % der Patienten sind motorisch verzögert, im Durchschnitt laufen die Patienten mit 21 Monaten, 20 % haben eine Sprachentwicklungsverzögerung, Zweiwortsätze werden im Durchschnitt mit 31 Monaten gesprochen. 12–40 % haben eine Hörstörung, zumeist durch ein Mukotympanon bedingt. 94 % haben einen Strabismus oder Visusstörungen. Der IQ reicht von 64–127 mit einem Median von 102. Die meisten Patienten besuchten eine Regelschule (89 %). Die Längen- und Gewichtsentwicklung bleibt im unteren Normbereich oder unter der Norm (durchschnittliche Endlänge: Jungen 162 cm; Mädchen 153 cm), während das Kopfwachstum im Normbereich verläuft. Die Pubertät ist verzögert. Die Fertilität scheint bei weiblichen Patienten normal zu sein, während etwa die Hälfte der männlichen Patienten infertil ist. Erwachsene Patienten zeigen einen sehr variablen Phänotyp und wirken teilweise durch eine sehr faltige, durchscheinende Haut vorgealtert.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Die Diagnose ist klinisch zu stellen, mit einem Karyogramm zum Ausschluss eines Turner-Syndroms. Bei 40–60 % der Patienten mit Verdachtsdiagnose Noonan-Syndrom sind Mutationen im PTPN11-Gen nachzuweisen. Seltener sind Mutationen im SOS1- (10 %), RAF1- (10 %), KRAS- (<2 %), BRAF-, NRAS-, SHOC2- und MEK1-Gen. Abzugrenzen sind: Turner-Syndrom bei Mädchen, kardiofaziokutanes (BRAF, MEK 1/2, KRAS, SOS1), Costello- (HRAS), Williams-Beuren-, Aarskog-, LEOPARD-Syndrom (PTPN11-Mutationen, Cluster in Exon 7 und 12). Vereinzelt zeigen Patienten Überschneidungen zur Neurofibromatose (Watson-Syndrom, NF1).
Therapie
Neuere Untersuchungen deuten darauf hin, dass durch eine Wachstumshormontherapie ein Größenzugewinn von etwa 1 SDS zu erreichen ist.
Genetische Beratung
Die Vererbung erfolgt autosomal-dominant mit stark variabler Expressivität. In 30–75 % der Fälle ist eine direkte Eltern-Kind-Vererbung nachzuweisen. Sporadische Fälle sind anscheinend Neumutationen. Eine Vererbung über die Mutter ist häufiger als über den Vater (3:1), was wahrscheinlich durch die eingeschränkte Fertilität betroffener Männer bedingt ist.

Prader-(Labhart)-Willi-Syndrom

Definition und Häufigkeit
Das Prader-Willi-Syndrom (PWS) wurde 1956 erstmals von Prader, Labhart und Willi beschrieben. Es ist charakterisiert durch postnatale Hypotonie und Gedeihstörung, psychomotorische Retardierung, Adipositas ab dem 3.–5. Lebensjahr, Kleinwuchs, Hypogenitalismus und leichte Dysmorphien (MIM 176270). Die Häufigkeit beträgt etwa 1:10.000.
Ätiologie
Das Syndrom ist ein klassisches Beispiel für genomisches Imprinting. Es wird verursacht durch eine paternale Deletion des Chromosomenbereichs 15q11–13 (70 %), durch eine maternale uniparentale Disomie (29 %) oder eine Imprinting-Mutation (<1 %). In der ausschließlich paternal exprimierten kritischen PWS-Region gibt es 6 Gene (MKRN3, MAGEL2, NDN, PWRN1,NPAP1, SNURF-SNRPN sowie einen Cluster kleiner nukleolärer RNAs (snoRNA), die wahrscheinlich in die Modifikation von mRNA durch alternatives Spleißen involviert sind. Ihr Ausfall (SNORD116) scheint ganz wesentlich für den PWS-Phänotyp zu sein.
Symptome und Verlauf
Der Krankheitsverlauf lässt mehrere Phasen erkennen: anamnestisch oft verminderte intrauterine Kindsbewegungen, Polyhydramnion.
Postnatal besteht eine schwere Muskelhypotonie (80–90 %), die mit vermindertem Saugen und Gedeihstörung einhergeht. Bei männlichen Säuglingen fallen Mikropenis und hypoplastisches Skrotum auf (81 %), die Hypoplasie der Labien bei Mädchen (89 %) wird dagegen leicht übersehen. Die Patienten haben eine Dolichozephalie, Strabismus, zeltförmigen Mund, zähen Speichel (Karies!), etwa die Hälfte ist hypopigmentiert. Die Muskelhypotonie wird im 2. und 3. Lebenshalbjahr besser, dafür wird die psychomotorische Retardierung (97 %) immer deutlicher. Die Kinder sprechen im Durchschnitt erst mit etwa 25 Monaten und laufen mit etwa 28 Monaten.
Im Kindes- und Jugendalter kommt es bei den meisten Patienten zu einer Esssucht (fehlendes Sättigungsgefühl) mit z. T. extremer Adipositas (Abb. 3). Sie benutzen alle Gelegenheiten, um an Essen zu kommen, bis hin zum Stehlen und Durchwühlen von Abfalleimern. Weitere Verhaltensstörungen sind Passivität, Sturheit, Stimmungslabilität (häufige Wutausbrüche) und fehlende soziale Kompetenz, die die Patienten zunehmend in eine soziale Isolation bringen. An der Sprache ist das Hängenbleiben an bestimmten Themen oder Worten (Perseverieren) auffällig. Typisch sind auch zwanghaftes Kratzen und „Herumpitteln“ an kleinen Hautwunden sowie plötzliches Einschlafen während des Tages. Die Intelligenz reicht von normal bis schwer retardiert, die meisten Kinder haben einen IQ <70. Schwächen liegen besonders in der sequenziellen Verarbeitung, Stärken in der Erfassung von visuellen Reizen.
Die Patienten (90 %) sind infolge eines Wachstumshormonmangels kleiner als ihre Familien und haben kleine Hände und Füße (mittlere Endlänge: Jungen 155 cm, Mädchen 149 cm). Im Adoleszentenalter manifestiert sich oft eine Skoliose. Die Pubertätsentwicklung bleibt im Rahmen eines hypogonadotropen Hypogonadismus aus oder verläuft unvollständig. Die meisten Patienten sind infertil.
Im Erwachsenenalter sind Folgeschäden der Adipositas erkennbar (Hypertonie, Arthrose, Diabetes mellitus, Apnoen). Im Vordergrund stehen aber die psychischen Störungen mit starken Stimmungsschwankungen, besonders auch depressiven Zuständen, die mangelnde emotionale Kontrolle, das mangelnde Planungsvermögen, die Unfähigkeit, adäquat auf neue Situationen zu reagieren und mit Geld umzugehen und die unveränderte Esssucht, sodass fast alle Patienten zumindest einer Aufsicht bedürfen.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Die Diagnose erfolgt durch einen Methylierungstest zum Nachweis einer ausschließlich maternalen Expression des Chromosomenbereichs 15q11–13, durch FISH oder MLPA zum Nachweis einer Mikrodeletion bzw., falls keine Deletion gefunden wird, Untersuchung mit Mikrosatelliten zum Nachweis einer uniparentalen Disomie sowie eine konventionelle Chromosomenanalyse zum Ausschluss einer Translokation.
Differenzialdiagnose im Säuglingsalter (Floppy infant):
  • z.  B. Zellweger-Syndrom, spinale Muskelatrophie, kongenitale myotone Dystrophie, strukturelle Myopathien.
Differenzialdiagnose im Kindesalter:
  • z.  B. Bardet-Biedl-, Cohen-, Alström-Syndrom, Pseudohypoparathyroidismus, Fragiles-X-Syndrom (adipöser Typ), maternale UPD14.
Im Gegensatz zum alimentär übergewichtigen Kind sind Patienten mit PWS zumeist klein und haben ein retardiertes Knochenalter.
Therapie
Testosteron oder hCG verbessern bei Knaben den Hypogonadismus. Krankengymnastik führt zu verbessertem Muskeltonus und erleichtert die Standkontrolle und den Einsatz beider Hände. Eine extreme Adipositas kann durch eine kalorienreduzierte, ausgewogene, konsequente Diät verhindert werden (Patienten mit PWS haben einen geringeren Energiebedarf von etwa 50–70 % im Vergleich zu Normalpersonen; d.  h. Kleinkinder benötigen etwa 600–800, Jugendliche und Erwachsene etwa 800–1300 kcal/Tag). Wachstumshormon führt neben einer Verbesserung des Wachstums zu einer Verminderung des Körperfettanteils und einer Vermehrung der Muskelmasse. Oft wurde auch über eine vermehrte Agilität der behandelten Patienten berichtet (Cave! Glukoseintoleranz, NNR-Insuffizienz, Skoliose).
Das Verhalten und insbesondere das Essverhalten sollten durch ein Verhaltensmanagement gesteuert werden, d.  h. es sollen Situationen geschaffen oder verhindert werden, die ein gewünschtes bzw. nicht gewünschtes Verhalten erwarten lassen. Dies wird unterstützt z.  B. mit Plänen für den Tagesablauf, Aufbau von Routinen, Aufstellen und Durchsetzen von Regeln, Festlegen von realistischen Zielen und Belohnungssystemen. Darüber hinaus sollten sportliche Aktivitäten angeboten werden. Zwanghafte Zustände oder Depressionen bei Jugendlichen und Erwachsenen lassen sich medikamentös gut mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) behandeln.
Genetische Beratung
Die meisten Fälle sind sporadisch. Bei Patienten mit Deletion und uniparentaler Disomie besteht eine kleines Wiederholungsrisiko (<1 %). Bei Patienten mit Translokation ist das Risiko klein bei einer De-novo-Translokation, bei einer familiären Translokation hängt das Wiederholungsrisiko von der Art der Translokation ab. Bei Patienten mit Imprinting-Mutation ist das Risiko klein bei einer Neumutation, bei einer vererbten Mutation beträgt es 50 %.

Sotos-Syndrom

Definition
Das Sotos-Syndrom, das erstmals 1964 durch Sotos et al. beschrieben wurde, ist gekennzeichnet durch zumeist bereits bei Geburt bestehender Übergröße mit auffälliger Fazies und leichter psychomotorischer Retardierung (MIM 117550). Mehr als 300 Fälle sind in der Literatur beschrieben.
Ätiologie und Genetik
Das Sotos-Syndrom tritt zumeist sporadisch auf, etwa 5 % sind familiäre Fälle mit autosomal-dominanter Vererbung. Warum nur so wenige familiäre Fälle auftreten, ist unklar, möglicherweise sind eine geringere Fertilität, Zyklusstörungen oder eingeschränkte Möglichkeiten, eine längere Partnerschaft aufrechtzuerhalten, dafür mitverantwortlich. Ursache sind Mutationen und Mikrodeletionen (<10 %) des NSD1-Gens (5q35). Bisher wurden mehr als 100 Mutationen beschrieben, die über das Gen verteilt sind. Das NSD1-Gen kodiert eine Lysin-HMTase, die Histonreste methyliert und durch diese epigenetische Modifikation letztlich die Transkription reguliert. Ein Sotos-ähnlicher Phänotyp (Malan-Syndrom, Sotos-Syndrom Typ II) wird durch Mutationen im Gen NFIX (MIM 164005; 19p13.13) verursacht.
Symptome und Verlauf
Die Patienten werden entweder schon groß geboren (besonders die Körperlänge ist vergrößert) oder zeigen innerhalb der ersten 4–5 Lebensjahre ein überschießendes Längenwachstum. Die Wachstumsgeschwindigkeit normalisiert sich dann über mehrere Jahre, um schließlich abzufallen, so dass nur selten Erwachsene mit Sotos-Syndrom eine Übergröße aufweisen. Der Kopfumfang liegt typischerweise kontinuierlich oberhalb der 97er-Perzentile. Im Säuglings- und Kleinkindesalter imponieren ein rundes Gesicht, prominente Stirn mit sehr hoher Stirnhaargrenze, eine leicht abfallende Lidachse, ein Hypertelorismus, ein hoher, gotischer Gaumen, oft ein vorzeitiger Zahndurchbruch, ein spitzes Kinn. Mit zunehmendem Alter wird das Gesicht länger, die Haare wachsen in die Stirn hinein, und es entwickelt sich eine Progenie (Abb. 4). Die Arme sind dysproportioniert lang, die Hände und Füße sind vergrößert. Die Gelenke sind überstreckbar, häufiger wird auch eine Kyphoskoliose oder Kniedeformität beobachtet. Etwa 8 % der Patienten haben einen Herzfehler (ASD, VSD, PDA). Zumindest bei Mädchen tritt die Pubertät oft verfrüht ein.
Fast alle Patienten haben im 1. Lebensjahr eine muskuläre Hypotonie (90 %), die teilweise eine Sondenernährung notwendig macht und die die motorische Entwicklung zusätzlich hemmt. Störungen der Fein- und Grobmotorik, aber auch der Koordination sind typisch. Die aktive Sprachentwicklung ist deutlich verzögert, während das Sprachverständnis besser ist. Häufige Verhaltensauffälligkeiten sind:
  • Hyperaktivität,
  • Stereotypien,
  • soziale Unsicherheit und sozialer Rückzug,
  • Überängstlichkeit,
  • Aggressivität.
Der Grad der mentalen Retardierung ist sehr variabel. Die meisten Patienten haben eine grenzwertige bis leichte Retardierung, liegen im unteren Normbereich oder haben umschriebene Lernbehinderungen. In der Studie von Cole und Hughes (1994) konnten von 41 untersuchten Patienten 10 die Regelschule, 7 die Regelschule mit Förderung, 19 die Sonderschule und 5 den Kindergarten (oder unbekannt) besuchen. Der Grad der motorischen und mentalen Retardierung scheint mit zunehmendem Alter geringer zu werden. Etwa ein Drittel der Patienten hat Krampfanfälle, etwa die Hälfte hat ein auffälliges EEG. In der NMR oder CT des Schädels werden häufig leichte bis mittelgradige Ventrikelerweiterungen gefunden. Die meisten Patienten haben ein akzeleriertes Knochenalter, wobei die Handwurzelknochen stärker als die Phalangen akzeleriert sind. Wahrscheinlich haben Patienten mit Sotos-Syndrom ein leicht erhöhtes Tumorrisiko (<5 %), ein spezifisches Überwachungsprogramm wird nicht empfohlen.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Die meisten Untersucher nehmen als Kriterien für die Diagnose des Sotos-Syndroms die Symptome Übergröße, Makrozephalie, typische Fazies und akzeleriertes Knochenalter. Die Detektionsrate für Mutationen im NSD1-Gen liegt bei etwa 60–90 %. Sie ist besonders hoch, wenn die typische Fazies vorliegt. Andere Großwuchssyndrome, wie Marfan-, Beckwith-Wiedemann-, Marshall-, Simpson-Golabi-Behmel-, Klinefelter-, Pallister-Mosaik- und Sanfilippo-Syndrom sind aufgrund unterschiedlicher Symptome leicht abzugrenzen. Stärkere Überschneidungen bestehen zum Fragilen-X-, Weaver- und Ruvalcaba-Myhre-Smith-Syndrom.
Therapie und Prophylaxe
Hypotonie und motorische Entwicklungsstörungen werden durch Krankengymnastik und Ergotherapie frühzeitig behandelt, was auch zusammen mit einer Sprachtherapie die Mundmotorik verbessert. Zum Einsatz kommen evtl. auch nonverbale Kommunikationsformen. Die soziale Kompetenz kann durch Rollenspiele, Einübung von Verhaltensmustern und Strategien zur Konfliktlösung gefördert werden.
Die Patienten dürfen aber in ihren Fähigkeiten und in ihrem Sozialverhalten aufgrund ihrer Übergröße nicht überfordert werden, da dies wiederum zu nicht gewünschten Reaktionsweisen wie Isolation oder Aggression führen kann.

Beckwith-Wiedemann-Syndrom

Definition und Häufigkeit
Das Beckwith-Wiedemann-Syndrom (BWS) wurde erstmals 1963/64 von Beckwith und Wiedemann beschrieben. Es ist gekennzeichnet durch prä- und postnatalen Großwuchs, Viszeromegalie, Bauchwanddefekte und postnatale Hypoglykämie. Die Trias der Hauptsymptome Exomphalos, Makroglossie und „Gigantismus“ führten zu dem Namen EMG-Syndrom (MIM 130650). Die Häufigkeit beträgt etwa 1:12.000–15.000.
Ätiologie und Pathogenese
Ursache sind Funktions- und Dosisstörungen verschiedener, unterschiedlich geprägter (Imprinting-) Gene innerhalb eines Gen-Clusters im terminalen Bereich des kurzen Arms des Chromosoms Nr. 11 (11p15.5), sodass es zu einem Ungleichgewicht zwischen wachstumsfördernden und wachstumsbremsenden Genen kommt. Unterschieden werden zwei Regionen:
  • Eine distale Region mit dem paternal exprimierten IGF2, dem maternal exprimierten H19 und einem maternal methylierten Imprintingcenter (DMR1). Eine Imprinting-Mutation (gain of methylation) der paternalen H19/DMR1-Region führt zu einer biallelischen Expression von IGF2.
  • Eine Imprinting-Mutation (loss of methylation) des maternalen DMR2 führt zu einer biallelischen Expression des Antisense-Transkripts und zu einer Ruhigstellung von beiden CDKN1C-Genen. Dies ist die häufigste Ursache des BWS. IGF2 ist ein Wachstumsfaktor, dessen Überexpression auch schon von verschiedenen Tumoren (z. B. Wilms-Tumoren) bekannt ist. H19 kodiert eine nichttranslatierte mRNA, die wahrscheinlich als Tumorsuppressor agiert. CDKN1C kodiert einen cyclinabhängigen Kinaseinhibitor, der einen wachstumsbremsenden Effekt hat. Der Ausfall von CDKN1C führt neben einem allgemeinen Effekt auch zu spezifischen Fehlbildungen, z. B. Bauchwanddefekten und Gaumenspalten (knock-out-mouse).
  • Eine weiter proximal liegende Region mit dem maternal exprimierten Gen CDKN1C (p57kip2), dem paternal exprimierten Antisense-Transcript KCNQ1OT1 und dem maternal methylierten Imprinting-Zenter (DMR2).
Symptome und Verlauf
Bei etwa einem Drittel der Patienten wird über ein Polyhydramnion berichtet, und bei >80 % kommt es zu einer Frühgeburt. Die meisten Patienten haben entweder schon bei Geburt einen Großwuchs oder entwickeln einen Großwuchs in den ersten Lebensmonaten (88 %). Länge und Gewicht verlaufen im Kindesalter über der 90–97. Perzentile, fallen danach aber ab, sodass die meisten Erwachsenen eine normale Endlänge haben. Der Schädel ist relativ klein, das Okziput ist ausladend. Es bestehen vielfach ein leichter Exophthalmus, ein Naevus flammeus im Nasenwurzelbereich, Unterlidfalten, eine Mittelgesichtshypoplasie, eine Makroglossie (97 %), Kerben im unteren Ohrbereich oder Eindellungen auf der Ohrrückseite (67 %), Bauchwanddefekte (80 %), z. B. Omphalozele (44 %), Nabelhernie, Diastasis recti (Abb. 5). Die Gesichtsauffälligkeiten werden mit zunehmendem Alter geringer. Die Makroglossie ist selten so schwer, dass sie zu obstruktiven Apnoen führt, häufiger sind aber ständiges Speicheln und Fütterungsschwierigkeiten. In etwa der Hälfte der Patienten verschwindet die Makroglossie mit zunehmendem Unterkieferwachstum.
Vergrößerungen der inneren Organe sind häufig und sollten durch Ultraschall dokumentiert werden: Vergrößerung von Niere (59 %), Leber (25 %), Milz und Pankreas (8–9 %), seltener Kardiomegalie. Hypoglykämien (63 %) verlaufen zumeist mild oder asymptomatisch, vereinzelt gibt es aber auch schwere, monatelange, therapieresistente Hypoglykämien. Viele Jungen haben einen Hodenhochstand. Etwa 13–25 % der Patienten entwickeln eine Hemihypertrophie. Die psychomotorische Entwicklung ist in der Regel normal. Bei Kindern mit Retardierung (4 %) spielen wahrscheinlich Frühgeburtlichkeit, schwere Geburten durch eine Makrosomie oder nicht erkannte Hypoglykämien eine wesentliche Rolle. Die Pubertät verläuft normal. Das Risiko für Neoplasien ist mit 4–7,5 % deutlich erhöht. 40 % der Patienten mit einem Tumor haben eine Hemihypertrophie, sodass diese Patienten besonders gefährdet sind. Am häufigsten werden Wilms-Tumoren, Nebennierenrindenkarzinome und Hepatoblastome beschrieben.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Die klinische Diagnose kann in etwa 85 % der Fälle durch molekulargenetische Untersuchungen und eine Chromosomenanalyse bestätigt werden. Das X-gekoppelte Simpson-Golabi-Behmel-Syndrom kann bei isolierten männlichen Patienten schwer abzugrenzen sein. Leichter zu unterscheiden sind: Fetopathia diabetica, Perlman- , Costello-, Sotos- und Weaver-Syndrom.
Therapie
Bis zur Normalisierung der Blutzuckerwerte sollten engmaschige Kontrollen und Therapie erfolgen. In Abhängigkeit vom Schweregrad der Makroglossie wird eine Zungenreduktion heute zumeist zwischen dem 2. und 3. Lebensjahr durchgeführt, um eine normale Sprachentwicklung zu gewährleisten und auch kieferorthopädische Komplikationen, wie offener Biss und Prognathie, zu verhindern. Patienten mit Hemihypertrophie müssen wegen eines evtl. Beckenschiefstands und der Gefahr einer Skoliose orthopädisch überwacht werden. Die Überwachung hinsichtlich des Tumorrisikos richtet sich nach dem Genotyp. Für die meisten BWS-Untergruppen (Tab. 1) werden 3-monatliche Ultraschalluntersuchungen des Abdomens und der Nieren bis zum 7. Lebensjahr empfohlen (Brioude et al. 2018).
Genetische Beratung
Die meisten Fälle sind sporadisch, etwa 15 % sind familiär. Das Wiederholungsrisiko ist abhängig von der Ursache, wobei 6 Gruppen unterschieden werden können (Tab. 1). Pränatale Ultraschalldiagnosen wurden mehrmals beschrieben.
Tab. 1
Genetische Untergruppen des Beckwith-Wiedemann-Syndroms
BWS-Gruppe
Häufigkeit (%)
Ursache
Diagn: Test
Tumorrisiko (Gesamt %)*
WR für weitere Kinder
Imprinting Störung
 
DMR2
50–60
LOM
   
  
Verlust der Methylierung
(2,6) Gering f. Wilms-Tumor
Niedrig
DMR1
5
GOM
   
  
Gewinn der Methylierung
Meth
(28,1) Hoch f. Wilms-Tu
Niedrig
Falsches Imprinting Muster
 
Paternale UPD
20
Postzygotische Störung,
   
  
somatisches Mosaik
MS
(16) Hoch f. Wilms-Tu und
 
    
Kein
Genmutation
 
CDKN1C
5–10 (SP)
    
 
30–50 (AD)
Mutation (LOF)
Seq
(6,9) Gering f. Wilms-Tu,
Bis 50 %, wenn Mutter
    
hoch für Neuroblastom
Überträgerin
Chromosomenstörung
     
11p15-Translokation/
     
Inversion/Duplikation
<1
CNV
 
Bis 50 %, Phänotpy hängt vom
     
elterlichen Geschlecht ab
AD autosomal-dominant; Chrom Chromosomenanalyse; CNV copy number variation ; DMR differentially methylated region; LOF loss of function ; MS Mikrosatellitenanalyse; Meth Methylierungssensitive MLPA; SP sporadisch, Einzelfall; Seq Sequenzierung; UPD uniparentale Disomie; WR Wiederholungsrisiko.
*Zahlen zit. nach Maas et al. (2016)

Williams-Beuren-Syndrom

Definition und Häufigkeit
Das Williams-Beuren-Syndrom (WBS) wurde 1961/62 von Williams und Beuren beschrieben. Es ist charakterisiert durch eine typische Fazies, kardiovaskuläre Fehlbildungen, Kleinwuchs und Retardierung (MIM 194050). Die Häufigkeit wird auf 1:10.000–20.000 geschätzt.
Ätiologie
Ursache des WBS ist eine Mikrodeletion in der Chromosomenregion 7q11.23. Die übliche Deletion ist 1,5 Mb groß und umfasst mehr als 20 Gene, deren Funktion nur teilweise bekannt ist. Die Deletion des Elastingens (ELN) erklärt die Bindegewebsstörungen beim WBS (isolierte Mutationen des ELN-Gens führen zur isolierten autosomal-dominanten supravalvulären Aortenstenose). Der Ausfall von LIMK1 ist wahrscheinlich für die schlechte visuomotorische Integration, der von GTF2I für die mentale Retardierung verantwortlich (contiguous gene syndrome).
Symptome und Verlauf
Viele Säuglinge leiden an Trinkschwäche, Erbrechen, Koliken, Gedeihstörungen und Obstipation. Die Angaben über eine nachgewiesene Hyperkalzämie reichen von selten bis zwei Drittel der Patienten. Kraniofazial fallen eine breite Stirn mit kräftigen Supraorbitalwülsten, enge Lidspalten, lebhaftes (speichenähnliches) Irismuster, Strabismus convergens (50 %), tief eingezogene Nasenwurzel, antevertierte Nasenlöcher, langes Philtrum, volle Wangen, offener Mund mit hängender, dicker Unterlippe, kleine Zähne mit Lücken (55 %), Malokklusion (85 %), Retro-, Mikrogenie und eine tiefe, raue Stimme auf (Abb. 6). Eine chronische Otitis media ist häufig (43 %). Ältere Kinder zeigen eine vermehrte Schreckhaftigkeit auf Geräusche.
Der häufigste Herzfehler ist die supravalvuläre Aortenstenose (60–70 %), gefolgt von supravalvulären und peripheren Pulmonalstenosen (20–30 %) und Mitralklappenprolaps (15 %). Seltener sind Stenosen der Nierenarterien und der zerebralen Gefäße. Eine arterielle Hypertonie kann sich schon im Kindesalter entwickeln (17 %) und gehört bei den Erwachsenen zu den häufigeren Symptomen (47 %). Etwa die Hälfte der Patienten hat eine Nabel- oder Leistenhernie. Fehlbildungen der Nieren und ableitenden Harnwege (18 %) umfassen Nephrokalzinose, Nierenhypoplasie, -aplasie, Nierenzysten, Ureterstenosen, vesikourethralen Reflux, Blasendivertikel.
Während Säuglinge und Kleinkinder durch eine muskuläre Hypotonie und Gelenkschlaffheit auffallen, können sich bereits im Klein- und Schulkindalter Sehnenverkürzungen entwickeln mit Kontrakturen im Kniegelenk und Spitzfußhaltung. Bei erwachsenen Patienten findet man häufig Gelenkversteifungen und Kyphoskoliosen. Die Wachstumsgeschwindigkeit ist besonders in den ersten 4–5 Lebensjahren vermindert. Erwachsene erreichen aber zumeist eine Endlänge knapp unter dem oder im unteren Normbereich.
Die psychomotorische Entwicklung ist leicht bis mittelschwer retardiert, kann selten aber auch normal sein (IQ 20–106). Es besteht eine deutliche Diskrepanz zwischen relativ guten verbalen Fähigkeiten und schlechten Wahrnehmungs- und Handlungsfähigkeiten sowie Grob- und Feinmotorik. Die Sprache ist flüssig und korrekt, angereichert mit sozialen Phrasen und Klischees, wobei der Inhalt aber nicht adäquat ist (cocktail party speech). In der Untersuchung von Udwin (1990) konnten etwa 60 % der erwachsenen Patienten lesen, 20 % konnten Briefe schreiben und 40 % konnten einfache Rechenaufgaben lösen. Patienten, die unabhängig leben, sind eine Ausnahme. Die meisten Kinder haben Verhaltensstörungen: Sie sind distanzlos, umtriebig, leicht ablenkbar, ängstlich. Sie haben Ess-, Einschlaf-, Durchschlafprobleme, zwanghafte Vorlieben, Probleme im Aufbau von Freundschaften. Andererseits haben sie oft eine freundliche, positive Grundstimmung, sind anhänglich und liebebedürftig.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Wegen der relativ guten expressiven Sprache wird die Diagnose häufig erst verzögert gestellt (>4 Jahre). Bei 99 % der Patienten kann die klinische Diagnose durch eine FISH- oder MLPA-Untersuchung mit Nachweis einer Mikrodeletion 7q11.23 bestätigt werden. Abzugrenzen sind isolierte, autosomal-dominante Aortenstenose, Noonan-, Fragiles-X-, Coffin-Lowry-Syndrom.
Therapie
In Abhängigkeit vom Schweregrad der supravalvulären Aortenstenose bzw. kardialen Symptomen erfolgt eine chirurgische Korrektur, meist mittels Patch-Erweiterung der Aorta. Es ist wichtig, die Kontaktfreude und Offenheit, das gute Gedächtnis der Patienten sowie ihre guten Sprachfähigkeiten zur Förderung zu nutzen. Abstrakte und visuell orientierte Aufgaben verlangen dagegen spezielle Lernstrategien. Frühzeitig sollte ein Kinderpsychologe in die Betreuung einbezogen werden.
Genetische Beratung
Überwiegend ist das Syndrom sporadisch, einige wenige Patienten mit autosomal-dominantem Erbgang wurden beschrieben.

Ausgewählte Syndrome

In Tab. 2 und 3 sind ausgewählte Syndrome mit Kleinwuchs oder auffälliger Fazies aufgeführt.
Tab. 2
Syndrome mit Kleinwuchs
Syndrom
Symptome
Mentale Entwicklung
Vererbung/Lokus/Gen
Rundes Gesicht, Hypertelorismus, leichte Ptose, kleine Nase, Hypodontie, Brachydaktylie, kutane Syndaktylie der Finger, Klinodaktylie 5, Wirbelkörperfehlbildungen, „Shawl-Skrotum“, Kryptorchismus
Leichte Retardierung (30 %)
XR
Xp11.22, FGD1
Bardet-Biedl-Syndrom (BBS1–15)
Adipositas, Retinopathie, postaxiale Polydaktylie, Brachydaktylie, Syndaktylie, Hypogenitalismus, dysplastische Nieren, Schwerhörigkeit
Mentale Retardierung
AR
häufigste Typen:
BBS1: 3q11.2, ARL6 (25 %)
BBS10: 12q21.2, BBS10 (25 %)
BBS12: 4q27, BBS12 (8 %)
mehrere Modifier-Gene
Bloom-Syndrom
Milde Mikrozephalie, Dolichozephalie, flache Jochbögen, schmetterlingsförmiges Gesichtserythem, UV-Sensitivität, großflächige Hyper- und Hypopigmentierungen, Immunglobulinmangel, erhöhtes Malignomrisiko
Normal bis leicht retardiert
AR
erhöhte Chromosomenbrüchigkeit
vermehrter Schwesterchromatidaustausch
15q26.1, RECQL3
Cornelia-de-Lange-Syndrom
Mikrobrachyzephalie, Synophrys, bogenförmige Augenbrauen, kurze Nase, antevertierte Nares, langes Philtrum, dünne, nach kaudal weisende Oberlippe, Mikrogenie, Hirsutismus, Mikromelie, ulnare Strahldefekte
Schwere mentale Retardierung
AD, zumeist sporadisch, 5p13.2, NIPBL (60 %)
milder Phänotyp: AD, 10q25.2, SMC3 8q24.11, RAD21
XR, Xp11.2, SMC1A (5%) Xq13.1, HDAC8
Dubowitz-Syndrom
Leichte Mikrozephalie, spärliche Haare, kurze Lidspalten, Telekanthus, Ptosis, Augenanomalien, Mikrogenie, dysplastische Ohren, Ekzem im Säuglings- und Kleinkindalter
Leichte bis schwere Retardierung (54 %), Hyperaktivität
AR
Hallermann-Streiff-Syndrom
Brachyzephalie, dünne, spärliche Haare, Mikrophthalmus, Katarakt, sehr dünne Nase mit hypoplastischen Nasenflügeln, Mittelgesichtshypoplasie, Hypodontie und dysplastische Zähne, atrophische Haut, Kryptorchismus
Mentale Retardierung (15 %)
Sporadisch
AR, 6q22.31, GJA1 (?)
Leichte Mikrozephalie, Skalpdefekte, hypoplastische Nasenflügel, Zahndysplasie und Hypodontie, sensorische Hörstörung (75 %), Hypothyreose, exokrine Pankreasinsuffizienz
Mentale Retardierung (67 %)
AR
15q15, UBR1
LEOPARD-Syndrom
Multiple Lentigines, EKG-Veränderungen, (Okulärer) Hypertelorismus, Pulmonalstenose, Abnorme Genitalien (Hypospadie), Kleinwuchs (R), Taubheit (D)
Vereinzelt leichte Retardierung
AD
12q24.13, PTPN11
3p25.2, RAF1
7q34, BRAF
MMM-Syndrom
Dolichozephalie, dreieckförmiges Gesicht, betontes Kinn, abstehende Ohren, kurzer Nacken mit prominentem M. trapezius, Gelenküberstreckbarkeit, keine Asymmetrie, keine rel. Makrozephalie, Röntgen: dünne Röhrenknochen, hohe Wirbelkörper
Normal
AR
6p21.1, CUL7
2q35, OBSL1
19q13, CCDC8
Seckel-Syndrom
(Übergänge zu MCPH)
Ausgeprägter Kleinwuchs (−7 SD), schwere Mikrozephalie, flache Stirn, große Augen, abfallende Lidachse, prominente Nase, Mikrogenie, große Ohren ohne Ohrläppchen, Klinodaktylie 5, Kryptorchismus, Hüftluxation, Röntgen: 11 Rippen
Deutliche bis schwere Retardierung, Hyperaktivität
AR
SCKL1: 3q23, ATR
SCKL2: 18q11, RBBP8
SCKL:4 13q12, CENPJ
SCKL5: 15q21.1, CEP152
Silver-Russel-Syndrom
Relative Makrozephalie, dreieckförmiges Gesicht, Café-au-lait-Flecken, Klinodaktylie 5, Extremitätenasymmetrie
Normal
Sporadisch
11p15, IGF2
Methylierungsstörung (50 %)
7p11, GRB10, (?)
Maternale UPD7 (10 %)
AD autosomal-dominant, AR autosomal-rezessiv, XR X-chromosomal-rezessiv, XD X-chromosomal-dominant
Tab. 3
Syndrome mit besonders auffälliger Fazies
Syndrom
Symptome
Mentale Entwicklung
Vererbung/Lokus/Gen
(C) Kolobome der Iris, Retina, Choroidea, Mikrophthalmus (80–90 %)
(H) Herzfehler: ASD, konotrunkale Fehlbildungen (75–85 %)
(A) Choanalatresie(-stenose), ein- oder beidseitig, membranös oder knöchern (50–60 %)
(R) retardierte Entwicklung, Stammhypotonie (>90 %)
(G) Genitalfehlbildungen: Mikropenis, Hodenhochstand, hypoplastische Labien, verzögerte Pubertät (70–80 %)
(E) (Ear) Helixfehlbildungen, Schallleitungs- und Schallempfindungsschwerhörigkeit, Cochleadefekte (90 %)
Sonst: ZNS-Anomalien (83 %), Gedeihstörung (Schluckstörung!, Aspiration!), Kleinwuchs (70 %), faziale Dysmorphie (70 %), Fazialisparese, Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten (15 %), tracheoösophageale Fehlbildungen (15 %), Nierenfehlbildungen (20 %), Skelettanomalien (53 %)
Zumeist deutliche bis schwere Retardierung
Verhaltensstörungen
AD, zumeist sporadisch,
8q12.2, CHD7 (90 %)
Coffin-Lowry-Syndrom
Grobe Fazies, Hypertelorismus, breite Nasenwurzel, großer Mund mit dicken Lippen, abstehende Ohren, Hypodontie, konisch zulaufende Finger, Skoliose, Minderwuchs
Zumeist deutliche bis schwere Retardierung, Hypotonie
XD, Frauen leichter betroffen,
Xp22.12, RPS6KA3
Franceschetti-(Treacher-Collins-)-Syndrom
Abfallende Lidachse, Unterlidkolobome, Hypoplasie der Jochbeine und des Ober- und Unterkiefers, Makrostomie, Mikrotie, Gehörgangsstenose, Schwerhörigkeit, zumeist symmetrische Fehlbildungen
Normale Entwicklung
AD
5q32–q33.1, TCOF1
Hemifaziale Mikrosomie (Oculo-auriculo-vertebrales Spektrum, OAVS)
Gesichtsasymmetrie, zumeist einseitige Hypoplasie der Jochbögen und der Maxilla, Blepharoptosis, Mikrophthalmus, Oberlidkolobom, Mikrotie, Präaurikularanhängsel, Hörstörung, Makrostomie, Wirbelkörperfehlbildungen
Variante mit epibulbärem Dermoid
Zumeist normale Entwicklung
AD, zumeist sporadisch, AR vereinzelt beschrieben
Kabuki-(Niikawa-Kuroki-Syndrom)
Lange Palpebralspalten mit lateralem Ektropion, gebogene Augenbrauen, Epikanthus, kurze Nase, Gaumenspalte, abstehende Ohren, Fingerspitzenpolster, Kleinwuchs, Hörstörung
Leichte bis deutliche Retardierung, Hypotonie
Kabuki-(Niikawa-Kuroki-Syndrom) AD, sporadisch, 12q13.12, KMT2D (60%)
XD, Xp11.3, KDM6A (6%)
Opitz-Syndrom (Hypertelorismus-Hypospadie-Syndrom)
Hypertelorismus, abweichende Lidachse, breite, flache Nasenwurzel, Lippen-Kiefer(-Gaumen)-Spalte, Schluckschwierigkeiten, posterior rotierte Ohren, Hypospadie, Kryptorchismus
Leichte Retardierung
AD, 22q11.2, SPECC1L
XR, Xp22.2, MID1
Progerie (Hutchinson-Gilford-Syndrom)
Minderwuchs ab 1. Lebensjahr, zunehmende Vergreisung: Haarverlust, prominente Schädelvenen, schnabelartige Nase, fliehendes Kinn, Verlust des subkutanen Fettgewebes, Hautatrophie, Kontrakturen, Tod im 2. Lebensjahrzehnt
Normal
Sporadisch, AD, AR
1q22, LMNA
Robinow-Syndrom
„Fetal face syndrome“
Makrozephalus, flaches Gesicht, Hypertelorismus, kleine Nase mit antevertierten Nares, nach kaudal weisende Mundwinkel, kurze Unterarme, Klinodaktylie 5, Hemivertebrae, Hypogenitalismus Nierenfehlbildungen, Herzfehler
Mentale Retardierung (18 %)
AR
9q22.31, ROR2
Selten: AD
3p14, WNT5A
3q27, DVL3
Rubinstein-Taybi-Syndrom
Leichte Mikrozephalie, dichte, gebogene Augenbrauen, abfallende Lidachse, Strabismus, hypoplastische Maxilla mit engem Gaumen, prominente Nase mit langem Septum, tief sitzende Ohren, breite Daumen und Großzehen, Hodenhochstand
Deutliche mentale Retardierung
AD, zumeist sporadisch, 16p13.3, Mutation, Mikrodeletion,−insertion in CREBBP (50 %)
22q13.2, EP300 (ca. 3 %)
AD autosomal-dominant, AR autosomal-rezessiv, XR X-chromosomal-rezessiv, XD X-chromosomal-dominant

Assoziationen

Unter einer Assoziation versteht man das über den (statistischen) Zufall hinausgehende Zusammentreffen verschiedener Fehlbildungen, deren Ätiologie und Pathogenese bisher nicht geklärt werden konnte. Assoziationen können auch als ätiologisch heterogene Krankheitseinheiten aufgefasst werden, die in der Blastogenese entstehen und überwiegend Mittellinienstrukturen betreffen. Gemeinsam sind den Assoziationen die große Variabilität und das geringe Wiederholungsrisiko. Vereinzelt finden sich bei Patienten Symptome verschiedener Assoziationen und Übergänge zum okulo-aurikulo-vertebralen Spektrum (Tab. 4).
Tab. 4
Häufige Assoziationen und ihre Symptome
Assoziation
Symptome
VA(C)TER(L)
(V) Vertebrale Fehlbildungen (48 %)
(A) Analatresie, -stenose (83 %)
(C) kardiale Fehlbildungen (48 %)
(TE) tracheoösophageale Fehlbildungen (60 %)
(R) renale Fehlbildungen (81 %), radiale Fehlbildungen (35 %)
(L) nichtradiale Extremitätenfehlbildungen
Cave: Hydrozephalus mit Symptomen der VATERAssoziation: autosomal-rezessiv oder X-gekoppelt rezessiv
Schwer ausgeprägte Fälle mit autosomal rezessiver Fanconi-Anämie
MURCS
(MU) Aplasie der Müller-Gänge mit konsekutiven uterovaginalen Fehlbildungen – Mayer-Rokitansky-Küster-Komplex (96 %)
(R) renale Agenesie (88 %), ektope Nieren
(CS) z(c)ervikale und obere thorakale Wirbel-(Somiten-)Fehlbildungen (80 %)
Sonst: ZNS-Fehlbildungen, Enzephalozele, Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten, Gesichtsasymmetrie, Hörstörungen, Rippenanomalien
Sprengelanomalie
Mehrere Männer mit ähnlicher Symptomatik und Azoospermie beschrieben

Teratogene

Die Teratogene lassen sich in 4 Gruppen unterteilen:
1.
Intrauterine Infektionen (Kap. „Pränatale Medizin“)
 
2.
Medikamente, Genussmittel, Chemikalien
 
3.
Physikalische Ursachen
 
4.
Mütterliche Stoffwechselstörungen (Kap. „Intrauterines Wachstum, Wachstumsstörungen und Postmaturität“ und Kap. „Neurologie des Neugeborenen“)
 
Der genaue pathogenetische Mechanismus der meisten Teratogene ist unbekannt, doch können einige Punkte herausgearbeitet werden, die erklären, warum Embryonen ähnlich bzw. unterschiedlich auf Teratogene reagieren:
Dosis
Generell gilt: Je höher die Dosis eines Teratogens, umso größer ist der Effekt.
Sensible Phase
Die meisten Organe durchlaufen während der Entwicklung Phasen, in denen sie besonders störanfällig sind. Das Entwicklungsstadium, zu dem das Teratogen einwirkt, bestimmt daher, ob es z.  B. zum Fruchttod, zu Fehlbildungen oder zu einer allgemeinen Retardierung kommt.
Genotyp
Ob ein Wirkstoff eine teratogene Wirkung zeigt und wie stark diese ist, hängt von der genetischen Ausstattung eines Organismus ab. Einige Individuen werden deshalb ein besonders hohes, andere ein niedriges Risiko für bestimmte Teratogene haben. Dies erklärt auch, warum Mütter, die z. B. bereits ein Kind mit einer Hydantoin- oder Alkoholembryopathie haben, ein wesentlich höheres Wiederholungsrisiko haben als Mütter, die bereits ein gesundes Kind (bei Ingestion des gleichen Teratogens) geboren haben.
Kombination der oben genannten Faktoren
Häufig werden während einer Schwangerschaft mehrere teratogene Wirkstoffe zu unterschiedlichen Zeitpunkten einwirken, sodass sich unterschiedliche Kombinationseffekte erwarten lassen.
Teratogenspezifische Fehlbildungsmuster
Einzelne Teratogene zeigen ein charakteristisches Fehlbildungsmuster, was auf einen wirkstoffspezifischen Metabolismus hinweist, der in bestimmte Entwicklungsschritte eingreift.

Medikamente

Antiepileptika

Bei Kindern epileptischer Mütter werden 2- bis 3-mal häufiger Fehlbildungen gefunden als in der Normalbevölkerung. Welchen Anteil dabei der genetische Hintergrund der Mutter und des Fetus bzw. die Antiepileptika haben, ist bisher nicht genau geklärt. In den letzten Jahren zeigte sich, dass die einzelnen Antiepileptika kein jeweils typisches Fehlbildungssyndrom verursachen, sondern dass weitgehende Überschneidungen bestehen und nur in einzelnen Symptomen oder im Grad der Ausprägung Unterschiede zu erkennen sind, sodass man besser von einer Antiepileptika-Embryopathie spricht. Als Ursache werden u. a. hochreaktive Epoxidmetaboliten der Antiepileptika, aber auch Folsäure- und Vitamin-B12-Mangel angesehen. Die Kombination verschiedener Antiepileptika erhöht das Fehlbildungsrisiko beträchtlich.
Etwa 5–10 % der mit Phenobarbital, Carbamazepin oder Phenytoin exponierten Embryonen zeigen prä- und postnatalen Kleinwuchs, Mikrozephalie, weite große Fontanelle, leichte mentale Retardierung, Hypertelorismus, Epikanthus, Ptosis, Strabismus, Mittelgesichtshypoplasie, breite, tiefe Nasenwurzel, kurze Nase, breiten Mund mit vollen Lippen, Hypoplasien der Finger- und Zehenendphalangen, Nagelhypoplasien und fingerähnliche Daumen. Seltener sind Herzfehler und LKG- und Gaumenspalten. Bei der intrauterinen Exposition mit Valproinsäure sind häufig auch Trigonozephalie, verstrichenes Philtrum, schmale Oberlippe, kleiner Mund und dysplastische Ohren zu erkennen. Typisch für Valproinsäure ist die erhöhte Rate an Herzfehlern, Hypospadien, Nieren- und Extremitätenfehlbildungen sowie Neuralrohrdefekten. Die niedrigsten Fehlbildungsraten ergaben sich unter Lamotrigin und Levetiracetam.

Cumarine (Warfarin)

Etwa 15–30 % der Kinder, die Cumarinderivaten (insbesondere Warfarin) ausgesetzt sind, haben ein der Chondrodysplasia punctata (CDP) ähnliches Krankheitsbild: hypoplastische Nase mit tiefer Furche zwischen Nasenflügeln und Nasenspitze, kleine Nasenlöcher, Augenfehlbildungen (Katarakt, Optikusatrophie, Mikrophthalmie), Extremitätenhypoplasien, Kleinwuchs, ZNS-Fehlbildungen, leichte bis schwere mentale Retardierung, kalkspritzerartige Veränderungen der Epiphysen (stippled epiphyses) besonders am Achsenskelett und am Kalkaneus. Warfarin hemmt die Arylsulfatase E, deren Ausfall im Rahmen einer Mutation zur X-gekoppelten CDP führt, was die Übereinstimmung der beiden Krankheitsbilder erklärt.

Retinoide

Retinolsäure ist ein wesentliches körpereigenes Morphogen, das u. a. für die Musterbildung in der frühen Embryonalentwicklung verantwortlich ist. Synthetische Derivate des Vitamin A (Tretinoin, Isotretinoin) greifen in diesen Prozess ein und führen zur Retinoidembryopathie. Diese ist gekennzeichnet durch flaches Gesicht, Hypertelorismus, Fazialisparese, Gaumenspalte, Mikrogenie, dysplastische, hypoplastische Ohren, konotrunkale Herzfehler und unterbrochenen Aortenbogen, Thymushypoplasie, Hydrozephalus, zerebrale und zerebelläre Fehlbildungen, mentale Retardierung. Bei Einnahme von Isotretinoin in der Schwangerschaft besteht ein Risiko von etwa 40 % für Spontanaborte und etwa 35 % für große Fehlbildungen. Nachuntersuchungen zeigten bei den Kindern eine hohe Rate an mentaler Retardierung und Teilleistungsschwächen.

Thalidomid

In den Jahren 1959–1962 kam es zu einem plötzlichen und drastischen Anstieg von Extremitätenfehlbildungen in den Ländern, in denen thalidomidhaltige Medikamente zugelassen waren. Weltweit waren etwa 6000, allein in Deutschland etwa 3000 Kinder betroffen. Das Fehlbildungsrisiko bei Exposition betrug etwa 20 %. Die kritische Phase umfasste nur 15 Tage (35.–50. Tag post menstruationem). Die Art der Fehlbildung war stark abhängig vom Tag der Thalidomideinnahme und reichte von Anotie, Fazialis-, Augenmuskellähmung (35. Tag) über die typische Peromelie (38.–40. Tag), über Analatresie, Nierenfehlbildungen, schwere Armfehlbildungen, Herzfehler, Duodenalatresie/-stenose (41.–43. Tag) bis zur Triphalangie der Daumen und Analstenose (50. Tag).

Zytostatika (Aminopterin/Methotrexat)

Bei der Chemotherapie mit Zytostatika muss wegen des Wirkungsmechanismus der Arzneimittelgruppe mit teratogenen Wirkungen gerechnet werden. Die Folsäureantagonisten Aminopterin und Methotrexat können zu einem charakteristischen Fehlbildungssyndrom führen: Pränataler Kleinwuchs, Mikrozephalie, Hypoplasie der Schädelknochen, flache Supraorbitalwülste, breite Nasenwurzel, Gaumenspalte, Mikrogenie, tief sitzende Ohren, verkürzte Extremitäten, Klumpfüße, Neuralrohrdefekte, anscheinend keine mentale Retardierung. Aufgrund der vorliegenden Daten ist eine abschließende Beurteilung der kritischen Dosis bzw. der kritischen Einnahmeperiode nicht möglich.

Andere teratogene Medikamente und Chemikalien

Weitere teratogene Wirkstoffe sind in Tab. 5 aufgeführt.
Tab. 5
Teratogene Medikamente und Chemikalien
Substanz
Resultierende Fehlbildung
Methylquecksilber
Mikrozephalie, zerebrale und zerebelläre Atrophie, Zerebralparese
Aminoglykoside
Gehörschäden
Maskulinisierung weiblicher Feten
Methimazol
Aplasia cutis, Choanalatresie

Genussmittel und Drogen

Alkohol: fetale Alkoholspektrumstörungen

Definition und Häufigkeit
Eine fetale Schädigung durch maternalen Alkoholgenuss wurde erstmals durch Lemoine 1968 beschrieben, davon unabhängig 1973 durch Jones und Smith, die das Krankheitsbild als fetal alcohol syndrome (FAS) bekannt machten (Kap. „Medikamente und toxische Substanzen mit Rückwirkung auf den Feten“). Es ist charakterisiert durch eine motorische und mentale Retardierung mit Verhaltensstörungen, unterschiedliche Fehlbildungen und, zumindest in schweren Fällen, typische Fazies. Die geschätzte Häufigkeit liegt bei etwa 1:500. Der mildere Phänotyp, bzw. Teilsymptome werden als fetale Alkoholeffekte bezeichnet, die mit dem fetalen Alkoholsyndrom auf der Gegenseite die Grenzen der fetalen Alkoholspektrumstörungen (fetal alcohol spectrum diesease, FASD) bilden. Manche Autoren grenzen innerhalb des Spektrum ein partielles FAS, alkoholbedingte entwicklungsneurologische Störungen (ARND) und die alkoholbedingten angeborenen Malformationen (ARBD) ab.
Ätiologie und Pathogenese
Äthanol wirkt zytotoxisch und mitosehemmend. Es besteht keine Plazentaschranke, sodass im Fetus die gleichen Blutalkoholwerte erreicht werden wie bei der Mutter. Es ist unklar, ob Äthanol oder seine Metabolite, z.  B. Acetaldehyd, die Schädigung bedingen. Etwa 10–15 % der Kinder alkoholkranker Frauen haben ein fetales Alkoholsyndrom, wahrscheinlich mehr als 50 % haben Alkoholeffekte. Es besteht keine direkte Dosis-Wirkungs-Beziehung. Es gibt keine untere Schwellendosis, die als unschädlich angesehen werden kann. Besondere mütterliche Risikofaktoren sind: hoher und chronischer Alkoholabusus, Alkohol im 1. und 2. Trimenon, zusätzlicher Drogenabusus, mütterliches Alter >30 Jahre, geringer sozioökonomischer Staus, Stress, Unterernährung, Mangel an Spurenelementen oder Vitaminen, geburtshilfliche Komplikationen, genetischer Hintergrund, vorhergehendes Kind mit FASD.
Symptome und Verlauf
Die Patienten werden untergewichtig (89 %) geboren und bleiben auch postnatal untergewichtig. Teilweise sind sie schon bei Geburt mikrozephal, häufiger entwickelt sich aber eine Mikrozephalie erst mit zunehmendem Lebensalter. Die Fazies ist charakteristisch: Niedrige Stirn, Epikanthus (66 %), Blepharophimose (11 %), Ptose (38 %), abfallende Lidachse (37 %), kurzer Nasenrücken (49 %), fehlendes oder sehr flaches Philtrum (95 %), schmale Oberlippe (65 %), hoher Gaumen (39 %) oder Gaumenspalte (7 %), hypoplastischer Unterkiefer (74 %), dysplastische, tief sitzende Ohren (59 %), Abb. 7. An den Händen sind typisch: Klinodaktylie 5, Kamptodaktylie und abnorme Dermatoglyphen (69 %: z. B. tiefe Daumenfurche und scharf abknickende Dreifingerfurche, die zwischen dem 2. und 3. Finger endet).
Etwa 30 % der Patienten haben einen Herzfehler, am häufigsten sind Ventrikelseptum- (39 %) und Vorhofseptumdefekte (37 %). Genitalanomalien werden in 30–40 % der Fälle gefunden (Hypospadia glandis, Hodenhochstand, Hypoplasie der Labia majora, Klitorishypertrophie). Nierenfehlbildungen (10 %) umfassen z.  B. Nierenagenesie und -hypoplasie, Doppelniere, Anomalien der ableitenden Harnwege. Skelettäre Fehlbildungen sind häufig: Trichterbrust (28 %), Supinationseinschränkung (14 %) durch radioulnare Synostose, progrediente Skoliosen (6,8 %).
Im Säuglings- und Kleinkindalter haben etwa ein Drittel der Patienten Ess- und Schluckstörungen. Die grobmotorische Entwicklung ist wenig beeinträchtigt, häufig sind jedoch Störungen der Feinmotorik. Die meisten Patienten (90 %) haben eine Sprachentwicklungsstörung. Bei der mentalen Entwicklung fallen besonders Einschränkungen im logischen Denken, im Abstrahieren, im Erfassen von Zusammenhängen, in der fantasievollen Gestaltung auf, während die Merkfähigkeit häufig gut ist. Viele Patienten haben Wahrnehmungsstörungen und Verhaltensstörungen. Typisch sind Hyperaktivität, Konzentrationsschwäche, Impulsivität, Stimmungslabilität, erhöhte Risikobereitschaft, fehlende soziale Kompetenz, distanzloses Verhalten gegenüber Erwachsenen.
Mit zunehmendem Lebensalter bilden sich die charakteristischen kraniofazialen Veränderungen größtenteils zurück, es bleiben aber die Mikrozephalie, das flache Philtrum und die dünne Oberlippe. In der Untersuchung von Löser (1995), der 51 Patienten langzeitig untersuchte, konnten 2 Kinder eine Realschule besuchen (beide Alkoholembryopathie mit leichtem Schweregrad), 35 % besuchten eine Hauptschule, 55 % besuchten eine Sonderschule (25 % Schule für Lernbehinderte, 30 % Schule für geistig Behinderte), 6 % waren nicht bildungsfähig. Nur vereinzelt können erwachsene Patienten selbstständig leben.
Differenzialdiagnose
Zu differenzieren sind das Dubowitz-, Noonan-, De-Lange-, Fetales-Hydantoin- und Smith-Lemli-Opitz-Syndrom.
Therapie
Angewandt werden krankengymnastische Therapien nach Bobath, Vojta, Montessori, sensomotorisches Training, Wahrnehmungstraining, logopädische Behandlung (Cave! Innenohrschwerhörigkeit). Ein medikamentöser Behandlungsversuch zur Verminderung der Hyperaktivität und Verbesserung der Konzentration kann z.  B. mit Methylphenidat unternommen werden. Die Erziehung sollte die Gewährung ausreichender Freiräume sowie das Aufstellen von Tagesplänen und Routinen einbeziehen. Eine intensive Beratung der Eltern zur Prävention einer zukünftigen Alkoholembryopathie sowie eine ausführliche Beratung evtl. Pflegeeltern sind notwendig. Frauen im gebärfähigen Alter sollen aufgeklärt werden, dass während der Schwangerschaft kein Alkohol konsumiert werden darf.

Kokain und andere Drogen

Stärkerer Kokainabusus kann zu Reduktionsdefekten der Extremitäten, urogenitalen, gastrointestinalen Fehlbildungen und unterschiedlichen Hirnfehlbildungen wie Porenzephalie, Corpus-callosum-Agenesie und intrazerebralen Zysten führen. Daneben werden eine intrauterine Wachstumsretardierung und eine Entwicklungsverzögerung gefunden. Ob es ein typisches „Kokaingesicht“ gibt mit Lidschwellung, flachen Supraorbitalwülsten mit Furchen und kurzer Nase, bleibt offen. Die Fehlbildungen werden auf den ausgeprägten sympatikomimetischen Effekt von Kokain zurückgeführt, der zu Durchblutungsstörungen der Plazenta und des Feten führt.
Opiate , zu denen Heroin und Morphium zählen, sind nicht teratogen, bedingen aber intrauterine Wachstumsstörungen, Frühgeburtlichkeit und eine erhöhte perinatale Mortalität. Nachuntersuchungen bei Kindern, deren Mütter Marihuana und Amphetamine einnahmen, ergaben beeinträchtigte mentale Leistungen (Kap. „Medikamente und toxische Substanzen mit Rückwirkung auf den Feten“).
Nikotinabusus während der Schwangerschaft führt zu einem geringeren Geburtsgewicht. Ebenso sind die Abortrate, die Frühgeburtlichkeit und die perinatale Mortalität erhöht. Nikotin verursacht jedoch keine Fehlbildungen (Kap. „Medikamente und toxische Substanzen mit Rückwirkung auf den Feten“).

Physikalische Ursachen

Ionisierende Strahlen

Aus Tierexperimenten und den Erfahrungen aus den Atombombenexplosionen im 2. Weltkrieg ist bekannt, dass Röntgenstrahlen und radioaktive Strahlen in sehr hohen Dosen teratogen sind. Die Fehlbildungen umfassen Mikrozephalie mit mentaler Retardierung, Augenfehlbildungen und Wachstumsstörungen. Die dafür notwendigen Strahlendosen werden unter normalen Umständen auch bei umfassender Röntgendiagnostik nicht erreicht, sondern allenfalls durch eine therapeutische Bestrahlung. Von der Deutschen Gesellschaft für medizinische Physik und der Deutschen Röntgengesellschaft wird der kritische Schwellenwert zwischen der 2. und 8. Woche Entwicklungswoche bei 50 mSv angesetzt. Hiervon abzutrennen und unabhängig von einer Schwellendosis sind das karzinogene und mutagene Risiko einer Strahlenexposition.

Hyperthermie

Lang dauernde Überwärmung in der frühen Schwangerschaft wird mit Mikrozephalie, Retardierung und Neuralrohrstörungen in Verbindung gebracht, ohne dass jedoch größere Studien vorliegen.

Maternale Krankheiten

Embryopathia diabetica

Kinder diabetischer Mütter haben ein 2- bis 4-fach erhöhtes Risiko für Einzel- und Mehrfachfehlbildungen (Kap. „Intrauterines Wachstum, Wachstumsstörungen und Postmaturität“). Etwa 0,5 % aller Schwangerschaften betreffen Diabetikerinnen, etwa 2 % der Schwangeren entwickeln einen Gestationsdiabetes.
Ätiopathogenese
Die Fehlbildungen entstehen vor der 4.–7. Entwicklungswoche. Als Ursache werden besonders Hyperglykämien, aber auch immunologische Faktoren, hormonelle Störungen, Hypoglykämien und Gefäßveränderungen diskutiert. Je schwerer der mütterliche Diabetes ist und je länger er besteht, umso größer scheint das Risiko für Fehlbildungen zu sein.
Symptome
Am häufigsten sind Herzfehler (in eckigen Klammern wird angegeben, wievielmal häufiger die Fehlbildung bei Kindern diabetischer Mütter gegenüber denen nichtdiabetischer Mütter ist) mit 21 % [2,8] (Transposition der großen Gefäße, VSD, hypoplastisches Linksherz, Truncus arteriosus communis, singulärer Ventrikel), Fehlbildungen des Gehirns (Hydrozephalus, Anenzephalie, Holoprosenzephalie) und Neuralrohrdefekte (18 %, [2,9]), Genital- (13 %) und urorenale Fehlbildungen (11 %, [3,8]), Fehlbildungen des Respirationstrakts (8 %) [2,7], gastrointestinale Atresien (5 %, [3,5]). Am charakteristischsten sind die Fehlbildungen lumbaler oder thorakaler Wirbelkörper und Rippen (10 %, [26–40]) und die kaudale Dysplasie (5,3 %, [53]) mit Fehlen des Kreuz- und Steißbeins, Hypoplasie des Beckens und der unteren Extremität, Muskelhypoplasien, Paresen, konsekutiven Kontrakturen sowie Blasen- und Darmlähmungen). Weitere Befunde sind: LKG-Spalte, Katarakt, Mikrophthalmus, dysplastische Ohren, Omphalozele, Polydaktylie. Bis zu 50 % der Kinder sterben aufgrund ihrer schweren Fehlbildungen.
Differenzialdiagnose
Zu differenzieren sind kaudale Regressionssequenz, Femoral-hypoplasia-unusal-facies-Syndrom.
Therapie der Mutter
Eine bereits präkonzeptionell beginnende, strenge Diabeteseinstellung reduziert das Risiko für eine Embryopathie erheblich. Ein erhöhtes Risiko liegt auch für den nichtinsulinpflichtigen Diabetes und den Gestationsdiabetes vor, sodass auch bei diesen Formen eine strenge Therapie notwendig ist.

Maternale Phenylketonurie

Dent (1957) und Mabry et al. (1963) beschrieben als Erste, dass eine unbehandelte maternale Phenylketonurie (MPKU) beim Fetus zu Fehlbildungen und mentaler Retardierung führen kann. Viele Patientinnen, die seit den 1960er-Jahren im Neugeborenenscreening erfasst und durch eine phenylalaninarme Diät behandelt wurden, haben die Diät nach der Pubertät abgesetzt und sind mittlerweile in ein gebärfähiges Alter gekommen. Sie haben ohne entsprechende Therapie ein hohes Risiko, dass ihre Kinder geschädigt sein werden.
Ätiologie
Die Fehlbildungen sowie die Retardierung werden auf einen toxischen Effekt der erhöhten mütterlichen Phenylalaninspiegel zurückgeführt, wobei eine direkte Korrelation besteht zwischen der Höhe des mütterlichen Phenylalaninspiegels und dem Auftreten und der Häufigkeit der Fehlbildungen.
Genetik
Die PKU wird autosomal-rezessiv vererbt, d.  h. die Kinder betroffener Mütter sind in der Regel heterozygot und haben damit normale postnatale Phenylalaninspiegel.
Symptome
Die Rate der Spontanaborte liegt bei etwa 15 %. Die Kinder werden untergewichtig (25 %) und mikrozephal (85 %) geboren. Etwa 16 % haben Herzfehler (besonders Fallot-Tetralogie, Aortenisthmusstenose, PDA). Fazial fallen eine breite, flache Nasenwurzel, ein weiter äußerer Kanthalabstand, ein Epikanthus, ein Strabismus, antevertierte Nares, ein flaches, wenig modelliertes Philtrum, ein hoher Gaumen und leicht dysplastische Ohren auf (kleine Anomalien bei ca. 50–85 %). Neurologische Auffälligkeiten, wie motorische Retardierung, abnormer Muskeltonus, abnorme Reflexe, finden sich bei mehr als 75 %. Die meisten Kinder sind mental deutlich retardiert (45–90 %). Mindestens 50 % haben eine postnatale Wachstumsstörung. Selten sind: Mikrophthalmus, Ösophagusatresie, LKG-Spalte, Hypospadie (die Prozentzahlen beziehen sich auf mütterliche Phenylanalinspiegel von >900 μmol/l).
Differenzialdiagnose
Therapie der Mutter
Beginn einer phenylalaninarmen Diät vor der Konzeption, wobei maternale Blutwerte von 120–360 μmol/l (2–6 mg/dl) während der gesamten Schwangerschaft anzustreben sind.
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