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Pädiatrie
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Publiziert am: 29.01.2020

Erworbene Koagulopathien bei Kindern und Jugendlichen

Verfasst von: Frauke Bergmann und Ralf Knöfler
Die erworbene Koagulopathie ist eine Störung der sekundären Hämostase durch Synthesedefizite, immunologische oder medikamentöse Faktoren. Seltener sind Störungen der primären Hämostase durch erworbene Veränderungen des Von-Willebrand-Faktors oder durch Thrombozytopathie bzw. -penie bedingt.

Erworbene Koagulopathien

Definition
Die erworbene Koagulopathie ist eine Störung der sekundären Hämostase durch Synthesedefizite, immunologische oder medikamentöse Faktoren.

Vitamin-K-Mangel-Koagulopathie

Definition
Bei Vitamin-K-Mangel besteht eine hämorrhagische Diathese durch mangelnde Aktivität der Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren FII, VII, FIX, FX und Protein C und S. Unter besonderen Umständen kann der Mangel der ebenfalls Vitamin-K-abhängigen Inhibitoren Protein C und Protein S überwiegen mit der Folge einer Thrombophilie. Der Vitamin-K-Mangel kann alimentär oder durch Resorptionsstörungen im Darm bedingt sein. Letztere wiederum sind ein sekundäres Phänomen bei Malabsorptions- oder Maldigestionssyndromen, z. B. bei Kurzdarmsyndrom, bei Cholestasestörungen (z. B. Gallengangsatresie, α1-Antitrypsinmangel), bei Zöliakie, bei zystischer Fibrose, bei Enterokolitis oder postenteritischem Syndrom. Komplette parenterale Ernährung ohne Vitamin-K-Supplementation sowie aufgehobene endogene Biosynthese von Vitamin K im Darm durch die Darmflora bei langdauernder Antibiotikatherapie sind weitere Ursachen. Einen generellen Mangel aller Vitamin-K-abhängigen Faktoren ohne Vitamin-K-Mangel gibt es als Folge eines seltenen, hereditären Defektes der γ-Carboxylase (GGCX-Gen), die für die γ-Carboxylierung der Gerinnungsfaktorvorstufen zuständig ist (VKCFD Typ I).
Ein weiterer genetischer Defekt ist für die Vitamin-K-Epoxid-Reduktase beschrieben (VKORC1-Gen). Mutationen dieses Gens können ebenfalls für den generellen Mangel der Vitamin-K-abhängigen Faktoren verantwortlich sein (VKCFD2), aber auch für eine relative Resistenz (wichtige Determinante für die Dosierung) oder – im Gegenteil – für eine besondere Empfindlichkeit gegenüber Vitamin-K-Antagonisten.
Die häufigste Vitamin-K-Mangel-Koagulopathie, vor allem jenseits des frühen Säuglingsalters, ist Folge einer Phenprocoumon-Antikoagulanzientherapie (Marcumar, Falithrom) und damit iatrogen. Dabei spielen unzuverlässige Einnahme und Dosierungsprobleme eine Rolle. Auch eine akzidentelle Ingestion ist möglich (gegebenenfalls in suizidaler Absicht).
Physiologie
Die Vitamin-K-abhängigen Faktoren werden nach ihrer primären Biosynthese an speziellen Glutaminsäureresten, die in der sog. Gla-Domäne der Gerinnungsfaktoren konzentriert sind, unter Addition von CO2 durch die γ-Carboxylase carboxyliert. Die hierdurch entstandenen Gla-Reste mit ihren beiden Carboxylgruppen sind in der Lage, Kalzium zu binden. Diese Interaktion mit Kalzium ermöglicht erst die normale Bindung der Gerinnungsfaktoren an Membranoberflächen. Reduziertes Vitamin K (Vitamin-K-Hydroquinon) ist an der Carboxylierung der oben genannten Gerinnungsfaktoren als Kofaktor beteiligt. Es wird dabei unter Aufnahme von Sauerstoff und Freisetzung von Wasser zu einem inaktiven Epoxid oxidiert. Eine Vitamin-K-Epoxid-Reduktase überführt das Vitamin-K-Epoxid wiederum in Vitamin K, das durch die Vitamin-K-Reduktase erneut zum aktiven Hydroquinon reduziert wird. Dieser Zyklus lässt sich durch Kumarine hemmen, die spezifisch die Epoxid-Reduktase inhibieren (Abb. 1). Der Effekt wird für die Antikoagulanzientherapie durch Kumarine, d. h. durch Vitamin-K-Antagonisten wie Warfarin, Phenprocoumon und Acenocoumarol genutzt.
Vitamin K wird mit der Nahrung aufgenommen. Da es sich um ein fettlösliches Vitamin handelt, fördert eine lipidreiche Nahrung die Resorption. Zusätzlich wird Vitamin K durch die Standortflora des Darms synthetisiert. Die Speicherung von Vitamin K erfolgt in der Leber. Bei Vitamin-K-Mangel werden die nichtcarboxylierten Vorstufen (protein induced in vitamine K absence, PIVKA) weiterhin synthetisiert und können immunologisch nachgewiesen werden.
Klinische Symptome
Die klinischen Symptome variieren abhängig von Ursache und Zeitpunkt des Auftretens einer Blutung.
Frühform der Vitamin-K-Mangelblutung
Die früheste Manifestationsform der Vitamin-K-Mangelblutung besteht in einer schweren Blutungsneigung bereits während des 1. Lebenstages, häufig verbunden mit zerebralen Blutungen. Unter Umständen war die Schwangerschaft kompliziert durch die Einnahme von Medikamenten wie Antikonvulsiva, Vitamin-K-Antagonisten und Antibiotika/Tuberkulostatika oder Laxanzienabusus. Jedoch findet man nicht immer eine Ursache bei der Mutter. Vitamin K ist schlechter plazentagängig als andere fettlösliche Vitamine.
Morbus haemorrhagicus neonatorum
Die klassische Form der Vitamin-K-Mangelblutung, der Morbus haemorrhagicus neonatorum bei nicht ausreichendem Prothrombinkomplex, tritt bei nicht durchgeführter Vitamin-K-Prophylaxe bei 0,1–1 % der Neugeborenen während der ersten 2–5 Lebenstage auf und manifestiert sich als Nabel- oder Schleimhautblutung, Neigung zu flächenhaften Hämatomen, Blutungen aus dem Magen-Darm-Trakt (Meläna, Abb. 2) und aus Punktionsstellen, z. B. nach Blutentnahme für Screeningtests. Manchmal treten auch zerebrale Blutungen auf. Der Vitamin-K-Mangel des Neugeborenen beruht auf ungenügendem diaplazentarem Transfer, einem nur geringen Speicher in der Leber, fehlender Zufuhr während der ersten Lebenstage bei geringer Trinkmenge und niedrigem Vitamin-K-Gehalt der Muttermilch und auf fehlender Besiedelung des Darms durch Vitamin-K-produzierende Bakterien. Der Mangel an einem Prothrombinkomplex beruht zusätzlich auf einer verminderten Synthese der Gerinnungsfaktoren durch Unreife der Leber. Der Gerinnungsdefekt ist bei Frühgeborenen ausgeprägter.
Spätform der Vitamin-K-Mangelblutung
Die späte Form der Vitamin-K-Mangelblutung jenseits der 1. Lebenswoche bis zu mehrere Wochen postnatal beruht auf nicht ausreichender oraler Zufuhr, meist in Verbindung mit einer Vitamin-K-Resorptionsstörung. Die gefürchtete Folge können subdurale und intrazerebrale Blutungen sein. Man beobachtet diesen Blutungstyp vor allem bei voll gestillten Säuglingen, da Muttermilch nur ein Viertel des Vitamin-K-Gehalts von Kuhmilch besitzt, und im Rahmen von Grundkrankheiten, wie chronischer Diarrhö, zystischer Fibrose, α1-Antitrypsinmangel, Hepatitiden und Cholestasesyndromen (z. B. Gallengangsatresie). Die späte Vitamin-K-Mangelblutung als isoliertes Symptom sollte daher immer Anlass zu einer entsprechenden Diagnostik sein. Ein Vitamin-K-Mangel wird auch bei Kindern beobachtet, die nur mit Sojamilch ernährt werden.
Eine gastrointestinale Blutung kann bei Neugeborenen und Säuglingen jedoch auch durch Verschlucken mütterlichen Bluts, z. B. aus Rhagaden der Brustwarzen, vorgetäuscht werden (Melaena spuria).
Thrombophilie bei Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten
Abgesehen von der Koagulopathie kann es im Rahmen einer Antikoagulanzientherapie mit Vitamin-K-Antagonisten bei konstitutionellem Protein-C- oder Protein-S-Mangel auch zu thrombotischen Ereignissen kommen. Das klinische Bild der Kumarinnekrose entspricht der Purpura fulminans bei schwerem Protein-C- oder -S-Mangel. Es wird hervorgerufen durch den vergleichsweise zu den anderen Gerinnungsfaktoren schnelleren Abfall der Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsinhibitoren Protein C und Protein S mit einer daraus resultierenden Verschiebung der Hämostase in Richtung Thrombophilie.
Diagnose
In Korrelation zu den Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren findet sich bei der Vitamin-K-Mangelblutung eine starke Erniedrigung des Quick-Werts auf <10 %. Die aPTT ist verlängert, da auch der FIX betroffen ist. Thrombinzeit und Fibrinogen sind normal bzw. sollten im altersentsprechenden Referenzbereich liegen. Im Gegensatz zur Hepatopathie findet man ein referenzwertiges Antithrombin (und Faktor V. Cave! Dieser ist transportlabil).
Therapie und Prophylaxe
Wenn eine Vitamin-K-Mangelblutung heute noch auftritt, ist entweder keine Prophylaxe erfolgt oder die Resorption des oralen Präparats war nicht ausreichend (siehe unten). Nur in äußerst seltenen Fällen können Stoffwechseldefekte, z. B. ein Carboxylasemangel (Kap. „Organoazidurien“) oder der VKORC1-Mangel, für eine Vitamin-K-Resistenz verantwortlich sein. Die Therapie sollte daher in der sofortigen i. v.-Gabe von Vitamin K bestehen: Rapide steigt der Quick-Wert schon innerhalb der 1. Stunde auf weniger bedrohliche Werte an. Zu erklären ist dies durch das Vorhandensein der bereits synthetisierten Gerinnungsfaktorvorstufen (sog. PIVKAs, Abb. 1), die lediglich noch carboxyliert werden müssen. Bei lebensbedrohlichen Blutungen sollte zusätzlich ein Prothrombinkomplex(PPSB)-Präparat oder, falls dies nicht verfügbar ist, Frischplasma appliziert werden (PPSB = Prothrombin, Prokonvertin, Stuart-Prower-Faktor, antihämophiles Globulin B, Prothrombinkomplex).
Nach Einführung der allgemeinen Vitamin-K-Prophylaxe in Deutschland mittels i. m.-Injektion direkt nach der Geburt waren Vitamin-K-Mangelblutungen praktisch nicht mehr beobachtet worden. Sie traten wieder auf, nachdem aufgrund von später nicht verifizierten Berichten über einen Zusammenhang zwischen i. m.-Vitamin-K-Gabe und gehäuftem Auftreten von Malignomen im Kindesalter die i. m.-Gabe in Deutschland verlassen und durch nur einmalige orale Gabe ersetzt wurde. Die einmalige orale Gabe war bei einem Teil der Neugeborenen, überwiegend solchen mit Resorptionsstörungen, nicht ausreichend. Mit der in Deutschland üblichen Praxis der 3-maligen oralen Gabe von 2 mg Vitamin K am 1. Lebenstag, am 5.–7. Lebenstag und in der 3.–4. Lebenswoche sowie der parenteralen Gabe bei kranken Neugeborenen werden Vitamin-K-Mangelblutungen erneut fast vollständig verhindert (Inzidenz: 0,73/100.000). Ein Problem der 3-maligen oralen Vitamin-K-Prophylaxe ist die im Vergleich zur einmaligen i. m.-Gabe schlechtere Compliance. Daher ist es sinnvoll, Vitamin K anlässlich der Vorsorgeuntersuchungen (U1–3) zu verabreichen.

Hepatopathische Koagulopathie

Definition
Eine Koagulopathie infolge akuter oder chronischer Lebersynthesestörung kann mit einer Blutungsneigung durch eine Störung der primären oder sekundären Hämostase oder einer gesteigerten Fibrinolyse, aber auch mit einer Thromboseneigung einhergehen (Kap. „Akutes Leberversagen und Lebertransplantation bei Kindern und Jugendlichen“).
Pathophysiologie
Da die meisten Gerinnungsfaktoren in der Leber gebildet werden, geht eine schwere Leberfunktionsstörung mit einer Koagulopathie einher. Darüber hinaus wird die Funktion der Leber als Clearance-Organ für aktivierte Gerinnungsfaktoren und Plasminogenaktivatoren eingeschränkt. Auch wird die Hämostase durch Verlust von Gerinnungsfaktoren in Aszitesflüssigkeit und durch abnorme Glykosylierung der Gerinnungsfaktoren beeinträchtigt. Sekundär wird außerdem ein Vitamin-K-Mangel beim Cholestasesyndrom beobachtet. Thrombozytopenie, bedingt durch portale Hypertension oder Sequestration in der Milz bei Hypersplenismus, gestörte Thrombozytenfunktion, disseminierte intravasale Gerinnung und gesteigerte Fibrinolyse tragen zum Gesamtbild der hepatischen Hämostasestörung bei. Ursachen können eine akute infektiöse, toxische oder immunologisch bedingte Hepatitis, Gallengangsatresien, Synthesestörung nach Lebertransplantation, Thrombosen der Pfortader oder der größeren Lebervenen (Budd-Chiari-Syndrom) sowie Verschluss der kleinen Lebervenen (veno occlusive disease, VOD) sein.
Die Komplexität der Veränderungen wird in Tab. 1 zusammengefasst. Man spricht vom Konzept der balancierten Hämostase. Man sollte bedenken, dass es sich um ein Gleichgewicht auf niedrigem Niveau handelt, welches instabil ist und leicht durch exogene Einflüsse (Operation, Infektion oder ähnliches) kippt.
Tab. 1
Wichtige Veränderungen der Hämostase bei Lebererkrankungen (aus Barthels 2013, mit freundl. Genehmigung des Georg Thieme Verlags)
Komponente
Veränderungen mit Erhöhung des Blutungsrisikos
Veränderungen mit Erhöhung des Thromboserisikos
Gefäße
- Umgehungskreisläufe (Fundus- und Ösophagusvarizen),
- erhöhter portalsystemischer Füllungsdruck,
- verstärkte Produktion von Stickoxid (NO) und Prostazyklin
- Reduzierter portaler Blutfluss,
- reduzierte antikoagulatorische Funktion der endothelialen Glykokalyx
Primäre Hämostase
- Thrombozytopathie
- Erhöhung von VWF,
- Verminderung von ADAMTS-13
Plasmatische Gerinnung
- Verminderung des Prothrombin-Komplexes (Faktoren II, VII, IX, X),
- Verminderung der Faktoren V, XI, XII, XIII,
- Hypo- und Dysfibrinogenämie,
- VK-Mangel
Verminderung von Antithrombin, Protein C, Protein S,
- reaktive Erhöhung von Faktor VIII, Fibrinogen und anderen Faktoren,
- erhöhte Konzentration von Gewebefaktor
Fibrinolyse
-Verstärkte Bildung und verzögerte Elimination von t-PA,
- Verminderung von α2-Antiplasmin und TAFI,
- Verminderung von PAI-1
- Verminderung von Plasminogen,
- Erhöhung von PAI-1
ADAMTS-13 a disintegrin and metalloprotease with thrombospondin type 1 domains 13; TAFI thrombin-activatable fibrinolysis inhibitor; PAI-1 Plasminogen-Aktivator-Inhibitor 1; VK Vitamin K
Diagnose
In den Partialtests ist eine Verlängerung aller Gerinnungszeiten bzw. ein Anstieg der INR und konsekutiver Abfall des sog. Quick-Wertes zu beobachten. Nicht betroffen sind dabei anderenorts synthetisierte Faktoren, wie z. B. der VWF aus dem Endothel. Dieser Faktor ist bei Leberfunktionsstörung häufig erhöht. Weniger erniedrigt und oft ebenfalls erhöht ist auch der FVIII, der nicht nur in der Leber, sondern auch in Endothelzellen der Lungenstrombahn synthetisiert wird. Leichte bis mittelschwere Thrombozytopenien finden sich sowohl bei der akuten infektiösen Hepatitis als auch bei chronischer Leberkrankheit durch eine vermehrte Phagozytose aber verlängerter Verweilzeit in Leber und Milz und verminderter Produktion im Knochenmark. Bei Thrombosen und bei einer Leberzirrhose kann über den resultierenden Pfortaderhochdruck und den damit verbundenen erhöhten Druck der V. lienalis auch ein Hyperspleniesyndrom mit Thrombozytopenie durch Sequestration auftreten.
Therapie
Die Indikation zur Substitution von Frischplasma wird heute sehr restriktiv gestellt, da der Nutzen insbesondere prophylaktischer Gaben bei nichtblutenden Patienten umstritten ist und die Gefahr der Volumenüberladung besteht. Thrombozytopenien können durch Thrombozytenkonzentrate korrigiert werden. In vielen Fällen wird nach Anlegen einer portokavalen Anastomose eine Verbesserung der Thrombozytopenie beobachtet. Fibrinolysehemmer wie die Tranexamsäure scheinen in Situationen gesteigerter Fibrinolyse von Nutzen für die Blutungskontrolle zu sein. Eine generelle Therapieempfehlung ist bei dem komplexen Bild der hepatischen Hämostasestörung naturgemäß nicht möglich. Hierzu ist auch auf die Querschnitts-Leitlinien (BÄK) zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten aus dem Jahre 2014 zu verweisen, (Kap. „Hämorrhagische Diathesen bei Kindern und Jugendlichen“, siehe dort Tabelle zur Indikation, Dosierung, Applikation und Therapiesteuerung bei der Behandlung von Störungen der Hämostase).

Disseminierte intravasale Gerinnung

Definition
Die disseminierte intravasale Gerinnung (DIG) ist durch eine gesteigerte intravasale Thrombinbildung mit diffuser Fibrinablagerung in den sehr kleinen Gefäßen und sekundärer Hyperfibrinolyse gekennzeichnet. Der damit verbundene Verbrauch von Gerinnungsfaktoren und deren Inhibitoren sowie von Thrombozyten führt zum klinischen Bild der Verbrauchskoagulopathie, das durch ein Miteinander von Blutungen und Mikrothromben in den kleinen Gefäßen gekennzeichnet ist. Sie ist immer ein sekundäres Geschehen infolge unterschiedlicher Grunderkrankungen.
Pathophysiologie
Die Ursachen für eine DIG, die mit einer Gerinnungsaktivierung ihren Anfang nimmt, sind sehr vielfältig. In allen Altersgruppen ist die bakterielle Sepsis als Auslöser von Bedeutung. Bakterielle Endotoxine schädigen das Endothel, sodass ein daraufhin exponierter Gewebefaktor und auch Kollagen die Gerinnung initiieren können. Eine besondere Bedeutung hat die Meningokokkensepsis, die mit schwerer Verbrauchskoagulopathie und dem klinischen Bild der Purpura fulminans infolge Mikrothrombosierung der Hautkapillaren assoziiert ist.
Auch virale Erkrankungen (z. B. Varizellen), große Operationen, Unfälle mit Schädel-Hirn-Trauma und Ertrinkungsunfälle, die mit einem Schockzustand einhergehen, können Auslöser sein, wie auch maligne Erkrankungen. In seltenen Fällen tritt eine DIG als Kasabach-Merritt-Syndrom bei ausgeprägten Gefäßanomalien auf.
Peripartal spielen insbesondere bei Früh- und Neugeborenen in erster Linie schwerer Sauerstoffmangel unter der Geburt mit der Folge einer Asphyxie, das Atemnotsyndrom und die nekrotisierende Enterokolitis (NEC) eine Rolle.
Klinische Symptome
Eine beginnende DIG ist klinisch schwer zu fassen, das Vollbild der Verbrauchskoagulopathie hingegen ist unverkennbar. Spontan auftretende Hämatome, Petechien, Schleimhautblutungen und gastrointestinale Blutungen sowie das typische Wiederauftreten von Blutungen aus alten Stichkanälen nach Punktionen sind charakteristisch. Mikrothromben führen zu Organschäden in ZNS, Niere und Lunge mit mangelnder Oxygenierung. Die Purpura fulminans im Rahmen eines Waterhouse-Friderichsen-Syndroms bei Meningokokkensepsis und gelegentlich auch bei anderen bakteriellen Infektionen (z. B. Pneumokokken, Haemophilus influenzae, Streptokokken der Gruppe A) entspricht der schwersten Form einer Verbrauchskoagulopathie. Neben Petechien und Schleimhautblutungen finden sich sog. intravitale Totenflecke (Abb. 3). Beim Waterhouse-Friderichsen-Syndrom liegt definitionsgemäß auch eine hämorrhagische Nebennierennekrose mit den entsprechenden endokrinologischen Defiziten vor.
Diagnose
Die klassische DIG verläuft ohne Intervention progredient und hat dann eine infauste Prognose. Im frühen Stadium, sog. non-overt DIC, korreliert sie noch nicht mit einer Koagulopathie, sondern ist lediglich durch eine Gerinnungsaktivierung, die man durch eine erhöhte Thrombingeneration nachweisen kann, sowie durch das Auftreten von Fibrinspaltprodukten, den D-Dimeren, gekennzeichnet. Die Globaltests, wie aPTT und Thrombinzeit, fallen normal oder verkürzt aus. Die Aktivität einzelner Faktoren wie FII, FV und FVIII ist gesteigert. Fibrinogen befindet sich im unteren Bereich der Norm, kann aber im Rahmen eines septischen Krankheitsbildes als Akute-Phase-Protein auch deutlich erhöht sein. Die Thrombozyten liegen noch im Normbereich.
Das Vollbild der Verbrauchskoagulopathie, sog. overt DIC, ist charakterisiert durch eine Defibrinierung mit hoch pathologischer Gerinnung bis zur Ungerinnbarkeit des Blutes. Somit sind die Globaltests in dieser Phase stark verlängert bis nicht meßbar. Auch die übrigen Einzelfaktoren sind stark erniedrigt, ebenso wie die Thrombozytenzahl. Die Fibrinolyseparameter hingegen sind deutlich erhöht. Verschiedene Score-Systeme, mit denen Risikopatienten (nicht evaluiert für Neugeborene) beurteilt werden, sollen helfen den dynamischen Prozess der DIG rechtzeitig zu erkennen (z. B. ISTH-Score). Beurteilt werden Thrombozytenzahl, D-Dimere, Fibrinogen und Prothombinzeit.
Therapie
Die Therapie der Grundkrankheit, die zu einer DIG geführt hat, ist von elementarer Bedeutung. Somit haben die Bekämpfung eines Schockzustandes mit Volumenersatz und Katecholaminen und die rasche antibiotische Therapie bei einer Sepsis erste Priorität. Andererseits führen Katecholamine zu einer peripheren Gefäßverengung und einer Makrophagenaktivierung mit entzündungssteigernder Zytokinausschüttung, was die Mirkozirkulation vor allem in den Akren verschlechtert mit der möglichen Folge von Nekrosen und sekundärer Notwendigkeit von Amputationen. Trotz Behandlung der Grunderkrankung gibt es Fälle mit schwersten Entgleisungen der Hämostase mit schweren Blutungen und/oder Thrombosen, die einer spezifischen Intervention benötigen, um deren hohe Mortalität zu reduzieren.
Zur Behandlung der Blutungskomplikationen wird bevorzugt Frischplasma (alle 12–24 Stunden 10–15 ml/kg KG. Cave! Volumenüberladung) eingesetzt mit dem Ziel, das Fibrinogen >1 g/l und die Thrombozytenzahl >50/nl zu halten. Aufgrund des Blutungsrisikos wird eine Heparingabe nicht mehr generell empfohlen.
Nur wenn thrombotische Komplikationen bzw. Mikrozirkulationsstörungen überwiegen, wird die Antikoagulation mit unfraktioniertem Heparin (da kürzere Halbwertzeit als niedermolekulares) als Dauerinfusion eingesetzt (Kap. „Hämorrhagische Diathesen bei Kindern und Jugendlichen“, siehe dort Tabelle zur Indikation, Dosierung, Applikation und Therapiesteuerung bei der Behandlung von Störungen der Hämostase). Die zusätzliche Gabe von Antithrombin wird routinemäßig nicht mehr empfohlen, da in Studien keine Mortalitätssenkung gezeigt werden konnte. Der Einsatz von rekombinantem aktiviertem Protein C im Rahmen einer Sepsis hatte in Studien zur Verbesserung der Prognose einer DIG geführt, allerdings um den Preis gefährlicher Blutungen, sodass dieses Präparat wieder vom Markt genommen wurde. Ein Protein-C-Konzentrat aus Plasma (CEPROTIN®; Fa. Takeda), welches nicht aktiviert ist, scheint diesbezüglich ein deutlich niedrigeres Risikoprofil zu haben und wird bei Kindern mit Purpura fulminans eingesetzt. Organspezifische Supportivmaßnahmen ergänzen die intensivmedizinische Therapie bei diesen Patienten. Es gibt keine harten Studiendaten für das adäquate therapeutische Vorgehen bei Kindern mit DIG.

Immunologisch bedingte Störungen der plasmatischen Hämostase

Inhibitoren gegen Gerinnungsfaktoren

Im Rahmen von Autoimmunprozessen können auch Autoantikörper gegen Gerinnungsfaktoren auftreten. Eine erworbene Hämophilie durch Autoantikörper gegen FVIII oder ein erworbenes VWS durch Autoantikörper gegen VWF sind im Erwachsenenalter selten, im Kindesalter jedoch eine absolute Rarität. Theoretisch sind Antikörper gegen jeden einzelnen Gerinnungsfaktor möglich. Im Kindesalter werden häufiger Autoantikörper bzw. die erworbene Verminderung der Inhibitoren der Gerinnung beschrieben. Bei Kindern können diese 1–2 Wochen nach einer bakteriellen oder viralen Infektion (z. B. Streptokokken, Varizellen) auftreten und mit Thrombosen oder einer Purpura fulminans (PF) infolge eines Protein-C- oder Protein-S-Mangels einhergehen. Eine PF kann auch im Rahmen einer akuten Infektion mit bestimmten Erregern auftreten und stellt dann eine lebensbedrohliche Komplikation dar.
In schweren Fällen von Autoimmunkoagulopathien führt eine Substitutionstherapie meist nicht zum Erfolg und eine immunsuppressive Therapie ist indiziert.

Antiphospholipid-Syndrom

Definition
Anti-Phospholipid-Antikörper (aPL) sind die häufigsten erworbenen Inhibitoren der Gerinnung. Sie können mit einem breiten klinischen Symptomspektrum assoziiert sein, es stehen arterielle oder venöse Gefäßverschlüsse auch an atypischer Lokalisation im Vordergrund. Es handelt sich um eine Autoimmunerkrankung. Die Antikörper vom Typ IgG oder IgM sind gegen Plasmaproteine gerichtet, die eine hohe Affinität zu negativ geladenen Oberflächen haben wie phospholipidabhängige Plasmaproteine bzw. Phospholipidmembranen. Erstmals wurden sie bei Patienten mit systemischem Lupus erythematodes (SLE) beschrieben, die über eine Verlängerung von Gerinnungszeiten auffielen, daher der Begriff Antikoagulanz. Zur Gruppe der aPL gehören neben dem Lupusantikoagulanz (LA, funktionelle Bestimmung aus Zitratblut) auch der Nachweis der Anti-Cardiolipidantikörper (aCL) und Anti-β2-Glykoprotein-I-Antikörper (Anti-β2-GPI-AK) mittels immunologischer Bestimmung aus Serum.
In der Pädiatrie fallen diese Antikörper jedoch viel häufiger als Zufallsbefund bei klinisch asymptomatischen Kindern im Rahmen der präoperativen Diagnostik durch eine verlängerte aPTT, seltener durch verminderten Quick-Wert auf. Dies lässt, ebenso wie der Begriff Antikoagulanz, eine Blutungsneigung vermuten, eine solche wird jedoch nur in sehr seltenen Ausnahmefällen beobachtet. Bei asymptomatischen Kindern sollte man dann besser nur von einem unspezifischen Inhibitorphänomen sprechen, um eine Verunsicherung durch die Terminologie Lupusantikoagulanz/Antiphospholipid-Syndrom zu vermeiden.
Von einem Antiphospholipid-Syndrom (APS) darf nur gesprochen werden, wenn die klinischen Kriterien erfüllt sind: arterielle und/oder venöse Thrombose auch kleiner Gefäße und Bestätigung des pathologischen Labortestergebnisses nach 12 Wochen. Niedrigtitrige oder nur schwach positive aPL alleine erfüllen die Kriterien nicht.
Epidemiologie
In der Normalbevölkerung findet man passager aPL mit einer Häufigkeit in Abhängigkeit vom Alter von ca. 2–5 %, in einem Thrombosekollektiv (Erwachsene!) findet sich dieses Phänomen bei 10(–20) % der Patienten. Werden die aktuellen Klassifikationskriterien zugrunde gelegt, ist der Anteil bei <10 %. Früher wurde das aPL überdiagnostiziert, da insbesondere auch niedrige Antikörper vom Typ IgM fehlinterpretiert wurden. Da die Diagnostik schwierig ist, d. h. verschiedene Testsysteme notwendig sind, um aPL korrekt zu klassifizieren, finden sich in der Literatur unterschiedliche Angaben zur Häufigkeit. Zahlen für die pädiatrische Population liegen nicht vor.
Pathogenese
Als Autoantikörper richten sich aPL gegen Phospholipid-Protein-Komplexe, die eine hohe Affinität zu negativ geladenen und anderen Oberflächen zeigen, z. B. Phospholipide wie Cardiolipin, Phosphatedylserin und andere. Als die beiden Hauptzielantigene sind β2-GPI und Prothrombin beschrieben worden, sowie weitere wie aktiviertes Protein C, Annexin V oder oxLDA.
Im Kindesalter wird das Auftreten von aPL im Rahmen von Infekten bzw. nach Antibiotikatherapie mit Penicillinderivaten beobachtet und stellt dann zumeist ein passageres Phänomen dar, das innerhalb von Wochen verschwindet (Zufallsbefund). Aber auch sekundär können aPL im Rahmen einer anderen Grundkrankheit – zumeist SLE, Kollagenosen, andere Autoimmunkrankheiten, lymphoproliferative Erkrankungen, Hepatitis C, HIV, Borreliose – vorkommen oder durch weitere Medikamente induziert sein (z. B. Valproinsäure).
Klinische Symptome
Von den transitorischen aPL bei ansonsten gesunden Kindern ist das klassische Antiphospholipid-Syndrom (APS) streng abzugrenzen. Hierbei handelt es sich um den Symptomkomplex aus aPL, arteriellen oder venösen Gefäßverschlüssen (gelegentlich milde Thrombopzytopenie; bei Frauen sind auch die Abortneigung bzw. vaskuläre Schwangerschaftskomplikationen ein wichtiges Symptom). Bei einer ungewöhnlichen Lokalisation des Gefäßverschlusses, am Auge oder in den Mesenterialgefäßen sollten aPL als Ursache ausgeschlossen werden. Das catastrophic APS (CAPS) geht mit einem Multiorganversagen durch Mikrothromben und auch Hautnekrosen im Sinne einer Purpura fulminans einher und hat eine hohe Mortaliät.
Diagnose und Differenzialdiagnose
In Abhängigkeit von der „Lupus“/aPL-Sensitivität des aPTT-Reagenz kann die Verlängerung der aPTT auffallen. Zur Abklärung der verlängerten aPTT eignet sich der Plasmatauschversuch. Anders als bei Patienten mit einem isolierten Faktormangel (z. B. FVIII) zeigt sich nach Zusatz von 25 bzw. 50 % Normalplasma zum Patientenplasma zumeist keine Normalisierung der PTT. Zur Sicherung der Diagnose sind die oben angeführten Labortests zu veranlassen und nach 12 Wochen nochmals zu bestätigen.
Ein definitives APS liegt vor, wenn mindestens 1 klinisches und 1 Laborkriterium erfüllt sind. In Zweifelsfällen, wie auch bei Kindern mit einer Blutungsneigung, muss ein Faktormangel durch Messung von Einzelfaktoren ausgeschlossen werden. Bei Kindern mit aPL kann eine Blutungsneigung auftreten, wenn eine Hypoprothrombinämie vorliegt und sich die Antikörper somit insbesondere gegen Prothrombin (FII) richten.
Therapie
Bei symptomatischen Kindern mit arteriellen oder venösen Thrombosen besteht eine langfristige Indikation zur oralen Antikoagulation mit ASS (bei arteriellen Gefäßverschlüssen) und/oder einem Vitamin-K-Antagonisten (Ziel-INR: 2–3), da ein signifikant erhöhtes Rezidivrisiko vorliegt. Bei Kontraindikationen ist die Gabe von niedermolekularem Heparin zu erwägen. In Abhängigkeit von den weiteren Symptomen des primären oder sekundären APS kann neben der Antikoagulation ebenfalls die immunsuppressive Behandlung notwendig sein.
Verlauf und Prognose
Die Zufallsbefund aPL im Kindesalter hat zumeist keine klinische Relevanz und eine gute Prognose mit Verschwinden der Antikörper im Verlauf von Wochen. Die Prognose des primären oder sekundären APS (zumeist infolge SLE) ist insbesondere durch die arteriellen und venösen Gefäßverschlüsse bestimmt.
Weiterführende Literatur
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