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Pädiatrie
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Publiziert am: 27.12.2018

Ethik in der Pädiatrie

Verfasst von: Dietrich Niethammer
Ethik ist ganz generell die Theorie der Moral. Wenn man sich seiner moralischen Urteile sicher ist, benötigt man eigentlich zur Bestätigung keine Theorie. Das ändert sich aber spätesten dann, wenn man sein Verhalten rechtfertigen muss oder wenn in einer Gesellschaft Unsicherheiten über gültige moralische Grundsätze bestehen oder Neuerungen einen moralischen Konsens über deren Wertigkeit verlangen.

Ethik als Grundlage ärztlichen Handelns

Ethik ist ganz generell die Theorie der Moral. Wenn man sich seiner moralischen Urteile sicher ist, benötigt man eigentlich zur Bestätigung keine Theorie. Das ändert sich aber spätesten dann, wenn man sein Verhalten rechtfertigen muss oder wenn in einer Gesellschaft Unsicherheiten über gültige moralische Grundsätze bestehen oder Neuerungen einen moralischen Konsens über deren Wertigkeit verlangen.
Die Medizinethik befasst sich mit Fragen nach dem richtigen ärztlichen Handeln, was erlaubt oder nicht zulässig ist, wobei es speziell um den Umgang mit dem kranken und gesunden Menschen geht. Im Gegensatz zu früheren Zeiten, in denen es bei medizinethischen Diskussionen und Festlegungen nur um das ärztliche Handeln ging, betreffen die Überlegungen heute auch andere Berufsgruppen wie z. B. Pflegekräfte oder auch Mitarbeiter der Krankenkassen. Bis zum Ende des 2. Weltkriegs war der Hippokratische Eid eine allgemein anerkannte Leitlinie für das ethisch korrekte ärztliche Handeln, und es bestand ein allgemeiner Konsens über die moralischen Regeln für das ärztliche Handeln. Spätestens die tief unmoralischen Experimente der nationalsozialistischen Ärzte an Insassen von Konzentrationslagern machten jedoch deutlich, dass es dringend der Festlegung ethischer Richtlinien bedurfte. Das Genfer Ärztegelöbnis durch die Generalversammlung des Weltärztebundes von 1948 und die Verabschiedung des Internationalen Codes der ärztlichen Ethik im folgenden Jahr durch das gleiche Gremium waren die ersten Versuche, sich auf internationaler Ebene auf allgemeingültige ethische Richtlinien zu einigen. Im Jahre 1964 verabschiedete das gleiche Gremium in Helsinki „Ethische Grundsätze für die Forschung am Menschen“, die als die „Deklaration von Helsinki“ in die Geschichte eingegangen ist und mehrfach in den Folgejahren, zuletzt 2013, revidiert und an die neusten Entwicklungen angepasst wurde. Der Gesetzgeber hat mit Gesetzen wie dem Arzneimittelgesetz (AMG) oder dem Medizinproduktegesetz ebenso deutlich gemacht, dass auch gesetzliche Regelungen notwendig sind, die das ärztliche Handeln direkt betreffen.
Die Entwicklungen der modernen Medizin führen zunehmend zu kontroversen Vorstellungen in der Gesellschaft und auch innerhalb der Ärzteschaft, die es im Interesse der kranken Menschen dringend notwendig machen, einen Konsens zu erreichen, nicht zuletzt, weil auch gesetzgeberische Aktionen notwendig werden. Es sei nur an die Debatte um die Präimplantationsdiagnostik (PID) im Jahre 2011 erinnert. Dabei darf auch nicht vergessen werden, dass sich bestimmte ethische Vorstellungen über die Jahre ändern können, sodass Revisionen von ethischen Richtlinien angezeigt sein können oder müssen.

Ethik in der Pädiater-Patient-Beziehung

Empathie

Eigentlich bedarf die Empathie als grundsätzliche Basis des ärztlichen Handelns keiner ethischen Begründung. Es muss aber hier betont werden, dass ein Arzt ohne Empathie zu seinen Patienten sich aus ethischer Sicht (aber wahrscheinlich nicht nur aus dieser Perspektive) eindeutig unethisch verhält.

Paternalismus der Ärzte und Autonomie des Patienten

Seit Hippokrates war die Medizin des Abendlandes davon geprägt, dass der Arzt die Verantwortung für seinen Patienten trägt und in dessen Sinne handelt („salus aegroti prima lex“ und „nil nocere“). Er alleine entscheidet über die notwendige Diagnostik und Therapie. Bis weit in das 20. Jahrhundert wurde dieser Paternalismus durch den Arzt nicht in Frage gestellt, sondern durchaus von den Patienten und der Gesellschaft als adäquat empfunden. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Zweifel an der Richtigkeit dieses Konzeptes lauter. Am Ende der jahrzehntelangen Diskussion stand der autonome Patient, der nach ausführlicher Information durch den behandelnden Arzt letztendlich über die Art der durchzuführenden Diagnostik und Therapie selbst entscheidet. Die amerikanische Bezeichnung „informed consent“ bürgerte sich als Kurzform für diese Vorgehensweise ein. Die ursprüngliche Verantwortungsethik wurde sozusagen durch eine Vertragsethik ersetzt, nach der der Arzt seinen Patienten ausführlich über die Vor- und Nachteile der verschiedenen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten informiert und ihm die Entscheidung überlässt: Arzt und Patient schließen einen Behandlungsvertrag.
Bei Kindern oder anderweitig nicht einwilligungsfähigen Menschen haben die Eltern oder ein Vormund das alleinige Entscheidungsrecht. Es besteht weithin die Ansicht, dass das Prinzip der Autonomie für diese Personengruppe nicht gelten kann. Das ist aber in dieser Ausschließlichkeit nicht richtig. Zwar ist nach unserer Rechtsprechung eine Maßnahme bei einem nicht einwilligungsfähigen Patienten einer Körperverletzung gleichzusetzen, wenn der Arzt sie ohne Einwilligung der Eltern oder des Vormundes vornimmt. Das kann aber umgekehrt nicht bedeuten, dass man die Kinder grundsätzlich nicht informiert und in die Entscheidungsfindung nicht mit einbezieht. Kranke Kinder und besonders Jugendliche können oft sehr genau verstehen, worum es geht, und sie müssen daher als Betroffene ebenso informiert und nach ihrer Meinung gefragt werden („informed assent“). Auch sie haben ein Recht auf Autonomie. Ab welchem Alter sie diese einfordern können, kann nur im Einzelfall entschieden werden, ohne Frage können aber schon 4- bis 5-jährige Kinder Zusammenhänge begreifen und eine Meinung äußern. In der Regel werden sie den Entscheidungen ihrer Eltern folgen. Es kann aber durchaus vorkommen, dass ein Kind im Gegensatz zu seinen Eltern eine bestimmte Maßnahme ablehnt. Hier muss man als Arzt versuchen, die Gründe für die abweichende Haltung zu ergründen. Das kann in der Tat gelegentlich schwierig sein. Und es kann notwendig werden, dem Kind beizustehen und den Eltern den Wunsch ihres Kindes zu erläutern und eventuell für die Umsetzung zu kämpfen.

Aufklärung und Ehrlichkeit des Arztes

Früher war es üblich, Kinder und Jugendliche nicht über die Natur ihrer Erkrankung aufzuklären. Die allgemein akzeptierte Meinung war, dass Kinder nicht über den Tod nachdenken und sich auch über Erkrankungen keine Gedanken machen (sollen) – eine Haltung, die auf Sigmund Freud zurückging und später noch von Jean Piaget untermauert wurde. Heute wissen wir, dass das falsch ist und dass die Kinder sehr wohl intensiv über ihre Erkrankung und deren Folgen nachdenken. Es ist deshalb äußerst wichtig, dass man sie ausführlich und ehrlich aufklärt. Manchmal wollen das Eltern nicht, weil sie Angst vor den Gesprächen und Fragen haben, die daraus entstehen können, oder sie möchten ihr Kind vor bitteren Wahrheiten schützen (Kap. „Soziale Faktoren und „neue Morbidität “bei Kindern und Jugendlichen“, Abschn. „Kulturelle und religiöse Einflüsse auf die medizinische Versorgung“). Manchmal weichen Eltern der Situation aus, indem sie erklären, sie würden ihr Kind selber aufklären. Diesem Vorhaben sollte man misstrauisch gegenüber sein, nicht nur weil die Eltern in der Regel dazu tendieren, die Situation zu beschönigen, sondern weil man als Arzt dann nicht darauf vertrauen kann, dass das Kind alle für es wichtigen Informationen bekommt. Vielmehr sollte man den Eltern vorschlagen, dass man die Aufklärung mit ihnen gemeinsam durchführen will. Das hat außerdem den Vorteil, dass das Kind vorgeführt bekommt, dass es denselben Informationsstand wie die Eltern erhält. Wenn man selber davon ausgeht, dass man bei der Aufklärung immer ehrlich sein sollte – und davon muss man unbedingt ausgehen, dann sollte man sich auch im Klaren darüber sein, dass sich Lügen verbieten; und Ausflüchte sind auch eine Form der Lüge. Schwerkranke Kinder begreifen aus dem Verhalten ihrer Eltern und der Ärzte den Ernst der Lage. Natürlich stellen sie Fragen. Wenn ihnen aber keine klare Antwort gegeben wird oder sie mit Ausflüchten abgespeist werden, verstummen sie und stellen das nutzlose Fragen ein. Sie merken, dass sie ihren Eltern mit ihren Fragen Angst einjagen und diese dadurch verunsichert werden. Und verunsicherte Eltern sind für Kinder immer eine zusätzliche Belastung. Und so stellen sie das Fragen ein und bleiben mit ihren eigenen Ängsten alleine.
Man muss sich auch im Klaren darüber sein, dass die Aufklärung kein einmaliges Geschehen ist, mit dem die Angelegenheit ein für allemal erledigt ist. Es ist vielmehr ein kontinuierlicher Prozess während der Erkrankung, der allerdings nicht immer gleich intensiv ist. Hat das Kind erfahren, dass man sich bemüht, immer ehrlich zu antworten, wird es im Laufe der Zeit immer sicherer, dass es mit den eigenen Fragen und Ängsten nicht alleine gelassen wird. Natürlich ist es nicht immer einfach, ehrliche Antworten zu geben und man ist versucht, einer klaren Antwort auszuweichen. Aber es ist unendlich wichtig, dass die Kinder sich auf ehrliche Antworten verlassen können. Und wenn das so ist, dann haben auch gute Nachrichten eine viel höhere Aussagekraft. „Es ist im Moment alles in Ordnung“ ist dann wirklich eine glaubwürdige Aussage. Ein Problem ist, dass Kinder in der Regel keinen Termin vereinbaren, um ihre Fragen zu stellen, und so stellen sie wichtige Fragen oft unverhofft in einem Gespräch über Alltagsdinge. Darauf muss man gefasst sein. Aber auch dann darf man sich nicht mit Ausflüchten begnügen.

Wenn ein Kind sterben muss

Wenn man seinem Patienten vermitteln konnte, dass man wirklich nicht lügt und sich immer um ehrliche Antworten bemüht, und das Kind auch im Verlauf der Betreuung keinen Grund hatte, anzunehmen, dass das nur schöne Worte sind, sondern erfahren hat, dass man sich an das Versprechen, niemals zu lügen, hält, dann ist das eine gute Basis für die Betreuung eines Kindes am Ende seines Lebens. Auch jetzt muss das Kind sich darauf verlassen können, dass es nicht belogen wird. Die Frage „Muss ich bald sterben?“ verlangt dann ebenso nach einer klaren Antwort. Natürlich kommt auch dem noch so erfahrenen Kinderarzt die Antwort nicht leicht über die Lippen. Und trotzdem muss es sein. Die Reaktion der Kinder kann heftig sein. Manchmal fangen sie an zu schreien, manchmal stehen sie auf und nehmen ihre Eltern in den Arm, aber fast immer kommen sie dann bald zur Sache, nämlich wie es jetzt weitergeht. Schon 7- oder 8-Jährige denken bei einer schweren Erkrankung durchaus auch über die Möglichkeit des Sterbens nach und befassen sich intensiv mit diesem Vorgang. Und dann kommen sehr bald Fragen wie „Werde ich beim Sterben alleine sein?“, „Tut sterben weh?“, „Wann werde ich sterben?“ oder „Was kommt danach?“ – solche und andere Fragen treiben die Kinder um, und sie suchen nach Antworten. Man kann den Kindern versichern, dass sie nie allein gelassen werden. Dass Sterben weh tut, kann man nicht ganz sicher ausschließen. Aber eine Antwort wie „Ich war schon oft dabei, aber ich hatte nie den Eindruck, dass es weh tut“ kann sehr hilfreich sein. Dass man den Zeitpunkt nicht festlegen kann, verstehen die Kinder auch, wenn man ihnen z. B. sagt, dass das niemand weiß und dass man durchaus noch vor ihnen sterben kann. Und was danach kommt, wissen wir natürlich auch nicht, aber man kann mit ihnen gemeinsam fantasieren, wie es sein könnte.
„Ich kann nichts mehr für Dich tun“ ist eine Aussage, die falsch ist, nicht nur deshalb, weil man durchaus noch etwas tun kann und muss. Aber diese Aussage signalisiert dem Patienten, dass man ihn jetzt mit seinem Schicksal allein lässt und dass gerade zu einem Zeitpunkt, an dem er den Beistand am notwendigsten benötigt. „Ich bin weiter für Dich da“, ist die viel adäquatere Aussage. Und in der Tat hört ja das Betreuungsverhältnis durch den Arzt erst mit dem Tod des Patienten auf. Das Sterben ist der letzte Abschnitt des Lebens, und der Patient benötigt den Beistand seines Arztes jetzt ebenso wie in der Zeit davor. Der einzige Unterschied ist, dass sich jetzt das Behandlungsziel ändert.

Palliativmedizin

Wenn allen Beteiligten klar ist, dass der Patient bald sterben muss, ist der Zeitpunkt gekommen, von der kurativen Medizin auf die palliativmedizinische Betreuung umzuschalten (im Amerikanischen „transitioning from cure to care“). Und da bleibt für Ärzte und Pflegekräfte noch viel zu tun. Die Betreuung eines sterbenden Kindes oder Jugendlichen ist eine große Herausforderung für jeden Arzt, und nicht jeder ist dieser Aufgabe gewachsen. Auf der einen Seite ist das Sterben eines Patienten in der Pädiatrie zum Glück ein seltenes Ereignis. Vielleicht ist das der Grund, warum dieses Thema in der Ausbildung häufig zu kurz kommt. Mancher Arzt mag sich deswegen, aber auch aus anderen Gründen mit einer solchen Aufgabe überfordert fühlen. Das sollte er sich dann aber auch eingestehen und nicht verzweifelt versuchen, seine Probleme zu überspielen. Er tut sich und seinem Patienten damit keinen Gefallen. Auf der anderen Seite ist es notwendig, dass Ärzte, die in Spezialgebieten tätig sind, in denen das Sterben eines chronisch kranken Kindes nicht ganz ungewöhnlich ist, sich selber klarmachen, dass sie sich im Interesse ihrer Patienten auch dieser Aufgabe stellen müssen, denn andernfalls würden sie einen Patienten, den sie eventuell über eine lange Zeit betreut haben, in der letzten Phase seines Lebens allein lassen. Und das ist außerdem ein Lebensabschnitt, in dem sich die jungen Patienten nur noch schwer auf neue Menschen einlassen können. In manchen Kliniken ist es üblich, dass ein bestimmter Kollege für diese Zeit die Betreuung eines Patienten übernimmt. Eventuell hat er in der Tat große Erfahrung als Sterbebegleiter, aber er hat nicht immer eine Beziehung zu dem Kind, die auf einem über lange Zeit erfahrenen Vertrauen beruht. So sollte er besser die jüngeren Ärzte bei der Betreuung ihres sterbenden Patienten beraten und überwachen und ihnen mit seiner Erfahrung helfen.
Am Anfang der palliativmedizinischen Phase steht die Entscheidung, intensivierte lebenserhaltende Maßnahmen zu unterlassen. Dazu gehört auch die Festlegung, ggf. auf Reanimationsmaßnahmen zu verzichten. Das ist für die Eltern ein schlimmer Moment. Man sollte nicht von ihnen verlangen, diese Entscheidung zu verantworten, sondern es ist eine ärztliche Aufgabe, ihnen zu vermitteln, warum es sinnvoll sein kann, eine derartige Entscheidung zu treffen, um dann gemeinsam zu einem Beschluss zu kommen. Das Ergebnis sollte dann schriftlich in der Akte festgehalten werden, damit sich auch andere Mitglieder des Teams über die Situation informieren können. Die Behandlung von Symptomen wie die schwere Atemnot und ein optimales Konzept für die Schmerzbehandlung machen den medizinischen Teil der Palliativmedizin aus.
Auch in diese Entscheidungen sollten, wenn immer möglich, die Kinder und Jugendlichen mit einbezogen werden. Es überrascht immer wieder, welche klaren Vorstellungen manche junge Menschen davon haben, was für sie der richtige Weg ist. Man sollte nicht vergessen, dass sie durch ihre Erkrankung und deren Verlauf große Erfahrung gewonnen haben. Schwierig kann es sein, wenn es sich um einen Jugendlichen handelt. Aber auch hier zeigt sich immer wieder, dass oft klare Vorstellungen über das weitere Vorgehen bestehen. Ein offener und ehrlicher Dialog ist eine Voraussetzung dafür.
Manchmal wird die Bitte an den Arzt herangetragen, das Leiden aktiv zu beenden (Euthanasie). Das ist aber keine ärztliche Aufgabe und sollte auch im Interesse der Eltern abgelehnt werden, die nach dem Tod ihres Kindes mit der Tatsache leben müssen, dass ihre Bitte erfüllt wurde. Das bedeutet nicht, dass man gelegentlich zur Linderung des Leidens Medikamente in einer Dosierung einsetzen muss, die den Sterbevorgang beschleunigen. Noch schwieriger kann die Entscheidung sein, die aktive Beatmung zu beenden, wenn nicht mehr damit zu rechnen ist, dass der Patient das Bewusstsein wiedererlangt, also die Intensivbehandlung keine positive Zielsetzung mehr hat. Es ist ein unethisches Verhalten, sich um derartige Diskussionen und Entscheidungen zu drücken. Das einfache Fortführen der Intensivbehandlung ohne ein zu erreichendes Ziel ist unärztlich.

Forschung in der Pädiatrie

Die Haltung, Forschung an Kindern sei unethisch, ist eindeutig falsch, denn man schließt sonst diese Altersgruppe von jedem Fortschritt aus. Forschungsergebnisse, die an Erwachsenen gewonnen wurden, können wegen der physiologischen Besonderheiten des jungen Organismus nicht ohne Weiteres übertragen werden. Auf der anderen Seite sind die ethischen Anforderungen an den forschenden Kinder- und Jugendarzt hoch mit klaren Richtlinien, wie sie in dem deutschen Arzneimittelgesetz festgelegt sind. Aber auch auf europäischer Ebene hat die Arzneimittelbehörde EMA (European Medicines Agency) klare allgemeingültige Vorstellungen entwickelt, die für die Forschung zur Entwicklung neuer Arzneimittel gelten. Für Einzelheiten zu diesem Problem und allen ethischen Aspekten der pädiatrischen Forschung sei verwiesen auf Marckmann und Niethammer 2010. Wichtig ist, dass eine Forschung ohne eine Bewertung des Forschungsvorhabens durch eine Ethikkommission, wie sie inzwischen in allen medizinischen Fakultäten und Ärztekammern etabliert sind, nicht zulässig ist, wobei es wichtig ist, dass mindestens ein Mitglied der Kommission Pädiater ist.

Ethisches Komitee

Im klinischen Alltag kommt es immer wieder zu Situationen, bei denen Diskussionen und sogar Uneinigkeit über das weitere Vorgehen bestehen (z. B. Weiterbehandlung eines schwer geschädigten Frühgeborenen oder die Indikation einer mutilierenden Operation). Nicht nur ist es notwendig, dass sich alle an der Betreuung des kranken Kindes beteiligten Mitarbeiter um einen Tisch versammeln, sondern es sollte auch die Diskussion mit einem ethischen Komitee gesucht werden, das den Sachverstand von erfahrenen Ärzten und Pflegekräften aus verschiedenen Gebieten, Patientenvertretern, Psychologen und Seelsorgern vereint. Im Gegensatz zu den USA gibt es hierzu in Deutschland noch keine rechtliche Regelung für die Einsetzung oder Zusammensetzung eines solchen Komitees, doch sind die größeren Kliniken zunehmend dazu übergegangen, derartige Gremien zu etablieren. Auch hier ist es wichtig, dass mindestens ein Vertreter der Kinder- und Jugendmedizin Mitglied ist.

Spezielle ethische Probleme in der Pädiatrie

Es gibt viele diagnostische und therapeutische Bereiche in der Pädiatrie, die ihre speziellen ethischen Probleme haben, wie z. B. die Transplantationsmedizin oder die Neonatologie. Aber es darf nicht übersehen werden, dass auch bestimmte diagnostische Verfahren ethischen Konfliktstoff beinhalten.

Genetik

Das gilt besonders für die neueren Entwicklungen im Bereich der Genetik, die vielen Menschen Angst machen. So verbinden viele Menschen die Präimplantationsdiagnostik (PID – also die genetische Untersuchung der befruchteten Eizelle vor der Einpflanzung in die Gebärmutter) mit der Vorstellung der Produktion von „Designerbabys“, etwas, was sie zu Recht ablehnen. Dabei geht es bei diesem Verfahren darum, bei bekannten genetischen Defekten in der Familie zu verhindern, dass ein Kind mit einer schweren Krankheitslast geboren wird. Dadurch wird der werdenden Mutter eine Amniozentese und eventuell ein Abort erspart, beides Verfahren, die Risiken beinhalten und mit erheblichen psychischen Belastungen für die Frauen verbunden sind. Familien, in denen schon mehrfach Mitglieder aufgrund bestimmter genetischer Defekte unter einer schweren Erkrankung gelitten haben und vorzeitig gestorben sind, wissen, warum sie dieses Leiden einem weiteren Familienmitglied ersparen wollen. Man sollte ihnen nicht vorwerfen, dass sie behinderte Menschen abwerten wollen, wie es manche Vertreter von Behindertenverbänden manchmal tun. Sie haben das Leiden bei anderen Mitgliedern der Familie ertragen müssen, und sie wollen es zu Recht bei einem weiteren Mitglied verhindern. Ethisch umstritten ist der Einsatz der PID für die Suche eines passenden Spenders für eine lebensrettende Knochenmarktransplantation. Hier ist die bereits geübte Praxis, nach Amniozentese und Molekulardiagnostik das nicht passende Kind abzutreiben, sicher problematischer.

Transplantationsmedizin

In der Transplantationsmedizin gibt es noch andere ethische Probleme. Die Verfügbarkeit von Organen und Prioritätensetzungen sind inzwischen durch Gesetze geregelt. Das gilt auch für die Verwendung von Lebendspendern. Im Gegensatz zur Knochenmarktransplantation, bei der Kinder und andere nichteinwilligungsfähige Menschen als Spender herangezogen werden dürfen, gilt das nicht für die Organspende. Ein schwieriges Problem für den Pädiater ist stets, in einer Situation, in der ein schwer geschädigtes Kind auf der Intensivstation zu einem potenziellen Organspender geworden ist, in einem Gespräch die Einwilligung zur Organentnahme von den Eltern zu erhalten. Viele neigen dazu, sich diesem Problem zu entziehen, und verhindern vielleicht dadurch, dass ein anderes Kind endlich von der Warteliste genommen werden und z. B. von der Dialyse befreit werden kann. Dieses Verhalten ist jedoch unethisch.

Neonatologie

Die Neonatologie ist ein Bereich der Pädiatrie, in dem besonders häufig schwerwiegende Entscheidungen von Ärzten verlangt werden. Die moderne Intensivmedizin hat dazu geführt, dass die Schwangerschaftsdauer für die mögliche Überlebensfähigkeit immer kürzer und das Geburtsgewicht immer niedriger geworden sind. Die Diskussionen um die absoluten Grenzwerte werden manchmal heftig geführt, und man ist ihnen bei den heutigen Möglichkeiten sicher sehr nahe gekommen. Aber man darf nicht vergessen, dass noch am Anfang der 1970er-Jahre ein Geburtsgewicht unter 2500 g weithin als mit dem Leben nicht vereinbar angesehen wurde. Auch die Frage, wie weit eine Intensivbehandlung von Neugeborenen mit schweren Fehlbildungen gehen soll, ist im Einzelfall nicht einfach zu beantworten, wie auch bei Kindern, bei denen zum Zeitpunkt der Geburt die Prognose nicht feststeht, sie aber ohne medizinische Maßnahmen nicht überlebensfähig sind. Und die Konsequenzen für die Familie, in der ein schwer behindertes Kind aufwachsen soll, sind ein nicht zu vernachlässigender Punkt bei den Überlegungen zum Einsatz oder Fortsetzung intensivmedizinischer Maßnahmen.

Folgerungen für den Pädiater

Der Kinder- und Jugendarzt hat eine besondere moralische Verantwortung, sind doch seine Patienten selber noch nicht geschäftsfähig und (abhängig vom Alter) zum Teil noch gar nicht in der Lage, ihre eigenen Vorstellungen und Wünsche zu formulieren. Noch immer ist es umstritten, in welchem Alter Kinder in der Lage sein können, ihre Situation zu begreifen und zu therapeutischen Maßnahmen kompetent Stellung nehmen zu können. Ohne Zweifel konnte in diesem Kapitel nur ein begrenzter Ausschnitt an Problemen dieser vielschichtigen Problematik angesprochen werden. Der Autor konnte nur ihm besonders wichtig erscheinenden ethischen Probleme in der Pädiatrie aufzeigen und mögliche Konflikte deutlich machen. Es darf nicht vergessen werden, dass es hier nicht um ein generelles ethisches Regelwerk gehen kann. Die Beziehung zwischen einem Arzt und einem Patienten hat zwar generelle Aspekte, bleibt aber letztendlich immer ein individuelles Geschehen. Daher ist zu fordern, dass sich der Arzt seiner ethischen Verantwortung bewusst ist und seine diesbezüglichen Vorstellungen immer wieder überdenkt und eventuell korrigiert. Das gehört ebenso zum ärztlichen Handeln wie die kontinuierliche Fortbildung auf seinem medizinischen Fachgebiet. Zwei grundsätzliche ethische Forderungen sind besonders wichtig: Es ist unethisch, zu lügen, und es ist ebenso unethisch, einer schwierigen Entscheidung durch Weiterführung von Intensivmaßnahmen auszuweichen.
Weiterführende Literatur
Deutsch E, Spickhoff A (2014) Medizinrecht, 7.Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg. (enthält alle wesentlichen Deklarationen und Richtlinien)
Marckmann G, Niethammer D (Hrsg) (2010) Ethische Aspekte der pädiatrischen Forschung. Deutscher Ärzte-Verlag, Köln
Niethammer D (2008) Das sprachlose Kind: Vom ehrlichen Umgang mit schwer kranken und sterbenden Kindern und Jugendlichen. Schattauer, Stuttgart
Niethammer D (2010) Wenn ein Kind schwerkrank ist (medizinHuman Bd 11). Suhrkamp, Berlin
Schöne-Seifert B (2007) Grundlagen der Medizinethik. Kröner, Stuttgart
Wiesing U, Marckmann G (2009) Freiheit und Ethos des Arztes. Herausforderungen durch evidenzbasierte Medizin und Mittelknappheit. Alber, Freiburg