Skip to main content
Pädiatrie
Info
Publiziert am: 08.01.2019

Krankheiten der neuromuskulären Übertragung bei Kindern und Jugendlichen

Verfasst von: Ulrike Schara und Angela Abicht
Kongenitale myasthene Syndrome (CMS) sind genetisch und klinisch heterogene Erkrankungen der neuromuskulären Endplatte (NME), die zu einer Störung der neuromuskulären Übertragung führen. Abhängig von der Lokalisation des genetisch determinierten Defekts unterscheidet man präsynaptische Störungen am Nervenende, Störungen der muskulären Basallamina-assoziierten Acetylcholinesterase (AChE) und Defekte der postsynaptischen Muskelmembran. Die Erkrankungen sind selten: Sie machen ca. 10 % aller Myasthenien aus (hier Prävalenz 25–125:1 Mio.).

Kongenitale myasthene Syndrome

Definition und Epidemiologie
Kongenitale myasthene Syndrome (CMS) sind genetisch und klinisch heterogene Erkrankungen der neuromuskulären Endplatte (NME), die zu einer Störung der neuromuskulären Übertragung führen. Abhängig von der Lokalisation des genetisch determinierten Defekts unterscheidet man präsynaptische Störungen am Nervenende, Störungen der muskulären Basallamina-assoziierten Acetylcholinesterase (AChE) und Defekte der postsynaptischen Muskelmembran. Die Erkrankungen sind selten: Sie machen ca. 10 % aller Myasthenien aus (hier Prävalenz 25–125:1 Mio.).
Pathophysiologie und Genetik
Derzeit sind ca. 30 genetisch determinierte CMS-Formen bekannt, deren zugrunde liegende Defekte die neuromuskuläre Übertragung über verschiedene Pathomechanismen beeinflussen (Abb. 1). Mutationen der Cholinacetyltransferase (CHAT) sind Ursache eines präsynaptischen CMS, bei dem besonders häufig episodische Apnoen auftreten. Mutationen des Proteins Col-Q (COLQ), dem synaptischen Verankerungsprotein der AChE, kennt man als Ursache der Endplatten-AChE-Defizienz. Mutationen der Gene, die die verschiedenen Untereinheiten des adulten postsynaptischen Acetylcholinrezeptors (AChR) kodieren, können – je nach Lokalisation und Art der Mutation – unterschiedliche Auswirkungen haben: Mutationen, die Einfluss auf die elektrophysiologischen Eigenschaften des AChR haben, können zu „slow-channel-kongenitalen“ myasthenen Syndromen (SCCMS, meist autosomal-dominant) mit einer verlängerten Kanalöffnungszeit oder zu „fast-channel-kongenitalen“ myasthenen Syndromen mit verkürzter Öffnungszeit (autosomal-rezessiv) führen. Insgesamt am häufigsten sind jedoch autosomal-rezessive Loss-of-function-Mutationen, insbesondere der ɛ-Untereinheit, die zu einer verminderten Dichte von AChR im Bereich der Endplatte führen (weitere Untereinheiten des AChR kodiert durch CHRNA1, CHRNB1, CHRND). Relativ häufige Ursachen postsynaptischer CMS sind weiterhin Veränderungen der Proteine Rapsyn (RAPSN) und Dok-7 (DOK7). Einige Unterformen der CMS – häufig mit dem Phänotyp einer Gliedergürtel-Myastenie – beruhen auf Mutationen in Genen, die Enzyme der Glykosylierung kodieren (GFPT1, DPAGT1, ALG2, ALG14, GMPPB). Nur in Einzelfällen beschrieben sind bislang Defekte der muskelspezifischen Kinase (MUSK) und des spannungsabhängigen Natriumkanals (SCN4A) sowie der Gene AGRN (Agrin), LAMB2 (Laminin-β2) und weiterer CMS-ursächlicher Gene (u. a. SYT2, COL13A1), die in den letzten Jahren hinzukamen. Mutationen der genannten Gene sind für mindestens 50 % der klinisch diagnostizierten CMS verantwortlich. Weitere Veränderungen dürften in bislang nicht als ursächlich für CMS identifizierten Genen liegen.
Klinische Symptome und Verlauf
Die Erkrankungen manifestieren sich überwiegend in den ersten 2 Lebensjahren, wobei sich Symptome auch erst im späteren Kindes- und Jugendalter, seltener im Erwachsenenalter zeigen können. Das klinische Bild kann sehr variabel sein von leichter Muskelschwäche mit Belastungsintoleranz (Abb. 2) bis zur generalisierten Muskelhypotonie und -schwäche mit bulbärer Symptomatik und respiratorischer Insuffizienz. Suggestive klinische Symptome eines CMS im Neugeborenen- und Säuglingsalter sind: Floppy infant, schwaches Schreien, Saug- und Schluckstörungen, respiratorische Probleme unterschiedlicher Ausprägung sowie Arthrogryposis multiplex congenita. In jedem Alter zu beobachten: Ptosis, externe Ophthalmoplegie, faziale Schwäche mit Hypomimie, bulbäre Symptome, Belastungsintoleranz, Fluktuation der Symptome über Tage/Wochen, Krisen mit/ohne respiratorische Insuffizienz bedingt durch Fieber, Infektion und Belastung sowie wiederholte Apnoen.
Eine frühe Diagnose ermöglicht auch einen frühen Beginn der Therapie, die meist zu einer Besserung der Symptomatik führt. Insbesondere bei Patienten mit krisenhafter Verschlechterung und respiratorischer Insuffizienz kann dadurch Folgeschäden entgegengewirkt werden. Im natürlichen Verlauf ohne adäquate Therapie können Patienten eine Skoliose, Gelenkkontrakturen, eine muskuläre Atrophie und/oder eine kontinuierliche Muskelschwäche entwickeln; im Rahmen von Apnoen kann es zu Todesfällen kommen.
Diagnose
Nach einer ausführlichen Anamnese und klinischen Untersuchung sind folgende Untersuchungen sinnvoll.
Antikörperbestimmung
Die Acetycholinrezeptor-Antikörper (AChR-Ak), Anti-Titin- und LRP4-Antikörper sowie Antikörper gegen die muskelspezifische Tyrosinkinase (MuSK) sind bei einem CMS immer negativ zu erwarten.
Neurophysiologische Diagnostik
Die neurophysiologische Diagnostik mit repetitiver Stimulation (niederfrequent mit 3 Hz, Abb. 3) kann grundsätzlich an jedem Nerv erfolgen, sinnvoll distal am N. medianus/N. ulnaris und/oder proximal am N. accessorius, abhängig auch von der Compliance des Patienten. Ein pathologisches Dekrement liegt bei einem Abfall der Amplitude von der 1. zur 5. Reizantwort von über 10 % vor und ist hinweisend für eine Transmissionsstörung; ein pathologischer Befund mit doppeltem Muskelaktionspotenzial kann auf eine AChE-Defizienz oder ein Slow-channel-CMS hinweisen. Selten kommen Einzelfaserelektromyogramm (Single-Fiber-EMG) und hochfrequente Einzelstimulation bei speziellen Fragestellungen zum Einsatz.
Edrophoniumchloridtest
Die intravenöse Gabe von Edrophoniumchlorid (früher auch als Tensilon-Test bekannt) ist erst ab dem 1. Lebensjahr indiziert und soll bei Kindern immer unter stationären intensivmedizinischen Bedingungen erfolgen. Die klinischen Symptome sollen ausreichend ausgeprägt sein (z. B. deutliche Ptosis, bulbäre Symptome), sonst ist die Beurteilung eines klinischen Effekts nur eingeschränkt möglich. Bei positiver Wirkung kommt es innerhalb von Minuten zu einer deutlichen Besserung der Symptomatik (besonders deutlich bei fazialen Symptomen zu sehen). Beim Verdacht auf AChE-Defizienz ist dieser Test kontraindiziert, bei Verdacht auf SCCMS zurückhaltend zu verwenden und nur inkonstant positiv. Ein negativer Test schließt ein CMS nicht aus: Er fällt auch bei einer autoimmun bedingten Mysthenia gravis positiv aus.
Muskelbiopsie
Für die Muskelbiopsie sind endplattenreiche Muskeln (externe Interkostalmuskeln und M. anconeus) geeignet. Die speziellen morphologischen und elektrophysiologischen Untersuchungen sind nur an wenigen Zentren weltweit möglich und werden nicht in der Routine, sondern zur weiteren Charakterisierung spezieller CMS-Defekte eingesetzt.
Genanalyse
Die genetische Diagnose eines CMS ist für eine individualisierte medikamentöse Therapie von Bedeutung. Durch eine Analyse der bekannten CMS-Gene kann die klinische Diagnose bei ca. 50 % der Patienten genetisch gesichert werden. Der Nichtnachweis einer Mutation in den derzeit bekannten CMS-Genen schließt die Erkrankung nicht aus, da es vermutlich weitere, bislang unbekannte ursächliche genetische Veränderungen gibt.
Differenzialdiagnose
In Abhängigkeit von der Anamnese und vorherrschenden klinischen Symptomatik können die transiente neonatale Myasthenie, eine autoimmune Myasthenia gravis, andere neuromuskuläre Erkrankungen wie spinale Muskelatrophie, kongenitale Muskeldystrophien oder Myopathien, Mitochondriopathien und Gliedergürtel-Muskeldystrophien abzugrenzen sein.
Therapie
Die Therapie ist bislang symptomatisch; AChE-Hemmer, 3,4-Diaminopyridine, Ephedrin, Fluoxetin, Chinidinsulfat, Azetazolamid und Albuterol haben nachweislich positive Effekte bei Patienten mit CMS gezeigt (Detailangaben in Tab. 1).
Tab. 1
Differenzierte Therapie bei kongenitalen myasthenen Syndromen (CMS). (Mod. nach Schara und Lochmüller 2008)
Defekt
Gen
Rationale Therapie
Cholinacetyltransferase
CHAT
1. AChE-Hemmer in einer individuellen Dosis, oft 4–5 mg/kg KG/Tag in 4–6 ED
wenn nötig, zusätzlich
2. 3,4-DAP 1 mg/kg KG/Tag in 4 ED, bis zu 4-mal 5–20 mg/Tag
Acetylcholinesterase-Defizienz
COLQ
1. Ephedrin 3 mg/kg KG/Tag in 3 ED, Beginn mit 1 mg/kg KG/Tag und vorsichtig steigern; bei älteren Patienten 2- bis 3-mal 25–50 mg/Tag
2. Albuterol bei Kindern 2–6 Jahre alt 0,1 mg/kg KG/Tag in 3 ED (max. 2 mg/Tag); bei Kindern 6–12 Jahre alt 2 mg 2- bis 3-mal/Tag; bei Erwachsenen 4 mg 1- bis 3-mal/Tag
α-Untereinheit des AChR
β-Untereinheit des AChR
δ-Untereinheit des AChR
ɛ-Untereinheit des AChR
CHRNA1
CHRNB1
CHRND
CHRNE
I. Strukturelle Defekte:
1. AChE-Hemmer in einer individuellen Dosis, oft 4–5 mg/kg KG/Tag in 4–6 ED
wenn nötig, zusätzlich
2. 3,4-DAP 1 mg/kg KG/Tag in 4 ED bis zu 4-mal 5–20 mg/Tag
3. Albuterol bei Kindern 2–6 Jahre alt 0,1 mg/kg KG/Tag in 3 ED (max. 2 mg/Tag); bei Kindern 6–12 Jahre alt 2 mg 2- bis 3-mal/Tag; bei Erwachsenen 4 mg 1- bis 3-mal/Tag
II. kinetische Defekte
a. Slow-channel-CMS
1. Chinidinsulfat 15–60 mg/kg KG/Tag in 4–6 ED
2. bei Nebenwirkungen: Fluoxetin bei Erwachsenen 80–100 mg/Tag; bei Kindern maximale Dosis nicht bekannt
b. Fast-channel-CMS
1. AChE-Hemmer in einer individuellen Dosis, oft 4–5 mg/kg KG/Tag in 4–6 ED
wenn nötig, zusätzlich
2. 3,4-DAP 1 mg/kg KG/Tag in 4 ED, bis zu 4-mal 5–20 mg/Tag
Chinidinsulfat- und Fluoxetin-Dosis müssen anhand der Serumspiegel überwacht werden!
Rapsyn-Defizienz
RAPSN
1. AChE-Hemmer in einer individuellen Dosis, oft 4–5 mg/kg KG/Tag in 4–6 ED
wenn nötig, zusätzlich
2. 3,4-DAP 1 mg/kg KG/Tag in 4 ED bis zu 4-mal 5–20 mg/Tag
Downstream-of-kinase-7-Defizienz
DOK7
1. Ephedrin 3 mg/kg KG/Tag in 3 ED, Beginn mit 1 mg/kg KG/Tag und vorsichtig steigern; bei älteren Patienten 2- bis 3-mal 25–50 mg/Tag
2. 3,4-DAP 1 mg/kg KG/Tag in 4 ED, bis zu 4-mal 5–20 mg/Tag
3. Albuterol bei Kindern 2–6 Jahre alt 0,1 mg/kg KG/Tag in 3 ED (max. 2 mg/Tag); bei Kindern 6–12 Jahre alt 2 mg 2- bis 3-mal/Tag; bei Erwachsenen 4 mg 1- bis 3-mal/Tag
Muskelspezifische Tyrosinkinasedefizienz
MUSK
1. AChE-Hemmer in einer individuellen Dosis, oft 4–5 mg/kg KG/Tag in 4–6 ED
2. 3,4-DAP 1 mg/kg KG/Tag in 4 ED, bis zu 4-mal 5–20 mg/Tag
3. Ephedrin 3 mg/kg KG/Tag in 3 ED, Beginn mit 1 mg/kg KG/Tag und vorsichtig steigern; bei älteren Patienten 2- bis 3-mal 25–50 mg/Tag
Na v1.4
SCN4A
AChE-Hemmer in einer individuellen Dosis, oft 4–5 mg/kg KG/Tag in 4–6 ED
und
Acetazolamid 2-mal 250 mg/Tag
Glutamin-Fruktose-6-Phosphat-Transaminase 1
GFPT1
AChE-Hemmer in einer individuellen Dosis, oft 4–5 mg/kg KG/Tag in 4–6 ED
Dolichyl-phosphate N-acetylglucosaminephosphotransferase
DPAGT1
Guanosine diphosphate-mannose pyrophosphorylase-B
GMPPB
ED Einzeldosen, KG Körpergewicht, 3,4-DAP 3,4-Diaminopyridin, AChE Acetylcholinesterase, AChR Acetylcholinrezeptor
Das therapeutische Vorgehen ist abhängig vom zugrunde liegenden/vermuteten genetischen Defekt und die Medikation ist sehr sorgfältig unter Berücksichtigung der bis dahin vorliegenden Daten zu wählen; insbesondere sollte die Möglichkeit einer AChE-Defizienz vor einem Therapieversuch mit AChE-Hemmern ausgeschlossen sein. Zusätzlich zur medikamentösen Therapie soll bei Patienten mit CMS eine begleitende bedarfsorientierte Therapie einschließlich Physiotherapie, Logopädie, Ergotherapie, Atemhilfe, PEG (perkutanes endoskopisches Gastrostoma) und evtl. auch Hilfsmittelversorgung eingeleitet werden.

Myasthenia gravis

Definition und Epidemiologie
Die juvenile Myasthenia gravis ist eine Autoimmunerkrankung, verursacht durch Antikörper gegen Proteine der neuromuskulären Endplatte. Es resultiert eine gestörte neuromuskuläre Transmission mit den für die Erkrankung wegweisenden Befunden (siehe unten). Sie ist insgesamt selten: Weltweit zeigt sich eine Prävalenz von 25–125:1 Mio., wobei in ca. 10 % der Fälle eine Manifestation ab dem Kindesalter vorliegt. Nur sehr selten ist ein Beginn im 1. Lebensjahr berichtet. In der asiatischen Bevölkerung ist der Anteil der juvenilen Myasthenia gravis mit Beginn vor dem 15. Lebensjahr mit 33 % deutlich höher, wobei ein Erkrankungsgipfel um das 2.–3. Lebensjahr liegt. Vor der Pubertät ist eine Geschlechterwendigkeit nicht eindeutig zu belegen; nach der Pubertät ist das weibliche Geschlecht 2- bis 4-mal häufiger betroffen.
Pathophysiologie
Bei der Myasthenia gravis handelt es sich um eine antikörpervermittelte und T-Zell-abhängige Autoimmunerkrankung. Im Kindesalter sind überwiegend Antikörper gegen den nikotinergen Acetylcholinrezeptor (AChR) zu finden (in ca. 50 % der Fälle präpubertär, in 70 % peripubertär), selten gegen die muskelspezifische Kinase und nur in Einzelfällen bei Thymom gegen Titin. Diese Mechanismen führen zu einer gestörten neuromuskulären Überleitung, z. B. bewirken die AChR-Antikörper einen rascheren Abbau der AChR und somit eine Verminderung an der postsynaptischen Membran. Darüber hinaus kommt es zu einer Zerstörung der Endplatte mit Umbau des postsynaptischen Faltenapparates und zu einer direkten Blockade der AChR-Ionenkanäle durch die Antikörper. Auf zellulärer Ebene findet sich im Thymus bei der juvenilen wie adulten Myasthenie häufig eine lymphofollikuläre Hyperplasie. Im Gegensatz dazu ist bei der juvenilen Form das im Erwachsenenalter häufigere Thymom selten. Die Myasthenia gravis ist assoziiert mit den HLA-Haplotypen der Klassen I und II. Ein Auftreten mit anderen Autoimmunerkrankungen, z. B. mit einer juvenilen Dermatomyositis, Erkrankungen der Schilddrüse oder mit einem juvenilen Diabetes mellitus, ist in 10 % der Fälle zu beobachten.
Klinische Symptome und Verlauf
Die Symptome können plötzlich oder langsam schleichend auftreten; gerade bei der juvenilen Form sind sie ähnlich denen im Erwachsenenalter. Nicht selten wird die Symptomatik durch einen vorangehenden fieberhaften Infekt getriggert. Typisch ist eine Symptomverstärkung im Tagesverlauf oder nach körperlicher, aber auch emotionaler Belastung. Häufig beginnt die Erkrankung mit den okulären Symptomen Ptosis, Ophthalmoplegie, Doppelbilder, kombinierte Augenmuskelparesen. Dann kann es zu bulbären Symptomen kommen: näselnde und/oder verwaschene Sprache, Kau- und Schluckbeschwerden, Speichelfluss, faziale Schwäche.
Bei Generalisation der rein motorischen Muskelschwäche kommt es zu Belastungsintoleranz und proximal betonter Schwäche. Die Beteiligung der Atemmuskulatur führt zur respiratorischen Beeinträchtigung unterschiedlichen Ausmaßes und muss, besonders mit bulbären Symptomen, immer an eine Myasthenia gravis denken lassen und umgehend einer Therapie zugeführt werden (siehe unten).
Angaben zum Beginn mit rein okulären Symptomen schwanken von 50–75 %. Davon bleiben einige rein okulär, auch hier variieren die Angaben von 10–93 %; mit zunehmender Zeit nach Manifestation nimmt die Anzahl der unbehandelten Patienten mit Generalisation der Symptome zu. Besonders Kleinkinder können fluktuierend rein okuläre Symptome haben. Sie äußern ihre Beschwerden nur selten; sie sind indirekt durch kompensatorische Kopfbewegungen oder aktives Zuhalten eines Auges zur Vermeidung von Doppelbildern zu beobachten (Abb. 4). Ein Teil von ihnen zeigt eine komplette spontane Remission, andere im Verlauf eine Ausbreitung der Symptome. Bei Schulkindern und Jugendlichen ist eine Spontanremission selten zu beobachten, diese dann in der Regel nur vorübergehend.
Wichtig für die Patienten sind myasthenieverstärkende Faktoren:
  • Infekte mit/ohne Fieber,
  • zusätzliche Erkrankungen, z. B. der Schilddrüse,
  • Hitze,
  • körperliche und psychische Belastungssituationen,
  • hormonelle Umstellungen, z. B. Menstruation, Schwangerschaft,
  • bestimmte Medikamente, z. B. Antibiotika (im Notfallpass für Myasthenie-Patienten sind die Medikamente aufgelistet!),
  • Narkosen.
Diagnose
Nach der ausführlichen Anamnese sind folgende Untersuchungen sinnvoll.
Klinische Untersuchung
Hier ist besonders die Muskelschwäche und abnorme Ermüdbarkeit zu beachten, wichtig auch die Fluktuation im Tagesverlauf. Bei älteren Kindern/Jugendlichen kann ein Myasthenie-Score (z. B. Besinger-Score) benutzt werden, darüber hinaus der Simpson-Test (Zunahme der Ptosis bei Blick nach oben) oder der sog. Ice-Test (Besserung der Ptosis nach Kälteapplikation auf dem betroffenen Auge). Bei Kleinkindern sind diese Untersuchungen nicht immer so standardisiert durchführbar; hier liefert oft die Beobachtung der spontanen Motorik zusätzlich wichtige Hinweise.
Bestimmung der Serumantikörper
AChR-Antikörper sind bei Betroffenen vor der Pubertät in 50 %, nach der Pubertät in 70 % der Fälle mit generalisierter Symptomatik zu finden. Bei Kleinkindern und bei rein okulären Formen ist der Anteil AChR-Antikörper-positiver Befunde geringer; dann ist die klinische Symptomatik für die weitere Diagnostik wegweisend. Muskelspezifische-Tyrosinkinase-Antikörper (MuSK-Ak) sind im Kindes- und Jugendalter seltener, besonders bei betonter fazialer, bulbärer und respiratorischer Muskelschwäche zu berücksichtigen. Titinantikörper sind im Erwachsenenalter mit einem Thymom assoziiert, im Kindesalter ist dieses eine Rarität. Die Bestimmung der Low-sensitivity-AChR-Antikörper und der Antikörper des Low-density lipoprotein receptor-related protein 4 (Lrp4) sind nur in spezialisierten Laboren möglich und sollten bei seronegativen Patienten veranlasst werden. Für das Kindes- und Jugendalter sind bisher nur Einzelfälle berichtet.
Ein zellbasierter Essay kann in der Gruppe der seronegativen Patienten sensitiver sein und doch noch Antikörper nachweisen. Diese Untersuchung ist bei suggestiver klinischer Symptomatik und Seronegativität zu veranlassen, da dieses Ergebnis wichtig ist für die weitere Therapieplanung einschließlich der Thymektomie.
Neurophysiologische Diagnostik mit repetitiver Stimulation (niederfrequent mit 3 Hz)
Diese kann grundsätzlich an jedem Nerv erfolgen, sinnvoll distal am N. medianus/N. ulnaris und/oder proximal am N. accessorius, abhängig auch von der Compliance des Patienten. Ein pathologisches Dekrement liegt bei einem Abfall der Amplitude von 1. zur 5. Reizantwort von über 10 % vor und ist hinweisend für eine Transmissionsstörung. Bei rein okulärer Myasthenie kann das Ergebnis falsch-negativ sein. Selten kommen Einzelfaser-Elektromyogramm (Single-Fiber-EMG) und hochfrequente Einzelstimulation bei speziellen Fragestellungen zum Einsatz.
Edrophoniumchloridtest
Zu Bedingungen und Durchführung, Abschn. 1.
Muskelbiopsie
Die Muskelbiopsie zeigt unspezifische Befunde und wird nur bei schwieriger differenzialdiagnostischer Abgrenzung eingesetzt.
Differenzialdiagnose
In Abhängigkeit von Anamnese und vorherrschender klinischer Symptomatik ist differenzialdiagnostisch ein kongenitales myasthenes Syndrom, insbesondere im jungen Alter und bei fehlendem Nachweis von Serumantikörpern, zu berücksichtigen. Eine fluktuierende Symptomatik und „Einbruch“ bei Infekten werden auch bei mitochondrialen Myopathien beobachtet; ebenso ist bei zunehmender motorischer Schwäche an ein Guillain-Barré-Syndrom zu denken. Bei vorherrschender fazialer, bulbärer Symptomatik ist die progressive Bulbärparalsye im Kindesalter (Fazio-Londe-Krankheit) abzugrenzen.
Therapie
Grundsätzlich gleicht die Therapie der der Myasthenia gravis im Erwachsenenalter, wenngleich spezielle Aspekte bei den Kindern zu beachten sind. AChE-Inhibitoren, Immunsuppression und die Thymektomie sind wichtige Therapieoptionen, häufig ist eine Kombination notwendig. Evidenzbasierte Daten für das Kindesalter fehlen.
AChE-Inhibitoren (Pyridostigminbromid)
Sie wirken symptomatisch. Beginn mit 0,5–1 mg/kg KG in 4 Einzeldosen (ED) alle 4 h während der Wachphasen, wenn notwendig, auch zusätzlich nachts. Die Tagesdosis von 4–5 mg/kg KG in 4–6 ED wird in der Regel gut vertragen, eine Dosissteigerung ist immer individuell anzupassen. Cholinerge Nebenwirkungen bei Überdosierung wie Übelkeit, Durchfall, Schwitzen mit zunehmender Muskelschwäche sind unbedingt zu beachten. Der Wirkungseintritt ist rasch innerhalb von 15–30 min nach Einnahme, die Wirkungsdauer beträgt ca. 3–4 h.
Steroide
Sie sind initial bei generalisierten Symptomen oft zusätzlich zur AChE-Hemmer-Therapie indiziert. Die positive Wirkung tritt nach wenigen Wochen ein, in den ersten 10–14 Tagen kann es aber zunächst zu einer Verschlechterung kommen. Deshalb ist die Startdosis mit 0,5 mg/kg KG/Tag, max. 30 mg/Tag, zu wählen und langsam zu steigern bis auf max. 2 mg/kg KG/Tag, max. 60–80 mg/Tag. Zur Minimierung der Nebenwirkungen empfiehlt sich eine alternierende Gabe alle 2 Tage. Bei schwer kranken Patienten sollte die Aufdosierung rascher erfolgen, wegen möglicher Verschlechterung ist der Therapiebeginn mit Steroiden grundsätzlich in einem stationären Umfeld zu empfehlen. An Nebenwirkungen sind insbesondere Gewichtszunahme, Flüssigkeitsretention, Hypertonus, Diabetes mellitus, Osteoporose, psychische Störungen, Hautveränderungen, Katarakt, Glaukom, Ulzera und gesteigerte Infektneigung zu nennen. Deshalb sollte die Dosis und Dauer der Medikation so niedrig und kurz wie möglich gehalten werden; abhängig vom Schweregrade der Erkrankung und Dauer der Therapie sind frühzeitig steroidsparende Medikamente einzusetzen.
Immunsuppressive Therapie
Hier ist Azathioprin das meist benutzte steroidsparende Immunsuppressivum. Es sollte möglichst zeitgleich mit dem Steroid eingesetzt werden, weil der Wirkungseintritt erst nach bis zu 6 Monaten zu erwarten ist. In der Zwischenzeit muss die Immunsuppression mit einer Steroidtherapie erfolgen (s. oben), um eine baldige Verbesserung der Symptomatik zu erreichen. Die Dosis zu Beginn ist 1 mg/kg KG/Tag in 1–2 ED, alle 4 Wochen ist eine Steigerung um 0,5 mg/kg KG/Tag bis zu einer Enddosis von 2–3 mg/kg KG/Tag sinnvoll. An Nebenwirkungen müssen besonders Schläfrigkeit, Knochenmarkdepression, eine reversible Hepatitis oder Pankreatitis berücksichtigt werden, bei Langzeittherapie sind im Jugendalter Assoziationen mit fatalen hepatosplenischen T-Zell-Lymphomen berichtet. Regelmäßige klinische und Laborkontrollen sind wichtig; bei weiblichen Patientinnen muss zu dem teratogenen Effekt beraten werden.
Ciclosporin A wird aufgrund seines Nebenwirkungsprofils nur als zweite Wahl eingesetzt. In Einzelfällen sind positive Effekte von neueren Medikamenten wie Mycophenolat-Mofetil, Rituximab, Tacrolimus und Ecolizumab berichtet, sie sind bisher nicht für die Myasthenia gravis im Kindes- und Jugendalter zugelassen.
Die hoch dosierte Immunglobulingabe (IVIG 2 g/kg KG, aufgeteilt über 2–5 Tage) ist effektiv bei akuter Eskalation der Therapie oder auch in Einzelfällen in größeren Abständen (alle 4–6 Wochen) zur Dauertherapie, bei Versagen anderer Therapieoptionen. Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, allergische Reaktionen und eine aseptische Meningitis sind zu beachten.
Plasmaaustauschverfahren
Die Plasmapherese ist zur Behandlung der myasthenen Krise einzusetzen. Hier haben Studien im Erwachsenenalter diese mit der Gabe von hoch dosierten IVIG als gleich wirksam bewertet. Wichtig ist der Einsatz dieser Therapie in einem Zentrum mit einem erfahrenen interdisziplinären Team.
Thymektomie
Die Thymektomie ist auch im Kindes- und Jugendalter indiziert und zeigt positive Effekte auf den Krankheitsverlauf. Sie sollte immer frühzeitig im individuellen Fall diskutiert und gegenüber einer Langzeitimmunsuppression mit den Nebenwirkungen abgewogen werden. Es stehen heute offene und endoskopische Operationsverfahren zur Verfügung. Da im Kindes- und Jugendalter ein Thymom selten ist, kommt häufig das endoskopische Verfahren nach entsprechender präoperativer Bildgebung des Thymus zum Einsatz.
Prognose
Bei adäquater Diagnose und Therapie ist die Prognose der Kinder und Jugendlichen gut, wenngleich eine Therapie über viele Jahre und eine Betreuung in einem spezialisierten Zentrum notwendig sind. Rehabilitative Maßnahmen und die psychosoziale Betreuung sind wichtige Aspekte neben der oben genannten Therapie in der Langzeitbetreuung der Patienten. Daten zu Langzeitverläufen und möglichen späteren Komorbiditäten liegen noch nicht vor.

Transiente neonatale Myasthenie

Die diaplazentare Übertragung von Antikörpern der Mutter (in der Regel AChR-, in Einzelfällen Muskelspezifische-Tyrosinkinase-Antikörper [MuSK-Ak]) mit erkannter oder nicht erkannter Myasthenia gravis führen bei 10–20 % der Neugeborenen in den ersten 72 Lebensstunden zu unterschiedlich ausgeprägten Symptomen. Sie zeigen eine generalisierte Muskelhypotonie, schwaches Schreien und Trinkschwäche; okuläre Symptome sind selten zu beobachten. Der Großteil der Kinder von Müttern mit Myasthenie zeigt keine Symptome, aber alle müssen während der ersten Lebenstage intensiv überwacht werden. Die Therapie besteht bei klinischer Symptomatik in der Gabe von AChE-Inhibitoren; auf Nebenwirkungen, besonders der cholinergen Überdosierung, ist zu achten. Bei Schluckstörungen soll über eine Magensonde gefüttert werden, eine Beatmung ist selten erforderlich. Die Symptomatik klingt in der Regel entsprechend der Halbwertszeit der Antikörper nach Wochen ab. Die Medikation muss parallel mit der Symptombesserung reduziert und beendet werden.
Weiterführende Literatur
Belaya K, Rodríguez Cruz PM, Liu WW, Maxwell S, McGowan S, Farrugia ME, Petty R, Walls TJ, Sedghi M, Basiri K, Yue WW, Sarkozy A, Bertoli M, Pitt M, Kennett R, Schaefer A, Bushby K, Parton M, Lochmüller H, Palace J, Muntoni F, Beeson D (2015) Mutations in GMPPB cause congenital myasthenic syndrome and bridge myasthenic disorders with dystroglycanopathies. Brain 138:2493–2504CrossRef
Chaouch A, Beeson D, Hantaï D, Lochmüller H (2012) Workshop report. 186 th international workshop: congenital myasthenic syndromes, 24–26 June 2011, Naarden, The Netherlands. Neuromuscul Disord 22(6):566–576CrossRef
Della Marina A, Abicht A, Schara U (2011) Kongenitale myasthene Syndrome. Vom Symptom zur Diagnose und Therapie. Nervenheilkunde 10:797–804CrossRef
Della Marina A, Trippe H, Lutz S, Schara U (2012) Juvenile myasthenia gravis: recommendations for diagnostic approaches and treatment. Neuropediatrics 43:184–193CrossRef
Della Marina A, Kölbel H, Müllers M, Kaiser O, Ismail M, Swierzy M, Rueckert JC, Schara U (2017) Outcome after robotic-assisted thymectomy in children and adolescents with acetylcholine receptor antibody-positive Juvenile Myasthenia Gravis. Neuropediatrics 48:315–322CrossRef
Drachman DB (2008) Therapy of myasthenia gravis. In: Handbook of clinical neurology. Neuromuscular junction disorders. Elsevier, Amsterdam, S 253–272
Engel AG (Hrsg) (2008a) Congenital myasthenic syndromes. In: Handbook of clinical neurology. Neuromuscular junction disorders. Elsevier, Amsterdam, S 285–331
Engel AG (Hrsg) (2008b) Handbook of clinical neurology. Neuromuscular junction disorders. Elsevier B.V, Amsterdam
Henze T, Janzen RWC, Schumm F et al (2010a) Immuntherapie bei Myasthenia gravis und Lambert-Eaton-Syndrom. Teil 1: Medikamentöse Immunsuppression. Akt Neurol 37:505–517CrossRef
Henze T, Janzen RWC, Schumm F et al (2010b) Immuntherapie bei Myasthenia gravis und Lambert-Eaton-Syndrom. Teil 2: Intravenöse Immunglobuline und Plasmaaustauschverfahren. Akt Neurol 37:518–523CrossRef
Klein A, Robb S, Rushing E, Liu WW, Belaya K, Beeson D (2015) Congenital myasthenic syndrome caused by mutations in DPAGT. Neuromuscul Disord 25:253–256CrossRef
McMillan HJ, Darras BT, Kang PB (2011) Autoimmune neuromuscular disorders in childhood. Curr Treat Options Neurol 13(6):590–607CrossRef
Pevzner A, Schoser B, Peter K et al (2012) Anti-LRP4 autoantibodies in AChR- and MuSK-antibody-negative myasthenia gravis. J Neurol 259:427–435CrossRef
Sanders DB, Massey JM (2008) Clinical features of myasthenia gravis. In: Engel AG (Hrsg) Handbook of clinical neurology. Neuromuscular junction disorders. Elsevier, Amsterdam, S 229–252CrossRef
Schara U, Lochmüller H (2008) Therapeutic strategies in congenital myasthenic syndromes. Neurotherapeutics 5:542–547CrossRef
Schara U, Della Marina A, Abicht A (2012) Congenital myasthenic syndromes: current diagnostic and therapeutic approaches. Neuropediatrics 43(4):184–193CrossRef
Sieb JP, Schrank B (Hrsg) (2009) Myasthenia gravis und andere Endplattenerkrankungen. In: Neuromuskuläre Erkrankungen. Kohlhammer, Stuttgart, S 216–240