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Pädiatrie
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Publiziert am: 22.05.2020

Krankheitsfrüherkennungsuntersuchungen bei Kindern und Jugendlichen

Verfasst von: Burkhard Lawrenz
Früherkennungsuntersuchungen sind sekundäre Präventionsmaßnahmen. Als Instrumente dienen dazu Screeningtests. Inhalte und Zeitpunkte legt in Deutschland der Gemeinsame Bundesausschuss in der sog. Kinder-Richtlinie und der Richtlinie zur Jugendgesundheitsuntersuchung fest. Schwerpunkte sind zunächst die postnatale Adaptation, äußere Fehlbildungen, kritische Herzfehler, seltene Hormon- und Stoffwechselstörungen, Mukoviszidose, Hörstörungen, Katarakt, Gallenwegsatresie und Hüftdysplasie. Es schließt sich ein kontinuierliches Screening auf Störungen der motorischen und psychosozialen Entwicklung, des Sehens und von Wachstum und Gedeihen an. Punktuell wird nach chronischen Nierenkrankheiten gefahndet. Im Jugendalter richtet sich das Screening zusätzlich auf Pubertätsstörungen, seelische Probleme, Drogenkonsum, familiäre Hypercholesterinämie und schulische/berufliche Entwicklung. In letzter Zeit wurden primärpräventive Beratungselemente hinzugefügt.

Präventionsbegriff

Prävention und Gesundheitsförderung

Während Prävention auf die Vorbeugung oder Verhütung bestimmter Krankheiten zielt, ist der Ansatz der Gesundheitsförderung (engl. „health promotion“) auf die Stärkung der Gesundheit gerichtet. Die zentrale Frage lautet: Was hält den Menschen gesund? Diese Verschiebung der Perspektive von Krankheit und ihrer Entstehung auf die Determinanten von Gesundheit wird auch als Salutogenese bezeichnet. Gesundheitsförderung und Prävention unterscheiden sich folgendermaßen: Sowohl Krankheitsprävention als auch Gesundheitsförderung wollen einen Gesundheitsgewinn erzielen, aber auf unterschiedliche Weise. Bei der Krankheitsprävention soll der Gesundheitsgewinn durch das Zurückdrängen von Krankheitslast erzielt werden, bei der Gesundheitsförderung durch die Stärkung von Gesundheitsressourcen. Dementsprechend richtet die Prävention ihren Akzent vor allem auf Risikofaktoren für Krankheit, die Gesundheitsförderung vor allem auf gesund erhaltende Schutzfaktoren. Die beiden Interventionsformen können deshalb als einander ergänzend verstanden werden, wobei je nach Ausgangslage einmal die eine und einmal die andere Interventionsform die angemessene und erfolgversprechende sein kann. Eine allzu scharfe Abgrenzung zwischen Prävention und Gesundheitsförderung wird wissenschaftlich kontrovers diskutiert.

Verhaltens- und Verhältnisprävention

Wir unterscheiden zwischen Verhaltensprävention, die gezielt auf das Handeln einzelner Personen ausgerichtet ist. und Verhältnisprävention, welche das Umfeld und die Lebensumstände verbessern soll. Pädiater sind beidem verpflichtet: der Beratung des einzelnen Kindes und seiner Eltern zur Verhaltensprävention ebenso wie der politischen und gesellschaftlichen Anwaltschaft für gesunde und entwicklungsfördernde Verhältnisse für alle Kinder. Dies wird in den Satzungen zahlreicher nationaler pädiatrischer Verbände und Fachgesellschaften betont, z. B. der American Academy of Pediatrics (AAP), des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte e. V. (BVKJ) und der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V. (DGKJ).

Krankheitsprävention

Prävention (lat. „praevenire“, zuvorkommen‚ verhüten) bezeichnet Maßnahmen zur Abwendung von unerwünschten Ereignissen oder Zuständen, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintreffen könnten. Prävention setzt zunächst voraus, dass geeignete Maßnahmen verfügbar sind, um den Eintritt dieser Ereignisse zu beeinflussen. Der Begriff der Vorbeugung wird synonym verwendet. Krankheitsprävention versucht, den Gesundheitszustand der Bevölkerung, von Bevölkerungsgruppen oder einzelnen Personen zu erhalten oder zu verbessern. Das entsprechende Teilgebiet der Medizin wird als Präventivmedizin bezeichnet.
Zentrale Strategie der Prävention ist es, die Auslösefaktoren von Krankheiten zurückzudrängen oder ganz auszuschalten. In der Regel wird Prävention damit nicht nur als Aufgabe der Medizin verstanden, sondern erfolgt interdisziplinär gemeinsam mit Psychologie, Soziologie und Pädagogik. Präventive Maßnahmen sind langfristig angelegt und zielen auf langfristige Veränderungen der Einstellung, des Erlebens und des Verhaltens.
Medizinische Präventionsmaßnahmen sind sowohl ethisch-normativ wie auch ökonomisch begründet: Individuelles Leid soll so weit möglich verhindert, die Lebensqualität der Menschen verbessert und das Leben selbst verlängert werden. Gleichzeitig soll Prävention die (individuellen wie gesamtgesellschaftlichen) ökonomischen Lasten für dadurch unnötig gewordene Krankenbehandlungen verringern.
Der Begriff der Krankheitsprävention wird außerdem untergliedert nach dem Ansatzpunkt innerhalb des zeitlichen Verlaufs und der Form der Ausrichtung:
  • Primärprävention versucht, durch gezielte Maßnahmen Erkrankungen oder Unfälle, für die (in der Pädiatrie häufig alterstypische) Risiken bestehen, noch vor deren Eintritt zu verhindern (z. B. Beratung der Eltern zur Vorbeugung des plötzlichen Kindstods, prophylaktische Vitamin- und Spurenelementgaben, Impfungen).
  • Ziel der sekundären Prävention ist die frühestmögliche Erkennung bereits bestehender Krankheiten, um Krankheitsfolgen und Komplikationen zu verhindern und dadurch die Langzeitprognose zu verbessern. Die Kinderfrüherkennungsuntersuchungen U1–U9 und die Jugendgesundheitsuntersuchung J1 in Deutschland stellen eine Kombination primärer und sekundärer Präventionsmaßnahmen dar, wobei anfangs die sekundäre Prävention mehr im Fokus stand und in den letzten Jahren die primäre Prävention an Bedeutung gewinnt.
  • Tertiärprävention bezieht sich auf Maßnahmen bei chronischen Erkrankungen, die einer weiteren Verschlechterung entgegenwirken sollen.
  • Quartärprävention bezeichnet Maßnahmen zur Rückfallprophylaxe und Strategien zur Vermeidung unnötiger medizinischer Maßnahmen sowie Vermeidung von Nebenwirkungen der Behandlung.
  • Losgelöst von der zeitlichen Dimension allein auf die Zielgruppe bezogen richtet sich universelle Prävention an die gesamte Bevölkerung, selektive Prävention an besonders gefährdete Personen und indizierte Prävention an bereits Betroffene.

Krankheitsfrüherkennung durch Screening

Zur Früherkennung von Krankheiten werden universelle oder selektive Screeningstrategien verwendet. Meist werden Screeninguntersuchungen für bestimmte Alters- oder Risikogruppen eingesetzt. Dabei muss man immer bedenken, dass ein Screening nur einen positiven oder negativen Befund liefern kann, aber keine Diagnose. Da falsch-positive Befunde vorkommen, kann eine Diagnose nur durch entsprechende Konfirmationsdiagnostik gestellt werden. Da es aber auch falsch-negative Befunde gibt, kann ein negatives Screening eine Krankheit nicht immer definitiv ausschließen. Eine hohe Sensitivität (wenig falsch-negative Befunde) führt zu einer geringeren Spezifität (mehr falsch-positive Befunde) und umgekehrt. Das ist systemimmanent und kann nur begrenzt beeinflusst werden; die einzelnen Screeningtests unterscheiden sich aber in ihrer Qualität. Zum Beispiel gibt es beim heute üblichen Screening auf zahlreiche angeborene Stoffwechselstörungen durch Tandem-Massenspektrometrie kaum noch falsch-negative und dennoch nur sehr wenig falsch-positive Befunde, während beim Neugeborenen-Hörscreening sowohl falsch-positive als auch falsch-negative Befunde häufiger vorkommen.
Eine frühe Krankheitsdiagnose – z. B. nach bestätigtem auffälligem Screening – kann für Betroffene auch Nachteile haben, insbesondere, wenn keine wirksamen Behandlungsoptionen bestehen. Daher haben Wilson und Jungner im Auftrag der WHO schon im Jahr 1968 Kriterien festgelegt, unter welchen Voraussetzungen ein Krankheitsscreening sinnvoll erscheint. Diese wurden im Jahr 2018 von einer kanadischen Arbeitsgruppe in einem modifizierten Delphi-Prozess nach einer systematischen Literaturrecherche revidiert (Tab. 1).
Tab. 1
Untersuchungszeiträume und Toleranzgrenzen
Untersuchung
Zeitraum
Toleranzgrenzen
U1
Unmittelbar postnatal
keine
U2
3.–10. Lebenstag
3.–14. Lebenstag
U3
4.–5. Lebenswoche
3.–8. Lebenswoche
U4
3.–4. Lebensmonat
2.–4,5 Lebensmonate
U5
6.–7. Lebensmonat
5.–8. Lebensmonat
U6
10.–12. Lebensmonat
9.–14. Lebensmonat
U7
21.–24. Lebensmonat
20.–27. Lebensmonat
U7a
34.–36. Lebensmonat
33.–38. Lebensmonat
U8
46.–48. Lebensmonat
43.–50. Lebensmonat
U9
60.–64. Lebensmonat
58.–66. Lebensmonat
Screeningkriterien nach Wilson und Jungner 1968, modifiziert von Dobrow et al. 2018
1.
Die Epidemiologie der Erkrankung soll bekannt und die Erkrankung ein bedeutsames Gesundheitsproblem sein (z. B. hohe oder ansteigende Inzidenz oder Prävalenz, bedeutsame Morbidität oder Mortalität).
 
2.
Der natürliche Verlauf der Erkrankung soll bekannt und die Erkrankung gut definiert sein; es soll eine identifizierbare präsymptomatische Phase geben.
 
3.
Die Zielpopulation soll klar definiert (z. B. durch einen Altersbereich), identifizierbar und erreichbar sein.
 
4.
Die Güte des Tests soll für das Screeningziel angemessen sein, mit allen testspezifischen Schlüsselkomponenten, wie Genauigkeit (Sensitivität, Spezifität und positiver prädiktiver Wert), Zuverlässigkeit und Wiederholbarkeit. Der Test soll für die Zielpopulation akzeptabel und sicher, kostengünstig und effizient anwendbar sein.
 
5.
Die Testergebnisse sollen eindeutig interpretierbar sein und bestimmen (mit bekannter Verteilung der Testwerte und gut definierten und konsentierten Grenzwerten), welchen Screeningteilnehmern Konfirmationsdiagnostik oder andere Maßnahmen angeboten werden sollen und welchen nicht.
 
6.
Es soll einen konsentierten Handlungsablauf für Teilnehmer mit positivem Testergebnis geben, der Konfirmationsdiagnostik, Behandlung oder Intervention und Weiterversorgung einschließt. Die Versorgung soll den natürlichen Verlauf der Erkrankung verändern, für Betroffene verfügbar, erreichbar und annehmbar sein, und die Prognose verbessern (z. B. verbesserte Teilhabe oder Lebensqualität, verminderte Mortalität). Die Belastung für alle Testteilnehmer soll verstanden und akzeptierbar und die Auswirkungen falsch-positiver und falsch-negativer Testergebnisse minimal sein.
 
7.
Es soll eine angemessene Infrastruktur (z. B. finanzielle und personelle Ressourcen, Informationswege, Testeinrichtungen, Ausstattung und Testtechnologie) oder einen klaren Plan zur Entwicklung einer angemessenen Infrastruktur geben, der für das Setting geeignet ist und zeitnahen Zugang zu allen Komponenten des Screenings erlaubt.
 
8.
Alle Komponenten des Screeningprogramms sollen koordiniert und, wo möglich, in das Gesundheitssystem integriert werden (einschließlich eines formellen Systems zur Information, Beratung, Weiterleitung und Management der Behandlung von Screeningteilnehmern), um die Kontinuität der Betreuung zu optimieren und dafür zu sorgen, dass kein Screeningteilnehmer aus der Betreuung fällt.
 
9.
Alle Komponenten des Screeningprogramms sollen klinisch, sozial und ethisch akzeptabel für Screeningteilnehmer, Professionelle im Gesundheitswesen und Gesellschaft sein, und es soll effektive Methoden geben, Screeningteilnehmer zu einer informierten Entscheidung zu führen, um ihre Autonomie zu fördern und ihre Rechte zu schützen.
 
10.
Der erwartete Nutzen (z. B. verbesserte Teilhabe oder Lebensqualität, verminderte Mortalität) und Schaden (z. B. Überdiagnose und Überbehandlung) für Screeningteilnehmer und Gesellschaft soll klar definiert und akzeptabel sein. Durch hochwertige wissenschaftliche Evidenz soll belegt sein (oder durch Begleitforschung gezeigt werden), dass der Nutzen den potenziellen Schaden überwiegt.
 
11.
Eine ökonomische Auswertung (z. B. Kosten-Effektivitäts-Analysen, Kosten-Nutzen-Analysen) des Screeningprogramms aus der Sicht des Gesundheitssystems oder der Gesellschaft soll erfolgen oder eindeutig geplant werden, um die vollen Kosten und Effekte der Implementierung, Durchführung und Aufrechterhaltung des Programms zu erfassen. Dabei sollen auch Folgekosten und mögliche Effekte durch Einsatz der Mittel für alternative Strategien (wie primäre Prävention, verbesserte Behandlung und andere medizinische Maßnahmen) berücksichtigt werden.
 
12.
Das Screeningprogramm soll klare Ziele haben, die ausdrücklich mit Planung, Monitoring, Evaluation und Berichterstattung verbunden sind, mit festgelegten Informationswegen und Finanzierung, um anhaltende Qualitätskontrollen und das Erreichen von Qualitätszielen zu sichern.
 
Komponenten eines Screeningprogramms schließen Rekrutierung, Testung, Informationszugang, Diagnose, Weiterleitung, Behandlung, Nachverfolgung, Patientenschulung und -unterstützung, Mitarbeitertraining, Programmmanagement und Evaluation ein.

Krankheitsfrüherkennung bei Kindern in Deutschland

Grundlagen

Im Jahr 1971 begründete der Gesetzgeber im § 26 des 5. Sozialgesetzbuches (SGB V) den Anspruch von Kindern bis zum 6. Lebensjahr auf „Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten, die ihre körperliche, geistige oder psychosoziale Entwicklung in nicht geringem Maße gefährden“. Der damalige Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (G-BA) hat diesen Anspruch in seinen sog. Kinder-Richtlinien geregelt und ein zunächst blaues, inzwischen gelbes Kinderuntersuchungsheft konzipiert, das von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) gedruckt und von den regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) an alle Geburtskliniken, Geburtshäuser, Hebammen, Hausärzte und Pädiater ausgegeben wird. Die Kinder-Richtlinien wurden vom G-BA im Verlauf modifiziert und neue Untersuchungen aufgenommen. Anfangs bestand das Programm aus 7 Untersuchungen (von der U1 direkt nach der Geburt bis zur U7 am Ende des 2. Lebensjahres). 1977 kam die U8 am Ende des 4. Lebensjahres dazu, 1989 wurde die U9 im 60.–64. Lebensmonat hinzugefügt, 1996 wurde die U3 in der 4.–5. Lebenswoche durch das Sonografie-Screening auf Hüftgelenksdysplasien ergänzt, und 2008 wurde die U7a am Ende des 3. Lebensjahres mit einem differenzierten Screening auf Sehstörungen eingeführt.
Ausgehend vom Guthrie-Test auf Phenylketonurie wurden in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts Labormethoden entwickelt, um aus Trockenblut auf Filterpapierkarten weitere angeborene Hormon- und Stoffwechselstörungen wie die konnatale Hypothyreose oder die Galaktosämie bereits bei Neugeborenen zu erkennen und eine frühzeitige Behandlung zu ermöglichen. Verbesserung der Labormethoden mit Hochdruck-Flüssigkeitschromatografie und Tandem-Massenspektrometrie erweiterten zunächst auf freiwilliger Basis das Screening um viele Zielkrankheiten. Im Jahr 2005 wurde ein Screening auf 2 endokrine und 12 metabolische Defekte unter der Bezeichnung Erweitertes Neugeborenenscreening (NGS) als GKV-Leistung in die damaligen Kinder-Richtlinien aufgenommen.
Am 1. Januar 2009 wurde das Neugeborenen-Hörscreening (NHS) in die Kinder-Richtlinien aufgenommen. Angeborene Hörstörungen, die unbehandelt die geistige und sprachliche Entwicklung gefährden, waren zuvor häufig erst im 2. Lebensjahr oder noch später erkannt worden.
G-BA-Richtlinien sind im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verbindlich. Außerhalb der GKV wirken sie als medizinischer Standard. Der Inhalt der Untersuchungen und damit der Standard für die Durchführung von Kinder-Früherkennungsuntersuchungen kann dem gelben Kinderuntersuchungsheft des G-BA entnommen werden. Dort finden sich auf der Titelseite auch Altersangaben, innerhalb derer die Vorsorgeuntersuchungen (Us) durchgeführt werden sollen. Darüber hinaus gibt der G-BA in der Kinder-Richtlinie Toleranzzeiten an, innerhalb derer die Us vorgezogen oder nachgeholt werden und gegenüber den Krankenkassen noch abgerechnet werden können (Tab. 1)

Überarbeitung und Neustrukturierung

In mehr als 10-jährigen Beratungen im G-BA wurde das gesamte Früherkennungsprogramm für Kinder formal und inhaltlich überarbeitet und neu strukturiert. Die Anamnese wurde erweitert, ein Entwicklungsscreening nach dem Grenzsteinprinzip wurde von U3–U9 eingeführt. Von U3–U6 kommt die Beobachtung der Eltern-Kind-Interaktion hinzu. Bei der körperlichen Untersuchung wurde mehr Wert auf die Erkennung von Misshandlungen gelegt. Das Sehscreening wurde von U2–U7 durch den Brückner-Test erweitert; der von der U7a bekannte differenzierte Sehtest muss nun auch bei U8 und U9 durchgeführt werden. Hörtest und Urinuntersuchung bei U9 entfallen. Bei U8 muss eine Tonaudiometrie durchgeführt werden. Als wesentlichste Neuerung muss zudem ab der U2 bei jeder U eine altersspezifische primärpräventive Beratung der Eltern erfolgen. Durch diese vorausschauende Beratung wurde der Schritt von der reinen Früherkennung zur „Vor-Sorge“ vollzogen.
Die neue Kinder-Richtlinie ist am 1. Januar 2017 allgemein in Kraft getreten. Zeitgleich wurde ein Neugeborenenscreening (NGS) auf Mukoviszidose (zystische Fibrose, CF) eingeführt (CF-NGS), im Mai 2017 zusätzlich ein Pulsoximetrie-Screening auf kritische angeborene Herzfehler.
Am Einband des gelben Kinderuntersuchungsheftes findet sich eine eingeklappte abtrennbare Karte, auf der die Durchführung der Us mit Datum und Praxisstempel dokumentiert wird. Auf dieser Karte wird auch die zu jeder U gehörende Impfberatung erwähnt. Die Karte soll den Eltern ermöglichen, die Durchführung der Us bei ihren Kindern nachzuweisen, ohne medizinische Daten preiszugeben.

Praxis der Kinderfrüherkennungsuntersuchungen

Neugeborenen-Erstuntersuchung U1

Die U1 muss unmittelbar nach der Geburt durchgeführt werden und wird daher meist durch die Hebamme oder die/den Geburtshelfer/in vorgenommen. Neben der Dokumentation wesentlicher Punkte aus der Familien- und Schwangerschaftsanamnese werden Geburtsdatum und Uhrzeit, Gestationsalter, Geschlecht (männlich, weiblich, unbestimmt), Geburtsmodus, Kindslage, Nabelarterien-pH, Basenüberschuss, gegebenenfalls Befunde einer pränatalen Diagnostik, Apgar-Wert nach 5 und 10 Minuten, Gewicht und Länge, Reifezeichen, Fehlbildungen, Geburtstraumata, Ikterus und Ödeme dokumentiert. Die Vitamin-K-Prophylaxe wird mit Dosierung angegeben, da sie bei Risikokindern weiterhin mit 1 mg intramuskulär erfolgt und dann weitere Gaben bei U2 und U3 entfallen können, bzw. um auf erhöhte Blutungsrisiken durch abweichende orale Dosierungsschemata aufmerksam zu machen.
Im gelben Kinderuntersuchungsheft folgt nach der U1 unter Spezielle Früherkennungsuntersuchungen jeweils eine Seite für die folgenden Screening-Maßnahmen, für deren Durchführung nach der Kinder-Richtlinie die Ärztin/der Arzt oder die Hebamme verantwortlich ist, die/der die Geburt geleitet hat.

Pulsoximetrie-Screening

Es gibt angeborene Herzfehler, die erst nach einigen unauffälligen postnatalen Tagen zur akuten Dekompensation führen. Typische Beispiele sind das hypoplastische Linksherzsyndrom oder die kritische Aortenstenose. Im Verlauf der Schwangerschaft werden ca. 60 % dieser Vitien sonografisch entdeckt, weitere 20 % fallen postnatal rechtzeitig vor einer Dekompensation auf. Weitere 16 % können durch ein Pulsoximetrie-Screening entdeckt werden. Dieses soll 24–48 Stunden, bei Frühentlassung aus der Geburtsklinik frühestens 4 Stunden postnatal durch einmalige Messung der Sauerstoffsättigung am Fuß durchgeführt werden. Bei Werten ab 96 % ist das Screening unauffällig, bei Werten unter 90 % ist es auffällig. Ist der Wert nicht messbar oder liegt zwischen 90 und 95 % wird die Messung nach 1 Stunde wiederholt. Liegt der Wert dann unter 96 % oder ist erneut nicht messbar, gilt das Screening als auffällig und es muss weiterführende kardiologische Diagnostik erfolgen.
Das Screening entfällt, wenn schon pränatal ein kritisches Vitium cordis diagnostiziert wurde, da dann die Echokardiografie und alle weiteren erforderlichen Maßnahmen baldmöglichst postnatal durchgeführt werden. Eine schriftliche Einwilligung der Eltern/Personensorgeberechtigten zum Screening ist nicht erforderlich, da es nicht mit einer „Körperverletzung“ (Blutentnahme) einhergeht. Jedoch können die Eltern das Screening ablehnen; dies sollte vorsorglich mit Unterschrift dokumentiert werden.
Ist das Screening nicht zeitgerecht erfolgt, soll es bei der U2 erneut angeboten und bis zum Ende des Untersuchungszeitraums der U2 nachgeholt werden (also bis zum 14. Lebenstag), auch wenn es kaum einen kritischen Herzfehler gibt, der so lange asymptomatisch bleibt.

Erweitertes Neugeborenenscreening (NGS)

Zurzeit wird auf 16 Zielkrankheiten untersucht. Die Aufnahme weiterer Zielkrankheiten, wie schwere kombinierte Immundefekte (SCID), die Sichelzellkrankheit (sickle cell disease, SCD) und die spinale Muskelatrophie (SMA), wird derzeit im G-BA beraten.
Zielkrankheiten des erweiterten Neugeborenenscreenings
Für das Screening sind eine Blutentnahme und die Einwilligung der Eltern nach Aufklärung durch eine Ärztin/einen Arzt erforderlich. Hat eine Hebamme die Geburt ohne Hinzuziehung eines Arztes geleitet, darf sie die Eltern zum Screening aufklären, muss aber einen Arzt benennen können, der für weitergehende Fragen der Eltern zur Verfügung steht.
Die Einwilligung muss nicht, sollte aber schriftlich erfolgen, um rechtssicher nachweisbar zu sein. Noch wichtiger ist dies bei einer eventuellen Ablehnung des Screenings – diese sollte möglichst sogar mit Unterschrift beider Eltern dokumentiert werden, da das Unterlassen dieses Screenings mit erheblichen Risiken für ein von einer Zielkrankheit betroffenes Neugeborenes verbunden ist.
Die Blutentnahme soll 36–72 Stunden postnatal erfolgen. Wird das Kind bereits vor Vollendung der 36. Lebensstunde aus der Betreuung entlassen (ambulante Geburt, Frühentlassung, Hausgeburt), soll das Blut vor Entlassung abgenommen werden und im Alter von 36–72 Stunden eine 2. Untersuchung erfolgen. Ein 2. Stoffwechselscreening ist außerdem erforderlich bei Frühgeborenen, die vor Vollendung der 32. SSW entbunden wurden. Dies erfolgt am errechneten Geburtstermin.
Es kann kapilläres oder venöses Blut verwendet werden. Bei der Entnahme von Kapillarblut aus der Ferse muss darauf geachtet werden, dass der Einstich mit der Lanzette nicht zentral, sondern am medialen oder lateralen Fersenrand mit Stichrichtung in der Längsachse des Unterschenkels erfolgt, um Verletzungen des Os calcaneum zu vermeiden. 5 Blutstropfen werden frei auf eine Filterpapierkarte getropft, die vor dem Versand vollständig getrocknet sein muss. Alle Screening-Labore garantieren, dass die Untersuchung an Werktagen innerhalb von 24 Stunden durchgeführt und der Einsender bei auffälligen Befunden sofort informiert wird. Der Einsender muss eine Liste der Einsendungen führen und den Eingang der Befunde kontrollieren, da nur so auffallen kann, wenn eine Probe auf dem Weg ins Screening-Labor in der Post verloren geht.
Auffällige Befunde erfordern je nach vermuteter Diagnose ein abgestuftes Vorgehen: So ist bei Verdacht auf Galaktosämie, Ahornsirupkrankheit oder adrenogenitales Syndrom eine Notfallsituation gegeben. Das möglicherweise betroffene Kind muss sofort in einem pädiatrischen Zentrum stationär untersucht und gegebenenfalls behandelt werden, während bei Verdacht auf PKU oder konnatale Hypothyreose die weitere Diagnostik und Therapieeinleitung am nächsten Werktag ausreicht. Auch hierüber informieren die Screening-Labore bei der Befundmitteilung. Ist das Screening nicht erfolgt oder ist unbekannt, ob es erfolgt ist, kann es jederzeit nachgeholt werden.

Neugeborenenscreening auf Mukoviszidose (zystische Fibrose, CF-NGS)

Das Screening kann aus derselben Blutprobe erfolgen wie das erweiterte NGS. Das CF-NGS (Abb. 1) ist das 1. Screening, das nach Inkrafttreten des Gendiagnostikgesetzes (GenDG) eingeführt wurde. Daher ist für das CF-NGS die mündliche Aufklärung durch eine Ärztin/einen Arzt zwingend erforderlich. Der Arztvorbehalt für die Aufklärung nach dem GenDG darf jedoch nicht dazu führen, dass das erweiterte NGS verzögert wird. Gegebenenfalls muss die Einwilligung der Eltern für das CF-NGS an das Labor nachgereicht werden.
Aus der Trockenblutprobe wird das immun-reaktive Trypsinogen (IRT) bestimmt. Liegt das IRT unter der 99. Perzentile, ist das Screening negativ, es sind keine weiteren Laboruntersuchungen erforderlich. Liegt das IRT über der 99., aber unter der 99,9. Perzentile, folgt die Bestimmung des Pankreatitis-assoziierten Proteins (PAP). Unterschreitet dieses einen festgelegten (methodenabhängigen) Grenzwert, ist das Screening negativ. Wird der Grenzwert überschritten, werden die in Deutschland häufigsten 31 Mutationen des Cystic-fibrosis-transmembrane-regulator(CFTR)-Gens geprüft. Wird keine Mutation gefunden, ist das Screening negativ. Werden 1 oder 2 Mutationen gefunden, ist es positiv. Ebenso ist das Screening positiv, wenn der IRT-Wert über der 99,9. Perzentile liegt (Safety-Net- oder Fail-Safe-Strategie).
Bei positivem Screening muss zur Konfirmationsdiagnostik eine Messung des Chloridgehalts im Schweiß (Schweißtest) erfolgen. Dies ist bei Reifgeborenen ab einem Alter von 2 Wochen, bei Früh-/Mangelgeborenen ab einem Gewicht von 3 kg möglich. Der Schweißtest sollte in einem zertifizierten CF-Zentrum erfolgen. Nach positiver Konfirmationsdiagnostik werden die Eltern beraten und prophylaktische Maßnahmen für Lungen- und Verdauungsfunktion initiiert.
Wurde das Screening nicht zusammen mit dem Hormon- und Stoffwechselscreening durchgeführt, kann es auf Wunsch der Eltern bis zum 28. Lebenstag nachgeholt werden. Für ältere Kinder gibt es zu IRT und PAP keine altersspezifischen Perzentilen und Grenzwerte, sodass die beschriebene Labordiagnostik nicht mehr aussagefähig ist.

Neugeborenen-Hörscreening (NHS)

Ziel des Screenings ist die Erkennung von beidseitigen Hörstörungen ab einem Hörverlust von 35 dB, die bis zum Ende des 3. Lebensmonats diagnostiziert und bis zum Ende des 6. Lebensmonats einer entsprechenden Therapie zugeführt werden sollen. Für die Aufklärung der Eltern stellt der G-BA ein Merkblatt zur Verfügung; bei Ablehnung des Screenings ist die Unterschrift mindestens eines Elternteils (Personensorgeberechtigten) erforderlich.
Die Untersuchung erfolgt immer an beiden Ohren, in der Regel bis zum 3. Lebenstag, bei Frühgeborenen spätestens am errechneten Geburtstermin, bei schwer kranken Neugeborenen nach Stabilisierung, aber spätestens am Ende des 3. Lebensmonats. Sie kann entweder mittels transitorisch evozierten oto-akustischen Emissionen (TEOAE) oder mit automated auditory brainstem response (AABR) erfolgen. Die TEOAE erfassen dabei nur die Innenohrfunktion, die AABR auch zentrale Hörstörungen auf dem Weg vom Innenohr zum Hörzentrum in der Hirnrinde. Bei Risikokindern für Hörstörungen ist die AABR obligat. Eine Reaktionsschwelle von mehr als 35 dB gilt als auffällig und soll möglichst am selben Tag mit AABR kontrolliert werden. Bis zur U5 muss die Durchführung des NHS kontrolliert und gegebenenfalls nachgeholt werden. Reine Hochton- oder Tieftonschwerhörigkeiten oder geringe Schallempfindungsstörungen von weniger als 35 dB werden mit beiden Methoden nicht erfasst.

U2 bis U9

Jede Früherkennungsuntersuchung (U) beginnt mit einer etwa einseitigen Elterninformation. Ab U3 folgt ein Feld für Notizen der Eltern, in dem sie sich Auffälligkeiten, Beobachtungen und Fragen an die Ärztin oder den Arzt notieren können. Es folgt die Anamnese, die orientierende Beurteilung der Entwicklung anhand der altersspezifischen Grenzsteine, von U3–U6 ergänzt durch die Beobachtung der Eltern-Kind-Interaktion anhand gegenwärtig leider wenig altersdifferenzierter Vorgaben, die körperliche Untersuchung mit sehr zahlreichen Unterpunkten, eine Beratung mit Vorgabe altersspezifischer primärpräventiver Themen sowie einer Seite zur Ergebnisdokumentation.

Screening auf Gallenwegsatresie

Die konnatale Gallenwegsatresie ist eine seltene Erkrankung, die unbehandelt zu Leberzirrhose und Tod führt. Die Prognose wird bei früher Diagnose und Therapieeinleitung günstiger. Die Fehlbildung führt zur Cholestase, die sich mit einem prolongierten Verdin-Ikterus (>14 Lebenstage, mit graugrüner Hautfärbung), dunklem Urin und entfärbten Stühlen manifestiert.
Aufgrund der neuen Kinder-Richtlinie muss bei U2, U3 und U4 im Rahmen der Anamnese die Stuhlfarbe des Kindes von den Eltern erfragt werden. Da die U2 bei den meisten Kindern bereits am 3. oder 4. Lebenstag durchgeführt wird, ist die Stuhlfarbe in der Regel noch unauffällig. Daher sollte eine Stuhlfarbkarte mitgegeben und die Eltern aufgefordert werden, sich bei entfärbten Stühlen unverzüglich beim Arzt zu melden. Die Stuhlfarbkarte wird nicht von den KVen zur Verfügung gestellt, sondern muss anderweitig bestellt werden (z. B. unter www.bvkj-shop.de oder www.basca.ch (Abb. 2).

Screening auf konnatale Hüftdysplasie

Hüftdysplasien können unbehandelt zu mangelnder Ausbildung der knöchernen Hüftpfanne und konsekutiv zur Früharthrose führen. Das Screening wird heute sonografisch nach Graf durchgeführt. Dieses muss bei der U3 allen Eltern für ihre Kinder angeboten werden und erfordert eine Qualifikation, die von Pädiatern und Orthopäden erworben werden kann. Für den Einsatz im GKV-System sind neben dieser Qualifikation eine Genehmigung und ein zertifiziertes Sonografie-Gerät erforderlich.
Das universelle Screening besteht in einer klinischen Untersuchung der Hüftgelenke auf Beweglichkeit (insbesondere Abduktionshemmung) ohne Subluxationsversuch nach Barlow und auf Beinlängendifferenz bei U2 und U3 sowie der Hüftsonografie in der 4.–5. Lebenswoche (Toleranzzeit bis zur 8. Lebenswoche entsprechend U3).

Screening auf Augenfehlbildungen, Augenmotilitätsstörungen und Refraktionsfehler

Für die Reifung eines normalen Sehvermögens sind neuronale Entwicklungsprozesse notwendig, die nur stattfinden, wenn in der Sehrinde regelmäßig adäquate Reize ankommen. Störungen, die dies verhindern, führen zur Amblyopie, deren Leitsymptom die verminderte Sehschärfe ist. Eine Visus-Bestimmung ist meist gegen Ende des 3. Lebensjahres, manchmal erst später möglich. Eine Amblyopie ist durch Entfernung des Sehhindernisses und Training des Auges behandelbar. Je später die Behandlung beginnt, umso geringer die Reversibilität und größer der erforderliche Therapieaufwand. Schwere Störungen der Netzhautabbildung müssen schon in den ersten Lebenswochen behandelt werden, um eine irreversible Amblyopie zu vermeiden.
Zur frühen Detektion amblyogener Störungen wird bei U2 und U3 ein Durchleuchtungstest (Transilluminationstest) mit einem Ophthalmoskop an jedem Auge einzeln aus 10–30 cm Entfernung durchgeführt (sog. Prüfung im durchfallenden Licht), um Trübungen der brechenden Medien zu erkennen, die im Auflicht einer Visitenlampe nicht sichtbar sind (Abb. 3). Ziel ist die Diagnose der konnatalen Katarakt, die ohne frühzeitige Operation. Um dies zu verhindern, muss die Operation einer konnatalen Katarakt sehr früh erfolgen. Der Verdacht auf eine Katarakt beim Neugeborenen ist ein ophthalmologischer Notfall und erfordert die sofortige Vorstellung beim Augenarzt.
Ab U4 wird der Durchleuchtungstest nach Brückner bei jeder U bis zur U7 mit einem Ophthalmoskop aus der Ferne (3–4 m Abstand) und aus der Nähe (20–50 cm Abstand) durchgeführt und der Fundus-Reflex beider Augen im simultanen Seitenvergleich beurteilt. Ein verminderter Reflex kann eine Trübung der brechenden Medien, eine Pigmentstörung der Retina, eine intraokuläre Raumforderung oder eine Netzhautablösung als Ursache haben. Eine Seitendifferenz des Reflexes wird aber auch durch Anisometropie oder Strabismus verursacht (Abb. 4). Anisometropie ist schon bei einem Seitenunterschied des Brechkraftfehlers von 2 dpt erkennbar. Dazu dient die Prüfung aus 3–4 m Entfernung. Die Pupille des stärker fehlsichtigen Auges leuchtet dann weniger hell. Bei dunkelhäutigen Kindern ist der Reflex infolge der stärkeren Pigmentierung des Augenhintergrundes abgeschwächt, sodass die Beurteilung schwieriger sein kann.
Ein Schielwinkel unter 6° (Mikrostrabismus) allein, ohne Anisometropie, ist mit dem Brückner-Test meist nicht feststellbar, ebenso wenig mit einem elektronischen Screening-Autorefraktometer. Ein Mikrostrabismus stört die binokulare Kooperation und ist daher mit einem Stereotest erkennbar.
Der Einsatz eines elektronischen Screening-Autorefraktometer kann dennoch sinnvoll sein. Dieses misst im Prinzip das gleiche wie der Brückner-Test, kann aber eventuelle Schielwinkel, Ametropien und Astigmatismus quantifizieren und ist weniger von der Erfahrung des Untersuchers abhängig. Der Test kann bei Kindern ohne familien- und eigenanamnestischen Risiko für eine Sehstörung um den 2. Geburtstag angeboten werden, ansonsten auch früher.
Risikofaktoren für eine Sehstörung sind Refraktionsfehler, Strabismus und potenziell erbliche Augenerkrankungen in der Herkunftsfamilie sowie beim Kind Frühgeburt, neurologische oder metabolische Erkrankungen, Entwicklungsstörungen, Auffälligkeiten der Augen auf Fotos (insbesondere fehlender oder seitendifferenter Rotreflex in frontalen Blitzlichtaufnahmen!) und von den Eltern vermutete Sehstörungen.
Natürlich muss bei jeder U ab U2 das Auge zusätzlich auf morphologische Auffälligkeiten, wie Ptosis, Kolobome und Bulbusgröße bzw. Hornhautdurchmesser sowie auf Nystagmus inspiziert werden. Laut Kinder-Richtlinie kommt von U4–U6 die Untersuchung der Blickfolge zur Detektion einer Fixationsschwäche hinzu, ab U6 Größe, Form und Lichtreaktion der Pupillen, ab U7a die Symmetrie der Lichtreflexe auf der Hornhaut (Hirschberg-Test, Abb. 5) sowie ab U6 die Beachtung einer Kopffehlhaltung im Sinne eines Torticollis ocularis als mögliches Zeichen z. B. angeborener Fehlinnervationssyndrome.
Bei U7a, U8 und U9 sind zusätzlich ein Stereotest und eine Visus-Bestimmung vorgesehen. Der Stereotest dient – wie bereits erwähnt – zur indirekten Aufdeckung manifesten Schielens. Zwar sind laut Kinder-Richtlinie Lang-Test 1 und 2, Titmus-Test (mit Polarisationsbrille und Fliege) und TNO-Test (mit Rot-Grün-Brille) erlaubt, aber der Lang-Test 1 sollte bevorzugt werden, da dessen Sensitivität höher ist als die der anderen Tests. Wenn die Stereogramme (Katze, Auto, Stern) erkannt werden, ist manifestes Schielen sehr unwahrscheinlich. Werden sie nicht benannt oder gezeigt, kann eine Störung des Binokularsehens bestehen oder die Mitarbeit ist noch nicht ausreichend.
Der Visus wird für beide Augen monokular idealerweise mit Lea-Symbolen (Abb. 6) in 3 m oder dem C-Test nach Haase in 5 m Entfernung geprüft, am einfachsten, indem das Kind die Symbole benennt bzw. die Öffnung der Cs mit der Hand anzeigt (nonverbale Strategie, auch als Formenwiedererkennungstest mit Lea-Symbolen, Sheridan-Gardiner- oder Hohmann/Haase-Test möglich). Die Abdeckung des anderen Auges soll nicht durch die Hand der Mutter oder gar des Kindes erfolgen, sondern durch ein Okklusionspflaster (für Untersuchungen weniger stark klebend verfügbar als für die Therapie) oder durch eine kindgerechte einseitig okkludierende Brille.
Um die U9, spätestens mit 6 Jahren, sollte ein Visus von 1,0 erreicht sein. Bedeutsamer als der Absolutwert ist die Visus-Differenz zwischen beiden Augen. Bei einem Seitenunterschied von 2 Zeilen und mehr auf der Sehtafel soll auf jeden Fall eine augenärztliche Abklärung erfolgen.
Wird das Sehscreening auf die beschriebene Art und Weise durchgeführt, kann eine beidseitige Hyperopie übersehen werden, die das Kind akkommodativ kompensiert, die aber dennoch zur Amblyopie führen und auch ein Innenschielen auslösen kann. Auch ein Astigmatismus wird nicht sicher auffallen. Um diese diagnostische Lücke zu schließen, ist eine Refraktometrie bzw. Skiaskopie in Zykloplegie als universelles Screening erforderlich, z. B. im Alter von 3–7 Jahren, bei Vorliegen von Risikofaktoren, v. a. Schielen oder Fehlsichtigkeit in der direkten Verwandtschaft, mit 1 Jahr. Die Untersuchung ist für einen Augenarzt relativ problemlos durchführbar.

Erneutes Hörscreening nach universellem Neugeborenen-Hörscreening

Hörtests im Vorschulalter erfassen zahlreiche Kinder mit Schallleitungsschwerhörigkeiten (meist aufgrund von Paukenergüssen nach Otitiden oder bei Adenoid-/Tonsillarhyperplasie etc.). Es konnte gezeigt werden, dass diese bei normaler Sprachentwicklung und allgemeiner Entwicklung nicht therapiebedürftig und daher nicht Ziel eines Screenings sind.
Jedoch gibt es Innenohrschwerhörigkeiten und zentrale Hörstörungen, die sich erst nach dem NHS manifestieren oder erworben werden. Daher stellt sich die Frage, ob und in welchem Alter ein erneutes Hörscreening sinnvoll ist.
Zu dieser Frage gibt es bisher nur eine aussagekräftige Untersuchung. Sie stammt aus Großbritannien und zeigt, dass man mit einer Audiometrie im Alter von 5–6 Jahren unter 100.000 Kindern zusätzlich 34 Fälle von ein- oder beidseitigen persistierenden Hörverlusten von mehr als 20 dB im Jahr finden kann. Das entspricht bei der heutigen Geburtenrate in Deutschland etwa 250 Kinder pro Jahr. Allerdings findet in diesem Altersfenster in Deutschland eine Schuleingangsuntersuchung mit einem Hörtest statt.
Dennoch verlangt die Kinder-Richtlinie nun eine Tonaudiometrie bei Kindern im Alter von 3,5 bis 4 Jahren 2 Monaten (Toleranzgrenzen der U8). Die Hörschwelle muss mit mindestens 5 Frequenzen und 4 Lautstärken geprüft werden (empfohlen werden 500, 1000, 2000, 4000, 6000 Hz, jeweils bei 20, 30, 40 und 50 dB). Das Screening gilt als auffällig, wenn auf mindestens einem Ohr bei 30 dB 2 oder mehr Frequenzen nicht gehört werden. Schon während der ersten Monate hat sich in den Praxen gezeigt, dass ca. 50 % der Kinder bei U8 mit der Tonaudiometrie überfordert sind.

Screening auf chronische Nierenerkrankungen

Eine Urinuntersuchung mit Mehrfachteststreifen diente schon bisher bei U8 und U9 der Detektion einer Mikrohämaturie oder Proteinurie als Frühzeichen chronischer Nierenerkrankungen. Mit der neuen Kinder-Richtlinie ist die Untersuchung bei U9 entfallen und jetzt nur noch Bestandteil der U8. Ein Screening auf arterielle Hypertension wurde leider nicht eingeführt.

Screening auf Wachstumsstörungen und Störungen der Gewichtsentwicklung

Zur Verlaufsdokumentation der somatischen Daten einschließlich des BMI dienen geschlechtsspezifische Perzentilkurven am Ende des Heftes (für Länge und Gewicht je einmal von 0–24 Monaten und je einmal von 0–7 Jahren sowie für den BMI von 0–7 Jahren nach Kromeyer-Hauschild; für den Kopfumfang von 0–48 Monaten nach Prader). Das Über- oder Unterschreiten der Normgrenzen, aber auch ein Kreuzen der Perzentilen veranlasst zur Abklärung und gegebenenfalls Intervention.

Vorausschauende Beratung – primäre Prävention

Ab der U2 enthält jede U mehrere Themen, zu denen die Eltern beraten werden. Erweiterter Beratungsbedarf wird zusätzlich dokumentiert.
Bei jeder U ist eine Ernährungsberatung vorgesehen. Von U2–U5 wird zu den bekannten Risikofaktoren für einen plötzlichen Kindstod beraten. Dies muss mit der nötigen Sensibilität erfolgen, damit Eltern nicht verängstigt werden. Informationen zur Karies-Rachitis-Prophylaxe werden von U2–U6 gegeben, ergänzt durch Empfehlungen zur Mundhygiene und Mundgesundheit, zur zahnschonenden Ernährung und zur Zahnpflege (Kap. „Rachitisprophylaxe“ und Kap. „Zahnärztliche Untersuchung und Prophylaxe bei Kindern und Jugendlichen“). Die Zahnreinigung erfolgt bis zum 2. Geburtstag 1-mal täglich, danach 2-mal täglich durch die Eltern. Im 5. Lebensjahr entwickeln die meisten Kinder ausreichende motorische Fähigkeiten, um selber Zähne zu putzen und den größten Teil der Zahnpasta auszuspucken. Ein Nachputzen durch die Eltern ist aber meist noch bis zum 8. Geburtstag erforderlich. Von U5–U9 sollen die Eltern auf die zahnärztlichen Früherkennungsuntersuchungen hingewiesen werden, die vom Durchbruch des 1. Zahns bis zum 6. Geburtstag 1-mal jährlich angeboten werden.
Von U2–U7 soll auf regionale Unterstützungsangebote (wie die Frühen Hilfen) hingewiesen werden. Die Beratung zu vermehrtem Schreien, Schlaf- und Essstörungen wird sich auf betroffene Familien konzentrieren oder solche Eltern, bei denen man ein Risiko dafür wahrnimmt (hier kommt es besonders auf die Vermeidung eines Schütteltraumas oder anderer Misshandlungen an). Eine Beratung zu alterstypischen Unfallrisiken (Sturz vom Wickeltisch, Treppensturz, Verbrühung/Verbrennung, Ertrinken, Stromunfälle, später Verkehrsunfälle) wird bei den meisten Eltern sinnvoll sein.
Zur Förderung der Sprachentwicklung sollen Eltern mit ihren Kindern in ihrer Muttersprache sprechen. Mit der vom G-BA zusätzlich erwähnten Beratung zur Gebärdensprache ist der Pädiater überfordert. Falls sie bei hörbehinderten Kindern erforderlich ist, müssen das Spezialisten übernehmen (Pädaudiologen, Hörbehinderten-Frühförderung etc.).
Hinzu kommt die Beratung zum UV-Schutz. Kinder unter 1. Jahr sollen nicht der direkten Sonne ausgesetzt werden und brauchen daher nur in Ausnahmefällen Sonnenschutzmittel, dann aber mit Lichtschutzfaktor 50. Im gesamten Kindesalter sollen starke UV-Einstrahlung und Sonnenbrände vermieden werden.
Schließlich soll zur Suchtgefahr beraten werden. Dabei geht es im 1. Lebensjahr noch um die Süchte der Eltern, z. B. stellt die Alkoholsucht des Vaters ein Risiko für häusliche Gewalt dar. Später kommt die Beratung der Eltern zum kindlichen Gebrauch von Bildschirmmedien hinzu, da diese bereits im Kindesalter ein hohes Suchtpotenzial haben. Das analoge Lernen ist die Voraussetzung für digitales Lernen, nicht umgekehrt. Aber auch eine Dauerbeschallung mit Hörspielen oder Radio soll vermieden werden, da diese Aufmerksamkeitsdefizite und Hörschäden hervorrufen kann.
Bei U3 findet die 1. Impfberatung mit Angebot eines Impftermins statt. Die Überprüfung des Impfstatus nach der Schutzimpfungs-Richtlinie des G-BA mit entsprechender Beratung der Eltern ist Inhalt jeder weiteren U. Diese kann aber nicht die Impfberatung der Eltern vor Aufnahme ihres Kindes in eine Kindertageseinrichtung (Kita) nach dem Präventionsgesetz ersetzen, denn hier geht es um den Schutz jüngerer oder kranker Kinder in der gleichen Kita, während die Impfberatung bei den Us sich wohl meist auf den Individualschutz des Kindes beziehen wird.

Inanspruchnahme von U2 bis U9

In Deutschland gibt es keine Pflicht zur Wahrnehmung von Krankheitsfrüherkennungsuntersuchungen. Die Teilnahmeraten für die einzelnen Us lagen Anfang des Jahrtausends für die U3 etwas über 95 %, fiel aber bis zur U9 auf ca. 86 % ab. Dann wurden in zahlreichen Bundesländern Wege beschritten, die Inanspruchnahme zu erhöhen, meist mit unterschiedlich aufgebauten Melde- und Erinnerungssystemen, die letztlich darauf hinauslaufen, dass Familien, deren Kinder nicht zur U gebracht werden, vom öffentlichen Gesundheitsdienst oder der Jugendhilfe kontaktiert werden. Dies hat zu einem deutlichen Anstieg der Inanspruchnahme geführt: Sie liegt jetzt für die U3 bei 98–99 % und für die U9 immerhin noch um 95 %.

Paed.Check® U10 und Paed.Check® U11

Um die große Lücke zwischen U9 mit 5 Jahren und J1 mit 13 Jahren zu schließen, hat der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e. V. (BVKJ) Anfang dieses Jahrtausends 2 zusätzliche Us konzipiert. Sie wurden als Grundschul-Check U10 für die Zeit zwischen 7. und 9. Geburtstag sowie als Schüler-Check U11 zwischen 9. und 11. Geburtstag eingeführt und inzwischen unter dem geschützten Markennamen Paed.Check® geführt.
Mit der U10 und der U11 soll ein Screening auf somatische Krankheiten und Entwicklungsstörungen, psychosomatische Erkrankungen und psychosoziale Störungen, verhaltensbezogene Gesundheitsrisiken erfolgen. Dazu dient die Anamnese mit Fragen zur körperlichen Gesundheit (Erkrankungen, Operationen, Allergien, Schmerzen, Medikamente), zur schulischen und sozialen Situation, zum Bewegungsverhalten und zur Mediennutzung. Mit dem Mannheimer Elternfragebogen (MEF) wird auf zahlreiche psychosomatische Beschwerden, Störungen und Krankheiten gescreent, wie hypochondrisches Verhalten, Ess-, Schlaf- und Sprachstörungen, Tics, emotionale Störungen, Ängste und Phobien, ADHS, Verhaltensstörungen, Zwangsstörungen, Depressivität, Suizidalität sowie Nikotin- und Alkohol-Missbrauch.
Es folgt eine orientierende Untersuchung des ganzen Körpers mit Messung von Körperhöhe und Gewicht, Berechnung des BMI und Blutdruckmessung mit Einordnung in die altersentsprechenden Perzentilen. Dabei werden Verhalten und Interaktion mit den Eltern beobachtet und beurteilt.
Da sich im Wachstum häufig die Refraktion ändert und das subjektiv kaum bemerkt wird, erfolgt ein Sehtest (es sei denn, das Kind befindet sich bereits in augenärztlicher Überwachung oder Therapie). Eine Tonaudiometrie kann z. B. eine beginnende Hochtonschwerhörigkeit durch Schallexposition aufdecken (zunehmende Häufigkeit besonders beim Hören mit In-ear-Kopfhörern, da hier die Umgebungsgeräusche kaum abgeschirmt werden und das Kind daher verleitet wird, die Musik lauter aufzudrehen).
Zum Screening auf Nierenerkrankungen erfolgt eine Urinuntersuchung auf Glukosurie, Proteinurie und Mikrohämaturie.
Zum Abschluss werden Eltern und Kind problemorientiert und vorausschauend zu gegebenenfalls aufgedeckten Problemen sowie altersbezogenen Gesundheitsrisiken (gesunde Ernährung, ausreichendes Trinken, Kariesprophylaxe, viel Bewegung, wenig Mediennutzung, Unfallverhütung, Sonnenschutz, rauchfreie Umgebung) beraten. Der Impfschutz wird geprüft, gegebenenfalls werden Impflücken geschlossen und auf nachfolgende Impfungen hingewiesen.

Jugendgesundheitsuntersuchung (J1)

Die J1 ist in einer eigenen Richtlinie des G-BA geregelt (Jugendgesundheitsuntersuchungs-Richtlinie), die sich auf Absatz 2 des damaligen § 26 SGB V begründet. Sie trat am 28. August 1998 in Kraft und wurde zuletzt im Jahr 2016 aufgrund des Präventionsgesetzes geändert und um eine „Präventionsempfehlung“ erweitert. Die J1 soll im 14. Lebensjahr durchgeführt werden; die vorgegebene Toleranzzeit erstreckt sich vom 12. bis zum 15. Geburtstag.
Ziel der J1 ist „… die Früherkennung von Erkrankungen, die die körperliche, geistige und soziale Entwicklung in nicht geringfügigem Maße gefährden.“ „… Anamnese und körperliche Untersuchung beschränken sich dabei auf diejenigen Störungen und Verhaltensauffälligkeiten, die schon in einem frühen Stadium einer Behandlung und Beratung zugeführt werden können bzw. von Bedeutung sind für die soziale Integration des Jugendlichen.“
Gleichzeitig soll durch Früherkennung psychischer und psychosozialer Risikofaktoren einer Fehlentwicklung in der Pubertät vorgebeugt und auf individuell auftretende gesundheitsgefährdende Verhaltensweisen gescreent werden, um die Jugendlichen über die hierdurch vermittelte gesundheitliche Gefährdung frühzeitig aufzuklären.
Die Anamnese beinhaltet Fragen nach bekannten Gesundheitsstörungen, Anzahl der Arztbesuche in den vorangegangenen 12 Monaten, nach vollständigem Impfschutz und Jodprophylaxe (mit Jodsalz), nach der familiären Situation, der schulischen Entwicklung und dem Gesundheitsverhalten (Medikamente, Drogen). Motorische und visuomotorische Leistung kann man z. B. mit der Frage nach Sport- und Kunst-Noten screenen, die seelische Entwicklung durch Fragen nach schulischer und sozialer Integration, Essverhalten und Stimmung. Pubertätsprobleme und Sexualkontakte werden ebenfalls abgefragt.
Bei der körperlichen Untersuchung werden Körperhöhe, Gewicht und Blutdruck gemessen, die Tanner-Stadien der Pubertät erfasst, Hals-, Thorax- und Bauchorgane untersucht, dabei besonders auf eine Struma geachtet, und das Skelettsystem mit dem Haltungstest nach Matthiaß und dem Vorbeugetest auf Skoliose untersucht. Die Beweglichkeit der Hüfte wird geprüft, um Zeichen einer Epiphysiolysis capitis femoris zu erkennen.
Eine Blutentnahme mit Cholesterin-Bestimmung erfolgt nur bei Hinweisen auf familiäre Hypercholesterinämie (bekannte Einnahme von Lipidsenkern oder koronare Herzkrankheit vor dem 40. oder Herzinfarkt vor dem 50. Geburtstag in der Herkunftsfamilie).
Schließlich informiert der Arzt den Jugendlichen und seine Eltern über das Ergebnis der Untersuchungen, um mögliche Auswirkungen im Hinblick auf die weitere Lebensgestaltung zu erörtern. Dabei soll der Arzt insbesondere das individuelle Risikoprofil des Jugendlichen ansprechen und diesen auf Möglichkeiten und Hilfen zur Vermeidung und zum Abbau gesundheitsschädigender Verhaltensweisen hinweisen. Bei Bedarf kann dazu eine Präventionsempfehlung für Leistungen zur verhaltensbezogenen Prävention nach § 20 Absatz 5 SGB V ausgestellt werden. Eine schriftliche Befundmitteilung an die Jugendlichen oder ihre Eltern ist nicht vorgesehen.
Die Inanspruchnahme der J1 liegt nur bei 40–50 %. Die Untersuchung wird etwa zur Hälfte von Pädiatern und von Allgemeinmedizinern/hausärztlich tätigen Internisten erbracht.

Jugendabschlussuntersuchung J2

Diese Untersuchung dient als Abschlussuntersuchung vor dem Übergang zur Erwachsenenmedizin. Da junge Erwachsene häufig gesund sind, daher nur selten zum Arzt gehen, und es zumindest für junge Männer lange Jahre keine Krankheitsfrüherkennungsuntersuchungen mehr gibt, ist dies oft die letzte Gelegenheit für eine Überprüfung von Gesundheit und Impfschutz mit Beratung zu einem gesunden Leben und Hinweise auf notwendige Auffrischimpfungen.
Mit der J2 soll wie bei U10 und U11 ein Screening auf somatische Krankheiten und Entwicklungsstörungen, psychosomatische Erkrankungen und psychosoziale Störungen sowie verhaltensbezogene Gesundheitsrisiken erfolgen. Dazu dient die Anamnese mit Fragen zur körperlichen Gesundheit (Erkrankungen, Operationen, Allergien, Schmerzen, Medikamente), zur schulischen/beruflichen und sozialen Situation, zum Bewegungsverhalten, zur Mediennutzung und zur Lebenszufriedenheit. Mit dem Mannheimer Jugendlichenfragebogen (MJF) wird (analog zum Mannheimer Elternfragebogen bei U10 und U11) auf zahlreiche psychosomatische Beschwerden, Störungen und Krankheiten gescreent, wie hypochondrisches Verhalten, Ess-, Schlaf- und Sprachstörungen, Tics, emotionale Störungen, Ängste und Phobien, ADHS, Verhaltensstörungen, Zwangsstörungen, Depressivität, Suizidalität sowie Nikotin- und Alkohol-Missbrauch.
Es folgt eine orientierende Untersuchung des ganzen Körpers mit Messung von Körperhöhe und Gewicht, Berechnung des BMI und Blutdruckmessung mit Einordnung in die altersentsprechenden Perzentilen. Dabei werden das Verhalten und die Interaktion mit Ärztin/Arzt und Praxispersonal beobachtet und beurteilt.
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