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Pädiatrie
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Publiziert am: 06.02.2019

Kuhmilchallergie bei Kindern und Jugendlichen

Verfasst von: Klaus-Michael Keller
Für die Definition einer Nahrungsmittelallergie, z B. gegen Kuhmilchprotein, werden Reproduzierbarkeit und Nachweis eines immunologischen Reaktionsmechanismus gefordert. Man kann durch Immunglobulin E (IgE) vermittelte (Kuhmilchallergie oder KMA) von nicht-IgE-vermittelten (Kuhmilchproteinintoleranz oder KMPI) Reaktionen unterscheiden. Es gibt nicht einen einzelnen zuverlässigen diagnostischen Test. Nicht mehr verwendet werden sollte der unspezifische Oberbegriff Kuhmilchintoleranz, hinter dem sich z. B. Laktasemangel, gastroösophagealer Reflux oder psychologische Ursachen verbergen können. Bei den gastrointestinalen Manifestationen der KMA/KMPI ist zu unterscheiden zwischen einer allergischen Enteropathie mit Dünndarmmukosaschaden, einer eosinophilen Gastroenteritis mit intestinalem Eiweißverlust und einer allergischen Proktokolitis.
Definition
Für die Definition einer Nahrungsmittelallergie, z. B. gegen Kuhmilchprotein, werden Reproduzierbarkeit und Nachweis eines immunologischen Reaktionsmechanismus gefordert. Man kann durch Immunglobulin E (IgE) vermittelte (Kuhmilchallergie oder KMA) von nicht-IgE-vermittelten (Kuhmilchproteinintoleranz oder KMPI) Reaktionen unterscheiden. Es gibt nicht einen einzelnen zuverlässigen diagnostischen Test. Nicht mehr verwendet werden sollte der unspezifische Oberbegriff Kuhmilchintoleranz, hinter dem sich z. B. Laktasemangel, gastroösophagealer Reflux oder psychologische Ursachen verbergen können. Bei den gastrointestinalen Manifestationen der KMA/KMPI ist zu unterscheiden zwischen einer allergischen Enteropathie mit Dünndarmmukosaschaden, einer eosinophilen Gastroenteritis mit intestinalem Eiweißverlust und einer allergischen Proktokolitis.
Epidemiologie
Die Angaben für eine KMA/KMPI schwanken zwischen 0,2 und 7,5 %, Häufigkeiten zwischen 2 und 3 % erscheinen jedoch angemessener. Für die IgE-vermittelten Reaktionen gelten neben epigenetischen genetische Faktoren als Hauptrisiko (Verwandte 1. Grades mit Atopie bzw. allergischen Manifestationen). Die Prävalenz der Atopie liegt jedoch weit höher als die der Nahrungsmittelallergie. Risiken für nicht-IgE-vermittelte Reaktionen sind fehlendes Stillen, Zufüttern in der Geburtsklinik und vorausgegangene gastrointestinale Infektionen. Die KMPI mit Dünndarmmukosaschaden ist in Häufigkeit und Schweregrad eindeutig rückläufig, die allergische Proktokolitis scheint eher häufiger beobachtet zu werden. In der Regel sind Säuglinge (Frühgeborene nicht häufiger als Reifgeborene) betroffen.
Ätiologie
Da Kuhmilch oft das erste Fremdeiweiß darstellt, mit dem ein Säugling in Berührung kommt, gehören die über 25 Proteinfraktionen der Kuhmilch (β-Laktoglobulin an erster Stelle) zu den häufigsten Allergenen. Aber auch andere Proteine wie Soja, Hühnereiweiß, Fisch, Nüsse, Weizen etc. und sogar Restpeptide in Hydrolysaten kommen in Frage. Ferner sind klassische Kreuzallergene bekannt (z. B. Birke – Apfel/Karotte/Kiwi/Nüsse oder Beifuß – Sellerie/Paprika [IgE] und Kuhmilch – Sojaprotein [non-IgE]).
Pathogenese
Oral aufgenommene Fremdantigene werden normalerweise infolge einer intakten gastrointestinalen Barriere inklusive der lokalen Immunabwehr toleriert und führen nur in Ausnahmefällen zu lokalen und systemischen pathologischen Immunreaktionen (z. B. KMA/KMPI). Die gastrointestinale Barriere besteht aus unspezifischen (Sekrete, Mukus, Peristaltik) und spezifischen Elementen. Zu Letzteren gehören die Kupffer-Zellen (RES) der Leber, sekretorisches IgA aus der Muttermilch und auf den Epitheloberflächen, andere Faktoren in der Muttermilch, das darmassoziierte lymphatische Gewebe, die Darmflora und der Prozess der oralen Toleranz. Über das Priming durch Fremdantigene in den Peyer-Plaques („M-Zellen“) machen diese Lymphozyten während ihrer Wanderung durch lokale Lymphknoten und den Ductus thoracicus zurück in die Lamina propria des Darms eine Reifung durch. Im Darm erfolgt bei oraler Toleranz eine „Schaltung“ auf Aktivierung von Suppressorzellen und suppressiven Zytokinen, wie z. B. „transforming growth factor β“ (TGF-β). Nach Milchgenuss der Mutter können nach neuen Studien auch in der Muttermilch Spuren von β-Laktoglobulin- und Caseinpeptidfragmenten nachgewiesen werden. Dieser Aspekt wird als bedeutsam für die Toleranzentwicklung angesehen, kann aber selten auch als Sensibilisierungsquelle in Frage kommen. Über 4 Monate lang gestillte Kinder von Müttern mit hohen IgE-Spiegeln entwickeln später höhere IgE-Spiegel als kürzer oder gar nicht gestillte. Bei IgE-vermittelten Reaktionen kommt es genetisch fixiert nach dem Priming durch Fremdantigene zur Interaktion von Effektor-T-Zellen mit Mastzellen und Eosinophilen mit Mediatorfreisetzung und Aktivierung anderer Entzündungszellen (Typ I). Immunkomplexvermittelte allergische Reaktionen mit Komplementaktivierung sind beschrieben (Typ III). IgG-Antikörper gegen Kuhmilch bedeuten dabei nicht notwendigerweise eine Sensibilisierung, sondern sind Ausdruck einer gastrointestinalen Antigenexposition. Typ-IV-Reaktionen und vermehrte Produktion von Interferon-γ und anderen Zytokinen werden als Hauptmechanismen für die Entstehung eines Dünndarmmukosaschadens angenommen. Hier sind die Kenntnisse aber noch ebenso lückenhaft wie für die allergische Proktokolitis, bei der Eosinophile, nicht jedoch IgE-Antikörper im Mittelpunkt stehen.
Klinische Symptome
Meistens steht bei der KMA/KMPI eine Kombination von mindestens 2 Symptomen im Vordergrund. Man kann Sofortsymptome bei Anaphylaxie oder FPIES (Schocksymptome mit food protein-induced enterocolitis syndrome; Minuten/Stunden) von intermediären (Stunden/Tage) oder verzögerten Symptomen (Tage/Wochen) unterscheiden (Tab. 1). Bei Gestillten stehen die atopische Dermatitis und blutig-schleimige Stühle bei gutem Gedeihen im Vordergrund. Nichtgestillte entwickeln neben atopischer Dermatitis und schwerwiegenderen blutigen Durchfällen vor allem eine Gedeihstörung infolge chronischer Durchfälle. Stehen Erbrechen oder Dysphagie im Vordergrund, muss auch an die Möglichkeit einer eosinophilen Ösophagitis gedacht werden.
Tab. 1
KMA/KMPI: mögliche klinische Symptomatik und wegweisende Diagnostik
Krankheitsbild
Häufigkeit (%)
Symptome
Diagnose
Therapie
Anaphylaxie
5–9
Innerhalb von Min./Std.: Lippenschwellung, Angioödem, Laryngospasmus, Urtikaria, Erbrechen, Durchfall, Asthma, Schock
Anamnese
(Cave! Provokation)
Elimination
Atemwege
20–30
Rekurrierender Schnupfen, Giemen, Husten, Dyspnoe, Asthma (Min./Std.)
Anamnese
IgE-CAP
PRICK
Elimination
hochgradige Hydrolysate
Aminosäurenmischungen
Soja?
Hautmanifestationen
50–70
Ekzem, Urtikaria
(Std./Tage/Wochen)
Anamnese
IgE-CAP
PRICK, Patch
Lokaltherapie
Elimination
Gastrointestinale Manifestationen
50–60
Durchfall, Erbrechen, Dysphagie,
(Tage/Wochen)
Anamnese
ungestillte Säuglinge
fokale Zottenatrophie
Elimination
hochgradige Hydrolysate
Aminosäurenmischungen
Blutig-schleimige Stühle
(Tage/Wochen)
Anamnese
Diät der Mutter
Rektosigmoidoskopie
eosinophile Infiltrate
Ödeme, Durchfälle, intestinaler Eiweißverlust (selten)
Anamnese
α1-Antitrypsin im Stuhl
obere Endoskopie
eosinophile Infiltrate
Diagnose
Bei der Vielfalt der Symptome und Krankheitsbilder wird deutlich, dass es nicht einen einzelnen sicheren diagnostischen Test geben kann (Tab. 1). Entscheidend sind eine detaillierte Anamnese und die Reaktion auf Elimination und Provokation. Bei anaphylaktischen Reaktionen genügt die Anamnese, Provokationen verbieten sich. Eine auf 3–14 Tage limitierte Elimination von Kuhmilch kann bei Verdacht auf KMA diagnostisch hilfreich sein. Bei einem nicht gestillten Kind mit Gedeihstörung sollte bei Verdacht auf KMPI nach einer Dünndarmbiopsie eine Belastung mit Kuhmilch erst 6–12 Monate nach Kuhmilchelimination erfolgen. Die früher übliche Bestimmung der IgG-Antikörper gegen Kuhmilchproteine ist obsolet. Erbrechen und Dysphagie lenken den Verdacht auf eine eosinophile Ösophagitis, die durch eine Ösophagogastroduodenoskopie mit Biopsien gesichert werden muss. Bei blutig-schleimigen Stühlen des meist voll gestillten Säuglings ist die entscheidende Frage, ob die Mutter regelmäßig etwas zu sich nimmt, was sonst nicht oder nicht in dem Maße Bestandteil ihrer eigenen Ernährung ist. Dabei ist nicht nur an Milchprodukte zu denken. Oft findet sich eine Eosinophilie im Differenzialblutbild. Diagnostisch wegweisend, aber nicht obligatorisch, ist die Rektosigmoidoskopie inklusive Histologie zur Erkennung einer allergischen Proktokolitis anhand eosinophiler Infiltrate. CAP-, PRICK- und Patch-Tests sind meist nicht hilfreich. Sie können dagegen Hinweise auf eine Atopie geben, wenn zu gastrointestinalen Symptomen, wie Erbrechen, Durchfällen und seltener auch Koliken, noch kutane, wie atopische Dermatitis und Urtikaria, oder selten respiratorische Manifestationen hinzutreten.
Differenzialdiagnose
Bedeutsam sind bei gastrointestinalen Symptomen die Laktoseintoleranz infolge Laktasemangels, der gastroösophageale Reflux, andere Nahrungsmittelallergien, Zöliakie, gastrointestinale Infektionen, Morbus Hirschsprung, Fehlbildungen des Gastrointestinaltrakts und psychosoziale Faktoren bis hin zum Münchhausen-by-proxy-Syndrom.
Therapie
Bei KMA/KMPI muss die Kuhmilchformula durch ein hochgradiges Hydrolysat oder eine Aminosäurenformula ersetzt werden, insbesondere im Rahmen einer Allergie gegen multiple Nahrungsmittel (seit 8/2005 verordnungsfähige Kassenleistung!). Teilhydrolysate sind nicht indiziert (Tab. 2). In der Regel wird Kuhmilch während des 1. Lebensjahres komplett eliminiert und die Nahrung gegen Ende des 1. Halbjahres schrittweise mit definierter Beikost ergänzt (singuläre Nahrungsmittel wie Kartoffel, Karotte, Reis, Putenfleisch etc.). Zusätzliche Vitamine sind nicht erforderlich. Ziegenmilch- oder Stutenmilchproteine sind genauso allergen wie Kuhmilchprotein, Sojamilchformulae werden zwar von den meisten KMA-Kindern toleriert (Cave! Kreuzallergie Kuhmilch-Sojamilch, non-IgE), sollten aber besonders jungen Säuglingen <6 Monaten nicht verabreicht werden (Gehalt an Isoflavonen mit Östrogenwirkung; Phytate können die Aufnahme von Mineralien und Spurenelementen behindern). Bei gestillten Kindern mit allergischer Kolitis muss unter Umständen detailliert in der Diät der Mutter nach dem Auslöser gefahndet, d. h. eliminiert und wieder eingeführt werden. Wenn eine Kuhmilchelimination keine Wirkung zeigt, sollte die Mutter Milchprodukte in Maßen (ca. 500 ml/Tag) wieder zu sich nehmen dürfen. Ein Abstillen ist nur sehr selten indiziert. Bei eosinophiler Gastroenteritis sind systemische Gaben von Prednison oder anderen Immunsuppressiva erforderlich.
Tab. 2
Liste der verfügbaren hypoallergenen Hydrolysat- und Aminosäurenformulae
Typ
Name
Quelle
Aminosäuremischungen
(Therapieformulae)
Neocate
Aptamil Pregomin AS
Aminosäuren
Alfamino
Aminosäuren
Hochgradige Hydrolysate
(Therapieformulae)
Nutramigen/Pregestimil
Kasein
Alfaré
Molke
Pepti-Junior
Molke
Aptamil Pregomin
Molke
Alimentum
Kasein
Nutrilon-Pepti
Molke
Althéra
Molke
Teilhydrolysate
(höhergradig hydrolysiert)
Hipp Pre HA-, HA1- und HA2-Combiotik
Molke
Aptamil Proexpert HA 1 und 2
Molke/Kasein
Teilhydrolysate
(mäßiggradig hydrolysiert)
Aletemil HA 1 und 2
Molke
Beba Pro HA Pre, Pro HA 1 und 2
Molke
Milumil HA Pre, HA 1
Molke
Humana HA 1 und 2
Molke
Prophylaxe
Hauptrisikofaktoren für die IgE-vermittelte KMA sind genetische, für die es keine Präventionsmöglichkeit gibt. Unter exklusivem Stillen ohne initiales Zufüttern ist die KMA/KMPI mit 0,5 % selten. Eliminationsdiäten haben sich während der Schwangerschaft und Stillzeit nicht bewährt, da damit wichtige Faktoren für die orale Toleranzentwicklung entfallen. Für eine Verzögerung der Beikosteinführung (>6. Monat) gibt es keine Evidenz. Die Fütterung von Hydrolysaten in den ersten 4 Monaten bei fehlender Muttermilch scheint Häufigkeit und Schweregrad allergischer Manifestationen (KMA/KMPI und atopische Dermatitis) während der ersten 6–12 Monate zu vermindern. Dieser Unterschied lässt sich auch noch nach 10 und 15 Jahren finden. Ein Einfluss auf die Asthmaentwicklung zeichnet sich nach 15 Jahren ab. Ob hochgradige Hydrolysate im Säuglingsalter bei fehlender Muttermilch einen Vorteil vor Teilhydrolysaten haben (Toleranz), ist für den Langzeitverlauf noch nicht geklärt. Kinder von Müttern mit atopischer Dermatitis scheinen von hochgradigen Hydrolysaten zu profitieren. Schwedische Autoren fanden im Anschluss an eine Stillperiode bei Risikokindern Vorteile, wenn ein hochgradiges Hydrolysat im Vergleich zu einem Teilhydrolysat gefüttert wurde. Positive Effekte von Probiotika (LGG) bei Schwangeren und deren Säuglingen bis zum Alter von 6 Monaten haben sich nicht generell bestätigt. Präbiotische Milchen erscheinen günstiger als konventionelle. Prophylaktisch günstig ist die Schaffung einer nikotin-, milben- und katzen- (nicht hunde-) freien Umgebung für Risikokinder.
Prognose
Der Verlauf ist unter Therapie günstig. Die Symptome sind meist nur von transienter Natur, eine Remission ist bei 50 % der Patienten mit 1 Jahr zu beobachten, bei 75 % mit 2 Jahren und bei 90 % mit 3 Jahren. Besonders bei Atopikern mit hohen IgE-Antikörpern kommen Reaktionen auf weitere Nahrungsmittel und später auch auf Inhalationsantigene vor. Dies kommt bei bis zu 50 % dieser Kinder vor, dabei ist eine Persistenz der KMA möglich. Günstig hinsichtlich einer Prävention weiterer allergischer Manifestationen und früherer Toleranz von Kuhmilch scheint die Kombination von hochgradigem Caseinhydrolysat und Lactobacillus GG bei KMA zu sein.
Weiterführende Literatur
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