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Pädiatrie
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Publiziert am: 27.05.2019

Kurzdarmsyndrom bei Kindern und Jugendlichen

Verfasst von: Walter Nützenadel
Das Kurzdarmsyndrom ist definiert durch eine Malabsorption, Diarrhö und Gedeihstörung durch den anatomischen und/oder funktionellen Verlust intestinaler resorptiver Kapazität nach Darmresektion, selten auch bei angeborenem Kurzdarm und Mukosadefekten.
Definition
Der Funktionsverlust intestinaler resorptiver Kapazität („intestinal failure“) führt zur Diarrhö, Malabsorption und Gedeihstörung.
Pathogenese
Die Darmlänge beträgt beim Erwachsenen 450–600 cm, beim Neugeborenen 200–250 cm und beim Frühgeborenen >30 Gestationswoche 100–120 cm. Die Länge der verbleibenden Darmsegmente nach einer Resektion definiert nicht allein das Ausmaß des Funktionsverlustes, bedeutsam sind auch die primäre Pathologie, eine erhaltene Ileozökalklappe, die Zahl und Art der Stomata, Art und Funktion der erhalten gebliebenen Mukosa und das Ausmaß der meist vorliegenden Dysmotilität. Der Verlust von >75–80 % erfordert in der Regel eine längerfristige parenterale Ernährung, um eine normale somatische Entwicklung zu ermöglichen. Das Jejunum besitzt die größte resorptive Kapazität, dafür zeigt die Ileumschleimhaut eine gute Adaptationsfähigkeit an Jejunumfunktionen. Kohlenhydrate, Eisen, Folsäure und wasserlösliche Vitamine werden vorwiegend im Jejunum, Aminosäuren, Fette und fettlösliche Vitamine in vorwiegend weiter distalen Darmsegmenten und Gallensäure und Vitamin B12 ausschließlich im distalen Ileum resorbiert. Die Kenntnis der Physiologie und der individuellen pathophysiologischen Faktoren ermöglicht ein patientenorientiertes therapeutisches Vorgehen. Die vorgegebenen Ziele sind dabei die Rehabilitation der intestinalen Funktionen und die Gewährleistung der normalen somatischen Entwicklung, dabei ergeben sich drei Phasen:
1.
Wundheilung,
 
2.
Restitutionsphase von 12–48 Monaten mit einem Zuwachs intestinaler Funktionen,
 
3.
Möglichkeit eines Funktionszuwachses mit voller oralen Ernährung oder der Notwendigkeit einer weiteren zusätzlichen parenteralen Ernährung.
 
Der Funktionszuwachs intestinaler Funktionen kann eine ausschließliche oraler Ernährung ermöglichen. Er wird gefördert von einer frühbeginnenden oralen Nahrungszufuhr, von zahlreichen Nährstoffen (Glutamin, Prolamin), von Glukagon-like Peptide-2 sowie von Galle und Pankreassekreten.
Klinische Symptome
Die klinischen Symptome sind Erbrechen, Diarrhö, Malabsorption und die daraus resultierende Gedeihstörung und/oder Symptome bei Mangel an Mikronährstoffen. Die notwendige parenterale Ernährung beinhaltet zahlreiche Komplikationen, wie Gedeihstörungen, Wachstumsretardierung, Sepsis, Thrombosen, Katheterabriss, Osteopathie, Nieren- und Gallensteine. Die pathologische bakterielle Besiedlung des Darms, intestinale Motilitätsstörungen, Fisteln, Stenosen, wiederholt notwendige chirurgische Eingriffe und assoziierte Anomalien sind weitere Risiken.
Diagnose
Die Diagnose mit dem Befund der Restlänge des verbliebenen Darmes ergibt sich aus dem postoperativen Abdominalbefund. Bildgebende Verfahren sind ergänzend oder zur Abklärung postoperativer Komplikationen erforderlich. Folgende Primärerkrankungen führen häufig zu ausgedehnten Darmresektionen und einem Kurzdarmsyndrom:
Daraus wird ersichtlich, dass die meisten Patienten Früh-, Neugeborene oder Säuglinge sind.
Therapie
Die Therapie hat drei Ziele:
1.
Gewährleistung einer normalen somatischen Entwicklung,
 
2.
möglichst weitgehende Restitution der intestinalen Funktionsstörungen mit der Möglichkeit einer normalen oralen Ernährung,
 
3.
eine normale psychosoziale Entwicklung des Patienten.
 
Dies erfordert eine langfristige intensive Betreuung durch ein Team pädiatrischer Gastroenterologen, Kinderchirurgen, Ernährungsberater und Psychologen.
Eine altersgerechte somatische Entwicklung der Patienten mit Kurzdarmsyndrom erfordert eine parenterale Ernährung, die den individuellen Bedürfnissen angepasst werden muss. Initial sind hohe Flüssigkeits- und Mineralverluste zu ergänzen. Mit der oralen Ernährung sollte früh (nach erstem Stuhlgang, bei vorhandenen Darmgeräuschen und fehlendem Erbrechen) begonnen werden. Meist ist eine Sondenernährung notwendig und sinnvoll. Die Steigerung der oralen Zufuhr muss patientenorientiert erfolgen. In der Regel sind nur langfristige Steigerungen der oralen Nahrungszufuhr mit der Reduktion der parenteralen Ernährung möglich. Die Einschätzung einer ausreichenden Resorption der oral zugeführten Nahrung ist dabei kritisch und lässt sich nur aus der Gewichtszunahme einigermaßen sicher beurteilen. Eine Kaloriendichte von 0,2–0,4/ml, eine niedrige Osmolarität, Hydrolysatnahrungen, ein Anteil von MCT (medium chain triglycerides) und komplexe Kohlenhydrate sind initial günstig. Eine Fortführung der Therapie zuhause (home parenterale nutrition) sollte frühzeitig initiiert werden. Eine zyklisch durchgeführte parenterale Zufuhr (nur nächtliche Zufuhr, 1–2 Tage/Woche ohne Zufuhr) sind anzustreben und mit der Reduktion der parenteralen Zufuhr auch möglich. Chirurgische Interventionen wie die Konstruktion neuer Darmsegmente nach Bianchi oder das STEP-Verfahren (serial transverse enteroplasty) ermöglichen einen Längen- und Funktionszuwachs des Darmes. Eine Therapie mit Glukagon-like-Peptide-2 (Teduglutid) verbessert die instestinale Resorption ebenfalls.
Regelmäßige klinische Untersuchungen und Laborbefunde sind notwendig um individuelle Auffälligkeiten wie Defizite der Flüssigkeits-, Mineral-, Eisen-, Vitaminzufuhr und andere Komplikationen zu erkennen. Dazu zählen gastrale Hypersekretion, eine bakterielle Besiedlung des Dünndarmes, Kathetersepsis, Katheterabriss, Thrombosen, Stomataprobleme, Stenosen, Fisteln, Wundheilungsstörungen und andere. Besonders schwerwiegend ist die nicht ganz seltene Hepatopathie mit Cholestase und Fibrose, die mit der möglichen Entwicklung einer Leberzirrhose ein weiteres Organversagen bedeuten kann. Neben den chirurgischen Verfahren zur Darmverlängerung sind bei nicht beherrschbaren Komplikationen Darm- und Lebertransplantationen weitere therapeutische Optionen.
Prognose
In größeren Serien sind 60–70 % der Patienten innerhalb von 24–48 Monaten voll oral ernährbar. Dies ist abhängig vom Ausgangsbefund, Zahl der auftretenden Komplikationen und den Erfahrungen des betreuenden Teams. Eine diätetische individuell ausgerichtete Anpassung der oralen Ernährung mit der Substitution einzelner Nahrungsbestandteile zur Vermeidung von Mangelsymptomen ist oft erforderlich und erfordert eine langfristige Überwachung der somatischen Entwicklung und des Ernährungszustandes.
Weiterführende Literatur
Goulet O, Ruemmele F (2008) Causes and management of intestinal failure in children. Gastroenterology 130:516–528
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Khalil BA, Ba’th ME, Aziz A et al (2012) Intestinal rehabilitation and bowel reconstructive surgery: improved outcomes in children with short bowel syndrome. J Pediatr Gastroenterol Nutr 54:505–510CrossRef
Krahwinkel MB, Scholz D, Busch A, Kohl M, Wessel LM (2012) Chronic intestinal failure in children. Dtsch Ärztebl Int 109:409–415