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Pädiatrie
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Publiziert am: 10.05.2019

Neurodegenerative Erkrankungen der weißen Hirnsubstanz

Verfasst von: Marco Henneke und Jutta Gärtner
Leukoenzephalopathien (LE) bezeichnen eine ätiologisch und klinisch heterogene Gruppe seltener Erkrankungen, bei denen es zu Störungen im Aufbau oder im Erhalt der weißen Substanz des zentralen Nervensystems (ZNS) kommt. LE liegen genetische oder erworbene Ursachen zugrunde, erworbene Erkrankungen werden hier nicht näher behandelt. Genetische LE manifestieren sich vorwiegend im Kindes- und Jugendalter, können aber in jedem Lebensalter auftreten. Der Krankheitsverlauf kann statisch oder progredient sein. Leukodystrophien (LD) sind progredient verlaufende genetische LE. Durch bildgebende Verfahren, v. a. die Magnetresonanztomographie (MRT) ist eine frühzeitige und zuverlässige Erkennung von Veränderungen der weißen Substanz des ZNS möglich. Die Fortschritte der Biotechnologie in den letzten Jahren haben zu einem deutlichen Anstieg der Anzahl definierter genetischer LE geführt. Dieses Kapitel liefert einen Überblick zu relevanten genetischen LE.

Grundlagen

Krankheiten der weißen Substanz des Zentralnervensystems (ZNS) werden auch als Leukoenzephalopathien (LE) bezeichnet. LE sind genetisch bedingt oder erworben. In der Diagnostik spielt die Magnetresonanztomografie (MRT) eine große Rolle (Abb. 1).
Erworbene LE können auf entzündliche, vaskuläre, toxisch-metabolische oder traumatische Ursachen zurückgeführt werden; auf diese Erkrankungen wird hier nicht eingegangen. Bei den genetischen LE handelt es sich überwiegend um monogen vererbte neurometabolische Erkrankungen. Bisherige Klassifikationen der LE orientieren sich sowohl an klinischen als auch neuroradiologischen, pathologisch-anatomischen, biochemischen und genetischen Merkmalen. Als Leukodystrophien (LD) werden klinisch progredient verlaufende genetische LE bezeichnet, bei denen es entweder zu einer Demyelinisierung, d. h. Zerstörung der Myelinmembranen des ZNS (in einigen Fällen auch des peripheren Nervensystems, PNS) oder zu einem konstant vermindert bzw. fehlerhaft gebildeten Myelin kommt. Letzteres wird als Hypo- bzw. Dysmyelinisierung bezeichnet. Hiervon abzugrenzen sind psychomotorische Entwicklungsstörungen mit verzögerter Myelinbildung.
Genetische LE manifestieren sich vorwiegend im Kindes- und Jugendalter, können aber in jedem Lebensalter auftreten. Klinische Leitsymptome sind Bewegungsstörungen mit muskulärer Hypotonie, progredienter Spastik oder Ataxie. Typischerweise ist zunächst die Motorik und erst im Verlauf die Kognition betroffen. Nur für wenige LE gibt es derzeit effektive Behandlungsansätze.
Durch die Erfolge der Biotechnologie ist die Anzahl bekannter genetischer LE in den letzten Jahren deutlich angestiegen. In Tab. 1 sind einige wichtige und gut erkennbare Erkrankungen aufgeführt. Im Einzelfall muss die Differenzialdiagnose auf weitere seltene Formen ausgedehnt werden. Auch Erkrankungen, die in erster Linie die graue Substanz betreffen (Kap. „Neurodegenerative Erkrankungen der grauen Hirnsubstanz“), können in der MRT als LE imponieren (z. B. Mitochondriopathien, Organoazidopathien, Fukosidose und andere Speicherkrankheiten, CDG-Syndrome).
Tab. 1
Merkmale ausgewählter genetischer Leukoenzephalopathien (LE) im Kindesalter
Krankheit (Abkürzung)
Erbgang; Krankheitsgen
(OMIM-Nummer)
Klinische Symptomatik
Neuroradiologie
Diagnostik
Leukoenzephalopathien mit Demyelinisierung
AR; ARSA
(250100);
PSAP
(249900)
- Spätinfantil: motorische Regression, Optikusatrophie, Spastik, demyelinisierende Neuropathie;
- juvenil, adult: Verhaltensstörung, Psychose
Diffuse, zentrifugale Demyelinisierung, subkortikale U-Fasern ausgespart
Arylsulfatase A, Urin-Sulfatide, MG
Morbus Krabbe, Globoidzellen-Leukodystrophie
AR; GALC
(245200);
PSAP
(611722)
- Infantil: Irritabilität, Opisthotonus, rasche Verschlechterung, Optikusatrophie, Neuropathie;
- juvenil: leichterer Verlauf
Symmetrische Demyelinisierung, zunächst periventrikulär mit relativer Aussparung subkortikaler U-Fasern, Beteiligung von Kleinhirn und Hirnstamm
Galaktozerebrosidase, MG
X-chromosomal vererbte Adrenoleukodystrophie (X-ALD)
XR; ABCD1
(300100)
Jungen initial mit Verhaltensstörung, Schulproblemen, Morbus Addison
Meist symmetrische LE parietookzipital, oft beginnend im Splenium des Corpus callosum, Gadoliniumaufnahme
Vanishing white matter (VWM)
AR; EIF2B1–5
(603896)
Beginn und Verlauf sehr variabel, stressgetriggerte Krisen mit Ataxie und Spastik, chronisch-progrediente motorische Regression, Optikusatrophie
Diffuse symmetrische LE, im Verlauf weiße Substanz isointens zu Liquor
MG
Leukoenzephalopathien mit Hypomyelinisierung
Morbus Pelizaeus-Merzbacher (PMD)
XR/de novo; PLP1
(312080)
Hypotonie, später Spastik, Nystagmus, Stridor, Retardierung, Ataxie, Dystonie, Dysarthrie
Hypomyelinisierung
AEP pathologisch, MG
Pelizaeus-Merzbacher-ähnliche Krankheit (PMLD1, HLD2)
AR; GJC2
(608804)
Wie PMD, etwas leichterer Verlauf
Hypomyelinisierung
MG
Hypomyelinisierung mit Atrophie der Basalganglien und des Zerebellums (H-ABC, HLD6)
AD/de novo; TUBB4A
(612438)
Retardierung, Dystonie, Choreoathetose, Optikusatrophie, später Verschlechterung
Hypomyelinisierung, Putamen fehlt oder atrophiert, progrediente Kleinhirnatrophie
MRT-Muster, MG
Hypomyelinisierung, Hypodontie und hypogonadotroper Hypogonadismus (4H-Syndrom, HLD7 und -8)
AR; POLR3A, POLR3B
(607694, 614381)
Hypo- oder Oligodontie, Ataxie, später motorische, evtl. leichte kognitive Regression
Hypomyelinisierung, Corpus callosum dünn, Kleinhirnatrophie
MG
Chromosom 18q Deletions-Syndrom (18q)
AD/de novo
(601808)
Intelligenzminderung, Kleinwuchs, Mikrozephalie, multiple Dysmorphien
Hypomyelinisierung
Leukoenzephalopathien mit Zystenbildung
Megalenzephale Leukoenzephalopathie mit subkortikalen Zysten (MLC)
AR; MLC1
(604004);
AR, AD/de novo; HEPACAM
(613925, 613926)
- Klassische Form mit früher Makrozephalie, motorischer Regression, Spastik, Ataxie, relativ guter Kognition;
- leichte Form ohne motorische Verschlechterung, zum Teil mit mentaler Retardierung
Diffuse Schwellung der weißen Substanz, subkortikale Zysten frontal und temporal
MG
Zystische Leukoenzephalopathie ohne Megalenzephalie (CLminusM)
AR; RNASET2
(612951)
Normaler Kopfumfang oder Mikrozephalie, primäre Retardierung, ähnelt konnataler CMV-Infektion
Betont subkortikale LE, Zysten im anterioren Temporallappen, Kalzifikationen
MG
AR, AD/de novo; TREX1, RNASEH2B, RNASEH2C, RNASEH2A, SAMHD1, ADAR1, IFIH1
(225750, 610181, 610329, 610333, 612952, 615010, 615846)
Schwere primäre Entwicklungsstörung, Mikrozephalie, Frostbeulen
Kalzifikationen in Basalganglien und periventrikulär, Zysten anteriortemporal
MG
Leukoenzephalopathie mit Kalzifikationen und Zysten (LCC), Labrune-Syndrom
AR; SNORD118
(614561)
Spastik, Ataxie, Dystonie, später kognitive Verschlechterung
Progrediente Kalzifikationen und Zysten
MRT/CT-Muster, MG
Andere Leukoenzephalopathien
Morbus Alexander Morbus Canavan
AD/de novo; GFAP
(203450)
- Infantil: Makrozephalie;
- juvenil: Hirnstammsymptome
Frontal betonte LE, Basalganglien, Hirnstamm involviert
MG
Abschn. 3.4 in Kap. „Organoazidurien“
AR; ASPA
(271900)
Infantil: Makrozephalie, Sehstörung
Diffuse, betont subkortikale LE
N-Acetylaspartat im Urin und in zerebraler MRS erhöht, MG
Leukoenzephalopathie mit Hirnstamm- und Rückenmarkbeteiligung und Laktaterhöhung (LBSL)
AR; DARS2
(611105)
Beginn und Schweregrad sehr variabel, Ataxie, Spastik, später kognitive Regression
Symmetrische diffuse LE mit Beteiligung von Hirnstamm, Kleinhirn, Rückenmark; MRS: Laktat erhöht
MG
AR; CYP27A1
(213700)
Chronische Diarrhö, Katarakt, Sehnenverdickungen, Ataxie, Anfälle, axonale Neuropathie
Kleinhirnbeteiligung, Kalzifikationen
Cholestanol im Plasma, MG
AD autosomal-dominant, AR autosomal-rezessiv, AEP akustisch evozierte Potenziale, CT Computertomografie, HLD hypomyelinisierende Leukodystrophie, LE Leukoenzephalopathie, LD Leukodystrophie, MG Molekulargenetik, MRS Magnetresonanzspektroskopie, MRT Magnetresonanztomografie, XR X-chromosomal-rezessiv
OMIM Online Mendelian Inheritance in Man (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/omim)
Die wegen ihrer Häufigkeit und der Therapieoptionen besonders wichtige X-chromosomal vererbte Adrenoleukodystrophie (Abb. 1b) wird in Kap. „Peroxisomale Krankheiten“ dargestellt.
Eine genetische Familienberatung, Heterozygotentests und pränatale Diagnostik sind bei den meisten LE/LD möglich und erfolgen am sichersten auf der Basis von in der Familie nachgewiesenen Mutationen.
Im Folgenden werden einzelne klassische LE beispielhaft dargestellt.

Metachromatische Leukodystrophien

Definition
Metachromatische Leukodystrophien (MLD) sind autosomal-rezessiv vererbte lysosomale Speicherkrankheiten mit Demyelinisierung, die in unterschiedlichen Lebensaltern auftreten können.
Ätiologie
Ursächlich sind Genmutationen, die zu Defekten im lysosomalen Abbau von Sulfatid führen. Am häufigsten ist ein Defekt der Arylsulfatase A aufgrund von Mutationen des ARSA-Gens. In seltenen Fällen mit normaler Arylsulfatase-A-Aktivität kann Saposin B, ein Kofaktor des Enzyms fehlen (PSAP-Gen).
Pathologie und Pathogenese
Der Abbau von Sulfatid, einem sauren Sphingolipid, kann durch verschiedene Defekte gestört sein. Hierdurch reichert sich Sulfatid in der weißen Substanz und anderen Organen an. Neuropathologisches Kennzeichen ist ein diffuser Myelinabbau mit Anhäufung von metachromatisch reagierendem Material. Elektronenmikroskopisch sieht man zytoplasmatische Einschlusskörperchen sowie Veränderungen der Myelinstruktur. Der Abbauvorgang spart lange die subkortikalen U-Fasern aus (Abb. 1c). Periphere Nerven können betroffen sein. Extraneural finden sich Sulfatidanreicherungen u. a. in der Gallenblase. Der sehr variable Verlauf der MLD wird durch unterschiedliche Restaktivität des Enzyms erklärt.
Beim multiplen Sulfatasenmangel (veraltete Bezeichnung: Mukosulfatidose; Kap. „Oligosaccharidosen und verwandte Krankheiten“) kommt es zum Funktionsausfall multipler Sulfatasen mit Kombination aus Merkmalen der metachromatischen Leukodystrophie, von Mukopolysaccharidosen und X-chromosomaler Ichthyose (MSD; OMIM 272200).
Klinische Symptome und Verlauf
Klinische Symptome und Verlauf der unterschiedlichen Formen weichen von einander ab.
Spätinfantile MLD
Die spätinfantile MLD beginnt mit 15–24 Monaten mit einer Verschlechterung des erlernten Gehens, gefolgt von Störungen des Spracherwerbs. Die Kinder werden schlaff, verlieren die Fähigkeit zu gehen und zu sitzen. Es entwickelt sich eine ausgeprägte spastische Tetraparese. Bei Beteiligung des PNS sind die Muskeleigenreflexe abgeschwächt. Berührungsempfindlichkeit, Optikusatrophie und Verlust kognitiver Fähigkeiten kommen hinzu. Die Erkrankung verläuft rasch progredient. Die Kinder versterben meist nach wenigen Jahren.
Juvenile MLD
Bei frühjuvenilem Beginn (mit 4–6 Jahren) ist der Verlauf der spätinfantilen Form ähnlich, doch langsamer. Es kommt zum Verlust motorischer Fähigkeiten, später zu zerebralen Anfällen und kognitivem Verlust. Periphere Nerven sind unterschiedlich betroffen. Das Erwachsenenalter wird häufig nicht erreicht. Spätjuvenile Formen beginnen schleichend mit 6–10 Jahren, teils mit feinmotorischen, teils mit mentalen Störungen. Motorischer und demenzieller Abbau können sich bis in die 4. Dekade hinziehen.
Adulte MLD
Die sog. adulte MLD kann in der Adoleszenz mit Verhaltensauffälligkeiten, Störungen der Sprache und der Kognition beginnen. Nicht selten werden diese als jugendliche Psychose fehlgedeutet. Es entwickelt sich eine schwere spastische Tetraparese, doch überleben viele Patienten mehrere Jahrzehnte.
Diagnose und Differenzialdiagnose
In der MRT sieht man im Frühstadium eine diffuse, von den Ventrikeln nach peripher fortschreitende Demyelinisierung, die zunächst die subkortikalen U-Fasern unangetastet lässt (Abb. 1c). Das Liquoreiweiß ist bei den frühen Formen erhöht, kann bei den später beginnenden Formen normal sein. Fehlende Aktivität der Arylsulfatase A ist in Leukozyten nachzuweisen. Niedrige Enzymaktivitäten kommen aber auch bei vielen gesunden Personen vor (sog. Pseudodefizienz der Arylsulfatase A). Daher gehört zur biochemischen Diagnostik neben dem Nachweis der fehlenden Enzymaktivität auch der Nachweis einer erhöhten Sulfatidausscheidung im 24-h-Urin. Bei MLD-typischen Befunden und normaler Arylsulfatase-A-Aktivität kann ein Mangel des Aktivatorproteins Saposin B vorliegen. Die Diagnose kann molekulargenetisch bestätigt werden.
Therapie
Versuche einer Korrektur des Enzymdefekts durch Transplantation hämatopoetischer Stammzellen haben bisher nicht zu eindeutigen Empfehlungen geführt. Bei der spätinfantilen MLD bringt dieses Verfahren, selbst bei Durchführung kurz nach der Geburt, bestenfalls eine geringe Verlangsamung des progredienten Verlaufs. Bessere Chancen werden dieser Therapie bei den juvenilen Fällen eingeräumt. Eine intrathekale Enzymersatztherapie sowie gentherapeutische Ansätze sind derzeit in der Erprobung.

Morbus Krabbe (Globoidzellen-Leukodystrophie)

Definition
Der Morbus Krabbe (Globoidzellen-Leukodystrophie, GLD) ist eine autosomal-rezessiv vererbte LE mit Demyelinisierung und Speichererscheinungen im ZNS.
Ätiologie
Ursache sind Mutationen des GALC-Gens, die zu einer Defizienz der Galaktozerebrosid-β-Galaktosidase (Galaktozerebrosidase) und damit zu Störungen im lysosomalen Abbau der Lipide Galaktozerebrosid und Psychosin im ZNS führen.
Pathologie und Pathogenese
Die Defizienz des lysosomalen Enzyms Galaktozerebrosidase führt zur Akkumulation von Galaktozerebrosid (Galaktosylceramid) und Psychosin im ZNS. Dabei zerstört das zytotoxische Psychosin die für die Aufrechterhaltung der Myelinmembran zuständigen Oligodendrozyten. Neuropathologisch zeigt die weiße Substanz eine ausgedehnte Demyelinisierung einschließlich der subkortikalen U-Fasern und einen Verlust von Oligodendrozyten. Zahlreiche mehrkernige PAS-positive Riesenzellen (Globoidzellen), die Galaktosylceramid enthalten, sind nachweisbar. Das PNS kann betroffen sein.
Klinische Symptome und Verlauf
Die häufigste Form, der infantile Morbus Krabbe beginnt im Alter von 4–6 Monaten mit Unruhe, Irritabilität und spastischer Tetraparese. Die Kinder werden opisthoton, bewegen sich kaum, zeigen starke Schreckreaktionen, eine Optikusatrophie und bulbäre Symptome. Aufgrund der Beteiligung des PNS sind trotz bestehender Tetraspastik die Muskeleigenreflexe abgeschwächt. Die Patienten erreichen selten das 2. Lebensjahr. Bei spät beginnenden Varianten sieht man meist zuerst eine langsam zunehmende spastische Paraparese, manchmal eine sensomotorische Neuropathie, Ataxie oder kortikale Blindheit, wobei die intellektuellen Fähigkeiten lange erhalten bleiben können.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Die Erkennung der infantilen Form beruht auf der raschen Progredienz im Säuglingsalter sowie auf der Verbindung von Spastik und peripherer Neuropathie. In der MRT findet sich eine symmetrische Demyelinisierung, die auch die zerebelläre weiße Substanz und den Hirnstamm betreffen kann. Die U-Fasern sind initial ausgespart. Das Liquoreiweiß ist erhöht. Differenzialdiagnostisch kommen neurodegenerative Krankheiten wie die GM2-Gangliosidose und die infantile NCL (CLN1-Krankheit) in Betracht (Kap. „Neurodegenerative Erkrankungen der grauen Hirnsubstanz“). Bei spätem Krankheitsbeginn können ein erhöhtes Liquoreiweiß und eine periphere Neuropathie fehlen. Die Bestätigung der Diagnose erfolgt molekulargenetisch oder durch Nachweis der fehlenden Galaktozerebrosidaseaktivität in Leukozyten oder Fibroblasten. Bei Krabbe-typischen Befunden und normaler Enzymaktivität ist an die Möglichkeit eines Kofaktordefekts (Saposin A) zu denken.
Therapie
Die Therapie erfolgt symptomatisch. Die Transplantation hämatopoetischer Stammzellen hat bei Anwendung im präsymptomatischen Stadium der infantilen Form nur zu einer geringgradigen Verzögerung des progredienten Verlaufs geführt, der Langzeitnutzen ist daher umstritten. Bei Spätformen kann es zu Verbesserungen kommen.

Vanishing white matter

Definition
Die LE mit Vanishing white matter (VWM), eine autosomal-rezessive Krankheit, stellt eine relativ häufige LE mit großer Variabilität des Manifestationsalters und der klinischen Symptomatik dar.
Ätiologie
Mutationen in den auf unterschiedlichen Chromosomen lokalisierten 5 Genen, die für Untereinheiten des Translationsinitiationsfaktors EIF2B kodieren, wurden als Ursache der VWM nachgewiesen.
Pathologie und Pathogenese
Die Krankheit ist durch vakuolisierende, zystische, schließlich zu großen Kavitäten führenden Läsionen der weißen Substanz gekennzeichnet. Histopathologisch findet sich eine Degeneration reifer Oligodendrozyten infolge Apoptose als entscheidender pathogenetischer Vorgang in der Initialphase der Krankheit, gefolgt von sekundärer axonaler Läsion.
Klinische Symptome und Verlauf
VWM kann im Säuglingsalter beginnen, rasch progredient verlaufen und früh zum Tode führen, aber auch erst im Erwachsenenalter mit schleichender, zunächst rein psychopathologischer Symptomatik auftreten. Bei der häufigsten infantilen Form kommt es nach initial normaler Entwicklung zu einer langsam progredienten, beinbetonten spastisch-ataktischen Bewegungsstörung, die häufig durch fieberhafte Infekte oder Schädelprellungen initial ausgelöst und im Verlauf schubförmig verschlechtert wird. Später treten Optikusatrophie und gelegentlich zerebrale Anfälle auf. Die mentalen Fähigkeiten bleiben lange gut erhalten. Die peripheren Nerven sind nicht betroffen.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Die MRT zeigt sehr charakteristische Befunde mit schon zu Beginn der Erkrankung ausgeprägter diffuser homogener symmetrischer T2-Hyperintensität der gesamten supratentoriellen weißen Substanz, die im weiteren Verlauf in allen MR-Wichtungen liquorisointenses Signalverhalten aufweist (Abb. 1d). Die Mutationsanalyse der Gene EIF2B1–5 führt zur Bestätigung der Diagnose, die nach klinischem Verlauf und typischem MRT-Muster oft schon zuverlässig gestellt werden kann. Klinische Symptome und MRT-Befunde sind gelegentlich denen bei LE mit Hirnstamm- und Rückenmarkbeteiligung und Laktaterhöhung (LBSL) sehr ähnlich.
Therapie und Prognose
Eine kausale Therapie ist nicht bekannt. Zum Schutz vor Stressoren, die eine erneute Verschlechterung auslösen könnten, sollten beispielsweise Stürze möglichst vermieden und Fieber frühzeitig medikamentös gesenkt werden. Der klinische Verlauf ist im Einzelfall nicht abzusehen. Je früher die Symptomatik einsetzt, desto schwerer ist meist das klinische Bild und desto ungünstiger die Prognose.

Pelizaeus-Merzbacher-Erkrankung

Definition
Die Pelizaeus-Merzbacher-Erkrankung (Pelizaeus-Merzbacher disease, PMD) ist eine seltene X-chromosomal-rezessiv vererbte Krankheit und gilt als der Prototyp einer genetisch bedingten LE mit primärer Hypomyelinisierung.
Ätiologie
Die PMD wird durch vererbte oder de novo entstandene Mutationen des das Proteolipidprotein 1 (PLP1) kodierenden Gens auf Chromosom Xq22 verursacht. Am häufigsten finden sich das gesamte PLP1-Gen einschließende genomische Duplikationen, daneben auch Punktmutationen, Deletionen und Insertionen. PLP1 ist ein Hauptstrukturprotein der Myelinmembran des ZNS.
Pathologie und Pathogenese
Makroskopisch zeigt das Gehirn einschließlich Zerebellum und Hirnstamm eine diffuse Atrophie, die weiße Substanz ist in ihrem Volumen reduziert, der Balken verschmälert. Histopathologisch besteht ein Myelinmangel im gesamten ZNS, Oligodendrozyten sind in ihrer Anzahl vermindert.
Klinische Symptome und Verlauf
Die klassische Form der PMD manifestiert sich bei Jungen im 1. Lebensjahr. Erste Symptome sind Nystagmus und muskuläre Hypotonie sowie in einigen Fällen ein Stridor. Im weiteren Verlauf zeigen sich eine psychomotorische Entwicklungsverzögerung mit gemischter Bewegungsstörung aus progredienter Spastik, Ataxie, Tremor, Dystonie und Choreoathetose sowie eine Optikusatrophie. Epileptische Anfälle sind selten. Wachstumsretardierung und Mikrozephalie können auftreten. In der 1. Lebensdekade sind stetig kleine Entwicklungsfortschritte zu verzeichnen, bevor eine langsam progrediente neurologische Verschlechterung einsetzt. Einige Betroffene erlangen eine von Dysarthrie gekennzeichnete Sprachfähigkeit. Soziale Interaktion und Kognition sind besser ausgeprägt als die motorischen Funktionen. Die klassische Erkrankungsform ist Teil eines klinischen Spektrums, das von schweren, ausgeprägt konnatalen Verläufen bis hin zu weniger ausgeprägten Phänotypen, bei denen auch eine Polyneuropathie auftreten kann, reicht. Die hereditäre spastische Paraplegie Typ 2 (SPG2; OMIM 312920) stellt als allelische Variante die leichteste Form der durch PLP1-Mutationen verursachten Krankheiten dar.
Diagnose
Die Frühsymptome Nystagmus, muskuläre Hypotonie und Stridor führen zur Verdachtsdiagnose. In der MRT zeigt sich die Hypomyelinisierung des Marklagers als pathologische diffuse T2-Signalanhebung (Abb. 1e). Zusätzlich ist auf T1-gewichteten Aufnahmen die Differenzierung zwischen weißer und grauer Substanz aufgehoben. Die Mutationsanalyse des PLP1-Gens bestätigt die Diagnose molekulargenetisch.
Differenzialdiagnose
Patienten mit dem klinischen und neuroradiologischen Bild einer PMD ohne nachweisbaren PLP1-Defekt werden der Pelizaeus-Merzbacher-ähnlichen Krankheit (Pelizaeus-Merzbacher-like disease, PMLD) zugeordnet. Die PMLD wird bei einigen Patienten durch autosomal-rezessiv vererbte Mutationen des das Gap-Junction-Protein γ2 (GJC2) kodierenden Gens auf Chromosom 1q41 verursacht. Daneben sind weitere seltene hypomyelinisierende LD (HLD) bekannt. Diese Erkrankungen sind durch zusätzliche phänotypische oder neuroradiologische Besonderheiten (z. B. Hypodontie, Atrophie der Basalganglien) gekennzeichnet (Tab. 1); nicht für alle PMLD ist das Krankheitsgen schon identifiziert. Die Abgrenzung einer Hypomyelinisierung von einer verzögerten Myelinisierung ist häufig, insbesondere im 1. Lebensjahr, nicht sicher möglich. Eine permanente Hypomyelinisierung kann zuverlässig nur nach dem 1. Geburtstag anhand von mindestens 2 im Abstand von wenigstens 6 Monaten angefertigten MRT-Untersuchungen festgestellt werden.
Therapie und Prognose
Eine wirksame kausale Therapie ist bislang nicht bekannt. Im Tiermodell gibt es bereits vielversprechende Therapieansätze. Patienten mit PMD können das Erwachsenenalter erreichen. Daher ist eine umfassende symptomatische multidisziplinäre Behandlung sowie schulische und berufliche Integration für die Betroffenen von großer Bedeutung.

Megalenzephale LE mit subkortikalen Zysten

Definition
Die megalenzephale LE mit subkortikalen Zysten („megalencephalic leukoencephalopathy with subcortical cysts“, MLC) ist eine seltene, autosomal-rezessiv oder autosomal-dominant vererbte Erkrankung. Sie zählt zu den LE mit Makrozephalie und ist ein Beispiel für eine zystische LE. Ein relativ zu anderen LE milder klinischer Verlauf steht im Gegensatz zu ausgeprägten MRT-Veränderungen.
Ätiologie
Die klassische Form der MLC wird durch autosomal-rezessiv vererbte Mutationen des das MLC1-Protein kodierenden Gens (MLC1) oder des das „hepatic and glial cell adhesion molecule“ (HEPACAM) kodierenden Gens verursacht (MLC2A). Ursache einer weiteren Form sind autosomal-dominant vererbte oder de novo entstandene Mutationen des HEPACAM-Gens (MLC2B).
Pathologie und Pathogenese
Die weiße Substanz erscheint geschwollen, histopathologisch zeigt sich eine ausgedehnte Vakuolisierung des Myelins mit ausgeprägter Astrogliose. MLC1 und HEPACAM sind miteinander interagierende Transmembranproteine, ihre genaue Funktion ist bislang unbekannt.
Klinische Symptome und Verlauf
Patienten mit der klassischen Form entwickeln im 1. Lebensjahr einen Makrozephalus, die initiale psychomotorische Entwicklung ist unauffällig oder leicht verzögert. Nach einigen Jahren kommt es zu einer langsam fortschreitenden Verschlechterung motorischer Funktionen mit zerebellärer Ataxie und spastischer Bewegungsstörung. Die Betroffenen werden in der Regel zum Ende der 1. oder während der 2. Lebensdekade rollstuhlpflichtig. Die Verschlechterung kognitiver Funktionen beginnt etwas später und ist geringgradig ausgeprägt. Eine Epilepsie kann auftreten. Daneben ist eine ungewöhnlich milde Form der Erkrankung bekannt. Hier kommt es im Verlauf nicht zu motorischen Verschlechterungen, sondern zur Verbesserung oder Normalisierung der initialen klinischen Symptomatik und der neuroradiologischen Auffälligkeiten, die Makrozephalie bleibt jedoch in der Regel bestehen. Bei einigen Patienten liegt eine nichtprogrediente mentale Retardierung mit autistischen Verhaltenszügen vor.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Im Gegensatz zur relativ gering ausgeprägten klinischen Symptomatik zeigt sich in der MRT ein deutlich pathologischer und charakteristischer Befund mit supratentoriell diffus veränderter Signalintensität der geschwollen wirkenden weißen Substanz. Im vorderen Temporallappen, häufig auch frontoparietal finden sich bilateral subkortikal gelegene Zysten (Abb. 1f). Die Mutationsanalyse des MLC1- bzw. HEPACAM-Gens bestätigt die Diagnose. Andere LE mit Makrozephalie (z. B. Morbus Canavan, Morbus Alexander) sind über die klinische Symptomatik und das MRT-Bild von der MLC zu unterscheiden. Abzugrenzen sind andere zystische LE (z. B. Aicardi-Goutières-Syndrom, erworbene LE bei konnataler Zytomegalivirus-Infektion).
Therapie und Prognose
Die Therapie ist symptomatisch. Die Patienten erreichen in der Regel das höhere Erwachsenenalter.

Morbus Alexander (fibrinoide Leukodystrophie)

Definition
Der Morbus Alexander ist eine autosomal-dominant erbliche Krankheit, die auf einer Störung der Astrozyten beruht.
Ätiologie
Ursächlich sind heterozygote Mutationen im Gen für die Synthese eines Astrozytenproteins („glial fibrillary acidic protein“, GFAP). Diese können vererbt oder de novo entstanden sein.
Pathologie und Pathogenese
Der charakteristische histopathologische Befund ist der Nachweis fibrinoider „Rosenthal-Fasern“, Ablagerungen eines GFAP-reichen Materials im ZNS. Die wahrscheinlich zytotoxische Wirkung des überexprimierten GFAPs führt zum Verlust von weißer Substanz.
Klinische Symptome und Verlauf
Die infantile Form ist häufig durch eine sich entwickelnde Makrozephalie, eine zunehmende Tetraspastik und bulbäre Zeichen gekennzeichnet. Die kognitiven Fähigkeiten sind in der Regel lange erhalten. Die juvenile Form schreitet langsamer voran. Die MRT-Befunde sind meist charakteristisch. Es finden sich ausgedehnte symmetrische Läsionen der weißen Substanz. Darüber hinaus zeigen sich Veränderungen der tiefen grauen Substanz, des Mesenzephalons und der Medulla oblongata sowie Läsionen mit Gadoliniumanreicherung.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Der Verdacht kann durch die molekulare Analyse des GFAP-Gens bestätigt werden. Spätformen werden häufig als multiple Sklerose oder Gliome fehlgedeutet. Die genetische Beratung muss berücksichtigen, dass es sich meist um dominante De-novo-Mutationen handelt.
Therapie
Kurative Therapien sind derzeit nicht bekannt.

Morbus Canavan

Abschn. 3.4 in Kap. „Organoazidurien“.
Weiterführende Literatur
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