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Pädiatrie
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Publiziert am: 05.03.2019

Nichtepileptische Anfälle und paroxysmale Phänomene bei Kindern und Jugendlichen

Verfasst von: Bernd A. Neubauer
Viele paroxysmal auftretende Phänomene bzw. Krankheiten können epileptischen Anfällen mehr oder minder ähneln und stellen somit relevante Differenzialdiagnosen dar, die dem Pädiater bekannt sein sollten. Die Qualität der Anamnese ist der entscheidende Faktor in der Diagnostik. Es konnte gezeigt werden, dass 10–20 % aller Patienten, die wegen einer therapierefraktären Epilepsie in einem spezialisierten Zentrum vorgestellt werden und bereits mehrere Antiepileptika erhielten, an nichtepileptischen Anfällen leiden. Diese Patienten litten meist an Synkopen, psychogenen Störungen, Affektkrämpfen oder Parasomnien. Die übergeordnete Zuordnung einzelner Krankheiten kann unterschiedlich getroffen werden.
Einleitung
Viele paroxysmal auftretende Phänomene bzw. Krankheiten können epileptischen Anfällen mehr oder minder ähneln und stellen somit relevante Differenzialdiagnosen dar, die dem Pädiater bekannt sein sollten. Die Qualität der Anamnese ist der entscheidende Faktor in der Diagnostik. Es konnte gezeigt werden, dass 10–20 % aller Patienten, die wegen einer therapierefraktären Epilepsie in einem spezialisierten Zentrum vorgestellt werden und bereits mehrere Antiepileptika erhielten, an nichtepileptischen Anfällen leiden. Diese Patienten litten meist an Synkopen, psychogenen Störungen, Affektkrämpfen oder Parasomnien. Die übergeordnete Zuordnung einzelner Krankheiten kann unterschiedlich getroffen werden. Eine für den klinischen Alltag benutzbare Einteilung gibt folgende Übersicht.
Einteilung einzelner Krankheiten, die epileptischen Anfällen ähneln
1.
Synkopen und Affektkrämpfe
 
2.
Myoklonien und myoklonische Phänomene
  • Schlafmyoklonien des Neugeborenen
  • Benigne Myoklonien des Säuglings
  • Myoklonus-Opsoklonus-Syndrom
  • Hyperekplexie
  • Einschlafmyoklonien
 
3.
Paroxysmale Bewegungsstörungen
  • Gratifikationsphänomene (kindliche Masturbation)
  • Benigner paroxysmaler Vertigo
  • Paroxysmaler Tortikollis
  • Paroxysmale kinesiogene Choreoathetose
  • Paroxysmale dystone Choreoathetose (Mount-Reback)
  • Episodische Ataxien (Typ 1 und 2)
  • Alternierende Hemiplegie des Kindesalters
  • Sandifer-Syndrom
  • Spasmus nutans
  • Benigner paroxysmaler tonischer Aufwärtsblick
 
4.
Migräne und verwandte Krankheitsbilder
  • Konfusionelle Migräne
  • Alice-im-Wunderland-Syndrom
  • Basilarismigräne
  • Periodisches Syndrom (zyklisches Erbrechen)
 
5.
Schlafgebundene Störungen
 
6.
Psychogene oder partiell psychogen bedingte Störungen
 

Synkopen und Affektkrämpfe

Affektkrämpfe, vasovagale Synkopen, neurogene und neurokardiogene Synkopen greifen vermutlich auf gemeinsame Pathomechanismen zurück. Die früher versuchte genaue Untergliederung wird heute weniger streng betrieben. Die Subsumierung unter dem Überbegriff „neurogene Synkopen“ ist vertretbar. Wichtig ist die sichere Abgrenzung der neurogenen Synkopen von den kardialen Synkopen und der Epilepsie. Alle Synkopen, egal ob neurogen oder kardiogen ausgelöst, können Myoklonien und zum Teil auch Kloni zeigen. Zuerst kommt es zu einem Tonusverlust und anschließend treten die meist irregulären, extremitätenbetonten Myoklonien und Kloni auf. Allerdings gibt es (selten) auch epileptische Anfälle, die nur zum Tonusverlust führen. Urinabgang kommt ebenfalls sowohl bei epileptischen Anfällen als auch bei Synkopen vor.
Selten kann die durch eine Synkope ausgelöste (stark ausgeprägte) Hypoxie einen generalisierten epileptischen Krampfanfall auslösen. Um solche Situationen korrekt zu erfassen, sind meist iktale EEG-Aufzeichnungen nötig.

Blasse Affektkrämpfe

Blasse Affektkrämpfe (anoxische Reflexanfälle oder asystolische Reflexanfälle) treten bei Kindern bis zum 5. Lebensjahr meist nach einem unerwarteten Schlag gegen den Kopf oder anderen schmerzhaften – in der Regel überraschenden – Ereignissen auf. Es folgt sofort eine reflektorische Asystolie (bzw. Bradykardie) oder ein deutlicher Blutdruckabfall, der zur Sauerstoffunterversorgung zuerst des Hirnstamms und dann des gesamten Gehirns führt. Die Kinder werden sofort blass und sinken meist regungslos zu Boden. Tonische Versteifung und einzelne Myoklonien folgen. Im EEG zeigen sich zeitgleich generalisierte hohe langsame Wellen von 1–3 Hz, ohne epilepsietypische Potenziale, als Ausdruck der zerebralen Ischämie. Die Dauer des Zustands ist kurz und beträgt meist deutlich weniger als 1 min (oft nur 10–20 sec). Anschließend werden die Kinder wieder rosig, benötigen aber eine kurze Phase der Reorientierung. Ein Nachschlaf ist ungewöhnlich. In aller Regel ist die Symptomatik harmlos und selbstlimitierend.

Zyanotische Affektkrämpfe

Zyanotische Affektkrämpfe (respiratorische Affektkrämpfe, Schreikrämpfe, „breath-holding spells“) sind mit den blassen Affektkrämpfen zwar verwandt, verlaufen in typischen Fällen aber anders. Die Kinder schreien nach einem schmerzhaften Reiz oder auch nur nach einem Frustrationserlebnis heftig und blockieren ihre Exspiration. Im Anschluss verlieren sie den Tonus und werden bewusstlos. Bei manchen Kindern kommt es in der Exspiration bereits zu einer starken tonischen Versteifung und einzelnen Kloni. Die Zyanose kann dann sehr bedrohlich wirken. Im EEG zeigen sich während des Affektkrampfs generalisierte langsame Wellen ohne epilepsietypische Potenziale. Im höheren Alter benutzen Kinder den Mechanismus manchmal absichtlich, um kurze Ohnmachten (und damit verbundene Halluzinationen) herbeizuführen. Dies gelingt z. B. durch Hyperventilation und anschließender Bauchpresse bei maximaler Inspiration (Valsalva-Versuch).

Kardiogene Synkopen

Sie sind im Kindesalter viel seltener, aber auch gefährlicher als neurogene Synkopen. Typisch, wenn auch nicht obligat, ist ein Auftreten aus körperlicher Bewegung bzw. Aktion heraus. Sie können durch viele Herzfehler (z. B. Aortenstenose, Fallot etc.) oder bei strukturell normalem Herzen von Herzrhythmusstörungen (v. a. langes QT-Syndrom) ausgelöst werden. Die relevanten Herzrhythmusstörungen müssen sorgfältig durch Langzeit- und Belastungs-EKG ausgeschlossen werden. Nicht selten sind einzelne EKG-Ableitungen mit „langem Streifen“ falsch-negativ.

Vasovagale Synkopen

Diese können in allen Altersgruppen vorkommen. Zu fordern ist ein (typischer) Auslöser (schnelles Aufstehen, Hyperventilation, Blutsehen etc.), oft folgen eine Aura (Schwindel, Schwarz-vor-den-Augen-Werden, Tinnitus etc.) und dann der Tonusverlust. Nachdem die Patienten zu Boden gesunken sind, können in ca. 40 % der Fälle irreguläre bilaterale Kloni beobachtet werden. In vielen Fällen ist die Familienanamnese positiv. Selten kommen auch Synkopen bei liegenden Personen vor. Vasovagale Synkopen kommen durch den Kehldeckelreflex, z. B. nach Erbrechen oder Verschlucken zustande.

Myoklonien und myoklonische Phänomene

Benigne Schlafmyoklonien des Neugeborenen

Diese sind die wichtigste Differenzialdiagnose zur Epilepsie dieser Altersgruppe und müssen jedem Pädiater geläufig sein (Abschn. „Zerebrale Krampfanfälle“ Kap. „Neurologie des Neugeborenen“). Sie bestehen aus irregulären oder rhythmischen Myoklonien und Kloni der Extremitäten und kommen nur im Schlaf vor. Die oft clusterhaft auftretenden Myoklonien erfassen nicht das Gesicht und auch der Rumpf ist meist nur leicht betroffen. Die Symptomatik kann sehr heftig ausgeprägt sein und einem epileptischen Anfall täuschend ähnlich sehen. Die Kinder sind (zerebral) gesund, die Myoklonien verschwinden durch Wecken immer sofort, das EEG ist unauffällig und die Symptomatik endet spontan innerhalb der ersten 6 Lebensmonate. Im Gegensatz zur Hyperexzitabilität (Zittrigkeit) beim älteren Neugeborenen beendet das Fixieren der Extremitäten die Symptomatik nicht – es sei denn, das Kind wird dabei wach. Phenobarbital und Benzodiazepine aktivieren die Myoklonien! Es kommt immer wieder vor, dass diese gesunden Kinder bis zur Phenobarbitalnarkose behandelt werden oder umfangreicher und belastender Diagnostik unterzogen werden.

Benigner Myoklonus des Säuglings

Der benigne Myoklonus des Säuglings (auch „shuddering“ oder Schauderattacken) kommt meist bei Säuglingen zwischen dem 3. und 8. Lebensmonat vor. Extremitäten, Rumpf und geringer ausgeprägt auch der Nacken zeigen tremorartige ca. 10-Hz-Zuckungen, die sehr diskret ausgeprägt sein können. Das Bewusstsein der Kinder ist unbeeinträchtigt. In einigen (seltenen) Fällen können die Kloni wegen ihrer niedrigen Amplitude wie ein tonisches Anheben der Arme wirken. Dann kann das Phänomen an die Salam-Komponente des Blitz-Nick-Salaam(BNS)-Anfalls erinnern.

Myoklonus-Opsoklonus-Syndrom (Kinsburn-Enzephalopathie)

Dieses Syndrom besteht aus heftigen Myoklonien, chaotischen ungerichteten Bulbusbewegungen und später einer Ataxie. Auch während der Myoklonien ist das EEG (abgesehen von den Bewegungsartefakten) unauffällig. Die Krankheit tritt meist in den ersten 3 Lebensjahren auf. Ursache ist entweder ein Neuroblastom oder ein para- bzw. postinfektiöser Auslöser. Eine Epilepsie kann wohl nur ganz zu Beginn der Symptomatik als Differenzialdiagnose in Betracht kommen.

Hyperekplexie (Startle disease)

Sie wird durch Defekte in einem spinal exprimierten Glycinrezeptor ausgelöst. Der Erbmodus ist meist autosomal-dominant. Mehrere ursächliche Gene sind identifiziert (GLRA1, GLRA2 u. a.). Die Krankheit kann sich in der Neugeborenenperiode mit tonischer Versteifung des gesamten Körpers und mit schwerer Zyanose manifestieren. Die zunehmende Schreckhaftigkeit wird oft erst in den kommenden Wochen und Monaten deutlich. Als diagnostischer Test wird das Anstubsen der Nase (sog. „nose tapping“) benutzt. Bei gesunden Neugeborenen löst dies keine nennenswerte Reaktion aus. Bei den Betroffenen kommt es zu einer klonusartigen Reklination des Kopfes oft unter gleichzeitiger Beugung der Arme. Die Krankheit spricht gut auf Benzodiazepine (Clonazepam) an. Im höheren Alter kommt es leider immer wieder zu schweren Stürzen, da während des Startles (Schrecks) die Schutzreflexe ausfallen. Reflexepilepsien können eine Differenzialdiagnose darstellen. Der beschriebene Provokationsversuch erlaubt die Unterscheidung.

Einschlafmyoklonien

Sie können sehr heftig sein und sogar zum Erwachen der Kinder führen, stellen aber differenzialdiagnostisch selten ein Problem dar.

Paroxysmale Bewegungsstörungen

Kap. „Bewegungsstörungen und Neurotransmittererkrankungen bei Kindern und Jugendlichen“.

Gratifikationsphänomene bzw. kindliche Masturbationen

Diese treten vorwiegend innerhalb der ersten 5 Lebensjahre bei Mädchen auf. Typisch sind gekreuzt und aneinander gepresste Beine bzw. Oberschenkel. Die Kinder wirken abwesend, blicken verklärt, oft bemerkt man eine Gesichtsrötung. Rhythmische Beckenbewegungen sind typisch, können aber auch ganz fehlen. Manchmal pressen die Mädchen ihren Schritt auch gegen Gegenstände (Tisch- oder Stuhlbeine). Versucht man die Kinder anzusprechen, reagieren sie nur unwillig. Beendet man die Bewegung aktiv, werden sie ärgerlich und fahren anschließend wieder damit fort. Es liegen keine psychologischen Konfliktsituationen zugrunde! Die kindliche Masturbation ist von sexualisierten Verhaltensmustern – die im Gegensatz hierzu andere Personen miteinbeziehen – zu differenzieren. Die Therapie besteht in Abwarten.

Benigner paroxysmaler Vertigo

Dieser betrifft Kinder der ersten 5 Lebensjahre; der Beginn ist plötzlich. Die Patienten legen sich zu Boden, halten sich an Gegenständen oder Personen fest. Die Attacken dauern meist ca. 1 min. Das Bewusstsein bleibt erhalten, oft werden die Kinder blass. Manchmal können die Eltern einen Nystagmus beobachten. Die Episoden treten meist nur wenige Male im Jahr auf, sind unangenehm, aber harmlos.

Benigner paroxysmaler Tortikollis

Er dauert meist mehrere Stunden (manchmal Tage) an und wird üblicherweise von Übelkeit und Erbrechen begleitet. Der Kopf bleibt dauerhaft gewendet, manchmal beugt sich auch der Rumpf in die gleiche Richtung. Eine Bildgebung (MRT) muss erwogen werden. Bei einigen Kindern findet man eine PRRT2-Mutation.

Kinesiogene paroxysmale Dyskinesie

Sie stellt ein beeindruckendes Krankheitsbild dar, das denjenigen, der es noch nie gesehen hat, an eine Epilepsie denken lassen kann. Schnelle oder ständig wiederholte Bewegungen (z. B. schnell auf der Stelle treten) lösen wilde, zum Teil absurd wirkende Bewegungsstürme, am ehesten als Hampelmann-artig zu beschreiben, aus. Die Zustände dauern meist weniger als 1 min und werden von den Betroffenen als unangenehm empfunden. Carbamazepin, Benzodiazepine und Phenytoin wirken oft bereits in niedriger Dosis. Viele Fälle treten familiär auf. Ein verantwortliches Gen ist wiederum PRRT2.

Paroxysmale dystone Choreoathetose (Mount-Reback)

Diese lässt sich durch Stress, Tee, Koffein, Cola etc. auslösen. Die Attacken dauern mehrere Minuten und können sich oft hintereinander wiederholen. Es kommt zu heftigen ausfahrenden ballistischen und dystonen Bewegungsabläufen oft mit Sturz. Die Therapie mit Antiepileptika gelingt nicht in allen Fällen. Die Krankheit folgt einem autosomal-dominanten Erbgang. Mutationen in den Genen MR1 und KCNMA1 sind für den Phänotyp verantwortlich. Tatsächlich kommt in den Familien und bei den Betroffenen selbst auch manchmal eine Epilepsie vor.

Excercise-induced paroxysmal dystonia

Es werden dystone, meist proximal betonte Bewegungsabläufe beobachtet, die zu Sturz etc. führen. Die Attacken treten vermehrt bei Müdigkeit bzw. Erschöpfung nach körperlicher Tätigkeit oder Anspannung auf. Die Erkrankung ist deshalb bedeutsam, da sie in vielen Fällen auf einem sog. Glukosetransporterdefekt (Glut1-Mangel, SLC2A1) beruht. Hier ist die ketogene Diät eine ursächlich wirksame Therapie.

Episodische Ataxien

Bei den episodischen Ataxien werden 2 Formen unterschieden:
Die episodische Ataxie Typ 1 führt zu Episoden zerebellärer Ataxie, die Sekunden bis wenige Minuten anhält. Zusätzlich zeigen die Betroffenen zwischen den Attacken dauernde Myokymien (langsame wellenförmige Muskelkontraktionen, die an der Hautoberfläche sichtbar sind und im Schlaf fortbestehen). Die autosomal-dominante Krankheit wird durch Defekte des spannungsabhängigen Kalziumionenkanals KCNA1 ausgelöst. Fälle mit isolierter Myokymie, aber auch mit Ataxie und Epilepsie kommen vor.
Die episodische Ataxie Typ 2 führt zu Ataxieepisoden von mindestens 10–20 min Dauer. Zusätzlich kommen interiktal zerebelläre Symptome wie Nystagmus und Augenbewegungsstörungen vor. Die Krankheit wird u. a. durch autosomal-dominant vererbte Defekte im CACNA1A-Gen (einem Kalziumkanal) ausgelöst, die je nach Mutation zu episodischer Ataxie, familiärer hemiplegischer Migräne oder zur spinozerebellären Ataxie Typ 6 führen.
Beide Formen der episodischen Ataxie können auf Azetazolamid ansprechen.

Alternierende Hemiplegie des Kindesalters

Diese stellt ein progredient verlaufendes Krankheitsbild dar, das zu Beginn der Krankheit mit einer Epilepsie verwechselt werden kann. Zusätzlich treten im Verlauf bei einem Teil der Patienten epileptische Anfälle auf. Die Erkrankung beginnt bereits im 1. Lebensjahr mit schlaffen, wechselnd lateralisierten Hemiparesen, tonischen Versteifungen, Nystagmus und autonomen Phänomenen (Blässe etc.). Die Attacken kommen oft mehrfach monatlich vor. Manchmal wechselt die Hemiplegie im Anfall die Seite, noch bevor die zuerst betroffene Körperhälfte sich wieder erholt hat. Die Kinder sind dann völlig plegisch und haben Schluck- und Sprachstörungen. Die Krankheit ist für die betroffenen Kinder quälend. Im Schlaf verschwindet die Symptomatik. Besserung kann mit dem Kalziumantagonisten Flunarizin und evtl. auch mit Nemantin, Chloralhydrat oder Niaprazin erzielt werden. In vielen Fällen können Defekte im ATP1A2-Gen (eine Na+-K+-ATPase-Pumpe) identifiziert werden.

Sandifer-Syndrom

Dieses bezeichnet tonische Kopfwendungen, die sich auch auf Extremitäten und Körper ausdehnen können. Die Kinder nehmen dabei zum Teil bizarre Haltungen ein. Ursprünglich wurde angenommen, dass dieses Syndrom nur bei Kindern mit gastroösophagealem Reflux oder axialer Gleithernie auftritt. Beides kann jedoch fehlen.

Spasmus nutans

Er äußert sich durch einen asymmetrischen Nystagmus, eine Kopfschiefhaltung und Kopfnicken. Die Symptomatik kann dauerhaft oder auch episodisch auftreten und ist meist selbstlimitierend. In mehreren gut dokumentierten Fällen stellten sich jedoch verschiedene ZNS- oder Retinaläsionen als ursächlich heraus. Ausführliche Diagnostik wird daher angeraten.

Benigner paroxysmaler tonischer Aufwärtsblick

Dieser tritt meist im 1. oder 2. Lebensjahr auf. Es kommt zu tonischen Augenbewegungen nach oben, die meist weniger als 1 min dauern. Die Episoden können sich mehrfach am Tag wiederholen. Beim Versuch, nach unten zu blicken, kommt es zu einem Nystagmus. Berichtet wird auch eine leichte Ataxie. Der Verlauf ist gutartig.

Okulomotorische Apraxie (Typ Cogan)

Diese wird nicht selten mit myoklonischen Anfällen verwechselt. Die Kinder können die Bulbi nicht zielgerichtet bewegen. Um eine Blickrichtungsänderung zu erzielen, führen sie ruckartige Bewegungen des gesamten Kopfes aus. Viele der beschriebenen Patienten zeigten auch mehr oder minder stark ausgeprägte Entwicklungsverzögerungen. Die Symptomatik bessert sich im Verlauf etwas.

Migräne und verwandte Krankheitsbilder

Kap. „Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen“.

Schlafgebundene Störungen

Seit Einführung der 24-h-EEG bzw. 24-h-Polygrafien steigt die Zahl der unterschiedlichen Formen der Parasomnien Jahr für Jahr weiter an. Einige Prinzipien der Klassifizierung und häufigen Vertreter sollen im Folgenden besprochen werden.
Im EEG werden 5 Schlafstadien voneinander abgegrenzt. Nach Beginn des nächtlichen Schlafs fällt der Mensch innerhalb von ca. 1 h in das Schlafstadium 4 (Tiefschlaf). Anschließend wird der Schlaf wieder leichter und nach einer weiteren Stunde kommt es zur ersten REM-Schlafphase, die aus dem Leichtschlaf (Schlafstadium 1) heraus auftritt und ca. 10 min dauert. Diesen Ablauf nennt man eine Schlafperiode. Insgesamt kommt es im Laufe der Nacht zu 3–5 solcher Perioden. Die meisten Parasomnien des Kindesalters treten im Non-REM-Schlaf beim allmählichen Erwachen aus den Tiefschlafstadien (Stadium 3 und 4) heraus auf und sind möglicherweise Ausdruck eines partiellen Wiedererlangens des Bewusstseins. In diesen Phasen (frühestens 1–2 h nach dem Einschlafen) treten die meisten Fälle von polygrafisch erfasstem Pavor nocturnus und Somnambulismus auf.

Parvor nocturnus

Der Parvor nocturnus betrifft Kinder im Vorschulalter. Es kommt zu heftigen nächtlichen Angstzuständen. Die Kinder erwachen, wirken stark agitiert, sitzen schreiend im Bett und laufen manchmal sogar umher. Anschließend erfolgt eine kurze Reorientierungsphase. Für das Ereignis besteht retrograde Amnesie (es wird im Gegensatz zum Albtraum kein Trauminhalt berichtet!). Zur Unterscheidung von epileptischen Anfällen dient neben der typischen Anamnese die Tatsache, dass der Pavor als Non-REM-Parasomnie frühestens 1 h nach dem Einschlafen auftritt, wohingegen fokale epileptische Anfälle oft schon im ersten Leichtschlaf auftreten.

Narkolepsie und Kataplexie

Bei der Narkolepsie handelt es sich um eine wichtige, wenn auch seltene Differenzialdiagnose der Epilepsie. Die Narkolepsie ist durch plötzliches übergangsloses Einschlafen und vermehrte Tagesmüdigkeit gekennzeichnet. Die Patienten kommen zu schnell nach dem Einschlafen in den REM-Schlaf und haben ein übermäßiges Schlafbedürfnis. Polygrafisch lässt sich dies durch den sog. multiplen Schlaflatenztest überprüfen, bei dem die Zeitdauer von Schlafbeginn bis zum Erreichen des REM-Schlafs mehrfach gemessen wird. Die meisten Patienten zeigen zusätzlich eine Kataplexie, die anamnestisch besser zu fassen ist als übermäßige Müdigkeit. Hier kommt es zu einem Muskeltonusverlust, der durch starke emotionale Reize (Schreck, Freude etc.) ausgelöst wird. Das Bewusstsein bleibt während des kataplektischen Anfalls erhalten. Zusätzlich kommt es oft zu Schlafparalyse und hypnagogen Halluzinationen. In etwa einem Drittel der Fälle manifestiert sich die Erkrankung in den ersten 2 Lebensdekaden, wird aber oft erst nach langer Latenz diagnostiziert. Die häufigste Fehldiagnose ist die Epilepsie. Ursächlich ist ein Hypokretinmangel im Liquor; zusätzlich besteht sehr häufig die Assoziation zu einem HLA-Allel (DQB1-0602). Die Krankheit zeigt keine Spontanremissionen und erfordert eine spezifische Therapie (meist Stimulanzien).

Psychogene Störungen: dissoziative Anfälle

Dissoziative Anfälle (früher: psychogene Anfälle, hysterische Anfälle) kommen in allen Altersgruppen vor und können normal und verzögert entwickelte Kinder und Erwachsene betreffen. Meist dient ein Vorbild, dass anamnestisch evtl. erfragt werden kann. Wichtig ist zu wissen, dass epileptische Anfälle in aller Regel nicht länger als 2–5 min dauern. Eine Anfallsdauer darüber hinaus rechtfertigt Zweifel. Zumindest im Verlauf nehmen dissoziative Anfälle oft auch appellativen Charakter an, mit schmerzhaftem Schreien, heftigen Bewegungsstürmen, fremd- und autoaggressivem Verhalten. Häufig werden auch Grand-Mal-Anfälle oder tonische Anfälle imitiert. Inkontinenz, Zungenbiss, Zyanose, Auftreten im Schlaf oder in unbeobachteten Situationen sprechen gegen dissoziative Anfälle. Das iktale EEG erlaubt die sichere Zuordnung.
Leider kommen dissoziative Anfälle häufig auch bei Patienten mit (echter) Epilepsie vor. Diese Kinder können naturgemäß epileptische Anfälle oft täuschend gut imitieren. Erst über einen gewissen Zeitraum schleifen sich dann Übersteigerungen ein. Manchmal ist es hilfreich, den Kindern die verdächtigen Episoden auf Video vorzuspielen. Die Anfallsfrequenz sinkt dann manchmal deutlich. Das Verabreichen von Placebo (z. B. NaCl-Lösung anstelle von Diazepam) zur Anfallsunterbrechung wird in Deutschland nicht empfohlen. Dies kann zwar diagnostisch weiterhelfen, verstärkt aber die Psychopathologie des Patienten. In anderen Ländern ist es übliche Praxis.
Weiterführende Literatur
Neubauer BA, Hahn A (2014) Dooses Epilepsien im Kindes- und Jugendalter. Springer, HeidelbergCrossRef
Schneider SA, Paisan-Ruiz C, Garcia-Gorostiaga I et al (2009) GLUT1 gene mutations cause sporadic paroxysmal exercise-induced dyskinesias. Mov Disord 24:1684–1688CrossRef
Singer HS (2016) Movement disorders in childhood, 2. Aufl. Academic, Amsterdam. ISBN-13:978-0124115736