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Pädiatrie
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Publiziert am: 13.02.2019

Oligosaccharidosen und verwandte Krankheiten

Verfasst von: Jürgen Spranger
Oligosaccharidosen sind lysosomale Speicherkrankheiten. Gespeichert werden Oligosaccharide (kurzkettige Verbindungen aus Neutralzuckern und Aminozuckern). Ursache sind Mutationen der Oligosaccharid-abbauenden lysosomalen Enzyme. Klinisch ähneln sie weitgehend den Mukopolysaccharidosen, von denen sie sich orientierend durch die erhöhte Ausscheidung von Oligosacchariden statt von Mukopolysacchariden unterscheiden. Die genaue Zuordnung erfolgt durch Enzymbestimmung und/oder molekulare Analyse. Eine Besonderheit sind Mukolipidose II und III. Lyosomale Enzyme sind bei ihnen nicht verändert, werden aber nicht an ihren Wirkungsort, die Lyosomen, transportiert. Die Enzymaktivitäten im Blut sind erhöht. Die Mukolipidose II ähnelt klinisch einer Mukopolysaccharidose I, Patienten mit Mukolipidose III haben nur Skelettveränderungen und Gelenkkontrakturen, jedoch keine groben Gesichtszüge und keine intellektuelle Behinderung.
Ätiologie und Pathogenese
Die Pathogenese entspricht der bei Mukopolysccharidosen (Kap. „Mukopolysaccharidosen“). Autosomal-rezessiv erbliche Mutationen bedingen eine verminderte Funktionsfähigkeit von lysosomalen Enzymen. Ihre Substrate – Oligosaccharidketten aus Glykoproteinen – können nicht ordnungsgemäß durch eine Serie von spezifischen Glykosidasen abgebaut werden (Abb. 1). Je nach Enzymdefekt häufen sich unterschiedliche Produkte an und führen zu ähnlichen, in Morphe und Verlauf jedoch unterscheidbaren Krankheitsbildern. Der intralysosomale Oligosaccharidabbau kann auch gestört sein, wenn lysosomale Enzyme selbst unverändert sind, jedoch nicht ordnungsgemäß von ihrer Produktionsstätte – dem endoplasmatischen Retikulum – in ihren Wirkungsort – die Lysosomen – gelangen (Abb. 2). Ursache hierfür ist die fehlende Phosphorylierung eines Mannoserestes an lysosomalen Enzymen durch mangelnde Aktivität einer Phosphotransferase. Die phosphatdepletierten Enzyme werden von den Lysosomen nicht mehr erkannt und somit nicht mehr aufgenommen. Die resultierenden Krankheitsbilder (Mukolipidose II und III) sind biochemisch durch einen Exzess lysosomaler Enzyme in Körperflüssigkeiten und ihr Fehlen in den Lysosomen charakterisiert. Weitere Krankheiten entstehen durch das Fehlen von komplementären Eiweißen, die zur Aktivierung oder Stabilisierung lysosomaler Enzyme nötig sind (Abschn. 5 und 8) und durch gestörte Transportmechanismen von Neuraminsäure durch die lysosomale Membran (Abschn. 10).
Diagnose
Klinisch ähneln Oligosaccharidosen den Mukopolysaccharidosen mit groben Gesichtszügen, Kleinwuchs, Skelettveränderungen, Hepatosplenomegalie und Neurodegeneration in wechselndem Ausmaß. Art und Menge des Speichermaterials äußern sich in unterschiedlichen Krankheitsbildern (Tab. 1, Abb. 3). An eine Oligosaccharidose ist bei Kombination von Speicherphänomenen mit Zeichen der Neurodegeneration, Skelettveränderungen der Dysostosis multiplex und normaler Ausscheidung saurer Mukopolysaccharide im Urin (Ausnahme Mukosulfatidose, Abschn. 9) zu denken. Dünnschichtchromatografisch lassen sich bei der Mehrzahl der Krankheiten vermehrt Oligosaccharide im Urin nachweisen. Die Diagnose wird durch Bestimmung der Enzymaktivitäten in Serum oder Leukozyten gestellt. Eine molekularbiologische Diagnostik ist ebenfalls möglich. Die für einzelne Krankheiten verantwortlichen Gene und die von ihnen kodierten Proteine sind in Tab. 1 zusammengefasst
Tab. 1
Klinik und Genetik der Oligosaccharidosen/Mukolipidosen
Name
Vererbung
Gen
Klinische Hauptmerkmale
Defektes Protein
MIM-Nummer
Fukosidose
AR
FUCA1
1p34
Stagnierende psychomotorische Entwicklung, leichter Hurler-Phänotyp, progredienter geistiger Verfall, Spastik, Teleangiektasien
α-L-Fukosidase
230000
Aspartylglukosaminurie
AR
AGA
4q32–q33
Verzögerte Sprachentwicklung, Ungeschicklichkeit, grobe Gesichtszüge, Mikrozephalie, leichte Dysostosis multiplex
N-Aspartyl-β-Glukosaminidase
208400
Sialidose
AR
NEU1
6p21.3
Weites Spektrum von Hydrops fetalis bis normales Wachstum, kirschroter Fleck, Myoklonie, Ataxie, Dysostosis multiplex
α-Neuraminidase
256550
GM1-Gangliosidose
AR
GLB1
3p21.33
Wechselnder Verlauf, ähnlich Sialidose mit Hurler-Phänotyp und Dysostosis multiplex, Angiokeratoma bei Älteren
230500
Galaktosialidose
AR
PPGB
20q13.1
Hurler-Phänotyp, kirschroter Fleck, multiple Hämangiome
α-Neuraminidase,
β-Galaktosidase
256540
α-Mannosidose
AR
MAN2B1
19cen–q12
Entwicklungsrückstand, diskreter Hurler-Phänotyp und Dysostosis multiplex, Schwerhörigkeit, Katarakte
α-D-Mannosidase
248500
β-Mannosidose
AR
MANBA
4q22–q25
Entwicklungsrückstand, Sprachverzögerung, grobe Gesichtszüge, Muskelhypotonie, Angiokeratome
β-Mannosidase
248510
Mukolipidose II
AR
GNPTAB
12q23.3
Ausgeprägter Hurler-Phänotyp, schwere Dysostosis multiplex, geistige Behinderung, normale Mukopolysaccharidausscheidung im Urin
Glukosamin-N-Ac-Phosphotransferase
252500
Mukolipidose III
AR
GNPTAB
12q23.3
Leichter Hurler-Phänotyp, spondyloepiphysäre Dysplasie des Skelettsystems, normale intellektuelle Entwicklung, normale Mukopolysaccharidausscheidung im Urin
Glukosamin-N-Ac-Phosphotransferase
252600
GNTPG
16p
607838
Mukolipidose IV
AR
MCOLN1
19p13.2
Psychomotorische Entwicklungsverzögerung, Hornhauttrübung
Mucolipin 1, normale lysosomale Enzyme
252650
Mukosulfatidose
AR
SUMF1
3p26
Hurler-Phänotyp, Dysostosis multiplex, Neurodegeneration, Ichthyose
Multiple Sulfatasen
272200
Neuraminsäurespeicherkrankheit
AR
SLC17A5
6q14–q15
Hydrops fetalis; leichtere Fälle Morbus Salla: grobes Gesicht, Gingivahypertrophie, Entwicklungsrückstand, Krampfanfälle, Nephrose, Sialurie
Sialin
269920
604369
Sialurie
AD
GNE
9p12-p11
Grobe Gesichtszüge, Hepatosplenomegalie, normale Körpergröße
UDP-GlcNAc-2-Epimerase
269921
Morbus Schindler
AR
NAGA
22q11
Neurodegenerativer Prozess, Erblindung, Spastik, Myoklonien, Spätfälle bei Erwachsenen (Morbus Kanzaki), intermediäre Fälle bekannt
α-N-Ac-Galaktosaminidase
609241
609242
AD autosomal-dominant, AR autosomal-rezessiv, MIM Mendelian inheritance in man catalogue
Therapie und Prävention
Symptomatische Therapie und Präventivmaßnahmen entsprechen denen bei Mukopolysccharidosen. Rekombinante Enzyme sind noch nicht verfügbar. Knochenmarktransplantationen wurden bei einzelnen Patienten mit wechselndem Erfolg durchgeführt.

Fukosidose

Nach unauffälligen 6–12 Lebensmonaten stagniert die psychomotorische Entwicklung. Leicht vergröberte Gesichtszüge, etwas verdickte Zunge und Haut, mäßige Hepatosplenomegalie fallen auf. Die Muskulatur ist zunächst hypoton. Die Sprachentwicklung bleibt aus; manche Kinder lernen nicht zu laufen. Ophthalmologisch werden abnorme Retinagefäße beschrieben. Erworbene psychomotorische Fähigkeiten gehen im Kleinkindalter verloren. Stecknadelkopfgroße subkutane Teleangiektasien treten vor allem an Hand und Fuß auf. Progrediente Spastik, Dystonie und manchmal Krampfanfälle führen zum Endstadium völliger Demenz und Rigidität im 1. Lebensjahrzehnt (Typ I), gelegentlich auch erst im 2. Lebensjahrzehnt (Typ II). Skelettveränderungen im Sinn einer Dysostosis multiplex fehlen oder sind minimal ausgeprägt. In der Magnetresonanztomografie des Gehirns finden sich Dichteveränderungen des Globus pallidus sowie Zeichen der verminderten Myelinisierung.

Aspartylglukosaminurie

Die Krankheit manifestiert sich im Kleinkindalter mit verzögerter Sprachentwicklung, Ablenkbarkeit, motorischer Ungeschicklichkeit. Bis etwa zum 12. Lebensjahr sind die Kinder eher zu groß. Intellektuell und motorisch fallen die Kinder gegenüber Altersgenossen zurück. Einige sind hyperaktiv und aggressiv. Ab dem Jugendalter gehen erworbene Fähigkeiten verloren. Die Gesichtszüge sind etwas grob, doch fehlen charakteristische klinisch-morphologische Veränderungen (Abb. 3b).

Sialidose

Verschiedene Mutationen des NEU1-Gens führen zum Funktionsverlust der Neuraminidase und 4 klinischen Verlaufsformen:
1.
Neonatale Form: Hydrops fetalis, Aszites, Hepatosplenomegalie, Hurler-ähnlichen Veränderungen fallen auf. Intensivmedizinische Maßnahmen sind wenig erfolgversprechend (Abb. 3d).
 
2.
Frühkindliche Form: Neugeborene haben grobe Gesichtszüge, gelegentlich Aszites, Perikarderguss, Hepatosplenomegalie und Zeichen eines sekundären Hyperparathyreoidismus. Sie überleben, entwickeln weitere Hurler-ähnliche Charakteristika mit Kleinwuchs, Gelenkkontrakturen, geistiger Retardierung, Dysostosis multiplex. Ophthalmologisch evtl. kirschroter Fleck. Bei massiver renaler Speicherung entsteht eine therapierefraktäre Nephrose („Nephrosialidose“) mit Nierenversagen.
 
3.
Kindliche Form: Kleinkinder mit dieser Form der Sialidose fallen wegen verzögerter psychomotorischer Entwicklung auf. Die Kombination mit groben Gesichtszügen, großer Zunge, Gingivahypertrophie und Hernien lässt an eine Mukopolysccharidose denken (Abb. 3e). Beim Schulkind treten Zeichen einer progredienten Neurodegeneration mit Muskelschwäche, Muskelhypotrophie, Ataxie, Nystagmus, später Myoklonien und Tremor hinzu. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird ein charakteristischer kirschroter Makulafleck erkannt, gelegentlich in Kombination mit feinen Hornhauttrübungen und/oder Katarakt. Die Krankheit führt im späten Jugendalter zum Tod. Sprache und sozialer Kontakt bleiben lange erhalten. Die Kombination von Mukopolysccharidose- und Lipidosesymptomen erklärt die historische Bezeichnung Mukolipidose I.
 
4.
Juvenile Form („cherry-red spot myoclonus syndrome“): Nach normaler kindlicher Entwicklung treten im 2. Lebensjahrzehnt Myoklonien und Nystagmus auf. Ophthalmologisch kirschroter Makulafleck, keine Hornhauttrübungen. Mukopolysccharidose-ähnliche Symptome fehlen.
 

GM1-Gangliosidose

Die GM1-Gangliosidose verläuft in ähnlichen Stadien wie die Sialidose und lässt sich klinisch von ihr kaum unterscheiden (Abb. 3c). Je später sich eine GM1-Gangliosidose manifestiert, desto seltener finden sich Zeichen der Oligosaccharidspeicherung (grobe Gesichtszüge, Organomegalie) und mesenchymalen Dysplasie (Kleinwuchs, Kontrakturen, Skelettveränderungen) und desto mehr treten neurologische Ausfälle in den Vordergrund (Kap. „Neurodegenerative Erkrankungen der grauen Hirnsubstanz“). Eine Ausnahme ist die Mukopolysccharidose IV-B (Kap. „Mukopolysaccharidosen“).

Galaktosialidose

Stabilität und Aktivität der α-Neuraminidase und β-Galaktosidase hängen von einem protektiven Eiweiß ab. Defekte dieses vom PPGB-Gen auf dem Chromosomenabschnitt 20q13.1 kodierten, protektiven Faktors äußern sich in einem Funktionsverlust beider Enzyme. Es entstehen früh- oder spätmanifeste Krankheitsbilder (Abb. 3g), die sich nur durch Enzymbestimmung von der Sialidose und GM1-Gangliosidose unterscheiden lassen: Bei der Galaktosialidose sind beide Enzyme defekt. Am häufigsten ist die juvenile Form mit langsam progredienter Ataxie, Tremor, Myoklonien, Sehverlust, kirschrotem Makulafleck und häufig Angiokeratomen.

α-Mannosidose

Betroffene Kinder werden im 2.–4. Lebensjahr wegen verzögerter psychomotorischer Entwicklung vorgestellt. Es findet sich eine kombinierte oder Innenohrschwerhörigkeit. Hinweise auf eine Speicherkrankheit sind etwas vergröberte Gesichtszüge und Hepatosplenomegalie (Abb. 3a). Nicht selten liegen Katarakte vor. Die meisten Patienten überleben mit einer mittelschweren geistigen Behinderung, Schwerhörigkeit und progredienter Ataxie in das Erwachsenenalter. Die Körpergröße ist normal. Genotyp und Phänotyp sind korreliert, sodass sich aus dem molekulargenetischen Befund Hinweise zur Entwicklungsprognose ergeben. Autologe Knochenmarktransplantationen brachten unsichere Erfolge.
Die β-Mannosidose nimmt einen ähnlichen, klinisch allerdings recht variablen Verlauf. Angiokeratome sind ein Charakteristikum älterer Patienten.

Phosphotransferasemangel (Mukolipidosen II, III)

Das Enzym N-Acetyl-Glukosamin-1-Phosphotransferase modifiziert lysosomale Enzyme derart, dass sie in ihren Wirkungsort, die Lysosomen, gelangen (Abb. 2). Die Phosphotransferase besteht aus 2 α-, 2 β- und 2 γ-Ketten. Die α- und β-Ketten werden von GNPTAB auf dem Chromosomenabschnitt 12q23.3 und die γ-Ketten von GNPTG auf Chromosom 16p kodiert. Bei Mutationen wird die Funktion der Phosphotransferase gestört, und lysosomale Enzyme gelangen nicht in ihren Wirkungsort, die Lysosomen. Sie werden aus der Zelle ausgeschleust und finden sich in erhöhter Menge im Blutplasma. Die erhöhten Aktivitäten erlauben die Diagnose.
Mutationen von GNPTAB führen zur Mukolipidose II oder III, Mutationen von GNPTG zur Mukolipidose III.
Neugeborene mit Mukolipidose II („I-cell disease“) fallen durch grobe Gesichtszüge und verdickte Haut auf. Diagnostisch wegweisend sind kalkarme, grob gesträhnte mit periostalen Knochenmanschetten und metaphysärer Dysplasie veränderte Röhrenknochen. Sie werden als neonatale Rachitis oder idiopathischen Hyperparathyreoidismus fehlgedeutet. Säuglinge zeigen einen ausgeprägten Hurler-Phänotyp mit schwerer Dysostosis multiplex (Abb. 4). Im weiteren Verlauf erinnern die Patienten klinisch und radiologisch an eine Mukopolysccharidose I (Abb. 3h). Sie sind jedoch kleiner, mit schwereren Gelenkkontrakturen, fehlender Hepatosplenomegalie und klarer Hornhaut. Nur spaltlampenmikroskopisch zeigen sich feinste Trübungen. Patienten mit rasch progredientem Verlauf überleben das 1. Lebensjahrzehnt nicht. Weniger stark betroffene Patienten zeigen einen fließenden Übergang zur Mukolipidose III.
Die Mukolipidose III (Pseudopolydystrophie) verläuft leichter. Sie ist durch eine eingeschränkte Beweglichkeit, vor allem der Hüften und Schultern, später auch der Finger, charakterisiert. Dysproportionierter Kleinwuchs veranlasst zu Röntgenaufnahmen, die eine spondyloepiphysäre Dysplasie zeigen. Die Gesichtszüge können etwas grob sein. Die geistige Entwicklung ist weitgehend normal; Speicherphänomene fehlen (Abb. 3i).

Mukolipidose IV

Die Krankheit beruht auf Mutationen von MCOLN-1, das Mucolipin kodiert, ein Eiweiß mit Funktionen im intrazellulären Transport von Lipiden, Zuckern und anderen Substanzen, die sich intralysosomal anhäufen. Klinische Leitsymptome sind psychomotorische Entwicklungsverzögerung, Muskelhypotonie oder Spastik, die meist im frühen Kindesalter auftreten. Die neurologische Symptomatik ist charakteristischerweise kombiniert mit früh einsetzenden Sehstörungen bedingt durch Hornhauttrübung, Retinitis pigmentosa und Optikusatrophie. Grobe Gesichtszüge, Hepatosplenomegalie und andere klinische Speicherphänomene fehlen. Diagnostisch wertvoll sind erhöhte Gastrinspiegel im Blut. Die Patienten überleben ins Erwachsenenalter.

Mukosulfatidose

Durch Mutationen von SUMF auf dem Chromosomenabschnitt 3p26 werden Sulfatasen nicht aktiviert. Der resultierende Funktionsausfall multipler Sulfatasen manifestiert sich in einem Krankheitsbild mit Merkmalen der metachromatischen Leukodystrophie, von Mukopolysaccharidosen und X-chromosomaler Ichthyose. Neugeborene zeigen gelegentlich muskuläre Hypotonie, Hernien oder Ichthyose. Säuglinge und junge Kleinkinder sind psychomotorisch retardiert. Im 2.-3. Lebensjahr setzt ein neurodegenerativer Prozess ein, zunächst mit muskulärer Hyotonie, dann mit progredienter Spastik, Ataxie, Seh- und Hörverlust sowie Krampfanfällen. Vergröberte Gesichtszüge, Hepatosplenomegalie und Hernien lassen an eine Mukopolysaccharidose denken. Ichthyosiforme Hautveränderungen, Retinitis pigmentosa und Optikusatrophie sind Besonderheiten der Mukosulfatidose.

Neuraminsäurespeicherkrankheit

Die Krankheit ist bedingt durch Mutationen des SLC17A5-Gens. Es kodiert Sialin, ein Protein, das den Neuraminsäuretransport durch die lysosomale Membran fördert. Schwerste Verlaufsformen der auch als Sialinsäurespeicherkrankheit bezeichneten Störung manifestieren sich als Hydrops fetalis. Die infantile Form äußert sich in axialer Muskelhypotonie, Pigmentarmut, groben Gesichtszügen, Gingivahypertrophie, Hepatosplenomegalie und Hernien.
Die leichtere Verlaufsform (Salla-Krankheit) zeigt sich im Kleinkindalter mit verzögerter psychomotorischer und Sprachentwicklung, Ataxie, Nystagmus, Rigidität und Spastik sowie gelegentlichen Krampfanfällen. Die Gesichtszüge sind grob (Abb. 3f). Kognitive Fähigkeiten und Sprachverständnis bleiben bis ins Erwachsenenalter erhalten. Bei beiden Verlaufsformen finden sich im Urin erhöhte Mengen von N-azetylierter Neuraminsäure (Sialinsäure).

Sialurie

Die auch als „französische Form der Sialurie“ bezeichnete Krankheit wird autosomal-dominant vererbt. Sie ist keine Speicherkrankheit, sondern entsteht durch Überproduktion von Neuraminsäure infolge eines defekten Enzyms, das die Produktion von Sialsäure limitiert. Ursache sind Mutationen im codierenden GNE Gen. Patienten haben Hurler-ähnliche Gesichtszüge, Hepatosplenomegalie, keinen ausgeprägten Kleinwuchs und sind geistig nur leicht behindert. Krampfanfälle kommen vor. Im Urin sind erhöhte Mengen freier Neuraminsäure nachweisbar.

Morbus Schindler

Die durch einen Defekt der α-N-Acetyl-Galaktosaminidase bedingte Krankheit manifestiert sich im späten Säuglingsalter mit einem rasch progredienten Verlust psychomotorischer Fähigkeiten, Muskelhypotonie und Erblindung. Im Urin lassen sich charakteristische Glykopeptide nachweisen. Kinder mit leichteren Verlaufsformen können bis in das Schulalter unauffällig bleiben.
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