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Pädiatrie
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Publiziert am: 12.03.2019

Ophthalmologische Untersuchungsmethoden bei Kindern und Jugendlichen

Verfasst von: Birte Neppert
Schulkinder und Jugendliche lassen sich in der Regel mit denselben Techniken wie Erwachsene untersuchen. Bei allen jüngeren Altersgruppen ist die Methodik dem jeweiligen Entwicklungsstand anzupassen. Distanzuntersuchungen wie der Durchleuchtungstest nach Brückner, bei dem das vom Augenhintergrund zurückfallende Licht auf Trübungen der optischen Medien und stärkere Brechungsfehler ausgewertet wird, tragen der Scheu vieler Kleinkinder, angefasst zu werden, und dem Screeningaspekt Rechnung. Berührungsfrei stellt der Hornhautreflexbildchen-Test den Schielwinkel und die Skiaskopie den Refraktionszustand des Auges dar. Sehschärfentests erfordern stets ein gewisses Ausmaß an Kooperation seitens des kleinen Patienten. Die Ergebnisse müssen mit altersabhängigen Normwerten verglichen werden.

Orientierende Untersuchung

Die Untersuchung aus Distanz – der Säugling oder das Kleinkind wird dem Arzt gegenüber auf dem Schoß des Elternteils gehalten – ermöglicht eine Einschätzung von Gesichtsasymmetrien, Lidspaltenanomalien, Hornhautdurchmesser, Fixationsverhalten und Stellung der Augen zueinander und innerhalb der Lidspalten sowie Nystagmus. Mit dem Augenspiegel untersucht man die Pupillen im regredienten Licht. Mit einer Visitenlampe lassen sich gröbere Veränderungen der Augenvorderabschnitte erkennen und die Lichtreaktion der Pupillen prüfen.
Blickbewegungen in die 6 wesentlichen Blickrichtungen sind mithilfe von Spielzeug oder Licht auslösbar. Besonders zu achten ist auf Schielen und Ungleichheit des Schielwinkels (Inkomitanz) in verschiedenen Blickrichtungen (Paresen?). Einseitiges Abwehrverhalten bei Abdecken eines Auges gibt Hinweis auf eine Sehfunktionsminderung des nicht abgedeckten Auges.

Prüfung der Stellung und Motilität

Hirschberg-Test
Das Kind fixiert eine Visitenlampe. Die Symmetrie der Hornhautreflexe wird registriert. Asymmetrie spricht für Schielstellung. Ein Millimeter Differenz im Seitenvergleich entspricht etwa 7°. So kann der Schielwinkel geschätzt werden.
Abdecktest
Das Abdecken eines Auges gibt Aufschluss über eine Schielabweichung des freibleibenden Auges und sein Fixationsverhalten. Das Wiederaufdecken des okkludierten Auges ermöglicht die Beurteilung einer latenten Schielabweichung dieses Auges. Der wechselseitige Abdecktest in endgradigen horizontalen und vertikalen Blickrichtungen erlaubt die Zuordnung zur Dysfunktion einzelner Augenmuskeln oder diese versorgender Hirnnerven (Abb. 1).
Vestibulookulärer Reflex
Bei Säuglingen und Kleinkindern ist eine maximale Blickexkursion durch Führungsbewegungen oft nicht auslösbar. Wenn die manuell ausgelöste Kopfbewegung bei Abdecken des nicht fixierenden Auges toleriert wird, gelingt eine Einschätzung der Blickbewegungsmöglichkeiten besser (Ausschluss von Paresen). Ansonsten kann der Untersucher auf einem Drehstuhl das Kind selbst sich gegenüber auf dem Schoß halten und dessen Augenbewegungen beim Drehen beobachten.
Optokinetischer Nystagmus
Der optokinetische Nystagmus lässt sich mit einem Tuch testen, das Streifen oder wiederholt aufeinanderfolgende kindgerechte Motive zeigt. Es wird vor den Augen im Leseabstand langsam entlangbewegt; die Augenbewegungen werden beobachtet. Die apparative Aufzeichnung der Augenbewegung ist im entsprechend ausgerüsteten Labor möglich.
Untersuchung der Pupillomotorik
Die Pupillen sind in der Regel rund, gleich weit und reagieren prompt und ausgiebig direkt und konsensuell auf Beleuchtung sowie Konvergenz. Zur Überprüfung der Lichtreaktion ist eine gut mittelweite Ausgangspupille notwendig – zu erzielen durch eine abgedunkelte Raumbeleuchtung und eine konstante Fixation in die Ferne. Hierzu ist von einem Assistenten Spielzeug in noch interessierender Ferndistanz sinnvoll einzusetzen. Die Pupille wird schräg von unten belichtet. Ein Wechsel der Beleuchtung auf das andere Auge (und wiederholt zurück) lässt eine afferente Pupillenstörung (Defekt von Netzhaut oder vorderer Sehbahn) deutlich werden: Beide Pupillen sind bei Belichtung des funktionsgeminderten Auges weiter und werden wieder gleich eng bei Belichtung des guten Auges.

Refraktion und Sehfunktionen

Skiaskopie
Das Verhalten des Pupillenleuchtens auf einen bewegten Lichtfleck oder -strich lässt den Refraktionszustand (Weit-, Kurz- oder Stabsichtigkeit) eines Auges erkennen. Eine exakte Bestimmung der Brillenbedürftigkeit in Zykloplegie (Lähmung der Akkommodation durch Augentropfen) ist möglich. Irregularitäten und Trübungen der optischen Medien (Hornhaut, Linse, Glaskörper) sind zusätzlich sichtbar. Die Akkommodation bei nicht beeinflusster Pupille lässt sich abschätzen (dynamische Skiaskopie). Refraktometer sind bei Kleinkindern nicht anwendbar, kostspielig und nur in Zykloplegie verlässlich. Videorefraktometer arbeiten brauchbar nur ohne Zykloplegie, haben einen begrenzten Messbereich und unterschätzen Hyperopien mit zunehmendem Ausmaß derselben.
Sehschärfenbestimmung
Sehschärfenbestimmungen im präverbalen Alter basieren auf der Darbietung von schwarzen und weißen Streifen („Gitter“) unterschiedlicher Breite innerhalb eines gleich grauen Umfeldes und der Abschätzung der bevorzugten Blickrichtungen des Kindes („preferential looking“), z. B. mit den sog. Teller Acuity Cards. Wegen des großen Prüffeldes (10°) und der repetitiven Muster sind die Ergebnisse als „Äquivalente“ gegenüber der Optotypen(= Sehtestzeichen)-Sehschärfe einzustufen (Abb. 2).
Für Sehtests im verbalen Alter sollten Optotypen verwendet werden, bevorzugt der standardisierte Landolt-Ring oder E-Haken (nicht undefinierte „Kinderbilder“). Das Kind kann ein C oder E aus Pappe in die Hand bekommen und entsprechend einstellen. Es sollte randomisiert oder bei Prüfung des 2. Auges zumindest in umgekehrter Reihenfolge oder mit gedrehter Tafel abgefragt werden, um Erinnerungseffekte auszuschließen. Zur Prüfung von Trennschwierigkeiten, die etwa bis zum 12. Lebensjahr physiologischerweise bestehen, werden Reihenoptotypen mit definiertem Abstand verwandt (z. B. C-Test nach Haase/Hohmann). Ein spielerisches Sehtestverfahren mit Keyboard und musikalischer Belohnung der richtigen Antwort für die Altersgruppe von 2,5–4 Jahren ist der H-Test nach Haase/Hohmann. Er bedient sich einfacher kindlicher Symbolik. Gut evaluiert ist der Symboltest von Lea (Abb. 3).
Gesichtsfeld
Eine orientierende Prüfung im Gegenüberversuch zur Erfassung der Außengrenzen oder von Halbseitenausfällen ist auch bei kleineren Kindern gut möglich. Referenz ist das Gesichtsfeld des Untersuchers. Vorgehen: Herstellen der Aug-in-Auge-Fixation zwischen Untersucher und Proband. Der Untersucher hält seine eigenen Hände in halben Abstand zum Probanden etwa an die gegenüberliegenden Außengrenzen seines Gesichtsfeldes (z. B. oben/unten, rechts/links, diagonal). Er bewegt die Finger einer Hand. Dies genügt meist als Auslöser einer Blickbewegung dorthin. Manuelle Geräte-Untersuchungen vom Typ der Goldmann-Perimetrie sind meist ab dem Schulalter möglich, computerisierte Gesichtsfeldverfahren mit Zuverlässigkeit oft erst später.
Stereosehen
Objekte mit unterschiedlicher Querdisparation werden für das rechte und linke Auge dissoziiert angeboten. Zylinderrasterverfahren (Lang-Test I und II, Letzterer ist unter Umständen monokular wahrnehmbar) benötigen keine Brille im Gegensatz zum Titmus-Test (Polarisation) oder TNO-Test (rot-grün). Random-Dot-Darbietungen sind sensitiver als Flächenteste.
Farbsinnprüfung
Bei ausreichender Kooperation älterer Kinder können pseudoisochromatische Tafeln (z. B Ishihara, Matsubara, Velhagen) und Farbanordnungstest (z. B. Farnsworth-Panel-D15-Test) sowie das Anomaloskop eingesetzt werden. Sie dienen der Diagnostik angeborener und erworbener Farbsinnstörungen. Die Durchführung sollte in erfahrenen Labors, die Interpretation im Zusammenhang mit klinischen, perimetrischen und elektrophysiologischen Befunden erfolgen.

Elektrophysiologische Untersuchungen

Beim Säugling und Kleinkind sind kooperations- und methodenbedingt Untersuchungen im wachen, nicht sedierten Zustand vielfach nicht möglich.
Visuell evozierte Potenziale (VECP oder VEP)
Die Potenziale werden wie im EEG okzipital über dem Bereich der Sehrinde abgeleitet. Als Reize dienen Lichtblitze oder Schachbrettmuster („pattern reversal“). Gemessen werden die Latenzzeiten, die bei Optikusschädigung, aber auch bei Nystagmus und Amblyopie erhöht sind, und die Amplituden. Bei bipolaren Ableitungen rechts und links okzipital lässt sich die vermehrte Kreuzung von Sehnervenfasern bei Albinismus nachweisen.
Elektroretinogramm (ERG)
Die Ableitung elektrischer Potenziale der Netzhaut ist essenziell für die Differenzialdiagnose hereditärer Krankheiten der Netzhaut. Abgeleitet wird über Elektroden in einer Hornhautkontaktlinse oder über Goldblatt- oder Fadenelektroden im Konjunktivalsack. Das Ganzfeld-ERG gibt Auskünfte über Funktionen einzelner Zellpopulationen (Zapfen, Stäbchen, Bipolare) in ihrer Gesamtheit. Das multifokale ERG untersucht einzelne Netzhautorte. Diese Untersuchung ist bei kleineren Kindern wegen Unfähigkeit zur anhaltenden Fixation nicht möglich.
Elektrookulographie (EOG)
Der Bulbus hat elektrisch bipolare Eigenschaften. Über Hautelektroden seitlich der Lidspalten können bei Augenbewegungen Spannungsveränderungen registriert werden, und Rückschlüsse auf die Funktion des retinalen Pigmentepithels bei degenerativen Krankheiten der Netzhaut sind möglich.
Weiterführende Literatur
Fricke J, Neugebauer A, Rüssmann W (2012) Untersuchung des Binokularsehens. In: Kaufmann H, Steffen H (Hrsg) Strabismus, 4. Aufl. Thieme, Stuttgart
Gräf M (2012) Sehschärfe. In: Kaufmann H, Steffen H (Hrsg) Strabismus, 4. Aufl. Thieme, Stuttgart
Hoyt CS, Taylor D (Hrsg) (2013) Pediatric ophthalmology and strabismus, 4. Aufl. Elsevier Saunders, New York
Schiefer U, Wilhelm H, Zrenner E, Burk A (Hrsg) (2003) Praktische Neuroophthalmologie. Kaden, Heidelberg
Schulz E (2001) Störungen des visuellen Systems. In: Steinhausen (Hrsg) Entwicklungsstörungen im Kindes- und Jugendalter. Kohlhammer, Stuttgart
Schulz E, Zimmermann J, Jänicke B (1991) Untersuchung der Gittersehschärfe mit den „Teller acuity cards“ bei Kindern – eine klinisch brauchbare Methode? Augenärztl Fortb 14:98–103
Wilhelm H, Kommerell G (2012) Störungen der Pupillomotorik. In: Kaufmann H, Steffen H (Hrsg) Strabismus, 4. Aufl. Thieme, Stuttgart