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Pädiatrie
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Publiziert am: 09.04.2015

Pädiatrische Notfallmedizin

Verfasst von: G. Jorch
Lebensbedrohliche Notfallereignisse im Kindesalter sind selten. Relativ am häufigsten sind Unfälle wie Schädel-Hirn-Trauma (SHT) mit/ohne Polytrauma, Ertrinken, Verbrühung und Strangulation. Hier muss notfallmedizinisch rasch und kompetent reagiert werden, da die Prognose meistens durch eine adäquate und rasche Behandlung am Unfallort und unmittelbar nach Aufnahme in einer medizinischen Einrichtung stärker beeinflusst wird als durch die Therapie danach.

Vorbemerkungen

Lebensbedrohliche Notfallereignisse im Kindesalter sind selten. Relativ am häufigsten sind Unfälle wie Schädel-Hirn-Trauma (SHT) mit/ohne Polytrauma, Ertrinken, Verbrühung und Strangulation. Hier muss notfallmedizinisch rasch und kompetent reagiert werden, da die Prognose meistens durch eine adäquate und rasche Behandlung am Unfallort und unmittelbar nach Aufnahme in einer medizinischen Einrichtung stärker beeinflusst wird als durch die Therapie danach.
Häufiger sind für Eltern, Erzieherinnen und Lehrer bedrohlich wirkende Situationen wie Ohnmacht, Fieberkrampf, Pseudokrupp, Nasenbluten und leichtes SHT, bei denen nach dem Prinzip „nihil nocere“ eine intensivmedizinische Übertherapie durch pädiatrisch unerfahrene Notfallmediziner vermieden werden sollte.
Dieses Kapitel kann nicht nosologisch in die Tiefe gehen, sondern muss sich darauf beschränken, den therapeutischen Rahmen bei typischen kindlichen Notfällen darzustellen.
Die Themen Atemnot, Schock, Koma, Hitzeschäden, Verbrennungen, Unterkühlung, und Ertrinken werden in den vorangehenden Kapiteln behandelt.

Bedrohliche Symptome und Situationen bei Neugeborenen und jungen Säuglingen

Bei Geburt außerhalb der Klinik muss Ruhe bewahrt werden. Ein Charakteristikum einer unerwarteten Geburt ist meistens, dass sie rasch und komplikationslos erfolgt. Das Neugeborene wird abgetrocknet, auf den Bauch der Mutter gelegt und mit einem trockenen Tuch bedeckt. Die Nabelschnur wird nicht zu dicht am Bauchansatz durchtrennt und abgebunden. Bei Atemstörungen wird das Fruchtwasser aus dem Mund gewischt oder abgesaugt. Ein guter Beugetonus zeigt an, dass es dem Kind gut geht. Eine Zyanose ist in den ersten Minuten nach der Geburt normal.
Eine sichtbare Gelbfärbung der Haut in den ersten 24 Lebensstunden (Icterus praecox) ist ein Warnzeichen und erfordert zur sofortigen Abklärung und Behandlung einer wahrscheinlichen Hämolyse bei Blutgruppeninkompatibilität die sofortige Einweisung in eine Kinderklinik.
Die Trias Erbrechen, Stuhlverhalt und aufgetriebener Bauch ist verdächtig auf eine Darmobstruktion und muss unverzüglich abgeklärt werden. Auffällige Stuhlfarben sind schwarz, weiß und rot. Alle anderen Farben (gelb, braun, grün) sind normal.
Fieber (>38,0°C rektal) muss beim Neugeborenen und jungen Säugling den Verdacht auf eine behandlungspflichtige Infektion wecken, wenn sie nicht eindeutig auf akzidentelle Überwärmung zurückgeführt werden kann.
Eine akute Bewusstseinsstörung oder Muskeltonusverlust muss unverzüglich abgeklärt werden (Hypoglykämie, Infektion, Kreislaufschock).
Ohne Stethoskop hörbare Atemgeräusche (Stridor, Knorksen) sind in den ersten Lebenstunden und -wochen wegen der anatomisch kleinkalibrigen Atemwege nicht so selten. Bedrohlich sind sie zu werten, wenn Zyanose, Tachypnoe, Tachykardie und/oder Bewusstseinsstörungen hinzutreten. Die sofortige Aufnahme in einer Kinderklinik mit Intensivstation ist dann erforderlich.

Notfälle jenseits der Neugeborenenperiode

Akute, nicht unfallbedingte Bewusstseinsstörungen treten beim Säugling und Kleinkind am häufigsten beim Fieberkrampf und anderen zerebralen Anfällen und bei kreislaufbedingten Synkopen beim älteren Kind auf. Zunächst muss in dieser Situation geprüft werden, ob eine normale Pulsfrequenz und Atemtätigkeit nachweisbar sind.
Zerebraler Anfall
Beim zerebralen Anfall besteht keine akute Lebensgefahr, sofern er nicht länger als 30 min andauert, die Atmung durch Aspiration nicht beeinträchtigt wird und durch Sturz kein Schädel-Hirn-Trauma eingetreten ist. Eine verletzungsgeschützte und aspirationssichere Lagerung und die sorgfältige Beobachtung der Anfallssymptome stehen zunächst im Vordergrund. Die klinische Charakteristik des Anfalls ist für die diagnostische und therapeutische Einordnung meistens wichtiger als das Elektroenzephalogramm. Wenn der Anfall länger als 3 min dauert, sollte die medikamentöse Anfallsunterbrechung z. B. mit Diazepam 5–10 mg rektal oder Midazolam 2,5–10 mg bukkal angestrebt werden. Bei fehlender Wirksamkeit muss an eine persistierende Hyperthermie und an eine Hypoglykämie gedacht werden. Beide Abweichungen müssen durch externe Kühlung bzw. Glukosezufuhr behandelt werden. Eine Intubation und Beatmung ist beim kindlichen Anfall als Übertherapie meistens kontraindiziert. Ein peripherer Zugang und Sauerstoffgabe sind – wenn machbar – während des Rettungstransports sinnvoll.
Meningokokkensepsis
Zunächst flohstichartige Blutungen, die in typischen Fällen mit der Trias Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit und Fieber auftreten, müssen an eine Meningokokkensepsis(−meningitis) denken lassen. Die Akuttherapie besteht hier im unverzüglichen Rettungstransport in eine Kinderklinik mit pädiatrischer Intensivstation. Schon vor bzw. während des Transports sollte über einen peripheren venösen Zugang die antibiotische Therapie mit z. B. 70 mg/kg KG Cefotaxim und die Volumensubstitution mit einer Infusion von 30 ml/kg KG isotone NaCl-Lösung begonnen werden.
Neurogene und kardiogene Synkope
Von der akuten Bewusstlosigkeit beim zerebralen Anfall muss der Bewusstseinsverlust bei neurogener und kardiogener Synkope wegen Unterschieden in der Akut- und Langzeittherapie und bei der Prognose differenzialdiagnostisch abgegrenzt werden. Bei der neurogenen Synkope führen u. a. Aufregung, Hitze, Flüssigkeitsmangel zu einem Blutdruckabfall mit Ohnmacht und Tonusverlust. Die kardiogene Synkope beruht auf Herzrhythmusstörungen mit/ohne Myokard- bzw. Herzklappenerkrankung. Im Gegensatz zum epileptischen Anfall dauert das Ereignis meistens nur wenige Minuten mit rascher Reorientierung und ist mit blassem Hautkolorit statt Zyanose verbunden. Tonische oder myoklonische Muskelaktionen können vorkommen, sind aber meist nur von kurzer Dauer. Im Zweifelsfall erfordert die Differenzierung einer kardiologischen oder epileptischen Ursache spezifische Diagnostik mit mindestens EKG, Echokardiografie und EEG.
Herz-Kreislauf-Stillstand
Ein Herz-Kreislauf-Stillstand ist im Kindesalter selten. Die Hauptursachen sind Ertrinken, Strangulation, Verletzungsblutungen und entzündliche oder angeborene Herzerkrankungen.
Die aktuellen international konsentierten Basismaßnahmen sehen für die Reanimation nach initial 5 Beatmungshüben eine kontinuierliche tiefe (4–5 cm) und hochfrequente (100–120/min) Kompression des Brustbeins (sog. Herzdruckmassage) vor, die nur jedes 30. Mal (bei 2 Helfern jedes 15. Mal) für 2 Beatmungshübe kurz unterbrochen werden soll. Auch der Einsatz eines Defibrillators darf nur mit kurzen Unterbrechungen der Herzdruckmassage verbunden sein. Vor bzw. zu Beginn der Reanimation muss über Telefon 112 die Rettungskette aktiviert werden.
Wenn ein Säugling unerwartet leblos aufgefunden wird, sollte zunächst mit der Reanimation begonnen werden, wenn nicht sichere Todeszeichen vorliegen (Totenflecken, Totenstarre). Die erforderlichen Maßnahmen nach Todesfeststellung werden in Kap. Plötzlicher Kindstod beschrieben.
Affektkrämpfe
Nur scheinbar bedrohlich sind die sog. Affektkrämpfe. Hier kommt es beim Säugling bzw. Kleinkind meist im Kontext von Schmerz, Ärger oder Angst zu Apnoe, Bewusstseinsverlust und evtl. sogar auch zu myoklonischen Zuckungen oder Tonusverlust. Die „blauen“ Affektkrämpfe gehen in der Regel mit einer Tachykardie einher, die „blassen“ mit einer eine Bradykardie. Diese Zustände sistieren spontan und bedürfen keiner Therapie.
Hyperventilationstetanie
Das Äquivalent bei Jugendlichen sind die Hyperventilationstetanien. Hier führen Angst, Freude, Schreck oder Überraschung zur selbst kaum wahrgenommenen Hyperventilation mit Bewusstseinseintrübung durch zerebrale Minderperfusion und Tetanie durch vorübergehenden alkalosebedingten Mangel an ionisiertem Kalzium.
Anaphylaktischer Schock
Das Vollbild eines anaphylaktischen Schocks geht mit Blutdruckabfall und Atemnot einher. Dieses lebensgefährliche Ereignis kann völlig überraschend nach banalen Eingriffen oder Ereignissen wie Impfungen, Insektenstichen oder Kontakt mit Nahrungsallergenen eintreten, so dass mindestens in jeder Klinik und ärztlichen Praxis die Voraussetzungen für sofortige Notfallmaßnahmen vorliegen müssen. Die wichtigsten Primärmaßnahmen sind Kreislaufvolumenauffüllung durch Hinlegen mit Beinhochlagerung bzw. Infusion von 30 ml/kg KG isotoner NaCl, Freihalten der Atemwege und Sauerstoffgabe, Infusion von Adrenalin 1–10 μg/kg KG i.v. und Inhalation von Betamimetika, z. B. als Fenoterol-Dosieraerosol. Kortikoide, z. B. Prednisolon 5 mg/kg KG i.v. und Antihistaminika, z. B. als Clemastin 0,05 mg/kg KG i.v. sind indiziert, helfen aber nicht sofort und hinreichend.
Akute inspiratorische Atemnot
Ursache akuter inspiratorischer Atemnot (Stridor) sind u. a. die akute Laryngitis (Pseudokrupp), die bakterielle Epiglottitis und die Fremdkörperaspiration. Ruhe bewahren und sitzende Körperhaltung des Patienten sind die wichtigsten einfachen Maßnahmen. Inhalieren mit Adrenalin und Sauerstoffgabe hilft beim Pseudokrupp, Antibiotikainfusion im Frühstadium der Epiglottitis und Aushusten unter Beklopfen des Rückens in Kopftieflage bei Fremdkörpern in den oberen Atemwegen. In lebensbedrohlichen Situationen sind eine Notfallintubation in tiefer Analgosedierung und ggf. Muskelrelaxierung, instrumentelles Entfernen des Fremdkörpers oder sogar eine Notfalltracheotomie erforderlich.
Verbrennung/Verbrühung
Die verbrannte Hautregion muss sofort mit Wasser gekühlt werden. Bei frühzeitigem Beginn kann das Ausmaß der Schäden vermindert werden.
Akute Blutung
Bei akuter Blutung ist die Kompression des verletzten Gefäßgebiets die wichtigste Maßnahme. Sie muss ausreichend lange (3–5 min ohne Unterbrechung) erfolgen.
Schädel-Hirn-Trauma
Hier erfolgt die umgehende Einweisung in eine Notfallambulanz bzw. Klinik mit der Möglichkeit zur kinderneurologischen Befunderhebung und Bildgebung durch Schädel-CT im Bedarfsfall. Bei Vorliegen von Bewusstlosigkeit ist eine Intubation und Transport unter Beatmung indiziert, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen. In diesen Fällen sollte schon der Primärtransport in eine Klinik erfolgen, in der Kraniotomien bei Kindern, z. B. mit epiduralem Hämatom, durchgeführt und eine Intensivbehandlung auf einer Kinderintensivstation durchgeführt werden können.
Literatur
European Resuscitation Council (2010) Full version of the 2010 European Resuscitation Guidelines. https://​www.​erc.​edu/​index.​php/​doclibrary/​en/​209/​1. Zugegriffen am 19.10.2010