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Pädiatrie
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Publiziert am: 02.08.2019

Parvovirus-B19-Infektionen bei Kindern und Jugendlichen

Verfasst von: Marcus Panning, Volker Schuster und Hans-Wolfgang Kreth
Die Parvovirus-B19-Infektion (PVB19) führt typischerweise zum Krankheitsbild von Ringelröteln, bei älteren Kindern und Jugendlichen auch zum Gloves-and-socks-Syndrom. Gefürchtet ist die Parvovirus-B19-Infektion bei Schwangeren mit Ausbildung eines fetalen Hydrops. Bei Patienten mit vorbestehender hämolytischer Anämie (z. B. Kugelzellanämie) kann eine Parvovirus-B19-Infektion zu einer unter Umständen lebensbedrohlichen aplastischen Krise führen.
Epidemiologie
Einziges Erregerreservoir ist der Mensch. Die Seroprävalenz beträgt bei kleinen Kindern 5–10 %, bei Erwachsenen 40–60 %. In den späten Winter- und Frühjahrsmonaten treten häufig kleine Epidemien in Kindergärten, Schulen oder anderen Gemeinschaftseinrichtungen auf. Die Übertragung erfolgt durch Direktkontakt über Tröpfchen, aber auch durch kontaminierte Hände und in seltenen Fällen über infizierte Blutprodukte. In ca. 30 % der Fälle wird die Infektion auch vertikal von der infizierten Schwangeren auf den Fetus übertragen (Kap. „Pränatale Infektionen“ und Kap. „Perinatal und postnatal erworbene Infektionen“). Die Infektion geht mit sehr hohen Virämien einher (bis zu 1012 Viruspartikel/ml).
Die Infektiosität ist in den ersten 4–10 Tagen nach Inokulation am höchsten. Kinder mit Exanthem (Ringelröteln) sind praktisch nicht mehr ansteckungsfähig. Dagegen sind Patienten mit Parvovirus-B19-bedingten aplastischen Krisen hochinfektiös. Die Inkubationszeit beträgt 4–14 Tage (max. 21 Tage). Die Infektion hinterlässt vermutlich eine lebenslange Immunität.
Ätiologie
Parvovirus B19 ist ein nichtumhülltes, sehr kleines Virus aus der Familie der Parvoviridae im Genus Erythrovirus. Es ist das kleinste humanpathogene Virus. Das Genom besteht aus einer einzelsträngigen DNA. Es sind bisher 3 Genotypen bekannt. Das Virus vermehrt sich nur in mitotischen Zellen, bevorzugt in Erythroblasten. Der virale Rezeptor, die Blutgruppensubstanz P, findet sich außer auf Erythroblasten auch auf Endothelzellen, fetalen Leberzellen, Megakaryozyten, Plazenta- und Herzzellen. Individuen ohne P-Antigen sind resistent gegenüber Parvovirus-B19-Infektionen.
Pathogenese
Die Eintrittspforte für Parvovirus B19 ist der obere Respirationstrakt. Durch lytische Infektionen der Erythroblasten im Knochenmark resultiert ein Reifungsstopp der Erythropoese (Retikulozytopenie!), der ca. 5–10 Tage anhält. Beim hämatologisch gesunden Patienten kommt es dadurch zu einem Absinken des Hämoglobins um 1–2 g/dl (Umrechnung: g/dl × 0,62 = mmol/l), was klinisch allerdings kaum in Erscheinung tritt. Nicht selten wird auch eine leichte Neutro- und Thrombozytopenie beobachtet. Die Krankheitsmanifestationen Exanthem und Arthritis, die bevorzugt 17–21 Tage nach Infektion auftreten, sind höchstwahrscheinlich durch Ablagerung von Immunkomplexen in Haut und Gelenken bedingt. Entscheidend für die Bewältigung einer Parvovirus-B19-Infektion ist das humorale Immunsystem.
Patienten mit eingeschränkter humoraler Immunität aufgrund angeborener oder erworbener Immundefekte können das Virus nicht eliminieren. Dadurch resultieren chronisch-persistierende Parvovirus-B19-Infektionen. Die Entstehung eines Hydrops fetalis nach intrauteriner Infektion wird vor allem mit der Infektion von fetalen Erythroblasten und der daraus resultierenden Anämie und Hypoxämie erklärt. Zudem spielt möglicherweise auch die direkte Infektion von Endothelzellen durch Parvovirus B19 eine Rolle. In bestimmten Fällen kann möglicherweise die Infektion des fetalen Myokards durch Parvovirus B19 zu einer eingeschränkten Herzfunktion ebenfalls mit der Folge eines Hydrops fetalis führen.
Klinische Symptome
Parvovirus B19 erzeugt ein weites Spektrum von Krankheiten (Tab. 1). Bei der Mehrzahl der infizierten Individuen verläuft die Infektion asymptomatisch oder unter dem klinischen Bild einer grippalen Infektion.
Tab. 1
Mit Parvovirus B19 assoziierte Krankheiten
Krankheit
Wirtsfaktoren
Infektionen des Respirationstraktes
Seronegative Individuen
Erythema infectiosum (Ringelröteln)
Seronegative Individuen
Arthralgie/Arthritis
Frauen > Männer
Aplastische Krisen
Chronisch-hämolytische Anämien
Chronisch-rezidivierende Anämien
Angeborene oder erworbene Immundefekte
Schwangerschaft
Ringelröteln (Erythema infectiosum)
Die typische Exanthemkrankheit wird nur bei 15–20 % aller Infizierten beobachtet, und zwar hauptsächlich bei Kindern. Nach einem 2–3 Tage andauernden Prodromalstadium mit unspezifischen Symptomen wie Fieber, Abgeschlagenheit, Muskel- und Kopfschmerzen (zeitgleich mit der Virämie) und einem anschließenden beschwerdefreien Intervall von ca. 1 Woche treten plötzlich an den Wangen große rote Flecken auf, die zu einer erysipelartigen Röte konfluieren (slapped cheek). An den folgenden Tagen treten an Schultern, Oberarmen, Oberschenkeln und Gesäß makulopapulöse, zur Konfluenz neigende Effloreszenzen auf. Durch zentrales Abblassen entstehen die typischen girlanden- und gitterförmigen Muster. In den folgenden Tagen und Wochen (bis Monaten) können immer neue pleomorphe Exantheme auftreten, mitunter provoziert durch Sonnenlicht oder hohe Temperatur. Das Allgemeinbefinden ist wenig beeinträchtigt. Bei jungen Erwachsenen wurden auch Exantheme mit strenger Begrenzung auf Hände und Füße (glove and sock syndrome) beschrieben.
Arthralgie/Arthritis
Entzündliche Gelenkbeschwerden (Dauer 2 Wochen bis mehrere Monate) treten hauptsächlich bei Mädchen und jungen Frauen auf. Ein Exanthem kann mitunter fehlen. Befallen sind bevorzugt die Knie-, Sprung- und proximalen Interphalangealgelenke, oft in symmetrischer Ausprägung. Die Prognose der Parvovirus-B19-assoziierten Polyarthritis ist in der Regel gut. Ob es pathogenetische Beziehungen zur rheumatoiden Arthritis gibt, ist Gegenstand der Diskussion.
Aplastische Krise
Bei Patienten mit chronischen hämolytischen Anämien und verkürzter Erythrozytenüberlebenszeit (Sphärozytose, Sichelzellanämie, Thalassämie u. a.) oder mit verminderter Erythrozytenproduktion (schwere Eisenmangelanämie u. a.) kann eine Parvovirus-B19-Infektion zu einer lebensbedrohlichen aplastischen Krise führen. Eine aplastische Krise durch Parvovirus B19 ist oft die Erstmanifestation einer Sphärozytose! Ein Exanthem fehlt bei diesen Patienten fast immer.
Chronisch-rezidivierende Anämien
Bei Patienten mit angeborenen oder erworbenen Immundefekten (Antikörpermangelsyndrome, AIDS, zytostatische/immunsuppressive Therapie) und gestörter Viruselimination kann es zu chronisch-rezidivierenden, hyporegeneratorischen Anämien kommen. Typischerweise fehlt bei diesen Patienten die spezifische Antikörperbildung gegen Parvovirus B19.
Hydrops fetalis
Der Hydrops fetalis wird in Kap. „Pränatale Infektionen“ dargestellt.
Seltene Manifestationen
Durch Parvovirus B19 kann Hepatitis (vor allem bei Kleinkindern), Myokarditis, aseptische Meningitis oder Enzephalitis sowie hämophagozytische Lymphohistiozytose hervorgerufen werden. Keine nachweisbare Assoziationen bestehen mit folgenden Krankheiten: idiopathische thrombozytopenische Purpura, Immunneutropenie, Schoenlein-Henoch-Purpura, Kawasaki-Krankheit, Granulomatose mit Polyangiitis (früher Wegener‘sche Granulomatose), und periphere Neuropathien. Ob und welche Rolle Parvovirus B19 bei Autoimmunerkrankungen spielt, ist noch nicht geklärt.
Diagnose
Die Labordiagnostik der akuten Parvovirus-B19-Infektion erfolgt durch serologische oder molekularbiologische Verfahren oder deren Kombination. Bei Vorliegen des typischen Exanthems und unkomplizierten Fällen ist eine Labordiagnostik nicht erforderlich. Nur in unklaren Fällen erfolgt eine Antikörperbestimmung (IgG, IgM). In besonderen Fällen, z. B. bei immuninsuffizienten Patienten mit chronischer Anämie, wird B19-Virus-DNA mittels PCR aus Blut und/oder Knochenmark nachgewiesen. Bei der akuten Infektion sind die spezifischen IgM-Antikörper nicht immer nachweisbar, sodass bei dringender Indikation zur Diagnosesicherung zusätzlich eine PCR erfolgen sollte. Bei einem nicht immunologisch bedingten Hydrops fetalis und Verdacht auf eine Parvovirus-B19-Infektion sollte ebenfalls der DNA-Nachweis durchgeführt werden.
Therapie
Es existiert keine virusspezifische Therapie. Bei immuninsuffizienten Patienten mit chronischer Anämie und B19-Virus-Persistenz sollten Immunglobuline (IVIG) therapeutisch eingesetzt werden.
Maßnahmen bei einer frischen Parvovirus-B19-Infektion in der Schwangerschaft und bei einem Hydrops fetalis sind in Kap. „Pränatale Infektionen“ beschrieben
Prophylaxe
Es gibt bisher keinen Impfstoff. Auch über die prophylaktische Wirkung von Immunglobulinen ist bisher nichts bekannt.
Patienten mit aplastischen Krisen sind längere Zeit (mindestens über 7 Tage nach Krankheitsbeginn) hochinfektiös. Sie müssen daher isoliert werden. Dagegen sind immunkompetente und hämatologisch gesunde Kinder mit Exanthem nicht mehr infektiös. Sie dürfen öffentliche Gemeinschaftseinrichtungen wieder besuchen, auch wenn dies leider ohne Grund oft anders angeordnet wird.
Parvoviren sind äußerst stabil. Gründliche Händedesinfektion ist daher sehr wichtig, um nosokomiale Infektionen zu verhindern.
Weiterführende Literatur
Fretzayas A et al (2009) Papular-purpuric gloves and socks syndrome in children and adolescents. Pediatr Infect Dis J 28(3):250–252CrossRef
Gosset C, Viglietti D, Hue K, Antoine C, Glotz D, Pillebout E (2012) How many times can parvovirus B19-related anemia recur in solid organ transplant recipients? Transpl Infect Dis 14(5):E64–E70. https://​doi.​org/​10.​1111/​j.​1399-3062.​2012.​00773.​x. Epub 2012 Aug 30. Review. PubMed PMID: 22931551CrossRefPubMed
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