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Pädiatrie
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Publiziert am: 10.08.2019

Physiologische Grundlagen der Nierenfunktion bei Kindern und Jugendlichen

Verfasst von: Siegfried Waldegger
Die Funktion der Nieren lässt sich in folgende wesentliche Aufgaben gliedern: Die Ausscheidung von Wasser und hydrophilen Substanzen, die Konstanterhaltung des Wasser-, Mineral- und Säure-Basen-Haushalts, die endokrine Regulation des Blutdrucks, der Kalzium-Phosphat-Homöostase und der Erythropoese sowie die Beteiligung am Intermediärstoffwechsel (z. B. durch Glukoneogenese aus Aminosäuren und Laktat).

Funktionen der Niere

Die Funktion der Nieren lässt sich in folgende wesentliche Aufgaben gliedern:
  • Ausscheidung von Wasser und hydrophilen Substanzen,
  • Konstanterhaltung des Wasser-, Mineral- und Säure-Basen-Haushalts,
  • endokrine Regulation des Blutdrucks, der Kalzium-Phosphat-Homöostase und der Erythropoese sowie
  • Beteiligung am Intermediärstoffwechsel (z. B. durch Glukoneogenese aus Aminosäuren und Laktat).
Entscheidend für die Ausscheidungsfunktionen der Niere ist die Produktion von Urin, die die Aufrechterhaltung eines Flüssigkeitsstroms entlang des gesamten tubulären Systems voraussetzt. Quelle des Flüssigkeitsstroms ist das Glomerulum, über dessen Kapillarschlingen ein Ultrafiltrat generiert wird, das in seiner Zusammensetzung einer nahezu proteinfreien Extrazellulärlösung entspricht. Das Ultrafiltrat generierende Glomerulum bildet mit dem sich über die Bowman-Kapsel anschließenden Tubulussystem eine funktionelle Einheit, das Nephron. Die Anzahl der Nephrone pro Niere zum Ende der fetalen Nephrogenese im Alter von 36 SSW ist großen Schwankungen unterworfen (zwischen 0,3 und 1,5 Mio.) und zeigt eine direkte Korrelation zum Geburtsgewicht. Eine inverse Korrelation zur Anzahl der Nephrone zeigt das Volumen der Glomerula. Dies wird als Ausdruck einer kompensatorischen Hypertrophie gewertet, bei der weniger Glomerula die gleiche Menge an Ultrafiltrat produzieren. Vermutlich besteht ein Zusammenhang dieser Hyperfiltration mit einer später sich auf dem Boden einer zunehmenden glomerulären Schädigung entwickelnden arteriellen Hypertonie (Brenner-Hypothese).
Trotz vergleichbarer Anzahl von Glomerula beträgt die auf die Körperoberfläche normierte glomeruläre Filtrationsrate (GFR) beim eutrophen Neugeborenen in den ersten Lebenstagen ungefähr nur 10 % der adulten Werte. Bei hypotrophen oder unreifen Neugeborenen reduziert sich die GFR auf 5 % der adulten Werte. Diese „physiologische Niereninsuffizienz“ begrenzt die renale Ausscheidungsfähigkeit für Wasser, Elektrolyte oder wasserlösliche Xenobiotika, was in den entsprechenden Dosierungsempfehlungen berücksichtigt werden muss. Ursächlich verantwortlich für die niedrige GFR sind ein im Vergleich zum Erwachsenen niedriger renaler Blutfluss (5 % versus 25 % des Herzminutenvolumens), eine niedrigere hydraulische Permeabilität des glomerulären Filters sowie eine niedrigere Filtrationsfläche. Zudem nimmt mit zunehmender Unreife des Neugeborenen die Fähigkeit zur renalen Autoregulation der Durchblutung ab, sodass Schwankungen des arteriellen Blutdrucks sowohl nach unten als auch nach oben mit gleichsinnigen Veränderungen der GFR verbunden sind. Das unreife Neugeborene gerät somit bei arterieller Hypotension sehr rasch in ein prärenales Nierenversagen. Umgekehrt führt eine arterielle Hypertension leicht zu einem durch die Druckdiurese induzierten renalen Salzverlust. Beide Situationen begünstigen bei der üblichen hypotonen Flüssigkeitszufuhr die Entstehung einer Hyponatriämie, die als Risikofaktor für mehrere frühgeburtlichkeitsassoziierte Erkrankungen (Hirnblutung, infantile Zerebralparese, Schwerhörigkeit) gilt. Ein mit adulten Verhältnissen vergleichbares Ausmaß der GFR und Fähigkeit zur renalen Autoregulation der Durchblutung wird erst zum Ende des 1. Lebensjahres erreicht.
Das über die glomerulären Kapillaren generierte Ultrafiltrat gelangt über die Bowman-Kapsel in das tubuläre System. Überwiegend durch Resorptionsprozesse und im geringeren Ausmaß durch tubuläre Sekretion wird das Ultrafiltrat (Primärurin) entlang des Tubulus in seiner Zusammensetzung bis hin zum Endurin, der am Ende der Sammelrohre in das harnableitende System ausgeschieden wird, verändert. Im proximalen Tubulus direkt im Anschluss an die Bowman-Kapsel werden etwa 2/3 des filtrierten Volumens und der darin gelösten Substanzen resorbiert. Insbesondere Substrate wie Glukose, Aminosäuren, Bikarbonat, Phosphat, Laktat, Oligopeptide und niedermolekulare Plasmaproteine werden praktisch vollständig bereits entlang des proximalen Tubulus dem Ultrafiltrat entnommen und dem Kreislauf wieder zugeführt. Eine Ausscheidung dieser Substrate im Urin findet sich entweder bei einer Überschreitung der Resorptionskapazität (Nierenschwelle) des proximalen Tubulus (z. B. Glukosurie bei Hyperglykämie) oder bei einer generalisierten proximal tubulären Funktionsstörung (z. B. renales Fanconi-Syndrom mit Glukosurie, Aminoazidurie, tubulärer Proteinurie, Hypophosphatämie und renalem Bikarbonatverlust mit daraus resultierender metabolischer Azidose, Kap. „Tubulopathien bei Kindern und Jugendlichen“).
Die führende Aufgabe der sich an den proximalen Tubulus anschließenden Henle-Schleife ist der Aufbau einer hohen Osmolalität im Nierenmark durch die NaCl-Resorption in der Pars ascendens. Das hypertone Mark entzieht den Sammelrohren Wasser und ist somit Grundvoraussetzung für die Urinkonzentrierung. Störungen im Bereich der Henle-Schleife führen somit zu einer Isosthenurie, d. h. einem Unvermögen, den Urin über die Plasmaosmolalität hinaus zu konzentrieren. Folge ist eine isotone Volumenkontraktion mit Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems und Zeichen des sekundären Hyperaldosteronismus (Hypokaliämie, metabolische Alkalose).
Die Feineinstellung der Elektrolytausscheidung erfolgt im distalen Tubulus und im kortikalen Sammelrohr. Die Transportaktivitäten in diesen Tubulussegmenten ist Ziel diverser hormoneller Regulationsmechanismen. Besonders erwähnenswert hierbei ist die Wirkung von Aldosteron, das die transepitheliale Natriumresorption steigert. Bedingt durch die damit verbundene Depolarisation der tubulären Epithelzellen kommt es zu einem Ausstrom von Kalium in das Tubuluslumen und damit zu einer vermehrten Kaliumausscheidung. Ein Mangel an Aldosteron, ein Funktionsverlust des Aldosteronrezeptors oder des über diesen Rezeptor regulierten epithelialen Natriumkanals führen daher zu der typischen Konstellation von Hyponatriämie mit Hyperkaliämie, dem Leitsymptom des Sammelrohrdefekts. Umgekehrt führt die Überaktivität von einer der genannten Komponenten zu einer Natriumretention, die infolge osmoregulatorischer Mechanismen zu einer isotonen Volumenexpansion mit arterieller Hypertonie führt und zu einer gesteigerten Kaliumausscheidung mit Hypokaliämie.
Das medulläre Sammelrohr als letztes Segment des tubulären Systems schließlich dient der Feineinstellung der Wasserresorption. Hypothalamische Kerngebiete mit osmorezeptiven Neuronen steuern dabei die Inkretion von antidiuretischem Hormon (ADH) aus der Hypophyse. Nur unter Anwesenheit von ADH werden wasserpermeable Aquaporine (AQP-2) in die apikale Membran der Sammelrohrepithelzellen eingebaut. Die durch die Transportmechanismen der Henle-Schleifen generierte hohe Osmolalität des Nierenmarks erlaubt den osmotisch getriebenen Ausstrom von Wasser aus dem Lumen der Sammelrohre. Unter maximaler ADH-Stimulation kann der Urin auf ca. das Dreifache der Plasmaosmolalität konzentriert werden. Ein Mangel an ADH, ein Funktionsverlust von dessen Rezeptor (Vasopressin-V2-Rezeptor) oder des AQP-2-Kanals führen zur Ausscheidung eines stark verdünnten Urins (Hyposthenurie). Nur mit Hilfe intakter Mechanismen der Durst- und Trinkregulation kann dann die Plasmaosmolalität durch vermehrtes Trinken von Wasser konstant gehalten werden. Ist dies nicht möglich, kommt es zu einer hypertonen Dehydratation mit Hypernatriämie bei gleichzeitig hypotonem Urin (Diabetes insipidus). Umgekehrt führt ein Überschuss an ADH (z. B. beim SIADH-Syndrom) oder – sehr selten – eine Überaktivität des V2-Rezeptors zu einer inadäquaten Retention von Wasser mit Hypoosmolalität des Plasmas (erkennbar an der Hyponatriämie) bei gleichzeitig hoher Urinosmolalität. Bei der Interpretation von Laborwerten aus Plasma und Urin ist zu beachten, dass die Plasmanatriumkonzentration bei normalem Blutzucker einen brauchbaren Indikator der Plasmaosmolalität darstellt. Die Urinnatriumkonzentration hingegen hängt von der Natriumausscheidung und damit indirekt von der Natriumzufuhr ab und lässt keinen Rückschluss auf die Urinosmolalität zu. Rückschlüsse auf die Urinkonzentrierung und damit auf das Ausmaß der Wasserausscheidung lassen daher nur das spezifische Gewicht des Urins und – noch verlässlicher – die direkte Messung der Urinosmolalität zu.

Parameter zur Einschätzung der Nierenfunktion

Die Überwachung der Nierenfunktion gehört beim kritisch kranken Kind wie die regelmäßige Prüfung der Herz-Kreislauf-Funktion, der Atmung, der Temperatur und der Bewusstseinslage zu den elementaren Aufgaben der Intensivmedizin. Es besteht eine direkte Korrelation zwischen dem Ausmaß einer Nierenfunktionsbeeinträchtigung und dem negativen Outcome intensivmedizinisch betreuter Patienten.

Urinausscheidung

Der am einfachsten fassbare Parameter der Nierenfunktion ist die Urinausscheidung, die normalerweise etwa 1–5 ml/kg KG und Stunde beträgt. Ein plötzlicher Rückgang der Urinproduktion bei gleichbleibender Volumenzufuhr ist dabei der verlässlichste Hinweis auf eine neu aufgetretene Nierenfunktionsstörung. Die absoluten Mengen der Urinausscheidung lassen weder im Normalbereich noch bei Polyurie einen Rückschluss auf die GFR zu, die in beiden Fällen normal oder reduziert sein kann. Lediglich bei Oligurie und Anurie ist – nach Ausschluss einer Harntransportstörung – eine eingeschränkte GFR anzunehmen. Laborchemisch lässt sich die Einschränkung der GFR durch den Verlauf der Plasmakonzentrationen von Kreatinin und/oder Cystatin C abschätzen. Auch hier sind die Verlaufsdaten aussagekräftiger als die absoluten Werte, die erheblichen individuellen Schwankungen unterworfen sind. Bei stabiler Nierenfunktion ist daher immer noch die Messung der Kreatinin-Clearance im 24-h-Sammelurin Goldstandard zur Ermittlung der GFR. Die Kalkulation des Filtratvolumens basiert dabei auf der Annahme, dass die Menge des im Urin über 24 Stunden ausgeschiedenen Kreatinins (entspricht dem Produkt aus Urinvolumen und Kreatininkonzentration im Urin) der in 24 Stunden glomerulär filtrierten Kreatininmenge (Produkt aus Ultrafiltratvolumen und Kreatininkonzentration im Ultrafiltrat) entspricht. Kreatinin wird frei filtriert, sodass die Konzentration im Ultrafiltrat der Plasmakonzentration entspricht. Da die Urinmenge/24 Stunden (VU), die Urin- (KreaU) und die Plasmakonzentrationen (KreaP) von Kreatinin bestimmbar sind, lässt sich die Menge des in 24 Stunden produzierten Ultrafiltrates (VUF) errechnen, wobei der 24-h-Wert auf 1 min zurückgerechnet und auf 1,73 m2 Körperoberfläche normiert wird:
$$ {V}_{UF}=\left({V}_U\times {Krea}_U\right)/{Krea}_P $$
Nachteile dieses Verfahrens sind die fehleranfällige und lange Sammelperiode von 24 Stunden, die eine Messung der GFR nur bei konstanter Nierenfunktion erlaubt, sowie eine geringe tubuläre Sekretion von Kreatinin, die insbesondere bei deutlichen Nierenfunktionseinschränkungen die GFR überschätzen lässt. Da im Gegensatz zu Kreatinin Harnstoff tubulär resorbiert wird, entspricht bei deutlich eingeschränkter Nierenfunktion die GFR eher dem arithmetischen Mittel aus Kreatinin- und Harnstoff-Clearance.

Fraktionelle Natriumexkretion

Zur Differenzierung der Ursache einer Einschränkung der GFR, insbesondere zur Unterscheidung einer prärenalen von einer renalen Nierenfunktionsstörung, ist die Bestimmung der fraktionellen Natriumexkretion (fENa) hilfreich. Diese beschreibt den prozentualen Anteil des im Urin ausgeschiedenen Natriums (Produkt aus Urinvolumen VU und Natriumkonzentration im Urin NaU) bezogen auf die filtrierte Natriummenge (Produkt aus Ultrafiltratvolumen VUF und Natriumkonzentration im Plasma NaP). Ersetzt man das Ultrafiltratvolumen VUF durch oben genannte Kreatinin-Clearance, erhält man die fENa-Gleichung
$$ fENa=\frac{Na_U\times {Krea}_P}{Na_P\times {Krea}_U}, $$
$$ \mathrm{Quotient}\times 100\ \mathrm{zur}\ \mathrm{Angabe}\ \mathrm{in}\% $$
Die quantitativ führende Aufgabe des Tubulussytems ist die Reabsorption von filtriertem NaCl. Die fENa dient daher als globaler Tubulusfunktionsparameter, wobei eine eingeschränkte Tubulusfunktion mit einer Erhöhung der fENa einhergeht (normalerweise <1 %). Eine prärenale Nierenfunktionsstörung beeinträchtigt zunächst nicht die Tubulusfunktion und führt daher üblicherweise nicht zu einem Anstieg der fENa. Berücksichtigt werden muss, dass die Fähigkeit zur tubulären Natriumreabsorption beeinträchtigt wird durch Unreife des Tubulussystems und durch Gabe von Diuretika, die den tubulären Natriumtransport inhibieren.

Sonografie

Unverzichtbare zusätzliche Informationen zur Ätiologie einer Nierenfunktionsstörung liefern neben den laborchemischen Analysen sonografisch erhobene Daten, die eine direkte Beurteilung von Parenchymstruktur und renaler Perfusion ermöglichen (Kap. „Nephrologische Diagnostik bei Kindern und Jugendlichen“).

Fraktionelle Phosphatexkretion

Analog zur Bestimmung der fraktionellen Natriumexkretion lassen sich auch für alle anderen Urinelektrolyte fraktionelle Exkretionen errechnen. Eine gewisse praktische Bedeutung dabei hat die Bestimmung der fraktionellen Phosphatexkretion (fEPh) erlangt, da sie – im Gegensatz zur fENa – Rückschlüsse auf die Funktion eines spezifischen Tubulussegments, nämlich des proximalen Tubulus, zulässt. Gebräuchlich ist dabei die Angabe als tubuläre Reabsorption von Phosphat TRP = 100–fEPh (Angabe in %). Bei ungestörter Funktion des proximalen Tubulus beträgt die TRP zwischen 78 und 98 % (entsprechend einer fEPh von 2–22 %). Eine gesteigerte fENa kombiniert mit einer reduzierten TPR deuten daher auf eine proximal tubuläre Funktionsstörung, z. B. im Rahmen eines Fanconi-Syndroms.