Funktionen der Niere
Die Funktion der Nieren lässt sich in folgende wesentliche Aufgaben gliedern:
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Ausscheidung von Wasser und hydrophilen Substanzen,
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Konstanterhaltung des Wasser-, Mineral- und Säure-Basen-Haushalts,
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endokrine Regulation des Blutdrucks, der Kalzium-Phosphat-Homöostase und der Erythropoese sowie
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Beteiligung am Intermediärstoffwechsel (z. B. durch Glukoneogenese aus
Aminosäuren und
Laktat).
Entscheidend für die Ausscheidungsfunktionen der Niere ist die Produktion von
Urin, die die Aufrechterhaltung eines Flüssigkeitsstroms entlang des gesamten tubulären Systems voraussetzt. Quelle des Flüssigkeitsstroms ist das Glomerulum, über dessen Kapillarschlingen ein Ultrafiltrat generiert wird, das in seiner Zusammensetzung einer nahezu proteinfreien Extrazellulärlösung entspricht. Das Ultrafiltrat generierende Glomerulum bildet mit dem sich über die Bowman-Kapsel anschließenden Tubulussystem eine funktionelle Einheit, das Nephron. Die Anzahl der Nephrone pro Niere zum Ende der fetalen Nephrogenese im Alter von 36 SSW ist großen Schwankungen unterworfen (zwischen 0,3 und 1,5 Mio.) und zeigt eine direkte Korrelation zum Geburtsgewicht. Eine inverse Korrelation zur Anzahl der Nephrone zeigt das Volumen der Glomerula. Dies wird als Ausdruck einer kompensatorischen Hypertrophie gewertet, bei der weniger Glomerula die gleiche Menge an Ultrafiltrat produzieren. Vermutlich besteht ein Zusammenhang dieser Hyperfiltration mit einer später sich auf dem Boden einer zunehmenden glomerulären Schädigung entwickelnden
arteriellen Hypertonie (Brenner-Hypothese).
Trotz vergleichbarer Anzahl von Glomerula beträgt die auf die
Körperoberfläche normierte
glomeruläre Filtrationsrate (GFR) beim eutrophen Neugeborenen in den ersten Lebenstagen ungefähr nur 10 % der adulten Werte. Bei hypotrophen oder unreifen Neugeborenen reduziert sich die GFR auf 5 % der adulten Werte. Diese „physiologische Niereninsuffizienz“ begrenzt die renale Ausscheidungsfähigkeit für Wasser,
Elektrolyte oder wasserlösliche
Xenobiotika, was in den entsprechenden Dosierungsempfehlungen berücksichtigt werden muss. Ursächlich verantwortlich für die niedrige GFR sind ein im Vergleich zum Erwachsenen niedriger renaler Blutfluss (5 % versus 25 % des Herzminutenvolumens), eine niedrigere hydraulische Permeabilität des glomerulären Filters sowie eine niedrigere Filtrationsfläche. Zudem nimmt mit zunehmender Unreife des Neugeborenen die Fähigkeit zur renalen Autoregulation der Durchblutung ab, sodass Schwankungen des arteriellen Blutdrucks sowohl nach unten als auch nach oben mit gleichsinnigen Veränderungen der GFR verbunden sind. Das unreife Neugeborene gerät somit bei arterieller Hypotension sehr rasch in ein prärenales
Nierenversagen. Umgekehrt führt eine arterielle
Hypertension leicht zu einem durch die Druckdiurese induzierten renalen Salzverlust. Beide Situationen begünstigen bei der üblichen hypotonen Flüssigkeitszufuhr die Entstehung einer
Hyponatriämie, die als Risikofaktor für mehrere frühgeburtlichkeitsassoziierte Erkrankungen (Hirnblutung, infantile Zerebralparese, Schwerhörigkeit) gilt. Ein mit adulten Verhältnissen vergleichbares Ausmaß der GFR und Fähigkeit zur renalen Autoregulation der Durchblutung wird erst zum Ende des 1. Lebensjahres erreicht.
Das über die glomerulären Kapillaren generierte Ultrafiltrat gelangt über die Bowman-Kapsel in das tubuläre System. Überwiegend durch Resorptionsprozesse und im geringeren Ausmaß durch tubuläre Sekretion wird das Ultrafiltrat (Primärurin) entlang des Tubulus in seiner Zusammensetzung bis hin zum Endurin, der am Ende der Sammelrohre in das harnableitende System ausgeschieden wird, verändert. Im proximalen Tubulus direkt im Anschluss an die Bowman-Kapsel werden etwa 2/3 des filtrierten Volumens und der darin gelösten Substanzen resorbiert. Insbesondere Substrate wie
Glukose,
Aminosäuren, Bikarbonat,
Phosphat,
Laktat,
Oligopeptide und niedermolekulare
Plasmaproteine werden praktisch vollständig bereits entlang des proximalen Tubulus dem Ultrafiltrat entnommen und dem Kreislauf wieder zugeführt. Eine Ausscheidung dieser Substrate im
Urin findet sich entweder bei einer Überschreitung der Resorptionskapazität (Nierenschwelle) des proximalen Tubulus (z. B. Glukosurie bei Hyperglykämie) oder bei einer generalisierten proximal tubulären Funktionsstörung (z. B. renales
Fanconi-Syndrom mit Glukosurie, Aminoazidurie, tubulärer Proteinurie,
Hypophosphatämie und renalem Bikarbonatverlust mit daraus resultierender metabolischer Azidose, Kap. „Tubulopathien bei Kindern und Jugendlichen“).
Die führende Aufgabe der sich an den proximalen Tubulus anschließenden Henle-Schleife ist der Aufbau einer hohen
Osmolalität im Nierenmark durch die NaCl-Resorption in der Pars ascendens. Das hypertone Mark entzieht den Sammelrohren Wasser und ist somit Grundvoraussetzung für die Urinkonzentrierung. Störungen im Bereich der Henle-Schleife führen somit zu einer Isosthenurie, d. h. einem Unvermögen, den
Urin über die Plasmaosmolalität hinaus zu konzentrieren. Folge ist eine isotone Volumenkontraktion mit Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems und Zeichen des sekundären Hyperaldosteronismus (Hypokaliämie, metabolische Alkalose).
Die Feineinstellung der Elektrolytausscheidung erfolgt im distalen Tubulus und im kortikalen Sammelrohr. Die Transportaktivitäten in diesen Tubulussegmenten ist Ziel diverser hormoneller Regulationsmechanismen. Besonders erwähnenswert hierbei ist die Wirkung von
Aldosteron, das die transepitheliale Natriumresorption steigert. Bedingt durch die damit verbundene Depolarisation der tubulären Epithelzellen kommt es zu einem Ausstrom von
Kalium in das Tubuluslumen und damit zu einer vermehrten Kaliumausscheidung. Ein Mangel an Aldosteron, ein Funktionsverlust des Aldosteronrezeptors oder des über diesen Rezeptor regulierten epithelialen Natriumkanals führen daher zu der typischen Konstellation von
Hyponatriämie mit Hyperkaliämie, dem Leitsymptom des Sammelrohrdefekts. Umgekehrt führt die Überaktivität von einer der genannten Komponenten zu einer Natriumretention, die infolge osmoregulatorischer Mechanismen zu einer isotonen Volumenexpansion mit
arterieller Hypertonie führt und zu einer gesteigerten Kaliumausscheidung mit Hypokaliämie.
Das medulläre Sammelrohr als letztes Segment des tubulären Systems schließlich dient der Feineinstellung der Wasserresorption. Hypothalamische Kerngebiete mit osmorezeptiven Neuronen steuern dabei die Inkretion von antidiuretischem Hormon (ADH) aus der Hypophyse. Nur unter Anwesenheit von ADH werden wasserpermeable Aquaporine (AQP-2) in die apikale Membran der Sammelrohrepithelzellen eingebaut. Die durch die Transportmechanismen der Henle-Schleifen generierte hohe
Osmolalität des Nierenmarks erlaubt den osmotisch getriebenen Ausstrom von Wasser aus dem Lumen der Sammelrohre. Unter maximaler ADH-Stimulation kann der
Urin auf ca. das Dreifache der Plasmaosmolalität konzentriert werden. Ein Mangel an ADH, ein Funktionsverlust von dessen Rezeptor (Vasopressin-V
2-Rezeptor) oder des AQP-2-Kanals führen zur Ausscheidung eines stark verdünnten Urins (Hyposthenurie). Nur mit Hilfe intakter Mechanismen der Durst- und Trinkregulation kann dann die Plasmaosmolalität durch vermehrtes Trinken von Wasser konstant gehalten werden. Ist dies nicht möglich, kommt es zu einer hypertonen Dehydratation mit
Hypernatriämie bei gleichzeitig hypotonem Urin (
Diabetes insipidus). Umgekehrt führt ein Überschuss an ADH (z. B. beim SIADH-Syndrom) oder – sehr selten – eine Überaktivität des V
2-Rezeptors zu einer inadäquaten Retention von Wasser mit Hypoosmolalität des
Plasmas (erkennbar an der
Hyponatriämie) bei gleichzeitig hoher Urinosmolalität. Bei der Interpretation von Laborwerten aus Plasma und Urin ist zu beachten, dass die Plasmanatriumkonzentration bei normalem Blutzucker einen brauchbaren Indikator der Plasmaosmolalität darstellt. Die Urinnatriumkonzentration hingegen hängt von der Natriumausscheidung und damit indirekt von der Natriumzufuhr ab und lässt keinen Rückschluss auf die Urinosmolalität zu. Rückschlüsse auf die Urinkonzentrierung und damit auf das Ausmaß der Wasserausscheidung lassen daher nur das spezifische Gewicht des Urins und – noch verlässlicher – die direkte Messung der Urinosmolalität zu.