Pädiatrie
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Verfasst von:
Reinhard Berner, Ulrich Heininger und Heinz-Josef Schmitt
Publiziert am: 25.02.2019

Prinzipien der Infektiologie und Infektionsepidemiologie

Infektionskrankheiten unterscheiden sich von allen anderen Krankheiten dadurch, dass sie nach einem Kontakt und aus der daraus resultierenden Auseinandersetzung zweier Lebewesen entstehen – dem „Wirt“ auf der einen und dem Mikroorganismus auf der anderen Seite. Verschiedene Fachdisziplinen haben im Lauf des letzten Jahrhunderts die 3 genannten Aspekte – Mikroorganismen, Makroorganismen und Kontaktmuster – erforscht und sich dabei voneinander abgegrenzt. Im Laborbereich beschäftigt sich die medizinische Mikrobiologie mit den Mikroorganismen, die Immunologie mit den Makroorganismen. Die Hygiene untersucht die Kontaktmuster zwischen Mikroorganismus und Wirt mit dem Ziel, Methoden zu entwickeln, die eine Übertragung des Erregers auf den Wirt verhindern. Daraus hat sich vor allem in den angelsächsischen Ländern die Infektionsepidemiologie entwickelt, welche die Regeln der Verbreitung von Infektionskrankheiten und ihren Erregern erforscht. Infektiologen haben spezielle Kenntnisse auf jedem der 4 vorgenannten Fachgebiete (Immunologie, Mikrobiologie, Hygiene, Infektionsepidemiologie) und beziehen sie auf die Diagnostik, Therapie und Prävention beim individuellen Patienten und in der Bevölkerung.
Infektionskrankheiten unterscheiden sich von allen anderen Krankheiten dadurch, dass sie nach einem Kontakt und aus der daraus resultierenden Auseinandersetzung zweier Lebewesen entstehen – dem „Wirt“ auf der einen und dem Mikroorganismus auf der anderen Seite. Verschiedene Fachdisziplinen haben im Lauf des letzten Jahrhunderts die 3 genannten Aspekte – Mikroorganismen, Makroorganismen und Kontaktmuster – erforscht und sich dabei voneinander abgegrenzt. Im Laborbereich beschäftigt sich die medizinische Mikrobiologie mit den Mikroorganismen, die Immunologie mit den Makroorganismen. Die Hygiene untersucht die Kontaktmuster zwischen Mikroorganismus und Wirt mit dem Ziel, Methoden zu entwickeln, die eine Übertragung des Erregers auf den Wirt verhindern. Daraus hat sich vor allem in den angelsächsischen Ländern die Infektionsepidemiologie entwickelt, welche die Regeln der Verbreitung von Infektionskrankheiten und ihren Erregern erforscht. Infektiologen haben spezielle Kenntnisse auf jedem der 4 vorgenannten Fachgebiete (Immunologie, Mikrobiologie, Hygiene, Infektionsepidemiologie) und beziehen sie auf die Diagnostik, Therapie und Prävention beim individuellen Patienten und in der Bevölkerung.
Definitionen
Im Folgenden einige wichtige Definitionen:
Kontakt, Übertragung
Notwendige Bedingung für die Entstehung einer Infektionskrankheit ist der Kontakt bzw. die Übertragung eines Mikroorganismus. Daraus resultieren die in Abb. 1 definierten Arten ihrer Beziehung zu einander. Der Begriff Infektionsmodus beschreibt den Weg des Eindringens eines Mikroorganismus in den Wirt. Dies geschieht auf folgenden Wegen:
  • direkt durch Berührung, erregerhaltige Tröpfchen (Abstand meist <1 m), Biss oder Trauma oder
  • indirekt über Gegenstände (z. B. Nahrung, Wasser, Transfusion, Transplantation, Spielzeug etc.), andere Lebewesen (Vektoren; „mechanisch“ oder nach Erregervermehrung im Vektor).
Man fasst verschiedene Übertragungswege pragmatisch zusammen, wenn sie nach dem gleichem Muster ablaufen und daher auch durch gleiche Maßnahmen verhindert werden können. Danach werden folgende Erreger-Übertragungen unterschieden:
  • von Mensch zu Mensch,
  • über die Luft,
  • über Wasser,
  • über Nahrungsmittel,
  • über Gegenstände,
  • über andere Lebewesen.
Welche Folgen der Kontakt zwischen Mikro- und Makroorganismus im Einzelfall hat, ob eine Krankheit resultiert, wie diese konkret aussieht und wie schwer sie verläuft, hängt von Faktoren auf der Seite des Wirts wie auch von Faktoren auf der Seite des Mikroorganismus ab. Der Mensch lebt zwar in ständigem Kontakt mit einer Vielzahl von Mikroorganismen, doch ist die Anzahl der resultierenden Infektionskrankheiten im Vergleich zur Häufigkeit der Kontaktereignisse extrem niedrig. Die Erklärung für diese Beobachtung liegt darin, dass einerseits der Mensch über eine natürliche Resistenz gegen die meisten Mikroorganismen verfügt und dass andererseits nur wenige Mikroorganismen pathogene Eigenschaften für den Menschen haben. Zudem ist es evolutionär in beiderseitigem Interesse, wenn aus dem Kontakt so wenig wie möglich Schaden entsteht.
Die meisten Kontakte bestehen nur kurzfristig und lösen weder beim Wirt noch beim Mikroorganismus irgendwelche Reaktionen aus. Gründe für diese „gegenseitige Interesselosigkeit“ sind meist einfache physikalische oder chemische Tatbestände, etwa mikrobielle Temperaturbedürfnisse, die außerhalb des „menschlichen Bereichs“ von 36,5–38,0 °C liegen, oder ein unterschiedliches Redoxpotenzial.
Anfälligkeit und Empfänglichkeit des Wirts
Einige Mikroorganismen haben die Fähigkeit, den Wirt zu kolonisieren, ohne dass es dabei regelhaft zu einer spezifischen Abwehrreaktion des Makroorganismus kommt (Tab. 1). Andere Mikroorganismen können eine immunologische Abwehrantwort des Makroorganismus hervorrufen, z. B. die Produktion von spezifischen Antikörpern oder zelluläre Abwehrreaktionen. Infektionen verlaufen entweder inapparent, also asymptomatisch oder aber sie gehen mit Krankheitszeichen einher (= Infektionskrankheit, = apparente oder symptomatische Infektion). Mikroorganismen, die bei Empfänglichen Krankheit hervorrufen können, nennt man pathogene Mikroorganismen. Lösen sie hingegen nur bei immunologisch bedingter Abwehrschwäche die Krankheit aus, werden sie als Opportunisten bezeichnet. Fakultativ pathogene Mikroorganismen können nur unter „besonderen physiologischen Umständen“ Krankheit hervorrufen. So ist E. coli der dominierende Aerobier im Darm, doch eine Krankheit entsteht nur dann, wenn das Bakterium z. B. an eine normalerweise sterile Körperstelle „verschleppt“ wird (Meningitis bei Liquorfistel; Pyelonephritis bei Reflux etc.). Mit Virulenz bezeichnet man wiederum individuelle, stammspezifische Eigenschaften eines Erregerisolats, die zu einem besonders schweren Krankheitsverlauf führen.
Tab. 1
Definitionen in der Infektiologie
Begriff
Definition
Saprophyt
Mikroorganismus, der keine Krankheit hervorruft und meist auf totem Material lebt
Parasit
Mikroorganismus, der auf Kosten eines Wirts in diesem lebt
Kommensale
Mikroorganismus, der Haut und Schleimhäute kolonisiert, zur Normalflora gehören kann und dem Wirt im Regelfall keinen Schaden zufügt
Kolonisation
Besiedlung von Haut und Schleimhäuten durch einen Mikroorganismus, ohne dass daraus eine Immunreaktion oder gar eine Krankheit resultieren muss
Kontagiosität
Fähigkeit eines Mikroorganismus, von Mensch zu Mensch oder von unbelebten Gegenständen auf Individuen oder andere Gegenstände überzugehen
Inkubationszeit
Zeitraum zwischen der Übertragung eines Mikroorganismus auf einen empfänglichen Wirt und dem Auftreten erster Krankheitssymptome
Latenzzeit
Zeitraum zwischen der Übertragung und dem Beginn der Ausscheidung übertragbarer Partikel (meist kürzer als die Inkubationszeit)
Präpatenz
Zeit zwischen der Übertragung eines Parasiten und dem Erscheinen erster Geschlechtsprodukte (z. B. Wurmeier)
Infektion
Fähigkeit eines Mikroorganismus, sich in/an einem Wirt zu etablieren und eine spezifische Immunantwort auszulösen
Infektionskrankheit
Fähigkeit eines Mikroorganismus, neben einer Immunantwort auch eine klinische Symptomatik hervorzurufen
Infektiosität
Fähigkeit eines Mikroorganismus, nach erfolgter Übertragung (siehe oben unter „Kontagiosität“) im Wirt eine Immunreaktion auszulösen
Persistenz, latente Infektion
Fähigkeit eines Mikroorganismus, über das Ende der klinischen Krankheitsperiode hinaus bei vorhandener Immunität weiterhin in einem Wirt zu überleben
Reaktivierung
Fähigkeit eines persistierenden (latent infizierenden) Mikroorganismus, unter günstigen Umständen (z. B. reduzierte Abwehrlage) erneut eine klinische Symptomatik hervorzurufen
Reservoir
Ökologische Nische, in der sich ein Erreger üblicherweise befindet und ggf. vermehrt
Quelle (source)
Gegenstand oder Lebewesen, der/das für die Übertragung eines Mikroorganismus verantwortlich ist
Zoonose
Krankheiten, deren Erreger üblicherweise ein Tierreservoir haben und die nur akzidentell auf den Menschen übertragen werden
Epidemie
(Ausbruch; outbreak)
Zeitlich und örtlich begrenztes, gehäuftes („mehr als erwartet“) Auftreten einer Infektionskrankheit
Pandemie
Weltweite Epidemie bzw. in mehreren WHO-Regionen auftretend; meist im Zusammenhang mit Influenza verwendet
Endemie
Kontinuierliches, sporadisches Auftreten von Fällen einer Infektionskrankheit in einer Population ohne epidemische Häufung
Kontamination
Verunreinigung von Gegenständen mit Mikroorganismen
Stille oder stumme Feiung
Asymptomatische Infektion, die zur Immunität führt
Endogene Infektion
Infektionskrankheit, die unter besonderen Bedingungen durch ansonsten lediglich kolonisierende Mikroorganismen hervorgerufen wird (z. B. Aktinomykose)
Exogene Infektion
Infektion durch nichtkolonisierende Mikroorganismen
Inzidenz
Anzahl der neu auftretenden (Infektions-)Krankheiten in einer Population pro Zeiteinheit
Anzahl der Erkrankten zu einem Zeitpunkt in einer Population
Primär Erkrankter (Primary case)
Erster Patient, der eine von Mensch zu Mensch übertragbare Krankheit in eine Population bringt
Sekundär Erkrankter (Secondary case)
Patienten, die sich beim Primary case infiziert haben
Indexfall
Erster Patient, durch den eine sich epidemisch ausbreitende Infektionskrankheit erstmals auffiel (oft, aber nicht immer der Primary Case)
Vektor
Tier, das einen Erreger auf Menschen übertragen kann
Basis-Reproduktionsrate oder -koeffizient (Ro)
Durchschnittliche Anzahl von empfänglichen Kontaktpersonen, auf die ein Infektiöser einen Erreger überträgt
Selbst die Übertragung eines pathogenen und hoch virulenten Stamms einer Erregerspezies führt also nur dann zu einer Infektionskrankheit, wenn der Wirt empfänglich ist (über keinen Immunschutz und keine natürliche Abwehr verfügt) oder aber wenn er eine anatomische oder physiologische Besonderheit (Disposition) aufweist, die zur Krankheit disponiert (etwa einen vesikoureteralen Reflux bei der Miktion).
Nach einer ersten, überstandenen Infektion – oder auch nach einer Impfung – ist ein Mensch häufig nicht mehr für einen Erreger empfänglich. Verantwortlich dafür ist der Aufbau einer erregerspezifischen Abwehrreaktion, d. h. einer Immunantwort, wie etwa eine ausreichende Konzentration neutralisierender (= funktionaler) Antikörper oder die Bereitstellung spezifischer T-Zellen, die den eindringenden Mikroorganismus zerstören. Viele Infektionskrankheiten hinterlassen allerdings keine zuverlässige Immunität, weswegen wiederholte Infektionen möglich sind. Klassische Beispiele sind Tetanus, invasive Hib-Infektionen (Haemophilus influenzae Typ b) sowie Influenza und viele durch andere Viren hervorgerufene Krankheiten. Die wiederholte Auseinandersetzung mit einem Mikroorganismus kann auch zu einem (natürlichen) Boostereffekt führen, der das Abwehrpotenzial des Wirts weiter erhöht oder über einen längeren Zeitraum hinweg aufrecht erhält (Abb. 1).
Der Schutz gegen Infektionskrankheiten ist im Wesentlichen durch Leistungen des Immunsystems des Makroorganismus (vorangegangene Infektionen, Impfungen, aber auch physikalische Barrieren) bestimmt. Der Begriff Anfälligkeit (Suszeptibilität) beschreibt im Gegensatz dazu die genetisch bedingte Disposition, nach Exposition gegenüber einem Mikroorganismus mit höherer Wahrscheinlichkeit als der Durchschnitt der Bevölkerung eine Infektionskrankheit zu erleiden. Beispielsweise sind Kinder von Alaska-Indianern empfänglicher für Infektionskrankheiten durch bekapselte Bakterien, etwa Haemophilus influenzae Typ b oder Pneumokokken, als Kinder europäischer Abstammung.
Während die Genetik der mikrobiellen Pathogenität und Virulenz gut untersucht ist, sind die genetischen Ursachen der Disposition (Immungenetik) erst durch neuere Entdeckungen wie die der „toll-like receptors“ und anderen Merkmalen der angeborenen Immunität möglich geworden und Gegenstand einer sich dynamisch weiter entwickelnden Forschung. In der Umgangssprache werden unter dem Begriff Anfälligkeit noch weitere Determinanten der Entstehung apparenter Infektionen hinzugefügt, etwa der Ernährungsstatus, das Alter, sozioökonomische Faktoren oder das Geschlecht. Zweifellos sind Unterernährung, hohes Alter, Armut und auch Zusammenleben vieler Menschen auf engem Raum Ursachen z. B. der Tuberkulose. Letztendlich bedingen diese Faktoren aber eine erhöhte Exposition gegenüber dem ursächlichen Erreger und reduzieren gleichzeitig z. B. die T-Zell-Immunität, sodass nicht die Anfälligkeit (= genetisch), sondern die erhöhte Empfänglichkeit (Immunität) ursächlich ist. Sozio-ökonomische Faktoren sind demnach ohne Zweifel Ursache (causa) von Infektionskrankheiten, sollten aber begrifflich getrennt von Disposition und Empfänglichkeit aufgeführt werden.
Infektion und Immunität
Die minimale Infektionsdosis gibt die Anzahl der Erreger an, die notwendig ist, um eine Infektion auszulösen. Der angloamerikanische Begriff „infectious pressure“ beschreibt die Häufigkeit der Exposition gegenüber einem Mikroorganismus und die Infektionsdosis (= Erregeranzahl oder -Konzentration). Bei hohem Infektionsdruck wird es wahrscheinlicher, dass die Abwehr eines Wirtes überfordert wird und dass gegebenenfalls trotz Immunität eine Krankheit entsteht.
Der Begriff „attack rate“ ist sprachlich falsch, denn gemeint ist nicht die Anzahl der Angriffe durch einen Erreger, sondern die Prozentzahl der Personen, die nach einer Exposition klinisch krank wird, mithin die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Angriffs. Der im Deutschen verwendete Begriff Manifestationsindex ist exakter, wenn es denn auch im Einzelfall vom Untersucher abhängt, wie gut eine Exposition dokumentiert und mit welchen Methoden nach einer Infektion beziehungsweise nach Symptomen einer Krankheit gefahndet wird.
Immunität und Protektion können möglicherweise lebenslang bestehen (z. B. Masern), zeitlich begrenzt sein (z. B. Pertussis) oder fehlen (z. B. Tetanus). Nach einer Infektion kann ein Mensch deshalb sofort oder erst nach variabler Latenz wieder für eine erneute Infektion durch den gleichen Erreger empfänglich sein. So kann ein Kleinkind wiederholt z. B. an einer A-Streptokokken-Angina erkranken (Reinfektion), weil dieser Erreger in dieser Altersgruppe keine langfristige, schützende Antikörperantwort induziert und zudem viele unterschiedliche Serotypen existieren. Als Relapse (Rückfall) bezeichnet man das Wiederauftreten von Krankheitszeichen im Rahmen derselben Infektion, z. B. nach inadäquater antibiotischer Therapie. Nach einer akuten Salmonellen-Infektion können die Erreger oft über lange Zeit hinweg ausgeschieden werden (Ausscheider), ohne dass Krankheitszeichen bestehen.
Typischerweise führt eine Erregerübertragung nur nach 1. Infektion zu einer Krankheit, weil das Immunsystem des Wirts aktiv eine spezifische Abwehrleistung gegen den jeweiligen Mikroorganismus generiert, die auch im Labor nachgewiesen werden kann. Der Wirt ist nun immun. Das klinisch messbare Korrelat der Immunität ist die Protektion, die im Rahmen klinischer Studien nachgewiesen wird. Immunität und Protektion beschreiben demnach das gleiche Phänomen, nämlich: keine Krankheit nach Erregerkontakt. Sie verwenden hierzu aber unterschiedliche Verfahren, nämlich entweder immunologische oder epidemiologische Methoden. Die beiden Methoden können durchaus diskrepante Ergebnisse liefern. So sind spezifische Antikörper gegen Pertussisantigene zwar ein Hinweis auf die immunologische Auseinandersetzung, nicht aber selbstverständlich auch der Nachweis für Protektion gegenüber Pertussis.
Morbidität, Mortalität und Letalität
Der Begriff Morbidität beschreibt das Ausmaß einer Krankheit (die sog. Krankheitslast, engl. „burden of disease“), also eine Kombination aus Inzidenz und Prävalenz, die ein Erreger in einer Population auslöst (Angaben meist pro 100.000 Menschen einer Population pro Jahr). Der Begriff Letalität beschreibt die Proportion der durch die Krankheit auftretenden Todesfälle (z. B. in Prozent oder Promille). Der Begriff Mortalität bezeichnet hingegen die Anzahl an Todesfällen, welche die Krankheit in einer Population verursacht (meist pro 100.000 und Jahr).
Häufigkeiten
Krankheitshäufigkeiten in einer Population werden mit den Begriffen Inzidenz und Prävalenz beschrieben. Die Inzidenz nennt die Anzahl der Neuerkrankungen an einer Krankheit in einem definierten Zeitraum in einer definierten Population (meist pro 100.000 Menschen pro Jahr). Die Prävalenz gibt die Anzahl der aktuell vorhandenen Krankheitsfälle in einer Population zu einem definierten Zeitpunkt an. Im ersten Fall werden demnach neue Fälle gezählt, im zweiten die aktuell in einer Population bekannten (vorhandenen) Fälle. Grundsätzlich und speziell für diese beiden Berechnungen ist es wichtig, dass exakte Falldefinitionen bestehen.
Kausalität
Eine der Standardfragen der Infektionsepidemiologie ist die nach einem ursächlichen Zusammenhang zwischen zwei „Tatbeständen“, z. B. ob ein bestimmter Risikofaktor mit einer Infektionskrankheit assoziiert ist oder ob ein Impfstoff vor einer Krankheit schützt. Es gibt zwei Begriffe, die diese Frage beantworten helfen, das relative Risiko und die Odds-Ratio.
Das relative Risiko ist das Verhältnis der nach Exposition Erkrankten zur Gesamtzahl der Exponierten im Verhältnis zu den ohne Exposition Erkrankten zur Gesamtzahl der Nichtexponierten (Tab. 2)
Tab. 2
Berechnung des relativen Risikos
 
Anzahl der Personen mit Risikofaktor
Anzahl der Personen ohne Risikofaktor
Anzahl der erkrankten Personen
a
b
Anzahl der nichterkrankten Personen
c
d
Das relative Risiko errechnet sich dann nach folgender Formel:
$$ \mathrm{Relatives}\ \mathrm{Risiko}=\raisebox{1ex}{$a:\left(a+c\right)$}\!\left/ \!\raisebox{-1ex}{$b:\left(b+d\right)$}\right. $$
Die Angabe des relativen Risikos bezieht sich jeweils auf die Gesamtpopulation. Diese ist in der Praxis aber oft unbekannt.
Man berechnet daher statt des relativen Risikos die Odds-Ratio aus dem Verhältnis der exponierten Erkrankten und nichtexponierten Erkrankten zum Verhältnis exponierter Gesunder und nichtexponierter Gesunder. Die Odds-Ratio ist dann eine valide Abschätzung des relativen Risikos, wenn nur neu aufgetretene Fälle eingeschlossen werden, während prävalente Fälle unberücksichtigt bleiben. Außerdem darf die Auswahl von Fällen und Kontrollen nicht auf dem Expositionsstatus basieren.
Ein relatives Risiko oder eine Odds-Ratio mit einem unteren 95 %-Konfidenzintervall von >1,0 zeigen an, dass ein Risikofaktor mit einer Krankheit (oder einem anderen Ereignis) assoziiert ist. Ist der untere Wert des 95 %-Konfidenzintervalls <1,0, so schützt der untersuchte Faktor vor der Krankheit. Auch ein hohes relatives Risiko kann klinisch von geringer Bedeutung sein, etwa wenn die absolute Zahl von Krankheitsfällen sehr niedrig ist.
Ein sog. Confounder ist ein Faktor, der mit einem Risikofaktor für eine Krankheit einhergeht, ohne selbst Ursache der Krankheit zu sein. So ist z. B. das Merkmal „gelbe Finger“ mit einem erhöhten Lungenkarzinomrisiko assoziiert, ohne dass Kausalität besteht. Ursache der „gelben Finger“ ist das Rauchen von Zigaretten – einer bekannten Ursache für Lungenkrebs, die Verfärbung der Finger ist nur ein Confounder. Unter dem englischen Begriff „bias“ versteht man einen systematischen Fehler, der zu einer Verzerrung der Untersuchungsergebnisse führt.
Tests
Die Diagnose einer Infektionskrankheit beruht neben dem klinischen Verdacht oft auf der Anwendung mikrobiologischer Tests. Der Arzt sollte eine Vorstellung über die Sensitivität (= Verhältnis richtig-positiver Testergebnisse zur Zahl der Patienten mit einer Krankheit) und die Spezifität (= Verhältnis richtig-negativer Testergebnisse zur Gesamtzahl der Patienten ohne die jeweilige Krankheit) der von ihm angeforderten Untersuchungen haben. Idealerweise sollte auch der (positive oder negative) Vorhersagewert eines Tests bekannt sein. Der positive Vorhersagewert gibt an, wie wahrscheinlich ein Patient bei Vorliegen eines positiven Testergebnisses tatsächlich krank ist. Der negative Vorhersagewert gibt Auskunft darüber, wie wahrscheinlich ein negatives Testergebnis mit Abwesenheit der jeweiligen Krankheit einhergeht. Die Vorhersagewerte hängen ab von der Prävalenz der Krankheit in der untersuchten Population.
Beispiel: Kein Test hat eine Sensitivität und Spezifität von 100 %. Daher gibt es immer falsch-positive und falsch-negative Ergebnisse. Wendet man einen Test mit einer sehr hohen Sensitivität und Spezifität von jeweils 99 % in einer Population an, in der die Testkrankheit nicht vorkommt, so hat man zwar „nur“ 1 % falsch-positive Ergebnisse, was jedoch bei 1 Mio. Testpersonen bedeutet, dass immerhin 10.000 von ihnen fälschlicherweise als krank eingestuft werden. Dies ist das Dilemma vieler Screeningprogramme, was mittlerweile in vielen Fällen zu Kritik und darauf folgend zu deren Re-Evaluierung geführt hat.
Epidemien
Der Basisreproduktionskoeffizient Ro gibt an, wie viele weitere Personen einer Population 1 infektiöser Mensch durchschnittlich infiziert. Ist Ro >1, so kommt es zu einer Epidemie, ist Ro <1, so wird die Krankheit stetig seltener, und ist Ro =1, so liegt eine endemische Situation vor. Ro kann man aus folgender Formel berechnen:
$$ \mathrm{Ro}=\mathrm{a}\times \mathrm{k}\times \mathrm{d} $$
Dabei gilt a: Wahrscheinlichkeit der Übertragung eines Erregers pro Kontakt (attack rate); k: Anzahl der Kontakte mit einem Infektiösen; d: Dauer der Infektiosität.
Aus dieser Formel lassen sich Maßnahmen zur Eindämmung einer Epidemie ableiten: Die attack rate (a) lässt sich reduzieren, indem man sich „physikalisch“ schützt, etwa mit einer Gesichtsmaske, durch Verwendung eines Kondoms oder durch regelmäßiges Händewaschen. Die Anzahl von Kontakten (k) zu Infektiösen lässt sich durch deren Isolation reduzieren. Antibiotika können die Dauer der Infektiosität (d) eines Patienten reduzieren.
Kommt es zum Ausbruch einer Infektionskrankheit, so ist es Aufgabe des Infektionsepidemiologen, den ursächlichen Erreger und die Infektionsquelle ausfindig zu machen, um dann durch geeignete Maßnahmen die Infektionskette zu unterbrechen. Man definiert, was einen „Fall“ ausmacht und sucht aktiv nach erkrankten Personen. Ein „point source outbreak“ beginnt schlagartig mit einer großen Fallzahl, die dann auch rasch wieder abnimmt – z. B. Salmonellen-Gastroenterititiden nach Genuss von Eiersalat auf einer Sommerparty. Ein „continous source outbreak“ ist durch relativ niedrige Fallzahlen über einen längeren Zeitraum hinweg charakterisiert – z. B. ausgehend von einer Eisdiele mit einem Verkäufer, der Salmonellenausscheider ist und Hygienevorschriften missachtet. Ein konstantes Intervall zwischen einzelnen sog. Erkrankungswellen spricht für eine Übertragung des ursächlichen Erregers von Mensch zu Mensch – z. B. Masernausbruch in einer Gemeinschaftseinrichtung mit ungeimpften Personen. Alter, Geschlecht, geografische Aspekte und besondere Verhaltensweisen werden für jeden Patienten auf einem Fragebogen erfasst (z. B. Genuss bestimmter Nahrungsmittel, Gewohnheiten, Hobbys, Freizeitaktivitäten, Reisen oder – im Rahmen nosokomialer Infektionen – bestimmte Therapieformen). Im Rahmen einer Fallkontrolluntersuchung wird dann versucht herauszufinden, ob ein bestimmter Faktor mit einem erhöhten Infektionsrisiko assoziiert ist.
Diagnose
Infektionskrankheiten lassen sich je nach Empfänglichkeit des Wirts und Pathogenität und Virulenz des Erregers in 3 Gruppen einteilen:
1.
Krankheiten durch obligat pathogene Mikroorganismen, die für empfängliche Personen (fast) immer klinisch manifest verlaufen (z. B. Pest, Pocken, Tollwut);
 
2.
Krankheiten, die durch funktionelle Besonderheiten des Wirts entstehen (Otitis media: Tubenbelüftungsstörung im Kindesalter; Harnwegsinfektionen: Reflux; Cholezystitis: Gallensteine);
 
3.
Krankheiten durch obligat pathogene Mikroorganismen, die durch einen Immundefekt im engeren Sinne begünstigt werden.
 
Die Diagnosestellung einer Infektionskrankheit berücksichtigt sowohl die Pathogenität und Virulenz des Erregers als auch die individuelle Empfänglichkeit des Wirts. Sie besteht daher aus 3 Elementen:
  • dem ursächlichen Erreger,
  • dem infizierten Organ und
  • gegebenenfalls der Grundkrankheit oder einer speziellen Expositionsanamnese.
Alle 3 Elemente müssen schlüssig zusammenpassen. Aus der Kenntnis von 2 Elementen kann man auf das dritte zurückschließen. Beispiel: Eine Pneumonie durch Pneumocystis jirovecii gibt es nahezu ausschließlich bei Menschen mit schwerem T-Zell-Defekt, etwa bei AIDS-Patienten, nach Knochenmarktransplantation oder bei Menschen mit einem angeborenen T-Zell-Defekt. Patienten mit Pneumonie durch Pseudomonas aeruginosa leiden meistens entweder an einer schweren Neutropenie unter Chemotherapie wegen eines Malignoms oder aber an Mukoviszidose.
Die Vollständigkeit der Diagnose (Erreger + Organ + Grundkrankheit/Exposition) ist wichtig, weil die Kenntnis aller 3 Elemente die Therapie und auch die Prognose bestimmt. Eine Pseudomonas-aeruginosa-Pneumonie bei Neutropenie hat eine hohe Letalität, während die Prognose bei Mukoviszidose gut ist. Wird eine Pseudomonas-aeruginosa-Pneumonie bei Neutropenie überlebt, so sind Rezidive selten, während sie bei Mukoviszidose häufig auftreten.
Die Begriffe „Infekt der oberen Luftwege“ oder gar nur „Infekt“ sind keine Fachtermini und stellen auch keine Diagnosen dar. Sie sollten vermieden werden, weil die jeweils betroffenen Organe nicht genannt werden und weil daher die ursächlichen Erreger und somit mögliche Konsequenzen für eine weitere Diagnostik, Therapie und Prognose unberücksichtigt bleiben. Eine Pharyngitis etwa kann durch Adenoviren bedingt sein, was sich oft durch die körperliche Untersuchung nach Dokumentation von zusätzlichen Symptomen wie Pharyngitis, Konjunktivitis und Fieber (pharyngokonjunktivales Fieber) rein klinisch sichern lässt. Ein Rachenabstrich ist in solchen Fällen nicht indiziert. Eine Pharyngitis/Tonsillitis mit Hepatosplenomegalie lenkt den Verdacht auf eine Mononukleose: Zur Erregerdifferenzialdiagnose gehören dann EBV, gegebenenfalls CMV, Toxoplasma gondii, HHV-6 und auch das HIV, weswegen je nach Situation eine gezielte weitere Anamnese und Diagnostik notwendig ist.
Therapie
Der verbreitete Begriff Antibiose bedeutet wörtlich „gegen das Leben“ und verbietet sich damit von selbst. Ähnlich wie das Wort Infekt als Diagnose unzureichend ist, beschreibt auch der Begriff breite Abdeckung ein unsinniges „therapeutisches Konzept“: Wollte man tatsächlich alle möglichen Erreger einer Pneumonie „abdecken“ – von A für Actinomyces (Penicillin) bis Z für Zytomegalievirus (Ganciclovir) – so müsste man heute eine zweistellige Zahl verschiedener Antibiotika und Virustatika anwenden. Eine solche Therapie würde dem Patienten schaden statt helfen und wäre daher nicht vertretbar und medizinisch nicht sinnvoll. Vielmehr erstellt man je nach Anamnese und Befunden der körperlichen Untersuchung eine Liste der infrage kommenden Erreger, veranlasst gegebenenfalls eine weitere Diagnostik zu deren gezieltem Nachweis und behandelt initial empirisch die oder den wahrscheinlichen Erreger, was auch als kalkulierte Therapie bezeichnet wird. Nach Identifikation des Erregers, bei Bakterien idealerweise einschließlich eines Antibiogramms, wird die Therapie erregergerecht adaptiert.
Eine Pneumonie bei einem reifen Neugeborenen in den ersten Lebenstagen ist am häufigsten durch S. agalactiae hervorgerufen. Therapie der Wahl ist Ampicillin plus Aminoglykosid. Die (Erreger-)Differenzialdiagnose der nicht im Krankenhaus erworbenen bakteriellen Pneumonie im Säuglingsalter umfasst S. aureus, Pneumokokken und H. influenzae – eine Therapie kann gezielt z. B. mit Ampicillin/Sulbactam i. v. durchgeführt werden. Hat ein junger Säugling eine afebrile Pneumonie mit Eosinophilie, so ist Chlamydia trachomatis der wahrscheinlichste Erreger und ein Makrolid das Mittel der Wahl. Hat ein Kleinkind eine hochfieberhafte Lobärpneumonie (und rote Wangen), so ist eine Pneumokokken-Pneumonie anzunehmen und eine Therapie mit Ampicillin i.v. oder Amoxicillin p.o. angezeigt. Eine schleichend beginnende Pneumonie im älteren Schulkindalter ist dagegen am wahrscheinlichsten durch Mykoplasmen bedingt – hier wäre je nach Alter und Diagnosesicherheit eine Therapie mit Doxyzyklin in Betracht zu ziehen.
Infektanfälligkeit
Ein besonderes Problem in der Pädiatrie sind Patienten, die wegen sog. Infektanfälligkeit vorgestellt werden. In der großen Mehrzahl handelt es sich um akute Infektionskrankheiten des Respirationstraktes bei Säuglingen oder Kleinkindern, die durch verschiedene infrage kommende Viren hervorgerufen werden, für die der Mensch empfänglich ist. Immunität muss erst im Laufe des Lebens erworben werden. Der Abfall mütterlicher Antikörper im Blut des Säuglings, die zunehmende Anzahl sozialer Kontakte und das noch nicht ausgebildete Hygienebewusstsein des Kindes (und gegebenenfalls seiner Geschwister) erklären die Häufung akuter respiratorischer Infektionskrankheiten in den ersten Lebensjahren. Die geringe Größe der Atemwege erklärt den im Vergleich zu Erwachsenen meist schwereren Krankheitsverlauf.
Besonderheiten
Infektionskrankheiten haben Besonderheiten, die auf keine andere Krankheitsgruppe zutreffen:
  • Ein Mensch kann Krankheitsquelle für andere Menschen sein, ohne notwendigerweise selbst krank zu werden.
  • Ein Mensch kann dauerhaft oder vorübergehend vor einer Krankheit geschützt (immun) sein.
  • Der Schutz vor Krankheit eines Einzelnen kann dadurch bedingt sein, dass die Mehrzahl der Individuen in einer Gruppe immun ist (indirekte respektive Herdenprotektion) und deshalb das Expositionsrisko für das selbst nicht immune Individuum gering ist. Voraussetzung ist, dass es sich um eine von Mensch zu Mensch übertragene Infektionskrankheit handelt.
  • Die Lebensweise oder einzelne Handlungen sind oft direkt verbunden mit einem Infektionsrisiko, und eine einfache Änderung des Verhaltens ist oft eine wirksame Maßnahme zur Prävention.
Zunahme von Infektionen
Menschliches Handeln kann die Wahrscheinlichkeit verändern, dass ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen Kontakt mit einem bestimmten Erreger hat und danach krank wird. So erklärt sich die Beobachtung, dass manche Infektionskrankheiten weltweit wieder an Bedeutung gewinnen: Der Mensch ändert seine Lebensweise in immer kürzer werdenden Zeiträumen, und die Anzahl der lebenden Menschen wächst rasch. Täglich fliegen tausende von Touristen und Geschäftsreisende zwischen Kontinenten hin und her. Es darf daher nicht verwundern, dass sich Mikroorganismen in Gebieten der Welt ausbreiten, in denen sie früher nicht vorkamen, und dass die globale Ausbreitung von Erregern viel rascher erfolgt als noch vor wenigen Jahrzehnten. Für durch Vektoren wie Stechmücken übertragene Infektionskrankheiten (z. B. Malaria, Chikungunya- und Dengue-Fieber) wird dieses Phänomen durch klimatische Veränderungen stark begünstigt. In Industriestaaten nimmt das Zusammenleben vieler Menschen auf engem Raum bei hoher Mobilität ständig zu – auch dies ist ein wichtiger Grund für die Zunahme von Infektionskrankheiten. Das längere Leben heute führt zur absoluten Zunahme von Infektionen, die mit chronischer Krankheit und Immunoseneszenz verbunden sind. Menschliches Handeln hat aber nicht nur die Kontaktmöglichkeiten mit Mikroorganismen vermehrt. Medizinischer Fortschritt hat zu längerem Leben, niedrigerer Mortalität und verbesserter Lebensqualität geführt. Der Preis hierfür besteht unter anderem auch darin, dass viele Menschen aufgrund erfolgreicher medizinischer Techniken für einzelne Erreger vermehrt empfänglich sind.
Weiterführende Literatur
Casadevall A, Pirofski L (2000) Host-pathogen interactions. II. The basic concepts of microbial commensalism, colonization, infection and disease. Infect Immun 68:6511–6518CrossRef
Fauci AS, Morens DM (2012) The perpetual challenge of infectious diseases. N Engl J Med 366:454–461CrossRef
Fletcher RH, Fletcher SW, Wagner EH (1993) Clinical epidemiology. William & Wilkins, Baltimore