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Pädiatrie
Info
Verfasst von:
Birte Neppert
Publiziert am: 05.03.2019

Sehfunktionsminderungen bei Kindern und Jugendlichen

Sehfunktionseinschränkungen im Kindes- und Jugendalter können auf eine erworbene oder konnatale Strukturanomalie des Auges oder/und als Amblyopie auf einen Reifungsrückstand der kortikalen visuellen Areale zurückgeführt werden. Organdefekte werden wie im Erwachsenenalter soweit möglich kausal behandelt. Zur Therapie der Amblyopie werden mögliche Ursachen behoben, aber oft muss zusätzlich durch Abkleben des besseren Auges entwicklungsfördernd therapiert werden.
Symptome
Kinder artikulieren in der Regel keine Minderfunktion insbesondere eines Auges. Bei angeborenen Sehminderungen beider Augen kann das Verhalten auf visuelle Reize im Umfeld oft täuschend unauffällig sein.

Amblyopie

Definition und Ätiologie
Eine Amblyopie ist ein ein- oder beidseitiges Defizit der Sehschärfe ohne organische Ursache oder mit einer solchen, die nicht im Verhältnis zur Sehminderung steht. Sie entwickelt sich auf der Basis von Deprivation (optische Behinderung in der Sehachse) oder Suppression (ungleicher Seheindruck zum Partnerauge) im Kindesalter und ist auch nur in diesem Alter erfolgreich zu behandeln. Die Tiefe einer Amblyopie ist abhängig vom Alter des Kindes sowie von Stärke und Einwirkdauer amblyogener Faktoren. Foveolare oder exzentrische Fixation können bestehen, letztere mit ungünstiger therapeutischer Zugänglichkeit. Als sensitive Phase bezeichnet man den Lebensabschnitt, in dem eine Amblyopie entstehen kann. Sie reicht bis ins 2. Lebensjahrzehnt hinein. Hochsensitiv ist das frühe Kindesalter (z. B. hat eine einseitige dichte Trübung der Linse eine gute Prognose bei Operation bis zum 2. Lebensmonat, optischer Korrektur und Nachbehandlung).
Deprivationsamblyopie
Die Deprivationsamblyopie hat ihre Ursache in einer optischen Behinderung, z. B. durch Hämangiom oder Ptosis der Lider oder Trübung von Hornhaut, Linse, Glaskörper. Eine typische Deprivationsamblyopie entsteht durch eine frühkindliche Linsentrübung. Die Operationsbedürftigkeit hierbei richtet sich nach der optischen Behinderung in der Sehachse. Nicht jede ein- oder beidseitige frühkindliche Linsentrübung muss operiert werden, z. B. häufig nicht ein vorderer Polstar, der meist wenig sehbeeinträchtigend ist. In jedem Fall ist eine Kontrolle der Funktionsentwicklung notwendig.
Refraktionsbedingte Amblyopie
Refraktionsamblyopien entstehen durch nicht korrigierte hohe sphärische oder/und astigmatische Brechungsfehler (Ametropie) sowie seitendifferente Brechungsfehler (Anisometropie) der Augen.
Strabismusamblyopie
Diese als Suppressionsamblyopie klassifizierte Form ist Folge einer einseitigen Stellungsabweichung eines Auges. Mischformen sind möglich.
Relative Amblyopie
Bei organischen Defekten der Makula und des N. opticus kann die Sehfunktion zusätzlich durch Nichtgebrauch des Auges beeinträchtigt sein. Wird diese Aufpfropfamblyopie behandelt, kann die Sehschärfe oft noch erstaunlich gut werden.
Differenzialdiagnose
Wenn die für Amblyopie beweisenden Trennschwierigkeiten für eng beieinanderstehende Optotypen (außerhalb des physiologischen Bereichs/interokuläre Differenz) nicht nachweisbar sind, muss differenzialdiagnostisch die organisch bedingte Sehminderung erwogen werden. Infrage kommen vor allem Krankheiten der vorderen Sehbahn (eine afferente Pupillenstörung müsste vorhanden sein) oder der Makula (Entzündungen, Degeneration).
Therapie
Die Therapie einer Amblyopie besteht in der Herstellung einer bestmöglichen retinalen Abbildung, z. B. durch Kataraktoperation oder/und Korrektur des Refraktionsfehlers, sowie in Stimulierung oder forciertem Gebrauch des amblyopen Auges. Dies wird erzielt durch eine Okklusion des guten Auges, meist durch ein Okklusionspflaster. Brillenglasokklusion oder Atropinisierung sind ebenso wie eine Okklusionskontaktlinse Verfahren bei speziellen Indikationen und Altersgruppen. Zur Verhinderung einer Okklusionsamblyopie muss das gute Auge von Zeit zu Zeit freigegeben werden. Der Rhythmus der Okklusion richtet sich nach dem Lebensalter, die Intensität nach dem Schweregrad der Amblyopie. Wirkungen und Nebenwirkungen der Amblyopietherapie sollten überwacht werden, bei jüngeren Kindern in engem Abstand.
Kaum noch durchgeführt werden Übungsbehandlung mit Apparaten (unter Umständen hilfreich, insbesondere bei exzentrischer Fixation). Medikamentöse Therapien sind sämtlich obsolet.

Psychogene Sehminderung

Psychogene Sehminderungen eines oder beider Augen werden ab dem späten Vorschulalter beschrieben. Organische Ursachen müssen immer ausgeschlossen werden, ein psychosomatischer Hintergrund sollte eruiert werden. Charakteristisch sind wechselnde Sehschärfeergebnisse bei zeitlich und bezüglich des Testverfahrens unterschiedlichen Untersuchungen.

Organische Sehminderung

Die differenzialdiagnostische Abgrenzung einer beidseitigen Amblyopie gegenüber Optikus-Erkrankungen und Makuladegeneration im Frühstadium bereitet gelegentlich Schwierigkeiten und erfordert unter Umständen den Einsatz von elektrophysiologischen Methoden wie Ableitung visuell evozierter kortikaler Potenziale (VECP), Elektroretinogramm (ERG), speziellen ophthalmologischen bildgebenden Verfahren wie Autofluoreszenz-Fundusfotos, optische Kohärenztomografie (OCT) und Fluoreszenzangiogramm des Fundus sowie neuroradiologische Untersuchungen. Im Übrigen erfordert jede Augenerkrankung im Kindesalter eine zügige Rehabilitation und pleoptische Begleitung.
Weiterführende Literatur
Berufsverband der Augenärzte (BVA) (2010) Leitlinie 26a Amblyopie. S2e-Leitlinie. AWMF-Registernr. 045/009. http://​augeninfo.​de/​leit/​leit26a.​pdf. Zugegriffen am 03.05.2018
Gräf M, Haase W (2012) Amblyopie. In: Kaufmann H, Steffen H (Hrsg) Strabismus. Thieme, Stuttgart
Hoyt CS, Taylor D (Hrsg) (2013) Pediatric ophthalmology and strabismus, 4. Aufl. Elsevier Saunders, New York
Noorden GK von (1988) Atlas der Schieldiagnostik. 3. Schattauer, Stuttgart