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Pädiatrie
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Publiziert am: 04.05.2020

Spezielle Organerkrankungen von Jugendlichen

Verfasst von: Wieland Kiess
Die Kinderheilkunde und Jugendmedizin werden besonders durch alters- und lebensabschnittbezogene Besonderheiten von Gesundheit und Krankheit charakterisiert. Während es ausschließliche „Jugenderkrankungen“ nicht gibt, gibt es doch viele organ- und entwicklungsbezogene Erkrankungen, die sich besonders in der Jugendzeit manifestieren, exazerbieren oder sich mit Folgeerkrankungen in der Jugendzeit bemerkbar machen. Die meisten dieser Erkrankungen sind chronisch und haben Langzeiteffekte. Außerdem unterliegen therapeutische Interventionen häufig den in der Adoleszenz nicht ungewöhnlichen psychosozialen Belastungen, Nicht-Adhärenz und Nicht-Compliance. Spezielle Organerkrankungen im Jugendalter müssen entsprechend von multiprofessionellen Teams und mit Unterstützung durch Familie und Peergroup (Gleichaltrige) adressiert werden.

Besonderheiten im Jugendalter

Viele seltene Erkrankungen, die im Kindes- und Jugendalter auftreten, werden auch in renommierten und häufig genutzten Textbüchern der Inneren Medizin und Neurologie für das Erwachsenenalter nicht besprochen. Dies ergibt sich einerseits zum Teil aus der Seltenheit der Erkrankungen und andererseits aus der fehlenden Expertise der Erwachsenenmedizin auf diesen Gebieten.
Ein Mangel an Kenntnissen in der Erwachsenenmedizin um spezielle Anforderungen bei chronischen Erkrankungen während der Adoleszenz tragen zu einer Unter- und Fehlversorgung von Jugendlichen mit solchen Erkrankungen bei: Hierzu gehören u. a. viele angeborene Stoffwechselerkrankungen, aber auch Erkrankungen des Atmungssystems, des Herz-Kreislauf-Systems, insbesondere bei angeborenen Herzfehlern, der endokrinen Drüsen, des Gastrointestinaltrakts, der Haut und des Urogenitaltrakts sowie psychiatrische Erkrankungen. Häufig treten Folge- und Begleiterkrankungen dieser Grunderkrankungen erstmalig in der Adoleszenz auf. Begleit- und Folgeerkrankungen werden im vorliegenden Kapitel besprochen, während die Beschreibung der Grunderkrankung in den entsprechenden Kapiteln des Buchs erfolgt.
Erkrankungen im Jugendalter
Organbezogene Erkrankungen, die sich häufig in der Jugendzeit manifestieren oder aber bei denen in der Adoleszenz charakteristische Folge- oder Begleiterkrankungen auftreten:
Der Übergang von einer pädiatrischen in eine internistische Behandlung stellt einen besonderen Abschnitt in der Betreuung von jungen Menschen mit speziellen medizinischen Bedürfnissen dar. Der Übergang geschieht in der Regel in einer besonders schwierigen und vulnerablen Lebensphase von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen mit chronischen Krankheiten. In dieser Zeit finden für den Betroffenen auch psychisch-physische, persönliche, berufliche und soziale Veränderungen statt. Bei Stoffwechselerkrankungen kommt es nicht selten zu einer Verschlechterung der Stoffwechseleinstellung.
Unterschiede in der Betreuungskultur zwischen Pädiatrie und z. B. Neurologie und Innerer Medizin können für den Betroffenen, aber auch für die betreuenden Teams Probleme bereiten. Geeignete Übergangsmodelle im Sinne von Übergangssprechstunden, strukturiertem Übergang (Checklisten, Transfer-Brief etc.) und der Nutzung von gemeinsamen Datenbanken setzen eine gute Kooperation aller Beteiligten, z. B. zwischen Pädiater und Internist oder zwischen Neuropädiater und Neurologe voraus. Der Transfer, d. h. die strukturierte Überleitung von Patienten mit chronischen Erkrankungen aus der pädiatrischen in die internistische oder neurologische Betreuung wird als „Transition“ bezeichnet und gesondert besprochen (Kap. „Transition“).

Wichtige Erkrankungen

Lungenerkrankungen

Asthma bronchiale

In der Jugendzeit treten bei einem Teil der in der frühen Kindheit Erkrankten die Symptome eines Asthma bronchiale zurück oder verschwinden ganz. Bei manchen Jugendlichen manifestiert sich ein Asthma bronchiale aber erst in der Adoleszenz bzw. kommt es zu einer Exazerbation und Aggravation der Erkrankung.
Bei 13- bis 14-jährigen Jugendlichen beträgt die Prävalenz von obstruktiven Lungensymptomen in Deutschland ca. 25 %. Daher ist es wichtig, bei Symptomen, die auf ein Asthma hindeuten, die Diagnose in Betracht zu ziehen und, wenn erforderlich umfassend, konsequent und unter Einbeziehung von multiprofessionellen Ansätzen zu behandeln (Asthmaschulung, Pharmakotherapie, Physiotherapie, Psychologie; Kap. „Asthma bronchiale bei Kindern und Jugendlichen“).
Zu den Symptomen eines Asthmas bei Jugendlichen können chronischer, (nächtlicher) Husten, Auswurf, Tachypnoe und Dyspnoe, besonders unter Belastung, sowie Giemen und Brummen gehören. Die Anamnese genügt häufig zur Diagnosestellung, sodass Röntgenuntersuchungen, Allergie-Hauttests und die allergologische Diagnostik mittels der Bestimmung von spezifischen IgE-Antikörpern im Serum nachrangig sind.
Nicht vernachlässigt werden darf, dass gerade in dieser Altersgruppe auch erste Erfahrungen mit sog. Genussmitteln oder Drogen stattfinden. So können chronische Atemwegserkrankungen durch Rauchen erheblich verschlechtert werden. Die Adhärenz und Mitarbeit der Betroffenen bei der Therapie kann in der Jugendzeit gering sein. Insbesondere die Dauerbehandlung mit regelmäßigen Inhalationen und Atemübungen mag für Jugendliche vor dem Hintergrund anderer Entwicklungsaufgaben in diesem Lebensalter (Partnerwahl, Berufswahl, Selbstständigkeit, Loslösung vom Elternhaus) schwer zu realisieren sein.

Andere obstruktive Atemwegserkrankungen

In der Adoleszenz treten vermehrt insgesamt seltene, aber für die Differenzialdiagnose des Asthmas relevante Lungenerkrankungen auf. Dazu zählen Sarkoidose, Alveolitiden und in zunehmendem Maße auch wieder die Lungentuberkulose.
Akute Atemwegsobstruktionen treten auch als Symptom bei im Jugendalter häufigeren Infektionen wie den Chlamydien/Mykoplasmen-Pneumonien auf. Therapie der Wahl sind in diesen Fällen Tetrazykline. Lungenfunktionsuntersuchungen sind wegen der zu erwartenden guten Mitarbeit der Betroffenen sowohl bei Manifestation als auch während der Therapieüberwachung bei Jugendlichen sinnvoll.

Mukoviszidose (zystische Fibrose – CF)

Bei der Mukoviszidose kommt es meist im Jugendalter einerseits zur Manifestation zusätzlicher Begleit- und Folgeerkrankungen, andererseits verschlechtert sich häufig die Lungenfunktion in der 2. Lebensdekade deutlich.
Mukoviszidose
Begleiterkrankungen und Folgen der Mukoviszidose (CF), die häufig erstmals während der Adoleszenz manifest werden bzw. erst ab der 2. Lebensdekade mit ihren Folgen von den Betroffenen verstanden werden:
Infolge der chronischen Lungenerkrankung kann es bei der Mukoviszidose zur Ausbildung eines Cor pulmonale, zu Trommelschlägelfingern und Uhrglasnägeln kommen. Bei Entwicklung einer terminalen Lungen- und/oder Herzinsuffizienz kann die Organtransplantation (Herz, Lunge) zu einer letzten Therapieoption bereits im Jugendalter werden. Auch eine Leber- oder kombinierte Leber-Pankreas-Transplantation kann in der Jugendzeit eine letzte Behandlungsmöglichkeit darstellen, wenn die CF-assoziierte Hepatopathie und die exokrine und endokrine Pankreasinsuffizienz lebensbedrohlich geworden sind.

Hauterkrankungen

Zwar gilt, dass verschiedene Hauterkrankungen oft umso schwerer verlaufen, je früher sie sich manifestiert haben, häufig wird aber das Ausmaß der Erkrankung gerade in der Adoleszenz für die Betroffenen besonders erlebbar: Dies gilt insbesondere für die Akne, aber auch für allergische Hauterkrankungen wie die Urtikaria und die Neurodermitis.
Die Ursachen der Akne sind vielgestaltig. Eine familiäre Häufung fällt auf: So tritt bei Jugendlichen eine Akne in 50 % der Fälle auf, wenn beide Elternteile in der Adoleszenz ebenfalls eine Akne hatten. Eine gesteigerte Talgbildung der Haut und die Besiedlung der Haut, insbesondere mit Propionibakterien, welche die Entstehung der Aknepusteln fördern, tragen zur Pathogenese der Akne bei. Durch die Vergrößerung der Talgdrüsenfollikel, die durch die in der Pubertät bei beiden Geschlechtern vermehrt gebildeten Androgene in ihrem Größenwachstum stimuliert werden, wird die Grundlage der primär nichtentzündlichen Hautveränderungen bei Akne gelegt (sog. geschlossene und offene Komedonen).
Im Verlauf der Erkrankung kommt es zu sekundär-entzündlichen Veränderungen mit Hautknoten, Pusteln und Fistelkomedonen, die teils narbig abheilen.
Die häufigsten Erscheinungsformen der Akne sind (Kap. „Acne vulgaris bei Jugendlichen“):
  • Acne comedonica,
  • Acne papulopustulosa und
  • Acne conglobata.
  • Die schwerste Verlaufsform ist die Acne fulminans.
Ein multimodales Therapiekonzept ist wichtig, um das kosmetische Problem und die damit einhergehenden psychischen Belastungen zu minimieren: Eine mehrmals tägliche Hautreinigung und entfettende Maßnahmen, z. B. unter Zuhilfenahme von fettaufsaugenden Kosmetiktüchern, sind empfehlenswert. Dagegen sind ernährungstherapeutische Maßnahmen (Diät) nicht notwendig und nicht zielführend. Eine Vielzahl von medikamentösen Therapien steht zur Verfügung. Insbesondere bei der Anwendung von Vitamin-A-Präparaten ist aber wegen der teratogenen Eigenschaften Vorsicht geboten. Eine wirksame Schwangerschaftsverhütung ist unerlässlich, vor Einleitung der Therapie mit Isotretinoin muss ein Schwangerschaftstest bei weiblichen Betroffenen durchgeführt werden.
Eine begleitende Psychotherapie kann bei durch die entstellenden Gesichtsveränderungen auftretenden Depressionen oder ängstlichen Verstimmtheiten hilfreich sein.

Magen-, Darm-, und Lebererkrankungen

Akute und chronische Bauchschmerzen sind häufige Beschwerden von Jugendlichen. Mehr als 200 verschiedene Erkrankungen können zu chronischen Bauchschmerzen führen.
Gastrointestinaltrakt
Rezidivierende oder chronische Bauchschmerzen kommen bei mehr als 200 verschiedenen Erkrankungen vor. Dabei sind es sowohl Erkrankungen innerhalb als auch außerhalb des Magen-Darm-Trakts, die Schmerzen verursachen können:
Bei Jugendlichen durchaus häufig sind:
Chronisch entzündliche Darmerkrankungen, wie Morbus Crohn, Colitis ulcerosa und Colitis indeterminata, manifestieren sich gehäuft in der 2. Lebensdekade.
Primäre oder sekundäre Amenorrhö beim Mädchen und Pubertas tarda bei beiden Geschlechtern sind häufig Folgen der Malabsorption und der mit diesen Krankheiten vergesellschafteten Gedeihstörung. Bauchschmerzen, Wachstumsstörung, extraintestinale Erscheinungen wie Arthritis und Hauterscheinungen beim Morbus Crohn, wie auch blutige Stühle bei der Colitis ulcerosa sind häufige Symptome. Die psychische und psychosoziale Belastung durch eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung ist im Jugendalter besonders groß. Schulversäumnis und die Nichtteilhabe am Gemeinschaftsleben mit Gleichaltrigen können prägend sein.
Neben den eigentlichen Krankheitssymptomen belasten die Nebenwirkungen der medikamentösen Therapie u. a. mit Mesalazin, Steroiden und Biologica (z. B. Steroidakne, Adipositas) die Jugendlichen in nicht unerheblichem Maße mit zum Teil nachteiliger Auswirkung auf die Therapie-Adhärenz. Das ärztliche Gespräch und die psychologische Unterstützung der betroffenen Jugendlichen gemeinsam mit den Eltern sind vorrangig. Bei funktionellen Beschwerden sollte eine leichtfertige Verordnung von Medikamenten, die zu einer iatrogenen Verstärkung der Symptome führen kann, unbedingt verhindert werden.
Angesichts der weiter steigenden Prävalenz von Adipositas im Jugendalter sind Adipositas-assoziierte Erkrankungen, wie Cholelithiasis, Pankreatitis und Gallenkoliken, bei Bauchschmerzen in der Differenzialdiagnose zu berücksichtigen. Diagnostik und Therapie richten sich nach der Erkrankungsentität. Häufig kommt es zur Chronifizierung der Symptome oder der Erkrankungen selbst.

Psychiatrische und psychosomatische Erkrankungen

Akute Belastungsreaktionen, posttraumatische Belastungsstörungen und Anpassungsstörungen treten bei ca. 5 % aller Jugendlichen auf. Essstörungen (Anorexia nervosa, Bulimie, Binge Eating) und Depression haben in der Jugendzeit einen Häufigkeitsgipfel. Belastende Lebensereignisse, wie Tod eines Elternteils, Trennung der Eltern, Trauma und Erkrankung, können Auslöser oder Verstärker der genannten Erkrankungen sein. Man geht von einer Prävalenz von 4 % bei Belastungs- und Anpassungsstörungen und von ca. 3 % bei Depressionen aus. Insbesondere zwischen dem 11. und 14. Lebensjahr steigt die Zahl der Neuerkrankungen bei Depressionen an.
Schulverweigerung, Substanzmissbrauch und parasuizidale Handlungen können Ausdruck einer Depression sein. Selbstmord ist eine der häufigsten Todesursachen während der Adoleszenz. Ängste, Phobien, Störungen des Sozialverhaltens, emotionale Instabilität bei Borderline-Syndrom und Essstörungen sind mit einer Depression im Jugendalter häufig gekoppelt. Jugendliche, die depressiv wirken oder unter belastenden Bedingungen leben, müssen bereits vom Kinder- und Jugendarzt auf das Vorhandensein einer Depression oder suizidaler Gedanken angesprochen werden. Die diagnostische Exploration durch den (Jugend-)Psychiater bestätigt die Diagnose nur. Die Therapie nutzt psychotherapeutische Ansätze ebenso wie Medikamente und sozialmedizinische Maßnahmen und Ansätze der Lebensberatung.

Essstörungen

Störungen wie Anorexia nervosa , Bulimie und Binge Eating Disorder sind häufig, treten vermehrt beim weiblichen Geschlecht auf und kommen mit einer Lebenszeitprävalenz von 2–4 % vor. In der Regel manifestieren sich Anorexia und Bulimia nervosa nicht vor dem 10. Lebensjahr. Der Erkrankungsgipfel bei Anorexia nervosa liegt bei 14 Jahren. Binge Eating manifestiert sich dagegen in der Regel erst in der 3. Lebensdekade, 20–30 % aller Erwachsenen mit Adipositas hat eine Binge-Eating-Disorder. Somatisch führen durch Hungern bedingte Veränderungen u. a. zu primärer oder sekundärer Amenorrhö (Kap. „Krankheiten von Hypophyse und Hypothalamus bei Kindern und Jugendlichen“, Kap. „Krankheiten der Keimdrüsen bei Kindern und Jugendlichen“, und Kap. „Anorexia nervosa bei Kindern und Jugendlichen“), vermindertem Längenwachstum, Bradykardie, Hypotonie, Hypothermie und Obstipation. Die Mortalität in den ersten Erkrankungsmonaten ist hoch, in den Folgejahren aber geringer als bisher angenommen. Dennoch ist die Anorexia nervosa im Jugendalter die psychiatrische Erkrankung mit der höchsten Mortalität. Suizide tragen zur hohen Mortalität bei.
In der Regel ist eine langfristige ambulante Therapie einer stationären Therapie vorzuziehen. Die Behandlungsmotivation ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Betreuung. Die Behandlung einer Essstörung ist immer multimodal: Eine Normalisierung des Essverhaltens ist anzustreben. Nährstoffdefizite müssen behoben werden. Eine ausreichende Kalziumsubstitution ist z. B. zur Osteoporose-Prophylaxe essenziell. Verhaltenstherapeutische, gesprächs- oder familientherapeutische Ansätze, aber auch tiefenpsychologische Verfahren werden in der Psychotherapie eingesetzt. Eine Gewichtsanhebung ist ein zentrales Therapieziel. Die Energiezufuhr darf dabei initial nur langsam gesteigert werden. Eine Essstörung verläuft in der Regel langwierig, meistens über viele Jahre. Eine Chronifizierung einer Anorexia nervosa ist häufig.

Stoffwechselerkrankungen

Diabetes mellitus

Die Häufigkeit des Diabetes mellitus Typ 1 nimmt insbesondere bei jungen Kindern weltweit mit einer Steigerungsrate von ca. 1–2 % pro Jahr zu. Begleit- und Folgeerkrankungen des Typ-1-Diabetes werden häufig erstmals während der Adoleszenz manifest.
Typ-1-Diabetes
Begleit- und Folgeerkrankungen des Typ-1-Diabetes, die häufig erstmals während der Adoleszenz manifest werden:
Insbesondere erste Zeichen der diabetischen Retinopathie, Nephropathie und Angiopathie zeigen den Betroffenen die Bedeutung der Erkrankung für das gesamte Leben. Viele Jugendliche mit Diabetes mellitus erleben ihre Erkrankung als Störung der körperlichen Integrität mit Selbstverletzung (Blutzuckermessung, Injektionen oder Katheterinsertionen). Die Ablösung vom Elternhaus, Entwicklungsprozesse während der Adoleszenz mit Partnersuche und Berufswahl sowie Beendigung der Schulzeit überlagern die Bewältigungsarbeit bezüglich der Erkrankung. Die durchschnittliche Qualität der Stoffwechseleinstellung von Menschen mit Diabetes mellitus ist in der Jugendzeit am schlechtesten. Biologische Faktoren, die eine relative Insulinresistenz bedingen können, sind die Entwicklung einer Adipositas und pubertätsbezogene Veränderungen an sich. Probleme mit Adhärenz und Compliance sowie das Auftreten von Essstörungen bei ca. 10 % aller Betroffenen erschweren die Zusammenarbeit mit professionellen Behandlern und sind ebenfalls Ursachen für die schlechtere Stoffwechseleinstellung.
Regelmäßige Kontrolluntersuchungen, motivierende Gespräche und Schulungen mit Gleichaltrigen (Peers) sind essenziell. Die Therapie der diabetischen Folgeerkrankungen umfasst vor allem eine konsequente Blutdruckbehandlung bei Hypertonie und/oder Mikroalbuminurie sowie die Therapie der Hypercholesterinämie mit Statinen.

Weitere Stoffwechselerkrankungen

Zu den häufigen in der Adoleszenz sich manifestierenden Endokrinopathien gehören:
Diagnostik und Therapie der Schilddrüsenerkrankungen werden an anderer Stelle (Kap. „Krankheiten der Schilddrüse bei Kindern und Jugendlichen“) behandelt.
Adipositas
Die Prävalenz der Adipositas nimmt in Deutschland wie in vielen Industrienationen zwar im frühen Kindesalter nicht mehr zu, allerdings ist die Zunahme der Adipositas-Prävalenz im Jugendalter ungebremst. Insbesondere ist auch das individuelle Ausmaß der Adipositas bei Jugendlichen in Deutschland heute weiter ansteigend und wegen der bereits im Jugendalter einsetzenden Folgeerkrankungen besorgniserregend. Ca. 1 % aller Jugendlichen mit Adipositas leiden bereits an einem Typ-2-Diabetes, 30 % haben Zeichen einer Fettleber und ca. 15 % haben einen erhöhten arteriellen Blutdruck. Die Therapie der Adipositas ist schwierig und nur über multiprofessionelle Teams und nachhaltig angelegte Therapieansätze realisierbar.
Eine effektive Prävention muss die Hauptursachen der Adipositas berücksichtigen, wie soziale Benachteiligung, mangelnde Bildung und niedrige Einkommensstruktur in den Familien vieler Betroffener. Genetische Vererbung und soziale Vererbung sind zu beachten: Das Risiko, dass ein Jugendlicher adipös ist oder wird, erhöht sich sowohl, wenn er/sie adipöse Freunde hat, und ebenso, wenn adipöse erstgradige Verwandte vorhanden sind. Populationsgestützte Präventionsansätze mit Einbeziehung von Massenmedien, Peergroups und stadtteilgestützter Sozialarbeit werden weltweit derzeit auf ihre Wirksamkeit überprüft.

Phenylketonurie

Bei vielen angeborenen Stoffwechselerkrankungen, z. B. der Phenylketonurie (PKU), kommt es während der Jugendzeit zu besonderen Behandlungssituationen: Die ernährungstherapeutischen Vorgaben sind weniger klar als in der Kindheit, Adhärenz und Compliance sinken und die Gefahren z. B. einer maternalen PKU treten erstmalig auf. Bei der letzteren kann es bei schlechter Stoffwechseleinstellung der (jugendlichen) Mutter und daraus ableitbaren hohen Phenylalanin- und Metabolitserumspiegeln zu einer Schädigung der kindlichen Gehirnentwicklung bei primär gesundem Kind kommen.

Störungen der Pubertätsentwicklung und Fertilität

Eine frühe Schwangerschaft in der 2. Lebensdekade wird als besondere Entwicklungsaufgabe und häufig als eine Risikoschwangerschaft angesehen. Unterstützung der schwangeren Jugendlichen im besten Fall durch ihre Familie oder ein soziales Netz, das nötigenfalls von professionellen Helfern geknüpft werden muss, sind von größter Bedeutung für Mutter und Kind.
Pubertätsstörungen (Pubertas tarda; konstitutionelle Verzögerung von Wachstum und Entwicklung) manifestieren sich in der Adoleszenz (Kap. „Pubertät und Pubertätsstörungen“). Dabei zählen sowohl eine ausbleibende als auch eine zu spät begonnene, verzögert ablaufende oder nach Anfängen sistierende körperliche Entwicklung zur Definition der Pubertas tarda. Neben der konstitutionellen Verzögerung von Wachstum und Entwicklung unterscheidet man zwischen dem hypogonadotropen und dem hypergonadotropen Hypogonadismus unterschiedlichster Genese.
Die Ursachen von Zyklusstörungen, primärer und/oder sekundärer Amenorrhö sind ebenfalls sehr vielfältig: Genetische angeborene Störungen, wie Chromosomen-Aberrationen (XO; Ullrich-Turner-Syndrom), Folgen von Unterernährung etwa bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen oder Essstörungen können zu Störungen der Geschlechtsentwicklung führen. Die Therapie der zugrunde liegenden Erkrankung oder aber die Substitution von Sexualsteroiden sind die Behandlung der Wahl.
Angeborene Störungen der Steroidsynthese führen zu Störungen der sexuellen Differenzierung (DSD). Störungen der Geschlechtsidentität (DSI) werden häufig erst in der Jugendzeit bemerkt und von der Umwelt als Störung wahrgenommen. Betroffene mit DSD und DSI sollten ausschließlich in spezialisierten Zentren von multiprofessionellen Teams betreut werden.
Weitere Aspekte der Sexualentwicklung von Jugendlichen werden in Kap. „Jungen – Sexualentwicklung und Sexualität in der Adoleszenz“, und Kap. „Jugendgynäkologie“ dargestellt.

Ullrich-Turner-Syndrom

Pubertas tarda ist u. a. ein Kardinalsymptom des Ullrich-Turner Syndroms (UTS): Alle Mädchen und Frauen, bei denen ein UTS vermutet wird, müssen eine Karyotypisierung angeboten bekommen. Standardisiert wird ein 30-Zellen-Karyotyp empfohlen, wodurch mindestens 10 % Mosaike mit 10 % Konfidenzintervall entdeckt werden.
Zusätzlich sollte bei jeder Patientin mit UTS nach residualem Y-Chromosom-Material gesucht werden, was entweder mit FISH-Methoden oder Sequenzierungen erfolgen kann. Wenn Patientinnen mit UTS Virilisierungszeichen zeigen, sollten sie im Hinblick auf Gonadentumoren, Nebennierentumoren oder sog. Mittellinientumoren untersucht werden. Wenn Y-Chromosom-Material vorhanden ist, entwickelt sich bei 12 % der Patientinnen ein Gonadoblastom.
Ringchromosom X und Xq-Isochromosomen werden ebenfalls bei Patientinnen mit klassischen Ullrich-Turner-Zeichen gefunden. Patienten mit diesem Phänotyp sind klinisch zum Teil nicht von Patientinnen zu unterscheiden mit nicht als Mosaik auftretender Monosomie X (45,X). Patientinnen mit kleinen distalen Deletionen auf dem kurzen Arm des Chromosom X (Xp-), die das SHOX-Gen betreffen, haben häufig ebenfalls Kleinwuchs und Ullrich-Turner-Syndrom-assoziierte Skelettanomalien, aber in der Regel nur ein geringes Risiko für Versagen der Gonaden und sollten nicht als UTS klassifiziert werden, wenn nicht die Bande Xb22.3 deletiert ist.
Differenzialdiagnose
Andere Chromosomen-Anomalien oder das isolierte Vorliegen von angeborenen Herzfehlern sind mitunter als Differenzialdiagnose des UTS zu berücksichtigen.
Kardiovaskuläres System
Potenziell lebensbedrohliche Konsequenzen einer X-Chromosom-Haploinsuffizienz betreffen das kardiovaskuläre System. Ca. 11 % der Betroffenen haben eine Aortenisthmusstenose und 16 % eine bikuspide Aortenklappe. Die veränderte Aortenklappe kann zu infektiösen Endokarditiden führen und schließlich eine Aortenstenose oder Aorteninsuffizienz bewirken.
Weitere kardiale Auffälligkeiten betreffen Veränderungen des Aortenbogens (bei 55 %), eine Dilatation und Dissektion ist im Erwachsenenalter häufig und auch eine persistierende linke obere Hohlvene ist bei 13 % der Patientinnen vorhanden.
Elektrokardiografische Überleitungs- und Repolarisierungsabnormalitäten sind bei Erwachsenen mit UTS häufig. Ob regelmäßige EKG-Ableitungen für die Patientinnen von klinischem Nutzen sind, bleibt unklar.
Die Aortendilatation kann zu Dissektion und schließlich zur Ruptur der Aorta führen. Da ein systemischer Bluthochdruck häufig bei Patientinnen mit UTS sich im Erwachsenenalter entwickelt, muss der Bluthochdruck kontrolliert werden, um einer Vergrößerung der Aorta und einer Dissektion vorzubeugen.
Therapie
Kap. „Angeborene körperliche Anomalien: klinische Diagnostik“, Abschn. „Numerische Aberrationen der Gonosomen“.
Pubertät und Pubertätsinduktion
In einer Serie in Deutschland hatten nur ca. 9 % der Patientinnen mit UTS einen spontanen Pubertätsbeginn. Ca. 5 % dieser Mädchen erlangten eine Menarche im Alter von ca. 14 Jahren. Sehr häufig ist also eine Östrogentherapie für die Induktion der Pubertätsentwicklung notwendig: Form, Dosierung und zeitlicher Ablauf sollten die normale Pubertät von gesunden Mädchen und Jugendlichen reflektieren! Eine späte Gabe der Östrogenersatztherapie, z. B. nach dem 15. Lebensjahr, um möglichst das Wachstumspotenzial auszuschöpfen, wird heute nicht mehr empfohlen! Die psychosoziale Bedeutung einer altersadäquaten Pubertätsentwicklung würde hierdurch vernachlässigt und außerdem die negativen Auswirkungen eines Östrogenmangels auf Knochen, Nerven und Hautentwicklung unterschätzt werden. Wenn man die Östrogenersatztherapie mit ca. 12 Jahren beginnt, kann eine normale Pubertätsentwicklung erzielt werden, ohne dass die positiven Effekte der Wachstumshormontherapie auf die Erwachsenengröße in Mitleidenschaft gezogen werden.
Nach zwei Jahren sollte ein Gestagen dazugegeben werden. Es ist wichtig, dass die Patientinnen verstehen, dass die Östrogenersatztherapie normalerweise bis zum normalen Eintreten der Menopause verabreicht werden muss, um eine normale Feminisierung und eine Prävention einer drohenden Osteoporose zu gewährleisten. Beratung im Hinblick auf die sexuelle Entwicklung, Geschlechtsfunktionen und die Fertilität sollte in der Jugendzeit gemeinsam mit der Familie durchgeführt werden.
Schwangerschaft und Fertilität
Obwohl manche Patientinnen mit UTS spontane Schwangerschaften erleben, sind die meisten doch infertil. Assistierte Reproduktionstechniken stehen heutzutage zur Verfügung: Bevor eine spontane oder assistierte Schwangerschaft geplant wird, sollten Frauen mit Ullrich-Turner-Syndrom eine sorgfältige klinische Untersuchung in Anspruch nehmen:

Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Arterielle Hypertonie

Eine arterielle Hypertonie manifestiert sich sehr häufig bereits in der Jugendzeit. Gleichzeitig verschiebt sich die Bedeutung der möglichen Ursachen: Während in der frühen Kindheit renale, kardiale und in seltenen Fällen eine endokrine Ursache zu einem Bluthochdruck führen, so sind die Adipositas-assoziierte Hypertonie und die sog. essenzielle Hypertonie die vorherrschenden Formen des Bluthochdrucks im Jugendalter.
Eine 24-Stunden-Blutdruckmessung und sorgfältige Ursachenabklärung müssen der Behandlung vorausgehen (Kap. „Arterielle Hypertonie bei Kindern und Jugendlichen“).

Angeborene Herzfehler

Angeborene Herzfehler sind bis zur Jugendzeit häufig korrigiert oder einer Palliation zugeführt. Wenn im Neugeborenen-, im Säuglings- oder im Kindesalter ein angeborener Herzfehler mittels Operation oder Intervention korrigiert worden ist, liegt bei einem Jugendlichen ein „postoperativer“ oder „postinterventioneller“ Zustand vor, der vom Kinderkardiologen mit den entsprechenden Spezialkenntnissen im Hinblick auf angeborene Herzfehler mitbetreut werden muss. Hier ist der Transitionsprozess von herausragender Bedeutung. So leben heute in Deutschland mehr Erwachsene mit korrigierten, angeborenen Herzfehlern als Patienten mit Vitium cordis, die bis zum 18. Lebensjahr primär durch Pädiater betreut werden. In vielen Herzzentren werden in der Erwachsenenkardiologie deshalb inzwischen gesonderte Teams zur Nachbetreuung erwachsener Patienten mit angeborenen Herzfehlern eingerichtet. Zudem wurde eine Subdisziplin EMAH (Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern) etabliert, die sowohl von Kinderkardiologen wie auch von internistischen Kardiologen erworben werden kann.

Weitere kardiovaskuläre Erkrankungen

Orthostatisch ausgelöste vasovagale Synkopen sind im Jugendalter häufig. Medikamente, langes Stehen, große Hitze und Fasten oder minimale Flüssigkeitszufuhr verstärken die orthostatische Intoleranz. Der Kipptisch-Versuch liefert wertvolle diagnostische Hinweise beim Verdacht auf das Vorliegen einer vasovagalen Dysregulation.
(Herz-)Thoraxschmerzen sind ebenfalls häufige Beschwerden im Jugendalter. Eine sorgfältige Anamneseerhebung führt meist zur Unterscheidung zwischen kardialen, pulmonalen, gastrointestinalen oder muskuloskelettalen Ursachen. Psychische oder psychiatrische Erkrankungen oder ein Herpes zoster sind wichtige Differenzialdiagnosen.
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