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Pädiatrie
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Publiziert am: 26.04.2019

Substanzmissbrauch im Kindes- und Jugendalter

Verfasst von: Rainer Thomasius
Der Konsum von Alkohol und illegalen Drogen ist im Kindes- und Jugendalter weit verbreitet, er stellt aber für die Mehrzahl der Jugendlichen ein vorübergehendes, auf die Adoleszenz begrenztes Entwicklungsphänomen dar. Nur ein Teil der mit Substanzkonsum erfahrenen Jugendlichen entwickelt relevante Missbrauchs- oder Abhängigkeitsformen (sog. substanzbezogene Störungen). Bei diesen Jugendlichen treffen häufig genetische und lebensgeschichtlich früh auftretende psychosoziale Belastungen mit den problematischen Folgen des Substanzmissbrauchs in der Adoleszenz zusammen. In diesem Fall ist die frühzeitige Einleitung einer kinder- und jugendpsychiatrischen, suchtspezifischen Diagnostik und Therapie geboten.
Der Konsum von Alkohol und illegalen Drogen ist im Kindes- und Jugendalter weit verbreitet, er stellt aber für die Mehrzahl der Jugendlichen ein vorübergehendes, auf die Adoleszenz begrenztes Entwicklungsphänomen dar. Nur ein Teil der mit Substanzkonsum erfahrenen Jugendlichen entwickelt relevante Missbrauchs- oder Abhängigkeitsformen (sog. substanzbezogene Störungen). Bei diesen Jugendlichen treffen häufig genetische und lebensgeschichtlich früh auftretende psychosoziale Belastungen mit den problematischen Folgen des Substanzmissbrauchs in der Adoleszenz zusammen. In diesem Fall ist die frühzeitige Einleitung einer kinder- und jugendpsychiatrischen, suchtspezifischen Diagnostik und Therapie geboten (Kap. „Suchttherapie bei Kindern und Jugendlichen“).
Epidemiologie und Häufigkeit
Bis zu 25–30 % der jungen Menschen unter 25 Jahren gelten nach Schätzungen als suchtgefährdet, weil sie entweder bereits als Ungeborene durch Alkohol, Nikotin oder andere Drogen beeinträchtigt wurden, in suchtbelasteten Familien aufwachsen oder selbst zu früh und zu viel konsumieren. Das bedeutet, dass etwa 5 Mio. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in Deutschland eine Suchtgefährdung aufweisen. Kinder und Jugendliche aus alkoholbelasteten Familien sind die größte bekannte Risikogruppe für spätere Suchtstörungen – Schätzungen gehen von knapp 2,7 Mio. Betroffenen unter 18 Jahren aus.
Im Zeitraum von 2001–2010 hat sich der Anteil der Raucher im Alter zwischen 12 und 17 Jahren praktisch halbiert und ist von 28 % im Jahr 2001 weiter auf 8 % im Jahr 2015 zurückgegangen, was als Erfolg einer präventiven Mehr-Ebenen-Strategie bewertet wird. Gleichwohl ist die Gruppe der neu in Tabakgebrauch einsteigenden Kinder und Jugendlichen eine Risikogruppe für späteren Substanzmissbrauch.
In Deutschland gibt es schätzungsweise 88.000–100.000 von Alkohol und illegalen Drogen abhängige Kinder und Jugendliche. Verschiedene aktuelle Studien und Berichte weisen darauf hin, dass die Zahl der Suchtmittel missbrauchenden und abhängigen Kinder und Jugendlichen weiter ansteigt und sich Sucht und Abhängigkeit in zunehmend jüngeren Altersstufen manifestieren. Etwa ein Viertel aller Kinder und Jugendlichen mit einem problematischen Suchtmittelkonsum beginnt bereits vor dem 14. Lebensjahr mit dem Missbrauch psychotroper Substanzen. Unter den 14- bis 24-Jährigen haben knapp 10 % eine Diagnose für Alkoholmissbrauch (nach ICD-10-Kriterien) und weitere 6 % für Alkoholabhängigkeit, wobei die männlichen und älteren Jugendlichen und jungen Erwachsenen häufiger betroffen sind. Die Monatsprävalenz des Rauschtrinkens liegt bei den 12- bis 15-jährigen Jugendlichen bei 7 % bzw. bei den 16- bis 17-jährigen Jugendlichen bei 35 % (Abb. 1). Früher Beginn und hohe Frequenz des Rauschtrinkens kommen bei etwa 15 % der Jugendlichen vor. Typisch ist für diese Gruppe ein problematischer Verlauf bis in das Erwachsenenalter hinein. 18- bis 20-Jährige haben in 5 % einen positiven Befund auf der Severity Dependence Scale für Cannabisabhängigkeit und 0,4 % für Kokainabhängigkeit. Deutsche Jugendliche konsumieren psychoaktive Substanzen, vor allem Alkohol, früher und zeigen häufiger problematische Konsumformen als ihre Altersgenossen in vielen anderen europäischen Ländern und Nordamerika. Substanzmissbrauch und -abhängigkeit bei Kindern und Jugendlichen sind sehr häufig von psychischer Komorbidität begleitet. Der Anteil der jungen Abhängigen mit komorbiden psychischen Störungen liegt bei etwa 70 %.
Gesundheitsökonomie und Suchthilfestatistik
Die Kosten der durch Sucht bedingten Erkrankungen werden für Industrieländer bei den 15- bis 29-Jährigen auf etwa 25 % aller entstehenden Krankheitskosten in dieser Altersgruppe geschätzt. Substanzbezogene Todesfälle machen in Industrieländern etwa 30 % aller Todesfälle in der Gruppe der 15- bis 29-Jährigen aus.
Jährlich werden etwa 20.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland wegen Alkoholintoxikationen im Krankenhaus notfallmedizinisch behandelt. Die Häufigkeit dieser Diagnose hat sich seit dem Jahr 2000 nahezu verdoppelt. Die Anzahl der vollstationären Behandlungen cannabisbezogener Störungen bei zumeist männlichen Patienten bis zum Alter von 15 Jahren hat sich seitdem mit aktuell etwa 12.000 Fällen pro Jahr mehr als vervierfacht. Daten des Kerndatensatzes der Deutschen Suchthilfestatistik weisen darauf hin, dass die Gruppe der Personen mit cannabisbezogenen Störungen infolge sinkenden Einstiegsalters in riskante Gebrauchsformen stetig größer und jünger wird.
Weiterführende Literatur
Drogenbeauftragte der Bundesregierung (2018) Drogen- und Suchtbericht. Bundesministerium für Gesundheit, Berlin. www.​drogenbeauftragt​e.​de
Orth B (2017) Der Alkoholkonsum Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland. Ergebnisse des Alkoholsurveys 2016 und Trends. BZgA-Forschungsbericht. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Köln
Thomasius R, Schulte-Markwort M, Küstner UJ, Riedesser P (Hrsg) (2009) Suchtstörungen im Kindes- und Jugendalter. Das Handbuch: Grundlagen und Praxis. Schattauer, Stuttgart