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Pädiatrie
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Publiziert am: 09.07.2015

Tabak- und Alkoholkonsum bei Kindern und Jugendlichen

Verfasst von: P. Kolip und J. Bucksch
Das gesundheitsriskante Verhalten von Jugendlichen, insbesondere der Suchtmittelkonsum, verdient aus gesundheitswissenschaftlicher Perspektive besondere Aufmerksamkeit. Zum einen hat dieses Verhalten Auswirkungen auf die Gesundheit, sowohl im Jugendalter selbst als auch zeitverzögert auf die Gesundheit im Erwachsenenalter. Zum anderen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass gesundheitsriskantes Verhalten im Erwachsenenalter fortgeführt wird und sich kumulativ auf die Gesundheit auswirkt. Der Konsum von Tabak, Alkohol und Cannabis gilt als zentraler Risikofaktor für zahlreiche chronisch-degenerative Erkrankungen.

Bedeutung des Suchtmittelkonsums bei Jugendlichen

Das gesundheitsriskante Verhalten von Jugendlichen, insbesondere der Suchtmittelkonsum, verdient aus gesundheitswissenschaftlicher Perspektive besondere Aufmerksamkeit. Zum einen hat dieses Verhalten Auswirkungen auf die Gesundheit, sowohl im Jugendalter selbst als auch zeitverzögert auf die Gesundheit im Erwachsenenalter. Zum anderen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass gesundheitsriskantes Verhalten im Erwachsenenalter fortgeführt wird und sich kumulativ auf die Gesundheit auswirkt. Der Konsum von Tabak, Alkohol und Cannabis gilt als zentraler Risikofaktor für zahlreiche chronisch-degenerative Erkrankungen.
Der folgende Beitrag befasst sich mit den beiden häufigsten von Jugendlichen konsumierten Substanzen – Tabak und Alkohol – zeichnet die Entwicklung des Konsums in den letzten Jahren nach und analysiert die Frage, wo Interventionsbedarf besteht. Der Jugendmedizin kommt hier eine wichtige Aufgabe im Konzert anderer Akteure zu (z. B. im schulischen und familiären Umfeld). So besteht im Rahmen der Früherkennungsuntersuchung J1 im Alter von 13 Jahren die Gelegenheit, einen riskanten Substanzkonsum zu thematisieren (Kap. Jugendmedizin und Jugendgesundheitsuntersuchung). Zudem spielen Pädiater bei spezifischen Interventionen eine wichtige Rolle, z. B. der Rückfallprophylaxe nach Alkoholintoxikation (s. hierzu z. B. das Alkoholpräventionsprojekt HaLT [Hart am Limit], das einen reaktiven Programmbaustein beinhaltet, in dem Kinder und Jugendliche und ihre Eltern nach Alkoholintoxikation im Krankenhaus angesprochen werden; Bundesmodellprojekt HaLT, 2009).
Der Beitrag stützt sich auf die einschlägigen epidemiologischen Datenquellen, die in Deutschland mittlerweile zur Verfügung stehen. Neben dem Kinder- und Jugendgesundheitssurvey KiGGS, der 2003–2006 vom Robert Koch-Institut (RKI) durchgeführt wurde (RKI, 2008) und mittlerweile als Längsschnittstudie weitergeführt wird und den Drogenaffinitätsstudien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA, 2012), die in regelmäßigem Abstand seit 1973 die Entwicklung des Substanzkonsums der 12- bis 17- und 18- bis 25-Jähringen verfolgt, ist hier die Studie Health Behaviour in School-aged Children (HBSC) zu nennen. Die HBSC ist eine internationale Vergleichsstudie, die seit 1993 auch mit deutscher Beteiligung durchgeführt wird und für das Schuljahr 2009/10 erstmals repräsentative bundesweite Daten vorlegt.
Da eine direkte Vergleichbarkeit der Prävalenz aufgrund von unterschiedlicher Methodik und Stichprobengenerierung über die Studien hinweg nicht möglich ist, stützt sich dieser Beitrag überwiegend auf die Drogenaffinitätsstudie.

Tabakkonsum

Der Konsum von Tabak gilt weltweit als wichtiger gesundheitlicher Risikofaktor und wird von der WHO (2009) neben dem Bluthochdruck als zweitwichtigster attributabler Risikofaktor für vorzeitige Mortalität eingestuft. Je früher Jugendliche zu rauchen beginnen, desto wahrscheinlicher ist die Entwicklung einer Tabakabhängigkeit. Ein früher Tabakkonsum ist zudem mit weiteren Risikoverhaltensweisen (z.B. riskantem Alkoholkonsum) assoziiert. Die Drogenaffinitätsstudie zeigt, dass die Tabakprävalenz aktuell in der Altersgruppe 12–17 Jahre weiterhin rückläufig ist (BZgA, 2012): 2011 gaben nur noch 11,7 % der Jugendlichen dieser Altersgruppe an zu rauchen, darunter rauchen 4,8 % täglich (Abb. 1). Die Konsumraten haben damit erfreulicherweise einen historischen Tiefstand erreicht.
Mädchen und Jungen unterscheiden sich, anders als in früheren Jahren, nicht mehr. Auffällig ist aber, dass es starke Bildungsunterschiede gibt: Während laut BZgA 2012 in der Sekundarstufe I 4,8 % der GynmasiastInnen rauchen, sind es in der Hauptschule 17,8 %. Dieser Befund wird auch in der KiGGS-Studie und der HBSC-Studie bestätigt. Für die Pädiatrie ist interessant, dass sich das Einstiegsalter in den Tabakkonsum nach oben verschoben hat und nunmehr bei 14,3 Jahren liegt; dies unterstreicht die Option, präventive Impulse im Rahmen der J1 zu setzen.

Alkoholkonsum

Riskanter Alkoholkonsum ist mit zahlreichen gesundheitlichen Risiken verbunden. Die Aneignung gemäßigter Alkoholkonsummuster gehört deshalb in einem Land, das mit einem Pro-Kopf-Konsum von 9,7 l Alkohol jährlich weltweit zu den Hochkonsumländern zählt, zu einer wichtigen Entwicklungsaufgabe im Jugendalter. Nach KiGGS liegt der Anteil der 11- bis 17-jährigen Jungen bzw. Mädchen, die mindestens wöchentlich Alkohol konsumieren, bei 38,6 % bzw. 22,2 %. Die Daten der Drogenaffinitätsstudie zeigen im zeitlichen Verlauf, dass der regelmäßige, also der mindestens wöchentliche Alkoholkonsum in der Altersgruppe 12–17 Jahre seit Jahren rückläufig, von 2010–2011 aber wieder leicht angestiegen ist (Abb. 1; Daten aus BZgA 2012, Drogenaffinitätsstudie 2011).
Nach Angaben der BZgA gelten 14,2 % der Jugendlichen dieser Altersgruppe als regelmäßige Alkoholkonsumenten und -konsumentinnen. Differenziert man diese Gruppe weiter, zeigt sich, dass der Anstieg vor allem in der Gruppe der 16- und 17-Jährigen zu beobachten ist (40,8 % männliche, 20,2 % weibliche regelmäßige Konsumenten und Konsumentinnen), während in der Altersgruppe 12–15 Jahre der Konsum weiter rückläufig ist (4,6 % Mädchen, 6,6 % Jungen). Unterschiede hinsichtlich der sozialen Schicht lassen sich, anders als beim Tabakkonsum und entgegen des landläufigen Vorurteils, nicht finden. Dieser Befund zum Sozialstatus bestätigt sich auch in der KiGGS-Studie. Gleichzeitig wird dort, wie beim Tabakkonsum, ein Zusammenhang zwischen steigendem Bildungsgang und abnehmenden Alkoholkonsum für Jungen berichtet.
Das Alter beim ersten Konsum von Alkohol hat sich von 2004–2011 um ein halbes Jahr nach oben verschoben und liegt nun bei 13,6 Jahren. Auch das Alter beim ersten Alkoholrausch liegt laut BZgA 2012 mit nunmehr durchschnittlich 14,9 Jahren ein halbes Jahr höher als noch 2004. Jugendliche mit (türkischem) Migrationshintergrund konsumieren zudem – erwartbar – seltener riskant Alkohol als deutsche Jugendliche oder Jugendliche aus osteuropäischen Staaten.
Auch wenn einige Untersuchungen Hinweise auf eine Zunahme des Alkoholkonsums bei Jugendlichen zu geben scheinen (Kap. Substanzmissbrauch im Kindes- und Jugendalter), zeigen bevölkerungsrepräsentative Studien, dass aktuell nicht nur beim regelmäßigen Alkoholkonsum die Raten rückläufig sind. Auch das Rauschtrinken, erfasst als mindestens 5 Getränke pro Trinkgelegenheit, geht nach Angaben der BZgA zurück. Im Jahr 2011 gaben 15,2 % der 12- bis 17-Jähigen Jugendlichen an, in den vorgegangenen 30 Tagen mindestens einmal 5 Gläser Alkohol und mehr hintereinander getrunken zu haben. Im Jahr 2004 lag dieser Wert noch bei 22,6 %. Rauschtrinken (Binge Drinking) ist den Daten der BZgA 2012 zufolge bei den Jungen häufiger als bei den Mädchen (30-Tage-Prävalenz Altersgruppe 16 und 17 Jahre: 45,0 % Jungen, 22,2 % Mädchen). Länderspezifische Ergebnisse aus der internationalen HBSC-Studie zum Rauschtrinken im Zeitverlauf von 1998 bis 2006 bestätigen ebenfalls rückläufige Zahlen für die westeuropäischen Länder, die allerdings für Mädchen etwas geringer ausfallen als für Jungen. Jungen weisen allerdings nach wie vor die höchste Prävalenz auf.
Diese geschlechterspezifische Verteilung kehrt sich nach der Krankenhausdiagnosestatistik der Fälle akuter Alkoholintoxikationen (F10.0) für Kinder unter 15 Jahren um: Für das Jahr 2010 werden mehr weibliche (2146) als männliche (1963) Fälle ausgewiesen. Nach einem Anstieg in den vergangenen Jahren, der für eine erhöhte Aufmerksamkeit des sozialen Umfeldes spricht, ist nun eine Stabilisierung zu erkennen. Das Geschlechterungleichgewicht zu Ungunsten der Mädchen zeigt sich nur in der jüngeren Altersgruppe bis 15 Jahren, danach werden deutlich mehr Jungen als Mädchen mit der Diagnose „Akute Alkoholintoxikation“ eingewiesen.

Schlussfolgerungen

Die vorhandenen epidemiologischen Daten zeigen, dass der Alkohol- und Tabakkonsum in der Gruppe der Jugendlichen gegenwärtig rückläufig ist. Hier zeigen sich die Erfolge der Präventionsbemühungen der vergangenen Jahren, die verstärkt neben individuell verhaltensorientierten Ansätzen eben auch verhältnisorientierte Maßnahmen fokussiert haben, z. B. Nichtraucherschutzgesetze und Alcopopsteuer. Spezifische Zielgruppen verdienen aber weiterhin besondere Aufmerksamkeit: Sowohl für den Alkoholkonsum als auch für das Rauchen gilt, dass Jugendliche mit geringer Schulbildung weiterhin zu den Risikogruppen gehören; sie werden von den oftmals mittelschichtsorientierten Präventionsmaßnahmen bislang kaum erreicht.
Zukünftige Präventionsangebote müssten sich demzufolge mehr auf diese Gruppe konzentrieren, die Hintergründe des Substanzkonsums stärker berücksichtigen und die Lebenswelt der Jugendlichen, die insbesondere auch gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen, z. B. die Beschränkung von Werbung und den Zugang zu alkoholischen Produkten mit einschließt, besser einbeziehen.
Literatur
Bundesmodellprojekt HaLT (2009) Handbuch. Trainermanual und Projektdokumentation, 3. Auflage. Lörrach: Viall Schöpflin. Download unter: http://​www.​halt-projekt.​de/​images/​stories/​pdf/​handbuch_​halt_​2009.​pdf. Zugegriffen am 15.03.2012
BZgA – Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2012) Die Drogenaffinität Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland. Der Konsum von Alkohol, Tabak und illegalen Drogen: Aktuelle Verbreitung und Trends. BZgA, Köln
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