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Pädiatrie
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Publiziert am: 12.11.2019

Transition

Verfasst von: Wieland Kiess
Der Übergang von einer pädiatrischen in eine internistische Betreuung geschieht in der Regel in einer besonders schwierigen und vulnerablen Lebensphase von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen mit chronischen Krankheiten. Er stellt einen besonderen und eigenen Abschnitt in der Betreuung von jungen Menschen mit speziellen medizinischen Bedürfnissen dar. In dieser Zeit finden für den Betroffenen einschneidende psychisch-physische, persönliche, berufliche und soziale Veränderungen statt. Bei Stoffwechselerkrankungen kommt es nicht selten zu einer Verschlechterung der Stoffwechseleinstellung. Mögliche Unterschiede in der Betreuungskultur zwischen Pädiatrie und z. B. Neurologie oder Innerer Medizin können für den Betroffenen und auch für die betreuenden Teams Probleme bereiten. Sie eröffnen aber auch neue Möglichkeiten und Chancen. Geeignete Übergangsmodelle im Sinne von Übergangssprechstunden, strukturiertem Übergang (Checklisten, Transfer-Brief etc.) und der Nutzung von gemeinsamen Datenbanken setzen immer eine gute Kooperation aller Beteiligten voraus, z. B. zwischen Pädiater und Internist oder zwischen Neuropädiater und Neurologe.

Einführung

Der Übergang von einer pädiatrischen in eine internistische Betreuung geschieht in der Regel in einer besonders schwierigen und vulnerablen Lebensphase von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen mit chronischen Krankheiten. Er stellt einen besonderen und eigenen Abschnitt in der Betreuung von jungen Menschen mit speziellen medizinischen Bedürfnissen dar. In dieser Zeit finden für den Betroffenen einschneidende psychisch-physische, persönliche, berufliche und soziale Veränderungen statt.

Mögliche Chancen und Barrieren

Häufig haben Jugendliche oder junge Erwachsene mit chronischer Erkrankung bereits eine lange Krankengeschichte hinter sich, wenn ein Behandler-Wechsel ansteht. Unterschiede in der Betreuung chronisch Kranker in Bezug auf Organisationsform, Fokus, Perspektive, Behandlungsansatz, Gesprächsführung und Wissen zwischen pädiatrischen und internistischen Teams sind bekannt. Eine Tendenz zu Überprotektion und Unterstützung von unselbstständigem Handeln mögen in der pädiatrischen Betreuung nachteilig sein, während mechanistische und an Pharmakotherapie orientierte Behandlungskonzepte in der internistischen Vorgehensweise vorherrschen könnten (Tab. 1).
Tab. 1
Unterschiedliche Prinzipien der pädiatrischen und internistischen Betreuung von Menschen mit chronischer Krankheit (Busse et al. 2003; Busse-Voigt et al. 2010)
Prinzip
Pädiater
Internist
Fokus
Vermeidung akuter Komplikationen
Vermeidung von Folgekrankheiten
 
Sicherstellung von normalem(r) Wachstum und Entwicklung
Vermeidung akuter Komplikationen
Strategie
Empowerment; Adherence; Zusammenarbeit mit Familie und Schule, (enges) Arzt-Patienten-Verhältnis
Unabhängigkeit und Selbstständigkeit des Patienten
  
Oft unpersönlicheres, distanzierteres Arzt-Patient-Verhältnis; Pharmakotherapie wird als bedeutsamer angesehen
Team
Eher multiprofessionell
Eher individualisiert
Patienten
Kinder und Jugendliche
Ältere und krankere Patienten
Schwächen
Mangelnde Kenntnisse von Folgeerkrankungen
Mangel an Erfahrung im Umgang mit Jugendlichen
 
Mangelnder Respekt vor Selbstbestimmtheit des Patienten
Zeit-, Budget-Limitierung
 
Mangelnde Kooperation mit Internisten
Lange Wartezeiten
  
Mangelnde Kooperation mit Pädiatern
Schwierigkeiten, chronisch kranke Jugendliche in die internistische Betreuung zu transferieren, können auf verschiedenen Ebenen auftreten: z. B. tritt bei Patienten mit Typ-1-Diabetes Angst vor Folgekrankheiten in der Jugendzeit in den Vordergrund. Psychiatrische Komorbidität (z. B. Essstörungen, Depression) kann sich in der Jugendzeit manifestieren. Erste Partnerschaften, Schulwechsel oder -abschluss, berufliche Herausforderungen und der Auszug aus dem Elternhaus konkurrieren um die Mitarbeit bei der Bewältigung chronischer Krankheit. Zudem mag es sowohl dem betreuenden Pädiater als auch dem Patienten schwer fallen, eine über Jahre gewachsene Arzt-Patient-Beziehung zu beenden. Die Sorge um Drop-Out und Verlust an kompetenter Betreuung durch Spezialisten verzögert mitunter den Transfer. Mögliche Barrieren, die den Übergang von der pädiatrischen in die internistische Betreuung erschweren können, sind in Tab. 2 aufgeführt.
Tab. 2
Mögliche Barrieren, die den Übergang von der pädiatrischen in die internistische Betreuung erschweren könnten (Busse et al. 2003; Busse-Voigt et al. 2010)
Ebene
Erschwernis
Biochemie/Biologie
Physiologische Veränderungen während der Pubertät
Psyche
Selbstbewusstsein; fehlende Akzeptanz der Krankheit, Resilienz-Faktoren; mangelhafte Coping-Strategie
Psychiatrie
Begleiterkrankungen, wie Depression; Essstörungen
Familie
Überprotektion
Gesellschaft
Peers-Akzeptanz im Freundeskreis; berufliche Anforderungen und Veränderungen
Medizin
Nicht-Loslassen-Wollen des Pädiaters; Unterschiede zwischen pädiatrischen und internistischen Betreuungs-Konzepten (Tab. 1). Fehlende/mangelnde Kontinuität spezialisierter Betreuungsteams

Durchführung der Transition

Es gibt kein Ideal und auch keine Arbeitsvorschrift für einen optimalen Übergang von der pädiatrischen in die Betreuung durch Erwachsenen-Disziplinen. Darüber hinaus kann ein optimales Alter für die Planung der Transition nicht allgemeingültig definiert werden. In der Regel wird der Übergang zwischen dem 16. und dem 21. Lebensjahr vollzogen. Von den Kostenträgern wird vielerorts das 18. Lebensjahr vorgeschlagen oder gar festgeschrieben. In manchen Einrichtungen (z. B. manche Herzzentren; einige Mukoviszidose-Ambulanzen) sind sowohl Pädiater als auch Internisten tätig, sodass ein Übergang innerhalb der Einrichtung vollzogen werden kann.
Der Übergang von der pädiatrischen in die Betreuung durch die Erwachsenenmedizin soll hier am Beispiel von Patientinnen mit Ullrich-Turner-Syndrom (UTS) exemplarisch skizziert werden:
Nach Beendigung des Wachstums und dem Abschluss der Pubertät gegen Ende der Adoleszenz sollte die Transition von jungen Frauen mit UTS stufenweise erfolgen und im optimalen Fall eine Transitions-Sprechstunde, die gemeinsam zwischen pädiatrischem und internistischem Endokrinologen durchgeführt wird, beinhalten. Insbesondere sollten psychosoziale Themen, die kardiovaskuläre Sicherheit, die Unterstützung des Skelettwachstums mit adäquater Vitamin-D- und Kalziumzufuhr sowie einer guten Gewichtskontrolle besprochen werden. Da junge Frauen mit UTS häufig übergewichtig werden, sollte auf ausreichende Sportausübung und körperliche Bewegung geachtet werden.
  • Kognition und Bildung, Psychologie und psychische Entwicklung: Die meisten Frauen und Mädchen mit UTS haben eine normale Intelligenz. Teilleistungsstörungen sind allerdings nicht ungewöhnlich. Bei Schulkindern und Jugendlichen mit UTS ist eine höhere Rate an Aufmerksamkeitsdefiziterkrankungen (ADHS) berichtet worden. Ein erhöhtes Risiko für soziale Isolation, Ängste und zurückgezogenes Verhalten kann in der Jugendzeit vorkommen und sollte nötigenfalls psychologisch begleitet werden.
    Junge, mit Wachstumshormon behandelte Frauen mit UTS haben in der Regel ein normales körperliches und mentales Erleben und fühlen sich gesund. Bereiche wie Sexualität und Fertilität sind aber problembelastet und sollten bereits in der Transition adressiert und begleitet werden. Soziale Ängstlichkeit und reduziertes Selbstwertgefühl werden von vielen Patientinnen beklagt.
  • Psychische und soziale Teilhabe im Erwachsenenalter: In Deutschland gibt es eine aktive UTS-Selbsthilfegruppe. Psychische und soziale Teilhabe der Frauen mit UTS sind normal und sollten als solche anerkannt werden. Viele Frauen mit Ullrich-Turner-Syndrom erreichen hochqualifizierte Berufsabschlüsse und eine entsprechend gute soziale Teilhabe als Erwachsene.
    Mädchen und Frauen mit UTS brauchen eine multidisziplinäre Unterstützung ein Leben lang. Pränatales Screening oder eine frühe Diagnose, die wachstumsunterstützende Therapie, die frühe Entdeckung und Therapie von Begleiterkrankungen, wie kardiovaskuläre Fehlbildungen, Typ-II-Diabetes, Hypothyreose und Zöliakie, sind wichtig. Die Pubertätsinduktion und reproduktionsmedizinische Betreuung sind für ältere Jugendliche und junge Erwachsene mit UTS wichtig. Ziel der interdisziplinären Zusammenarbeit ist es, dass Mädchen und Frauen mit UTS ein normales Leben führen können.
Für jede/n jugendliche/n Patientin/Patienten mit chronischer Krankheit sind individuelle Übergangskonzepte anzustreben. Das Einbeziehen der Familie (Eltern; Geschwister) kann hilfreich sein. Der Wechsel zur Erwachsenenmedizin ist frühzeitig vorzubereiten, also mit dem Betroffenen rechtzeitig anzusprechen, und muss eine Möglichkeit der Mitentscheidung (freie Arztwahl) haben. Notwendig sind aussagekräftige Informationen über den weiter behandelnden Arzt. Ein ausführlicher Abschlussbericht möglichst mit Dokumentation von Langzeitergebnissen (z. B. HbA1c-Verläufe über Jahre; Phenylalanin-Spiegel über Jahre) muss erstellt und dem Patienten und dem weiterbetreuenden Arzt zur Verfügung gestellt werden.
Interdisziplinäre Übergangssprechstunden gemeinsam mit dem Pädiater und dem Internisten stellen eine optimale Form der Transition vor. Das Führen von formalisierten und parametrisierten Check-Listen vor und nach dem Transfer und eine regelmäßige Evaluation des Übergangs gehören zum Qualitätsmanagement. Diese Instrumente ermöglichen gleichzeitig eine gemeinsame Weiterbildung der pädiatrischen und internistischen Teams und eine Stärkung von wissenschaftlicher Kooperation.
Strategische und organisatorische Überlegungen zum Übergang von Menschen mit langfristigen medizinischen Bedürfnissen/chronischer Krankheit (Busse et al. 2003; Busse-Voigt et al. 2010)
  • Zeitpunkt des Übergangs:
    • Individuell; Cave! Vorgaben der Kostenträger
    • 16–21 Jahre; abhängig von Erkrankung, psychischen, familiären, sozialen Umständen
  • Form und Organisation des Übergangs:
    • Frühzeitige Vorbereitung (Kommunikation!)
    • Aktive Teilnahme des Betroffenen
    • Einbeziehung der Familie in Betracht ziehen
    • Übergangssprechstunden einrichten
    • Checklisten erarbeiten
    • Selbstständigkeit und Resilienz prüfen und stärken
    • Abschlussbericht des Pädiaters
    • Rückkopplung durch Internisten systematisieren
  • Handelnde Personen:
    • Multidisziplinäres Team aus pädiatrischen und internistischen Professionen (andere Berufsgruppen!)
Weiterführende Literatur
Allen D, Gregory J (2009) The transition from children’s to adult diabetes services: understanding the ‚problem‘. Diabet Med 26:162–166CrossRef
Blum R (2002) Improving transition for adolescents with special health care needs from pediatric to adult-centered health care. Pediatrics 110:1301–1303PubMed
Busse FP, Kapellen TM, Hiermann P, Stumvoll M, Galler A, Kiess W (2003) Barrieren beim Transfer von Jugendlichen mit Diabetes mellitus Typ 1 in die Erwachsenenmedizin. Kinder- & Jugendmedizin 3:188–192CrossRef
Busse-Voigt FP, Kapellen TM, Stumvoll M, Kiess W, Holl RW (2010) Behandlungsübergang von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Diabetes mellitus Typ 1 von der Pädiatrie in die Erwachsenenmedizin. Med Welt 61:77–80
McDonagh JE, Viner RM (2006) Lost in transition? Between paediatric and adult services. BMJ 332:435–436CrossRef
Schwarz M (2012) Transition bei angeborenen Stoffwechselerkrankungen. Monatsschr Kinderheilkd 160:750–755CrossRef