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Pädiatrie
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Publiziert am: 03.06.2019

Vergiftungen bei Kindern und Jugendlichen

Verfasst von: Axel Hahn
Vergiftungen sind Gesundheitsstörungen, die durch die Einwirkung von chemischen Stoffen, Produkten oder auch natürlichen Stoffen beim Menschen ausgelöst werden. Bei den meisten Vergiftungen handelt es sich nicht um einzelne Stoffe, sondern um die Einwirkung von meist chemischen Produkten, z. B. im Haushalt, die sich wiederum aus verschiedenen Stoffen (Rezeptur) zusammensetzen. Bei tierischen und pflanzlichen Giften ist häufig auch heute noch die genaue stoffliche Giftwirkung nicht ausreichend bekannt, oft werden nur Gruppenbezeichnungen angegeben, z. B. Alkaloide, Terpene, Glykoside usw. Für die Humantoxikologie sind spezielle wissenschaftliche Kenntnisse und langjährige medizinische Erfahrung erforderlich, vor allem dann, wenn es sich um Bewertungen von Vergiftungsfällen handelt. Tiertoxikologische Erkenntnisse sind für die Einschätzung von Vergiftungen beim Menschen nur in einem eingeschränkten Umfang hilfreich.
Vergiftungen sind Gesundheitsstörungen, die durch die Einwirkung von chemischen Stoffen, Produkten oder auch natürlichen Stoffen beim Menschen ausgelöst werden. Bei den meisten Vergiftungen handelt es sich nicht um einzelne Stoffe, sondern um die Einwirkung von meist chemischen Produkten, z. B. im Haushalt, die sich wiederum aus verschiedenen Stoffen (Rezeptur) zusammensetzen. Bei tierischen und pflanzlichen Giften ist häufig auch heute noch die genaue stoffliche Giftwirkung nicht ausreichend bekannt, oft werden nur Gruppenbezeichnungen angegeben, z. B. Alkaloide, Terpene, Glykoside usw. Für die Humantoxikologie sind spezielle wissenschaftliche Kenntnisse und langjährige medizinische Erfahrung erforderlich, vor allem dann, wenn es sich um Bewertungen von Vergiftungsfällen handelt. Tiertoxikologische Erkenntnisse sind für die Einschätzung von Vergiftungen beim Menschen nur in einem eingeschränkten Umfang hilfreich.

Ingestionen

Die meisten Vergiftungen, gerade im Kindesalter, sind unbeabsichtigt. Es handelt sich um eine nicht gewollte Einnahme von potenziell schädigenden Substanzen oder Noxen. Anstatt von Vergiftungen, ist es meist richtiger von Ingestionen oder Ingestionsunfällen zu sprechen. Oft ist es bei Kindern nicht eindeutig festzustellen, ob sie tatsächlich etwas zu sich genommen haben, etwa Beeren, Tabletten, Haushaltsmittel. Vielfach handelt es sich um so kleine Mengen, dass keine Symptome auftreten. Von Vergiftungen oder Vergiftungserscheinungen sollte erst dann gesprochen werden, wenn es zu einer deutlichen Gesundheitsbeeinträchtigung kommt.
Zur Einschätzung von Vergiftungen sollten die folgenden Fragen geklärt werden:
  • Liegt eine Gesundheitsstörung mit genau zu beschreibenden Symptomen vor?
  • Gibt es eine nachweisliche oder gut einzuschätzende Exposition mit Stoffen oder Produkten und kann diese Exposition durch Labornachweise bestätigt werden?
  • Gibt es einen nachweisbaren Zusammenhang, d. h. einen kausalen Zusammenhang, zwischen Gesundheitsstörung/Symptomen und der Exposition?
Epidemiologie
In Deutschland gibt es keine amtliche Statistik zu Vergiftungen. Einschätzungen zu Vergiftungen im Kindesalter können nur über die Jahresberichte der 8 deutschen Giftinformationszentren, die jährlichen Berichte der Dokumentations- und Bewertungsstelle für Vergiftungen des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) und aus der Todesursachenstatistik des Statistischen Bundesamts vorgenommen werden. Eine erste systematische Auswertung der oben genannten Quellen im Zeitraum 2005–2012 zeigt folgende Einschätzung: Bei ca. 230.000 Beratungsanrufen im Jahr 2012 gab es ca. 207.000 reale Humanexpositionen mit einer jährliche Zunahme von 3–5 %. Genauere Analysen in standardisiert aufbereiteten Teilmengen für 2011 zeigen folgende Ergebnisse: Ca. 39 % der Fälle betreffen Heilmittel (davon humane Arzneimittel 99 %), ca. 26 % chemische/physikochemische Mittel (davon 46 % Reinigungs-, Putz- und Pflegemittel), ca. 14 % Bedarfsmittel (davon 40 % Kosmetika) und ca. 10 % Pflanzen. Über 90 % betreffen akute und weniger als 5 % chronische Vergiftungen. Bezogen auf die Schweregrade der Vergiftungen verliefen 44 % der Fälle asymptomatisch, in 30 % traten leichte, in 6 % mittlere und in 2 % schwere Symptome auf. Todesfälle sind insgesamt sehr selten (<0,1 %). Nach einer letzten Abschätzung für das Kindesalter aus dem Jahr 2007 kann man unter Annahme einer Dunkelziffer von 100 % pro Jahr mit ca. 200.000 Ingestionsunfällen bei Kindern rechnen. Unter den dokumentierten Fällen verlaufen bis zu 40.000 Fälle leicht, etwa 20.000 Kinder müssen stationär behandelt werden. Bei rund 500 Fällen handelt es sich um gefährliche Intoxikationen, bei denen es zu 20–40 Todesfällen pro Jahr kommt. Rund 90 % aller Ingestionsunfälle betreffen Kleinkinder im Alter von 10 Monaten bis 4,5 Jahren, mit einem deutlichen Altersgipfel bei 1–2,5 Jahren.
Suizidale Vergiftungen sind bei Kindern unter 10 Jahren selten, bei Kindern und Jugendlichen in der Altersgruppe von 10–19 Jahren hingegen kommen Suizidversuche häufiger vor. Die meisten Ingestionsunfälle bei Kleinkindern ereignen sich in Haus und Garten, manche auch in Hobbyräumen, dem Keller und in elterlichen Betrieben.
Die gefährlichsten Räume in der Wohnung sind Küche und Badezimmer: Hier geschehen 40 % aller Vergiftungsunfälle. Altersbedingt passieren die meisten Fälle im 1. Lebensjahr im Wohnzimmer, meist mit Pflanzen, im 2. und 3. Lebensjahr sind es Küche und Badezimmer (Reinigungsmittel, Lampenöle, Kontrazeptiva usw.) und im 4. Lebensjahr erobern die Kinder Kellerräume, Garage und Garten. In 80 % der Fälle sind die eingenommenen giftigen Produkte nicht höher als 1,60 m über dem Boden aufbewahrt worden. Besonders gefährlich sind Noxen, die auf Wohnzimmertischen und Fensterbrettern stehen.
Unterschätzt werden von Eltern und Großeltern die Neugier und der Unternehmungsgeist des Kindes, sowie die Fähigkeit, durch Klettern an scheinbar Unerreichbares zu gelangen. Auch bei der besten Betreuung wird es im Kinderhaushalt zu Ablenkungen der Aufmerksamkeit kommen. Die Vorstellung, alles aus Kinderreichweite zu verbannen, ist in der Praxis schwer umzusetzen. Jedes Lebensalter beinhaltet besondere Gefährdungen.
Besonders häufig ereignen sich Ingestionsunfälle am späten Vormittag und in den frühen Abendstunden. Die Aufsichtspersonen waren in der Regel in einem anderen Raum tätig. Telefonanrufe, plötzliche Besuche, Abfahrt und Ankunft bei Reisen und Umzug sind dabei begünstigende Umstände. Ältere Besucher bringen fast immer Medikamente für den Eigengebrauch mit, und auch bei Krankheit von Familienangehörigen sind Medikamente für Kinder oft leicht erreichbar. Besondere Vorsicht ist bei den gefährlichen Medikamenten geboten. Diese sollten unbedingt getrennt nach innerlicher oder äußerlicher Anwendung und nach Anwendungsalter (Medikamente für Erwachsene oder für Kinder) in einem verschließbaren Medikamentenschrank aufbewahrt werden.
Aus diesen Angaben lassen sich wesentliche Hinweise für primäre Präventionsmaßnahmen ableiten. Besonders häufige Produkte, die zu Ingestionen bei Kindern führen, sind in Tab. 1 als qualitative Rangfolge dargestellt.
Tab. 1
Rangfolge der Häufigkeiten ingestierter Substanzen bezogen auf das Jahr 2007
Ingestierte Substanzen
Rang 1
Haushaltschemikalien:
schäumende oder nicht schäumende Haushaltsreiniger, insbesondere Maschinengeschirrspülmittel, Handgeschirrspülmittel, Entkalker, Allzweckreiniger, Waschmittel für Wäsche und Sanitärreiniger
Rang 2
Medikamente:
Entzündungshemmer, Husten-, Erkältungsmittel, Herz-, Kreislaufmittel (z. B. Betablocker), Psychopharmaka, Sexualhormone und ihre Hemmstoffe, Antibiotika, Magen-, Darmmittel
Rang 3
Pflanzen:
vor allem Pflanzenarten mit attraktiven Beeren wie Kirschlorbeer, Physalis, Liguster, Vogelbeere, Holunder, Heckenkirsche, Maiglöckchen
Rang 4
Kosmetika:
Haarpflegemittel, Hautpflegemittel, Badezusätze,Creme, Seife, Nagelpflegemittel
Noxen
Beschrieben werden häufige Noxe, besonders gefährliche sowie harmlose Ingestionen:
Häufige Noxen
Im Vergleich zu Erwachsenen ist die Noxenvielfalt bei Kindern um ein Vielfaches höher. Kinder, insbesondere Kleinkinder, können, wenn sich die Gelegenheit bietet, nahezu alle Haushaltsmittel, Hobbyartikel, Kosmetika, Insektizide, Pflanzen, Pilze usw. in den Mund stecken. Tab. 1 zeigt eine Rangfolge der häufigsten ingestierten Substanzen bezogen auf das Jahr 2007.
Besonders gefährliche Ingestionen
Besondere gefährliche Vergiftungen für Kinder können bei den in der folgenden Übersicht genannten Produkten auftreten.
Für Kinder besonders gefährliche Noxen
Abbeizer, Abflussreiniger, Ammoniakzubereitungen, Bleichlaugen, Backofen-/Grillreiniger, Liquid Caps, Benzin, Desinfektionsmittel, Entkalker, Essigessenz, Lampenöle, flüssige Grillanzünder, Kalk, Laugen, Melkmaschinenreiniger, Methanol, methanolhaltige Brennstoffe für Heizkamine/Brennstoffzellen, Puder, Rohrreiniger, Schädlingsbekämpfungsmittel (z. B. Wühlmausgifte), Unkrautvernichter, Kühlerfrostschutz/Bremsflüssigkeit, Steinreiniger, WC-Reiniger, Zement
Harmlose Ingestionen
Etwa 20 % aller Auskünfte einer Vergiftungsberatungsstelle kann ein erfahrener Auskunftsarzt sofort erteilen. Eine altersentsprechende therapeutische Einzeldosis bedarf keiner Therapie. Bei entsprechender therapeutischer Breite wird auch die Tagesmaximaldosis, auf einmal eingenommen, unproblematisch vertragen.
Aus praktischer Erfahrung gelten die in Tab. 2 genannten Medikamente, Substanzen oder Pflanzen usw. als wenig toxisch oder sogar als ungiftig, wenn sie oral aufgenommen werden. Treten Symptome auf, so sind die Patienten immer bis zur vollständigen Beschwerdefreiheit zu überwachen.
Tab. 2
Wenig toxische oder ungiftige Substanzen nach oraler Aufnahme*
Pharmaka (Vorsicht bei Kombinationspräparaten!)
Acetylcystein, Ambroxol, Bromhexin, Carbocystein (10 Tabletten), Kortikosteroide, Enzympräparate, Fluoride (100 mg), Homöopathika (ab D4 und höher, nur Aconitum Napellus erst ab D5, Alkoholgehalt bei Tropfen berücksichtigen), Kalziumpräparate (10 Tabletten), Ovulationshemmer (1 Monatspackung), Vitamin A (50.000 E), Vitamin B, C, K, Vitaminkomplexe (1 OP), Vitamin D (50.000 E)
Haushaltsmittel, Genussmittel, Kosmetika
Beißringflüssigkeit, Bleistiftminen, Buntstiftminen, Blumenwasser, Düngemittel (0,5 g/kg KG, gilt nicht bei gewerblichen Produkten), Faserstifte, Filzstifte, Fingerfarben, Gesichtswasser (ein Schluck, zu beachten ist der Alkoholgehalt), Heizkostenverteilerröhrchen (Inhalt eines Röhrchens), Kieselgur, Kreide, Kühlflüssigkeit aus Kühlakkus, Lebensmittelfarben, Lippenstifte, Ostereierfarben, Parfum (ein Schluck, zu beachten ist der Alkoholgehalt), Pflegecremes, metallisches Quecksilber (bis zum Inhalt eines Fieberthermometers 1 ml), Rasierwasser (ein Schluck, zu beachten ist der Alkoholgehalt), Salben, Seifenblasenflüssigkeit (ggf. Entschäumer), Shampoo (ggf. Entschäumer), Schminke, Speiseessig (Vorsicht bei größeren Mengen), Spülmittel für manuelles Spülen (ggf. Entschäumer), Streichholzköpfe (1 Schachtel), Styropor, Süßstofftabletten (20 Tabletten), Tinte (1 ml/kg KG), Trockentabletten (Silicagel, Kieselgur), Tuschen, Wachsmalstifte, Waschpulver (ggf. Entschäumer)
Pflanzen und Früchte
Berberitze, Bergpalme, Blutpflaume, Cotoneaster (10 Beeren), Dattelpalme, Deutzie, Dreimasterblume, Eberesche (Handvoll), Eicheln (3 Früchte), Felsenbirne, Feuerdorn, Ficusarten, Flieder, Fuchsie, Gänseblümchen, Geldbaum, gemeiner Schneeball (10 Beeren), Geranie, Grünlilie, Gummibaumarten, Hagebutte, Hartriegelarten, Hibiskus, Howeia-Palme, falscher Jasmin, Judenkirsche, Kapuzinerkresse, Kornelkirsche, fleißiges Lieschen, Liguster (5 Beeren), Löwenzahn, Mahonie, Maiglöckchen (3 Früchte), Maulbeeren, Mehlbeeren, bittersüßer Nachtschatten (5 Beeren), schwarzer Nachtschatten (5 Beeren), Osterkaktus, Pantoffelblume, Pelargonie, Rosskastanie (2 Früchte), Rotdorn, Sanddorn, Schlehe, Schneeball (10 Beeren), Schneebeere (5 Beeren), Stiefmütterchen, Usambaraveilchen, Veilchen, Vogelbeere (Handvoll), Wachsblume, Weihnachtskaktus, Weisdorn, Zierapfel, Zierkirsche, Zierpflaume, Zierquitte, Zwergmispel (10 Beeren)
*Mengenangaben in Klammern bezeichnen die Menge, bis zu der keine Maßnahmen erforderlich sind
Klinische Symptome
Bei den meisten schweren Vergiftungen ist die klinische Symptomatik nicht direkt stoffspezifisch. Es kommt dabei zu Koma, Krämpfen, Kreislauf- und Organversagen, einer Konstellation, bei der sich eine schnelle ätiologische Diagnose nicht stellen lässt. Leichtere Vergiftungen führen oft zu unspezifischen Symptome des Magen-Darm-Traktes und geringen Auswirkungen am Herz-Kreislauf-System, mittlere oft zur Beeinträchtigung von zentralnervösen Funktionen (Verwirrung, Somnolenz, Ataxie, Hypotonie). Nur eine geringe Anzahl von Substanzen führen bei mittelschweren und schweren Intoxikationen zu charakteristischen Symptomkonstellationen, die eine stoffspezifische Diagnose ermöglichen. Dazu zählen manche Pharmaka, insbesondere solche, die cholinerge oder adrenerge Synapsen beeinflussen, sowie einige Schwermetalle. Beispiele für charakteristische Vergiftungssyndrome (Toxidrome) zeigt Tab. 3.
Tab. 3
Charakteristische Vergiftungssyndrome (Toxidrome)
Toxidrom
Ursachen und Symptome
Anticholinerges Syndrom („heiß und trocken“)
Ursachen sind Atropin und atropinähnlich wirkende Pharmaka, Diphenhydramin, trizyklische Antidepressiva, Pflanzen wie Tollkirsche, Stechapfel und Engelstrompete.
Folgen sind Mydriasis, Tachykardie, trockene Schleimhäute, Harnverhaltung, rote Wangen, leichtes Fieber, Halluzinationen
Cholinerges Syndrom („Speichel und Tränenfluss“)
Als Ursachen kommen Alkylphosphate, Methyl-Carbamate, Cholinergikaüberdosierung und manche muskarinhaltige Pilze infrage.
Symptome sind Miosis, Bradykardie, Hypotension, vermehrte Speichel- und Schleimsekretion, Stuhl- und Urinabgang, Schwitzen, Hypothermie, Muskelfaszikulationen, spät treten Koma und Krämpfe auf
Sympathikomimetisches oder Stimulanzien-Syndrom („heiß und feucht“)
Als Ursachen kommen Amphetamine, Adrenalinderivate, Coffein, Cocain, Cathin-/Cathinonderivate und modere Designerdrogen infrage.
Folgen sind Tachykardie, Hypertonie, Mydriasis, Schwitzen, Hautblässe, Tremor, Unruhe
Opioidsyndrom („Stecknadelpupillen und Eintrübung“)
Ausgelöst durch Opiate wie Morphin, Heroin, Codein.
Es kommt zu Miosis, Halluzinationen, Sedierung bis hin zum Koma, Atemdepression und verminderter Darmmotilität
Extrapyramidales Syndrom („schraubende Bewegungen“)
Infolge von Neuroleptika, insbesondere Phenothiazine und Metoclopramid entwickeln sich beim Kind Tortikollis, Ataxie, Tremor, Zungen- und Schlundkrämpfe bei erhaltenem Bewusstsein
Botulismus („absteigende Hirnnervenlähmung“)
Hier entwickeln sich Hirnnervenausfälle (Doppelbilder, Schluckstörungen, Akkomodationsstörungen mit weiten Pupillen), Obstipation sowie Muskelschwäche
Typische Schwermetallvergiftungen („Symptome nach Tagen/Wochen“)
 
- Thalliumvergiftung
Symptome sind Haarausfall, Obstipation, periphere Neuropathie und eine Enzephalitis-ähnliche Symptomatik
- Quecksilbervergiftung
Bei akuter Vergiftung sind schwerer Durchfall, Nierenversagen, Schock und Hypersalivation typisch.
Bei chronischer Vergiftung im Säuglingsalter entwickelt sich die Feer-Krankheit mit Enzephalopathie, vegetativen Symptomen (Schwitzen, Appetitverlust, Schlafstörungen, Blutdruckerhöhung) und Hautsymptomen (Akrodynie, flüchtige Exantheme, Urticaria rubra, Schuppung)
- Bleivergiftung
Diese äußert sich in Darmkoliken, Anämie, basophiler Tüpfelung, Enzephalopathie, Bleisaum am Zahnfleisch, Bleilinien (radiologisch, in den Metaphysen) und Bleikolorit (aschgraue Hautfarbe)
Vorgehen bei Giftunfällen
Ingestionen oder Vergiftungen, z. B. im Haushalt, fallen im Allgemeinen bei oder kurz nach Einnahme einer Noxe auf. In der ärztlichen Praxis ist noch während dieser symptomfreien Zeit die Entscheidung notwendig, ob eine primäre Giftentfernung durchgeführt werden kann. Giftinformationszentren (Abschn. 2) können dabei eine konkrete Entscheidungshilfe geben und zwar:
  • anhand der Zusammensetzung des eingenommenen Stoffs,
  • aus der zu erwartenden toxischen Gefährdung aufgrund der Dosis-Wirkungs-Relation,
  • aus konkreter Erfahrung bei ähnlich gelagerten Vergiftungsfällen und deren Verlauf.
Die Notwendigkeit und die Möglichkeiten der sekundären Giftentfernung bei schweren Vergiftungen sind abhängig von der Resorptionsquote und der Kinetik der einzelnen Stoffe unter Berücksichtigung des Verteilungsraumes, der Metabolisierung und des Ausscheidungswegs, immer unter Beachtung der bestehenden oder der noch zu erwartenden Symptomatik.
Telefonberatung durch Giftinformationszentren
Giftinformationszentren (Abschn. 2) beraten ausschließlich telefonisch. Sie sind über 24 Stunden erreichbar. Zur konkreten Beratung eines Vergiftungsfalls sollten durch den Arzt bereits folgende Fragestellungen geklärt sein:
  • Wer (Säugling, Kleinkind, Schulkind, Erwachsener) hat
  • Was (Medikamente, Chemikalien, Pflanzen usw.)
  • Wie viel (Anzahl Tabletten, mehrere Milliliter, einen Schluck usw.)
  • Wann (Uhrzeit, Tag)
  • Wie (oral, parenteral, inhalativ, rektal, dermal usw.) aufgenommen?
  • Welche Symptome (Ataxie, Somnolenz, Tachykardie usw.) sind aufgetreten?
  • Welche Therapie (erbrechen lassen, Atemspende usw.) ist bereits erfolgt?
Bei der Arzt- oder Krankenhausvorstellung sollten auf jeden Fall das verursachende Produkt mit der Originalpackung oder -flasche, der Zweig einer Pflanze mit Beeren, Pilze usw. oder ggf. Digitalaufnahmen, z. B. mit dem Smartphone ersetzen, mitgebracht werden.
Maßnahmen durch Laien müssen in jedem Fall erfragt werden, wie Gabe von Salzwasser als Emetikum. Es wurden Todesfälle durch hypertone Dehydratation nach unkontrollierter Salzapplikation dokumentiert.
Toxikologische Anamnese
Die Anamnese ist das wichtigste Element zur ärztlichen Informationsbeschaffung und die Voraussetzung zur plausiblen Beurteilung einer Intoxikation. Bei toxikologischen Gesundheitsbeeinträchtigungen gelten prinzipiell die gleichen Grundsätze, wie bei allgemeinen Erkrankungen. Die Fremdanamnese, Familienvorgeschichte und soziale Anamnese spielen bei der toxikologischen Anamnese in der Regel zunächst nur eine nachgeordnete Rolle. Besondere Bedeutung haben aber folgende Fakten:
  • Aufnahmeweg (oral, dermal, inhalativ usw.),
  • Expositionsmenge und -art (akut/chronisch),
  • identifizierte Noxe(n), die zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt haben und
  • der räumliche und zeitliche Zusammenhang zur Noxe(n), unter dem die Symptome aufgetreten sind.
Erst nach der Klärung der speziellen toxikologischen Daten kann eine sorgfältige und plausible toxikologische Bewertung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorgenommen werden.
Originalpackung
Die wichtigste Voraussetzung bei der Produktidentifizierung ist die genaue Kenntnis der Noxe idealerweise anhand der Originalpackung oder des Originalbehälters, d. h. der behandelnde Arzt muss die Originalverpackung oder den Originalbehälter zur Verfügung haben. Dies ist bei akuten Gesundheitsbeeinträchtigungen durch chemische Produkte meist nicht der Fall! So versteht es sich von selbst, dass bei akuten Gesundheitsbeeinträchtigungen die korrekten Produktinformationen so schnell wie möglich beschafft werden müssen, wobei natürlich bei Eltern, Beteiligten und Patienten unbedingt verlässliche Angaben nachgefragt werden sollten.
Bekanntlich entstehen sehr leicht Irrtümer bei der Weitergabe von mündlichen Informationen („Stille Post“-Prinzip). Deshalb müssen Produktinformationen auf der Basis von Etikettangaben per E-Mail, digitalem Bild oder notfalls auch im engen telefonischen Kontakt mit Rückinformationen beim behandelnden Arzt so schnell wie möglich zur Verfügung gestellt werden. Den höchsten Informationswert hat in jedem Falle eine per Fax oder E-Mail übermittelte Kopie des Etiketts oder besser der ganzen Originalverpackung. Wichtig bei der Identifizierung ist dann eine genaue Produktkenntnis. Hier sollte der Arzt im Zweifelsfalle frühzeitig auf die „produkterfahrenen“ Berater in einem Giftinformationszentrum zurückgreifen.
Ärztliche Einschätzung der Vergiftung
Um schnell entscheiden zu können, ob es sich wahrscheinlich um eine harmlose oder möglicherweise um eine bedrohliche Vergiftung handelt, werden folgende Angaben benötigt: Alter und Gewicht des Kindes, Noxen, vermutete Menge, Zeitpunkt, Zufuhrweg, Vergiftungsumstände, beobachtete Symptome, eingeleitete Maßnahmen. Bei telefonischer Konsultation notiert man sich dann Namen, Wohnort und Telefonnummer und veranlasst, dass Originalpackungen, Pflanzen usw. mitgebracht werden. Die Zeitangaben sind vielfach unpräzise, und die Angaben können unvollständig sein, da mitunter ja nur die Situation beschrieben wird, in der das Kind aufgefunden wurde. Gelegentlich wird die Ingestion bagatellisiert (etwa aus Angst der Eltern vor juristischen Konsequenzen oder wegen ihrer Selbstvorwürfe), mitunter aber auch dramatisiert, mit übertriebenen Angaben, denn manche Eltern bringen ihr vergiftetes Kind in großer Panik in ärztliche Behandlung.
Die Exaktheit anamnestischer Angaben sollte also grundsätzlich kritisch hinterfragt werden, insbesondere dann, wenn Vorgeschichte und Symptomatik nicht zusammenpassen. Differenzialdiagnostisch muss auch die Möglichkeit einer Kindesmisshandlung oder, insbesondere bei wiederholten Fällen innerhalb einer Familie, an ein Münchhausen-by-proxy-Syndrom gedacht werden.
Erstmaßnahmen bei Vergiftungsunfällen
Wer Vergiftungen behandelt, muss über die Eigenschaften der infrage kommenden Noxen gut informiert sein. Der schnelle Zugang zu guter und hinreichender Information ist deshalb besonders wichtig. Es muss sehr schnell eine erste Entscheidung darüber gefällt werden, ob:
  • die Situation so unbedenklich ist, sodass keine weitere Maßnahmen erforderlich sind und eine Überbehandlung vermieden werden muss, oder
  • ob eine bedrohliche Situation vorliegt oder entstehen wird.
Bei den Erstmaßnahmen bei Vergiftungsunfällen ist die Sicherung der Vitalfunktionen, wie bei anderen Erste-Hilfe-Maßnahmen auch, oberstes Gebot. Wesentlich ist dabei, dass vor einer Selbstgefährdung (z. B. bei inhalativen Vergiftungen) gewarnt werden muss. Bei bewusstlosen Patienten wird man eine stabile Seitenlage veranlassen. Bei Einnahme von ätzenden flüssigen Substanzen kann man mit einem kleinen Schluck leicht verfügbarer Flüssigkeit (Wasser, Saft usw.) den Mund spülen lassen. Weitere Maßnahmen sollten nur in Absprache mit einer Giftinformationszentrale erfolgen.
Milchgaben haben bei Vergiftungen keinen praktischen Nutzen. Insbesondere ist Milch kein Emetikum, sondern ein ideales Transportmittel für Gifte, da Gifte entweder fett- oder wasserlöslich sind. Auch bei der Neutralisation (bei Verätzungen) hat die Milch nur untergeordnete Bedeutung, weil die Pufferkapazität für Säuren minimal ist. Lediglich bei akzidenteller Einnahme von Fluoriden oder Tetrazyklinen fällt der Milch bei der Entgiftung eine Rolle zu: Durch Kalziumionen in der Milch entsteht durch Ausfällen ein schwer resorbierbarer Chelatkomplex.
Da Verätzungen im Allgemeinen innerhalb kurzer Zeit vorangeschritten oder sogar auch abgeschlossen sind, muss bei Verätzungen am Auge besonders rasch gehandelt werden. Das betroffene Auge muss unmittelbar unter Aufhaltung der Lider (oft nur mit einem weiteren Helfer möglich) unter fließendem Wasser reichlich gespült werden. Danach ist eine sofortige Augenarztvorstellung nötig.
Transport
Bei gravierenden Ingestionsunfällen ist es wichtig, unter Verzicht auf zumeist uneffektive, zeitraubende häusliche Behandlungsversuche sofort einen Transport in eine medizinische Notaufnahme zu veranlassen. Lassen Dosis und Art des Gifts vermuten, dass das Kind während der Fahrt bewusstlos werden könnte, oder ist das Kind bereits zum Zeitpunkt des Anrufs ohne Bewusstsein, muss der Transport in ärztlicher Begleitung erfolgen. Hier gelten die allgemeinen Regeln für den Transport komatöser Patienten.
Primäre Giftentfernung
Die primäre Giftentfernung ist die Elimination einer Substanz aus dem Magen-Darm-Trakt vor erfolgter Resorption. Im Gegensatz steht dazu die sekundärer Giftentfernung, bei der die resorbierte toxische Substanz aus dem Körper entfernt wird. Standard der primären Giftentfernung ist heute die frühzeitige Kohlegabe.
Magenentleerung
In den letzten Jahren hat sich nach Abwägung aller Risiken die Erkenntnis durchgesetzt, dass bei einem sehr großen Teil der kindlichen Ingestionsfälle das provozierte Erbrechen mit Ipecac keinen therapeutischen Vorteil bietet. Unter klinischen Bedingungen ist heute auch sehr selten eine Magenspülung erforderlich. Salzwasser ist obsolet! Auch der Versuch Erbrechen mechanisch, etwa mit dem Finger oder durch einen Löffelstiel, hervorzurufen ist ineffektiv und sollte unterlassen werden. Nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen (sehr giftige Substanzen, z. B. Organophosphate) innerhalb eines sehr begrenzten Zeitintervalls und unter intensivmedizinischen Bedingungen mit erfahrenem Fachpersonal ist eine Magenspülung überhaupt indiziert. Bei nicht vorhandenem Schluckreflex darf eine Magenspülung nur unter Intubationsschutz vorgenommen werden. Kontraindikationen der Magenspülung sind dabei unbedingt zu beachten.
Eine Magenspülung darf nicht vorgenommen werden
  • Bei ätzenden Substanzen
  • Bei den meisten organischen Lösemitteln
  • Bei schäumenden Substanzen
Magenspülung
Das Schlauchvolumen muss so groß wie möglich sein und im Innendurchmesser mindestens 9–11 mm betragen. Die Länge des Schlauchs entspricht dem Abstand von Nasenwurzel bis zum Schwertfortsatz des Brustbeins zuzüglich 10 cm. Nach Einführen wird das Schlauchende tief gehalten und der Mageninhalt abgelassen und asserviert. Es folgen im Wechsel Einlaufen und Ablassen von physiologischer Kochsalzlösung als Spülflüssigkeit. Die Menge für eine Einzelspülung beträgt 5–10 ml/kg KG. Nach Ablassen der letzten Spülflüssigkeit, die ganz klar sein sollte, wird Aktivkohle (0,5–1 g/kg KG, wenn möglich mindestens 1 g Kohle pro 100 mg Gift) gegeben. Die Magenspülung muss in Seitenlage, möglichst auch in Kopftieflage erfolgen, damit das häufig dabei eintretende Erbrechen nicht zu Aspirationen führt.
Aktivkohle
Bei Verdacht auf relevante Intoxikationen dürfen nur wache und kooperative Patienten frühzeitig Aktivkohle bekommen, die Gabe per Nasensonde ist zu bevorzugen. Bei Kindern sollte die Indikation möglichst in Kooperation mit einem Giftinformationszentrum (Abschn. 2) gestellt werden. Wenn nur leichte Intoxikationen zu erwarten sind, sollte Kohle nur im Ausnahmefall und zur Minimierung von unangenehmen Symptomen gegeben werden, aber nur bei unmittelbarer Verfügbarkeit. Droht eine lebensbedrohliche Intoxikation, gegebenenfalls mit Bewusstseinseintrübung, darf Kohle nur per Magensonde und unter Intubationsschutz gegeben werden.
Kontraindikationen für die Kohlegabe sind:
  • bestimmte Stoffe wie Säuren/Laugen, Alkohole/Glykole, organische Lösemittel usw.,
  • Noxen mit hohem Aspirationsrisiko (z. B. Benzine, Lampenöle),
  • unmittelbar drohender Krampfanfall,
  • Schluckstörungen und rezidivierendes Erbrechen.
Kohle sollte in einem Zeitfenster von 1–(2) Stunden gegeben werden. Kohle wird reichlich dosiert. Eine realistische Dosierungsempfehlung lautet: So viel Kohle wie möglich, mindestens mit 10-fachem Überschuss zum Gift bis zu einer Dosis von 1 g/kg KG, mindestens 2–3 g. Bei Kindern kann die Kohle in beliebigen Flüssigkeiten (Saft, Tee, Cola usw.) suspendiert werden, wobei die Gabe in einem undurchsichtigen Gefäß mit Strohhalm empfehlenswert ist.
Sekundäre Giftentfernung
Alle Maßnahmen der sekundären Giftentfernung sind eingreifend, erfordern einen hohen technischen Aufwand und bleiben spezialisierten Zentren vorbehalten. Als Methoden kommen nur noch die Hämodialyse, gegebenenfalls die Hämoperfusion in Frage. Für die sogenannte forcierte Diurese gibt es im Kindesalter keine Indikation mehr.
Indikationen der sekundären Giftentfernung sind:
  • therapierefraktäre zunehmende respiratorische oder hämodynamische Insuffizienz,
  • zunehmende schwere neurologische Symptomatik (Koma, Krämpfe),
  • EEG mit schweren medikamentös bedingten spezifischen Veränderungen sowie
  • kritische Blutkonzentrationen.
Hämodialyse und Hämoperfusion
Gut geeignet für die Entfernung durch Hämodialyse sind:
Nicht geeignet für Elimination durch Hämodialyse sind alle Substanzen mit einem hohen Verteilungsvolumen und hoher Proteinbindung.
Eine Hämoperfusion kommt in Frage für:
Antidotbehandlung
Nur für wenige Noxen ist eine gezielte Behandlung mit Antidoten möglich, deren Einsatz lebensrettend sein und dann auch vor der Giftentfernung den Vorrang haben kann. Bei der Mehrzahl der behandlungsbedürftigen Vergiftungen besteht allerdings nach der Giftentfernung nur die Möglichkeit einer symptomatischen Behandlung.
Antidote wirken auf verschiedenen Wegen:
  • Adsorption von Substanzen im Magen-Darm-Trakt, um deren Resorption zu unterbinden (Kohle),
  • Bildung von nichttoxischen Komplexen (Chelatbildner bei Schwermetallvergiftungen, Digitalisantikörper),
  • Verhinderung oder Verlangsamung der Metabolisierung, wenn z. B. kaum giftige oder untoxische Ausgangssubstanzen zu hochtoxischen Stoffwechselprodukten metabolisiert werden (z. B. Ethanolgabe bei Vergiftungen mit Methanol oder Ethylenglykol),
  • Unterstützung körpereigener Entgiftungsvorgänge (N-Acetylcystein bei Paracetamolintoxikationen, Wirkung über Bereitstellung von SH-Gruppen, oder von Natriumthiosulfat bei Zyanidvergiftungen),
  • Konkurrenz am Rezeptor (Naloxon bei Opiaten, Atropin bei Organophosphatintoxikation),
  • gezielte Beeinflussung von Enzymsystemen (Physostigminbehandlung bei Atropinvergiftung, Wirkung durch Hemmung der Acetylcholinesterase).
Daneben gibt es einige etablierte Maßnahmen, deren Wirkungsmechanismen bisher nicht hinreichend geklärt sind. So kann die hoch dosierte Gabe von Diazepam lebensrettend bei Herzrhythmusstörungen nach Chloroquinintoxikationen sein.
Der Einsatz von Antidoten bedarf einer strengen Indikationsstellung und sollte nur nach Rücksprache mit Giftinformationszentren (Abschn. 2) erfolgen. Eine rein probatorische Gabe ist nicht zu rechtfertigen. Während Naloxon auch bei falscher Indikation keine wesentlichen Nebenwirkungen aufweist, kann die nicht indizierte Gabe von Physostigmin ohne gesichertes anticholinerges Syndrom zu lebensbedrohender Bradykardie, Hypersalivation und Krampfanfällen führen. Die wichtigsten in der Pädiatrie verwendeten Antidote sind mit Indikationen und Dosierungsangaben in Tab. 4 aufgeführt.
Tab. 4
Antidote und Medikamente (Auszug) zur Behandlung von Vergiftungen. Gabe nur in Rücksprache mit Giftinformationszentren (Abschn. 2)!
Freiname
Indikation
Dosierung
N-Acetylcystein
Vergiftung mit Paracetamol
Initialdosis: 150 mg/kg KG in 5 %iger Glukose in 60 min infundieren, bei Flush langsamer.
Anschließend: 50 mg/kg KG in 5 %iger Glukose in 4 h, danach 100 mg/kg KG in 5 %iger Glukose in 16 h infundieren.
Cave! Überwässerung!
Gabe auch mehr als 24 h nach Giftaufnahme sinnvoll!
Atropinsulfat
Vergiftung mit Alkylphosphaten und Carbamaten
Initial: 0,02 mg/kg KG i.v., ggf. nach 5 min mit Dosisverdoppelung bis zur Wirkung wiederholen.
Danach: 10–20 % des primär benötigten Bolus als Dauerinfusion pro Stunde
Biperidenlaktat
Durch Psychopharmaka ausgelöste extrapyramidale Symptomatik
0,04 mg/kg KG langsam i.v., ggf. nach 30 min wiederholen bis max. 3 mg, Injektionsstopp nach Abklingen der Symptome
Carbo medicinalis
Adsorbens
0,5–1 g/kg KG, Kontraindikationen beachten.
Cave! Aspiration
Ethanol (1 ml Ethanol =0,8 g)
Vergiftungen mit Methanol, Ethylenglykol
1. Wahl: Fomepizol
Initialdosis: 15 mg/kg KG in 0,9 %iger NaCl bzw. 5 %iger Glukose als Bolus.
Dann: 10 mg/kg KG alle 12 h.
2. Wahl: Ethanolgabe
Initialdosis: 0,6 g/kg KG i.v. als 5–10 %ige Lösung in 5 %iger Glukose.
Erhaltungsdosis: 0,1 g/kg KG/h einer 10 %igen Lösung in 5 %iger Glukose. Die Ethanolkonzentration im Blut soll zwischen 0,5 und 1 ‰ liegen
Naloxon-HCl
Vergiftungen mit Opiaten (z. B. Kodein, Methadon, Pentazocin)
0,01 mg/kg KG i.v. oder s.c., kann nach Bedarf wiederholt werden, ggf. Dauerinfusion.
Cave! Wirkung lässt rasch nach!
Physostigminsalicylat
Vergiftungen mit Atropin und anderen Anticholinergika, Belladonna, Pantherina, Antihistaminika, trizyklischen Antidepressiva
0,02 mg/kg KG langsam i.v., ggf. nach 30–40 min wiederholen.
Atropin bereithalten (Cave! Bradykardien)
Phytomenadion (Vitamin K)
Vergiftung bzw. Überdosierung von Cumarinderivaten
2 mg/Tag p.o. Säugling
5 mg/Tag p.o. Kleinkind
10 mg/Tag p.o. Schulkind
0,3 mg/kg KG i.v. (Cave! Bei i.v.-Gabe Schockgefahr)
Verfügbarkeit von Antidoten und Medikamenten zur Behandlung von Vergiftungen
In Praxen von niedergelassenen Ärzten, die Kinder behandeln, sollten vorhanden sein:
  • Atropinsulfat, Biperidenlaktat, Carbo medicinalis, Dexamethason zur Inhalation, Diazepam, Dimeticon, Naloxon, Prednison oder Prednisolon, Vitamin K.
In Kinderkliniken sollten neben den oben genannten Medikamenten vorgehalten werden:
  • 4-DMAP (Dimethylaminophenol), Ethanol, Folinsäure, N-Acetylcystein, Natriumthiosulfat, Physostigminsalicylat.
Innerhalb von 30 min, also z. B. in einer nächsten größeren Krankenhausapotheke oder in einer Zentralapotheke, sollten verfügbar sein:
  • Deferoxamin, Digitalisantitoxin, Dimercaptopropansulfonat (DMPS), Eisen(III)-Hexacyanoferrat(II) (Berliner Blau), Ethylendiamintetraacetat (CaNa2-EDTA), Folsäure, Methylenblau, Obidoxim-HCl, Polyethylenglykol, Silibin.

Verzeichnis der Informations- und Dokumentationszentren in Deutschland (Stand 2019)

Giftinformationszentren in Deutschland

Giftnotruf der Charité – Universitätsmedizin Berlin
Campus Benjamin Franklin, Haus VIII (Wirtschaftsgebäude), UG
Hindenburgdamm 30
12203 Berlin
Notruf: +49-30-19 24 0
Fax: +49-30-45 05 69 – 901
Email: mail@giftnotruf.de
Informationszentrale gegen Vergiftungen
Zentrum für Kinderheilkunde – Universitätsklinikum Bonn
Adenauerallee 119
53113 Bonn
Notruf: +49-228-19 24 0
Tel., admin.: +49-228-28 7-33480 (287-33219)
Fax: +49-228-287-332 78 / +49-228-287-333 14
Email: gizbn@ukb.uni-bonn.de
Gemeinsames Giftinformationszentrum der Länder Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen (GGIZ)
Nordhäuser Str. 74
99089 Erfurt
Tel.: +49-361-73 07 30
Fax: +49-361-73 07 31 7
Email: ggiz@ggiz-erfurt.de
Vergiftungs-Informations-Zentrale Freiburg (VIZ)
Universitätsklinikum Freiburg – Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin
Mathildenstraße 1
79106 Freiburg
Tel.: +49-761-19 24 0
Fax: +49-761-27 0-4 45 70
Email: giftinfo@uniklinik-freiburg.de
Giftinformationszentrum-Nord der Länder Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein (GIZ-Nord)
Universitätsmedizin Göttingen – Georg-August-Universität
Robert-Koch-Str. 40
37075 Göttingen
Notruf Bürger_innen: +49-551-19 24 0
Konsiliar. Beratung Fachpersonal: +49-551-38 31 80
Fax: +49-551-38 31 8-8 1
Email: giznord@giz-nord.de
Informations- und Behandlungszentrum für Vergiftungen des Saarlandes
Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Gebäude 9
Kirrberger Straße 100
66421 Homburg/Saar
Tel.: +49-6841-19 24 0
Fax: +49-6841-16 28 43 8
Email: giftberatung@uniklinikum-saarland.de
Giftinformationszentrum der Länder Rheinland-Pfalz und Hessen
Klinische Toxikologie
Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität [JG|U]
Langenbeckstr. 1
55131 Mainz
Tel.: +49-6131-19 24 0 / +49-6131-23 24 66
Fax: +49-6131-17 66 05 / +49 6131 23 24 68
Email: mail@giftinfo.uni-mainz.de
Giftnotruf München
Toxikologische Abteilung der II. Medizinischen Klinik des Klinikums rechts der Isar – Technische Universität München
Ismaninger Str. 22
81675 München
Tel.: +49-89-19 24 0
Fax: +49-89-41 40 24 67
Email: tox@lrz.tum.de

Medikamente und Schwangerschaft

Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie
Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow-Klinikum
Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin
Tel. 030 / 30 450 525 700 (Telefonische Beratung)
Fax 030 / 30 450 7 525 920

Ärztliche Meldepflicht bei Vergiftungen

Für Ärzte gibt es eine gesetzliche Meldepflicht für Vergiftungen an das
Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR)
Erfassungs- und Bewertungsstelle für Vergiftungen
Max-Dohrn-Str. 8–10
10589 Berlin
Email: giftdok@bfr.bund.de
Tel. 030 18412 23201 FAX 030 18412 23299
Weiterführende Literatur
Vergiftungen
BfR Pressestelle (2017) Risiko Vergiftungsunfälle bei Kindern. Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Berlin
Ludewig R, Regenthal R (2015) Akute Vergiftungen und Arzneimittelüberdosierungen, 11. Aufl. Wiss. Verlagsgesellschaft, Stuttgart
Mühlendahl KE von, Oberdisse U, Bunjes R, Brockstedt M (2003) Vergiftungen im Kindesalter, 4. Aufl. Thieme, Stuttgart
Strehl E, Zilker T, Hermanns-Clausen (2016) Vergiftungen und ihre Antidotbehandlung, 4. Aufl. Dr. Franz Köhler Chemie GmbH, Bensheim
Medizinische Toxikologie
Ellenhorn JM, Barceloux DG (1997) Ellenhorn’s medical toxicology: diagnosis and treatment of human poisoning, 2. Aufl. Elsevier, Amsterdam
Shannon MW, Borron SW, Burns MJ (2007) Haddad and Winchester’s Clinical management of poisoning and drug overdose, 4. Aufl. Saunders, PhiladelphiaCrossRef
Wexler P, Gilbert SG (2009) Information resources in toxicology, 4. Aufl. Elsevier, Amsterdam
Pharmakologie und Toxikologie
Baselt RC (2011) Disposition of toxic drugs and chemicals in man, 9. Aufl. Chemical Toxicology Institute, Forster City
Brayfield A (2017) Martindale: the complete drug reference, 39. Aufl. Pharmaceutical Press, London
Medikamente in Schwangerschaft und Stillperiode
Schaefer C, Peters P, Miller RKM (2007) Drugs during pregnancy and lactation. Treatment options and risk assessment, 2. Aufl. Elsevier/Academic Press, Amsterdam
Schaefer C, Spielmann H, Vetter K, Weber-Schöndorfer C (2012) Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit, 8. Aufl. Urban&Fischer, München
Pilzvergiftungen
Bresinsky A, Besl H (1985) Giftpilze. Ein Handbuch für Apotheker, Ärzte und Biologen. Mit einer Einführung in die Pilzbestimmung. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart
Gerhard E (2017) Der große BLV Pilzführer für unterwegs, 10. Aufl. BLV Buchverlag
Giftige Tiere und Tiergifte
Mebs D (2000) Gifttiere. Ein Handbuch für Biologen, Toxikologen, Ärzte und Apotheker, 2. Aufl. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart
Teuscher E, Lindequist U (2010) Biogene Gifte – Biologie-Chemie-Pharmakologie-Toxikologie, 3. Aufl. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart
Pflanzenvergiftungen
Frohne D, Pfänder HJ (2004) Giftpflanzen, 5. Aufl. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart
Spohn M, Golte-Bechtle M, Spohn R (2015) Was blüht denn da? 2. Aufl. Franck-Kosmos, Stuttgart