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Pädiatrie
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Publiziert am: 01.04.2019

Zahnkrankheiten bei Kindern und Jugendlichen

Verfasst von: Reinhard Schilke und Georg Hillmann
Zahnkrankheiten bei Kindern und Jugendlichen können den Durchbruchszeitpunkt der Zähne in die Mundhöhle, die Zusammensetzung der Zahnhartsubstanzen, die Zahnzahl und -größe sowie farbliche Veränderungen betreffen. Neben Zahnfehlbildungen des Schmelzes und des Dentins werden genetisch bedingte Veränderungen, die alle Zähne beider Dentitionen betreffen, von erworbenen Veränderungen differenziert. Letztere zeigen Auswirkungen an denjenigen Zähnen, deren Zahnhartsubstanzen zum Zeitpunkt des Einflusses gebildet wurden. Erworbene Schmelz- und Dentindysplasien sind sehr viel häufiger als hereditäre Veränderungen. Ätiologisch kann die bei jedem 3. bis 4. Kind in Deutschland feststellbare Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation derzeit nicht erklärt werden. Karies gehört trotz des deutlichen Rückgangs der Prävalenz im Kindesalter immer noch zu den häufigsten chronischen Erkrankungen. Aufgrund der eingeschränkten Fähigkeit zur Kooperation stellen fortgeschrittene Läsionen eine therapeutische Herausforderung dar, sodass der Prophylaxe ein hoher Stellenwert eingeräumt werden muss.

Entwicklung der Zähne

In der 6. Embryonalwoche findet die epitheliale Differenzierung in Form der Ausbildung der Zahnleisten, ausgehend vom Mundschleimhautepithel, statt. Die Schneidezähne der 1. Dentition treten in das Glockenstadium im 4., die Eckzähne im 5. und die Molaren im 7. Embryonalmonat ein. Die Entwicklung der ersten Molaren der 2. Dentition beginnt bereits kurz nach der Entwicklung der Molaren der 1. Dentition. Zum Zeitpunkt der Geburt hat der Mineralisationsprozess bei allen Zahnkronen der 1. Dentition eingesetzt, häufig auch die Mineralisation des mesiobukkalen Höckers der unteren Sechsjahrmolaren. Postnatal setzt sich die röntgenologisch sichtbare Mineralisation der ersten Molaren fort und es beginnt die Mineralisation der oberen mittleren bzw. der unteren mittleren und seitlichen Schneidezähne um den 6. Lebensmonat, die der oberen und unteren Eckzähne um den 12. und die der oberen seitlichen Schneidezähne um den 18. Lebensmonat. Der Mineralisationsprozess der Prämolaren beginnt etwa im Alter von 2,5 Jahren.
Die Durchbruchszeiten der Zähne der 1. und der 2. Dentition sind in Tab. 1 und 2 aufgelistet.
Tab. 1
Durchbruchzeiten der Zähne der 1. Dentition
Lebensmonat
(Schwankungsbreite in Klammern)
Zähne
8 (6–10)
Untere mittlere Inzisivi
10 (8–12)
Obere mittlere Inzisivi
11 (9–13)
Obere seitliche Inzisivi
13 (10–16)
Untere seitliche Inzisivi
16 (13–19)
Erste obere Molaren
16 (14–18)
Erste untere Molaren
19 (16–22)
Obere Canini
20 (17–23)
Untere Canini
27 (23–31)
Zweite untere Molaren
29 (25–33)
Zweite obere Molaren
Tab. 2
Durchbruchzeiten der Zähne der 2. Dentition
Lebensalter
(Jahre)
Zähne im Unterkiefer
Zähne im Oberkiefer
6–7
Erste Molaren
Erste Molaren
6–8
Mittlere Inzisivi
Mittlere Inzisivi
7–9
Seitliche Inzisivi
Seitliche Inzisivi
10–13
Canini
Erste Prämolaren
10–12
Erste Prämolaren
Zweite Prämolaren
11–13
Zweite Prämolaren
Canini
11–14
Zweite Molaren
Zweite Molaren
>16
Dritte Molaren
Dritte Molaren

Zahndurchbruch

Eltern berichten oft über eine erhöhte Infektneigung ihres Kindes während des Durchbruchs insbesondere der ersten Zähne. Angegeben werden neben orofazialen Symptomen (Schmerzen; Zahnfleischreizung und -schwellung im Bereich des durchbrechenden Zahns; verstärkter Speichelfluss; vermehrtes Fingerlutschen, Zahnfleischreiben, Beißen/Kauen; Ausschlag der Gesichtshaut, Dermatitis; Ohrreiben und/oder -ziehen auf derselben Seite, auf der der Zahn durchbricht) grippeähnliche Symptome, Ernährung- und Verdauungsprobleme sowie Stimmungs- und Schlafstörungen. Mehrere während des Zahndurchbruchs durchgeführte Longitudinalstudien konnten allerdings keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Durchbruch der ersten Zähne und den genannten Symptomen feststellen. In einer retrospektiven Befragung berichteten jedoch alle Eltern, ihr Kind habe Begleitsymptome während dieser Zeit aufgewiesen. Insbesondere orofaziale Symptome können kausal durch den Zahndurchbruch erklärt werden. Auch weitere milde, unspezifische Begleitsymptome können möglich sein. Bei länger andauernden Symptomen oder einem gravierenden Krankheitsgefühl sollten jedoch schwerwiegende Erkrankungen pädiatrisch ausgeschlossen werden.
In seltenen Fällen können schon zum Zeitpunkt der Geburt Zähne in der Mundhöhle vorhanden sein. Bei solchen „angeborenen Zähnen“ (Dentes natales) wird unterschieden zwischen zahnähnlichen Rudimenten aus einer vor der Milchzahnentwicklung liegenden prälaktalen, inkompletten Zahnbildung (Dentes praelactales) und vorzeitig durchgebrochenen Zähnen der 1. Dentition. In ca. 90 % der Fälle handelt es sich um vorzeitig durchgebrochene Zähne der 1. Dentition. In etwa 4 von 5 Fällen betrifft es die mittleren Unterkiefer-Schneidezähne. Als Dentes neonatales bezeichnet man Zähne, die innerhalb der ersten 30 Tage nach der Geburt durchbrechen. Erfolgt der Durchbruch zwischen dem 2. und 5. Lebensmonat wird von einem frühzeitigen Zahndurchbruch gesprochen. Alle 3 Bezeichnungen (Dentes natales dentes neonatales und frühzeitiger Zahndurchbruch) werden unter dem Begriff Dentitio praecox subsummiert.
Bei einem vorzeitigen Durchbruch der Zähne der 1. Dentition ist mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls ein vorzeitiger Durchbruch der 2. Dentition zu erwarten. Milchzahnähnliche Rudimente werden chirurgisch entfernt, frühzeitig durchgebrochene Zähne der ersten Dentition werden extrahiert, wenn sie hypermobil sind und eine Aspirationsgefahr besteht oder wenn sie die Nahrungsaufnahme behindern, indem sie die Zungenunterseite oder die Innenseite der Unterlippe verletzen. Solche Verletzungen werden als Riga-Fede-Erkrankung bezeichnet. Die Häufigkeit der sog. Dentitio connatalis oder neonatalis wird in der Literatur mit 1:1000–3500 angegeben.
Ein vorzeitiger oder ein verzögerter Zahndurchbruch, der einzelne Zähne betrifft, ist auf lokale Ursachen zurückzuführen, wie z. B. eine ausgedehnte periapikale Entzündung des vorausgehenden Zahnes der 1. Dentition oder ein vorzeitiger Verlust eines solchen Zahnes. Folgende Krankheiten sind mit vorzeitiger Zahneruption verbunden (DN: Dentes natales oder neonatales):
Allgemeinerkrankungen und Syndrome mit verzögertem Zahndurchbruch (Dentitio tarda) sind:

Genetisch bedingte Zahnfehlbildungen

Amelogenesis imperfecta

Definition
Als Amelogenesis imperfecta werden genetisch bedingte Dysplasien des Schmelzes bezeichnet. Dabei kommt es infolge des genetischen Defekts zu Störungen der Differenzierung oder der Funktion der an der Schmelzbildung beteiligten Zellen. Der Zahnschmelz kann hinsichtlich seiner chemischen Zusammensetzung, seiner Schichtdicke und/oder seines kristallinen Gefüges verändert sein.
Es werden 4 Gruppen unterschieden:
1.
Hypoplasie (Schichtdicke verringert), 7 Untergruppen,
 
2.
Unreife (sog. Hypomaturation), 3 Untergruppen,
 
3.
Unterverkalkung (sog. Hypokalzifikation), 2 Untergruppen,
 
4.
partielle Unreife und Unterverkalkung (Kombination aus 2. und 3.).
 
Epidemiologie
In den USA beträgt die Häufigkeit etwa 1:14.000 bis 1:16.000, in Nordeuropa (Schweden) 1:718. Für Deutschland liegen derzeit keine aktuellen Daten vor. Die „Schneekappenzähne“ treten in einer Häufigkeit von 1:2000 auf.
Ätiologie
Schmelz besteht aus einem fast rein kristallinen Gefüge. Während der Schmelzbildung durch Ameloblasten sind 3 am Zahn gleichzeitig ablaufende physiologische Prozesse zu beobachten: Bildung einer Schmelzmatrix mit initialer Mineralisation (1), Mineralisation und Rückresorption der organischen Matrix (2) und die sekundäre Mineralisation bzw. Reifung des kristallinen Gefüges (3). Jeder dieser Prozesse kann gestört sein. Die Defekte unterliegen unterschiedlichen Erbgängen (autosomal-dominant [ad], autosomal-rezessiv [ar], geschlechtsgebunden [X]) und können unterschiedlich stark exprimiert sein. Im Folgenden sind die einzelnen Defekte systematisch aufgeführt. Die relative Häufigkeit an der Gesamtzahl aller Formen der Amelogenesis imperfecta sowie die Geschlechtsverteilung werden in Klammer angegeben.
  • Hypoplasie (ca. 60–73 %, Mädchen häufiger als Jungen betroffen):
    • grübchenförmig (ad),
    • lokal (ad),
    • lokal (ar),
    • glatt (ad),
    • geschlechtsgebunden (X-chromosomal-dominant)
    • rau (ad),
    • aplastisch-rau (ar)
  • Hypomaturation (ca. 20–40 %, Jungen häufiger als Mädchen betroffen):
    • pigmentiert (ar),
    • geschlechtsgebunden (X-chromosomal-rezessiv),
    • Schneekappenzähne (X-chromosomal-dominant oder ad).
  • Hypokalzifikation (ca. 7 %):
    • unterverkalkt (ad),
    • unterverkalkt (ar).
  • Hypomaturation und Hypokalzifikation mit Taurodontismus (<1 %):
    • normale Schmelzdicke (ad),
    • sehr geringe Schmelzdicke (ad).
Pathogenese
Die partiell eingeschränkte Aktivität der schmelzbildenden Zellen (Ameloblasten) führt zu einer teilweise oder generell verminderten Schmelzsynthese, sodass eine zu geringe Schichtdicke ausgebildet wird. Störungen in der Synthese der Schmelzmatrixproteine oder in der Rückresorption der organischen Substanzen haben eine fehlerhafte Kristallstruktur des Schmelzgefüges zur Folge bzw. verhindern die „Reifung“ des Schmelzes, sodass der Anteil an organischen Substanzen zu hoch ist.
Pathologie
Die pathologische bzw. pathohistologische Untersuchung exfoliierter Zähne der 1. oder extrahierter Zähne der 2. Dentition kann im licht- und polarisationsoptischen Bild eine unregelmäßige Schmelzschichtdicke oder ein fehlerhaftes Kristallgefüge zeigen. Mithilfe verschiedener Spezialfärbungen können die organischen Anteile im Zahnschmelz sichtbar gemacht werden, sodass mindermineralisiert Anteile bzw. zu hohe organische Komponenten im Hartgewebe dargestellt werden können (Abb. 1). Diese Form der Untersuchung setzt allerdings die histologische Bearbeitung nicht entkalkter Präparate voraus.
Klinische Symptome
Bei der Amelogenesis imperfecta zeigen die Zähne beider Dentitionen klinische Symptome. Morphologisch fällt eine unregelmäßig ausgebildete Schmelzoberfläche auf, die sich, je nach Form und Schweregrad, mit punktförmigen (Abb. 2) bzw. streifenförmigen Vertiefungen (Abb. 3) oder großflächigen Schmelzverlusten mit durchscheinendem gelben Dentin darstellt (Abb. 4). Schwere Formen zeichnen sich durch komplette Schmelzlosigkeit aus, die nach Aufnahme der Kaufunktion durch normale mechanische Belastung eintritt. Sichtbar ist der gelbe Dentinkern. Der Tastbefund ergibt bei den weniger gravierenden Formen eine normale Schmelzhärte. Schwere Verlaufsformen zeichnen sich durch Eindrück- und Ablösbarkeit des Schmelzes aus. Bei weniger ausgeprägten Formen der Amelogenesis imperfecta sind die morphologischen Störungen offensichtlich, ohne dass Schmerzhaftigkeit besteht. Formen mit zu weichem Schmelz oder mehr oder weniger ausgeprägtem Schmelzverlust sind in der Regel sehr schmerzhaft, da der Dentinkern ohne Schmelzüberzug dem Mundhöhlenmilieu ausgesetzt ist. Außerdem liegt eine erhöhte Kariesanfälligkeit und Attrition der Zähne vor.
Eine deutlich erhöhte Tendenz zur Zahnsteinbildung wird für die pigmentiert hypomaturierte Form sowie für beide hypokalzifizierte Formen beschrieben. Bei folgenden Formen der Amelogenesis imperfecta wird bei etwa jedem 2. betroffenen Patienten ein offener Biss im Frontzahnbereich beobachtet: glatt-hypoplastische, rau-hypoplastische und aplastisch-raue hypoplastische Form sowie beide hypokalzifizierten Formen.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Die Diagnose der Amelogenesis imperfecta beruht im Wesentlichen auf ihrem klinischen und röntgenologischen Erscheinungsbild. Eine molekulargenetische Diagnostik ist ebenfalls möglich. Typisch ist, dass sämtliche Zähne im gleichen Ausmaß betroffen sind. Pathohistologische Befunde von exfoliierten oder extrahierten Zähnen stehen in der Regel nur selten zur Verfügung, könnten dann aber zur Diagnosesicherung beitragen. Sowohl für die Diagnose als auch für die Differenzialdiagnose wichtig ist eine sorgfältige Familienanamnese, die Rückschlüsse auf eine vererbte Erkrankung zulässt. Differenzialdiagnostisch abzugrenzen ist die Fluorose, bei der ebenfalls der Zahnschmelz aller Zähne mehr oder weniger stark geschädigt ist (Abb. 5). Als Ursache kann ein erhöhter Fluoridgehalt im Trinkwasser in Frage kommen. Hier muss bedacht werden, dass ebenfalls mehrere Familienmitglieder eine übereinstimmende Symptomatik aufweisen können.
Therapie
Die Therapie der Amelogenesis imperfecta hängt vom Schweregrad des Erkrankungsbildes ab. Leichte Formen mit grübchen- oder linienförmigen Hypoplasien stellen häufig nur ein kosmetisches Problem dar, das nicht unbedingt einer zahnärztlichen Therapie bedarf. Hier lässt sich mit konventionellen Kompositmaterialien eine zufriedenstellende Ästhetik wiederherstellen. Die Restauration mit Kunststoffmaterialien ist möglich, solange die Schmelzsubstanz eine ausreichende Härte aufweist. Bei zu weich ausgebildetem Schmelz ist die Überkronung der Zähne indiziert.
Prophylaxe
Eine Prävention ist bei der Amelogenesis imperfecta nicht möglich, da es sich um eine Erbkrankheit handelt. Die unregelmäßig strukturierte Schmelzoberfäche erfordert jedoch eine sorgfältige Mundhygiene und regelmäßige zahnärztliche Kontrolle, um die Anreicherung von Belägen und Plaque und somit eine frühzeitige Karies zu vermeiden. Bei gravierenden Formen mit zu weichem Schmelz dient eine frühzeitige prothetische Versorgung dem kariesfreien Erhalt des Dentins und somit der Vitalerhaltung der Zähne.
Prognose und Verlauf
Zähne mit den Symptomen einer schwach ausgebildeten Form der Amelogenesis imperfecta besitzen eine gute Prognose. Nichtversorgte gravierende Formen führen zum fortschreitenden Schmelzverlust und erhöhter Attrition und Abrasion des freiliegenden Dentins oder zu ausgedehnten kariösen Läsionen und machen eine Extraktionstherapie erforderlich oder führen zum Verlust der Zähne. Bei einer frühzeitigen zahnärztlichen Versorgung der Zähne ist die Prognose gut.

Dentinogenesis imperfecta

Definition
Die Dentinogenesis imperfecta ist eine vererbbare Erkrankung mit morphologisch fehlgebildetem Dentin. Die Krankheit wird in 3 Varianten beobachtet. Der Zahnschmelz ist normal ausgebildet.
Epidemiologie
Die Prävalenz der Dentinogenesis imperfecta Typ I ist geringer als die der Osteogenesis imperfecta mit Angaben von 1:10.000–25.000. Die Häufigkeit des Symptoms Dentinogenesis imperfecta wird bei der Osteogenesis imperfecta Typ I mit 8–40 %, bei Typ III mit 43–82 % und bei Osteogenesis imperfecta Typ IV mit 37–100 % angegeben. Die Dentinogenesis imperfecta Typ II kommt in einer Häufigkeit von ca. 1:8000 vor. Die Dentinogenesis imperfecta Typ III ist nur regional (USA) beschrieben, dort beträgt die Prävalenz 1:30.
Ätiologie
Die Dentinogenesis imperfecta tritt in 3 Varianten auf:
  • Typ I ist eine Manifestation der Osteogenesis imperfecta.
  • Typ II zeigt ähnliche orale Symptome wie die Dentinogenesis imperfecta Typ I, wobei allerdings keine Symptome der Osteogenesis imperfecta zu beobachten sind.
  • Typ III tritt lokalisiert in einer bestimmten Region in den USA mit hoher Konsanguinität auf. Diese Form ist deshalb nur von untergeordneter Bedeutung.
Pathogenese
Bei der Dentinogenesis imperfecta Typ I kommt als Ursache der Dentinfehlbildung eine gestörte Kollagensynthese durch die Odontoblasten in Frage. Das normalerweise aus Kollagen Typ I aufgebaute Dentin weist anormal hohe Anteile an Kollagen Typ III, V und VI auf. Außerdem scheint die Aminosäurezusammensetzung von Kollagen Typ I verändert zu sein. Diese fehlerhafte Ausbildung der organischen Matrix bewirkt eine unzureichende Mineralisation des Dentins. Dadurch ist das Dentin weicher als normal. Zusätzlich führt die unkontrollierte Dentinsynthese durch die Odontoblasten zu einer frühzeitigen Pulpaobliteration (Abb. 6). Bei der Dentinogenesis imperfecta Typ II und Typ III werden Mutationen im Dentin-Sialophosphoprotein verantwortlich gemacht.
Pathologie
Eine pathohistologische Untersuchung betroffener Zähne zeigt unregelmäßig aufgebautes Dentin, keine regelrecht ausgebildeten Dentinkanälchen und eine fast vollständige Obliteration des Pulpakavums. Aufgrund der zu geringen Härte des Dentins geht der Zahnschmelz mehr oder weniger großflächig verloren und weist zahlreiche Bruchlinien auf. Diese Form der Untersuchung setzt die histologische Bearbeitung nicht entkalkter Präparate voraus.
Klinische Symptome
Die klinischen Symptome der Dentinogenesis imperfecta Typ I und Typ II sind im Prinzip gleich. Beide Krankheitsbilder können individuell unterschiedlich stark ausgebildet sein. Beide Dentitionen sind betroffen. Die Zahnkrone aller Zähne zeigt eine blaubraune Verfärbung (Abb. 7 und 8a). Aufgrund der zu geringen Härte des Dentins splittert der Schmelz großflächig ab, sodass das Dentin freiliegt. Je nach Ausmaß der Obliteration der Pulpa sind die Zähne dann unterschiedlich schmerzempfindlich. Nicht- oder fehlbehandelte Zähne sind in ihrem Erhalt gefährdet. Notwendige Extraktionen können zu gestörtem Kieferwachstum und damit zu großen kieferorthopädischen Problemsituationen führen (Abb. 8). Im Röntgenbild zeigen sich ein reduzierter Röntgenkontrast des Dentins im Vergleich zum normalen Dentin, eine tonnenförmige Zahnkrone und eine Obliteration der Kronen- und Wurzelpulpa, kurz nachdem die Zähne die Kauebene erreicht haben (Abb. 8b).
Diagnose und Differenzialdiagnose
Die Diagnose der Dentinogenesis imperfecta erfolgt anhand der klinischen Parameter und des Röntgenbefundes. Zur Absicherung der Diagnose sollte eine Familienanamnese erfolgen. Eine molekulargenetische Diagnostik ist ebenfalls möglich. Auch eine pathohistologische Untersuchung von Zähnen der 1. oder der 2. Dentition kann die Diagnose sichern. Die Symptomatik der Osteogenesis imperfecta erlaubt die Differenzierung zwischen Dentinogenesis imperfecta Typ I und Typ II. Differenzialdiagnostisch abzugrenzen ist die Dentindysplasie Typ II.
Therapie
Die zahnärztliche Therapie ist abhängig vom Schweregrad des Krankheitsbildes. Da das Dentin nicht regelrecht ausgebildet ist, ist eine konservative Füllungstherapie mit Kompositmaterialien nur eingeschränkt möglich. Eine Inlayversorgung ist nicht indiziert. Leichte Krankheitsbilder können prothetisch versorgt werden, z. B. durch Einzelzahnüberkronung. Schwere Krankheitsbilder erfordern eine Extraktionstherapie mit nachfolgender prothetischer Versorgung.
Prophylaxe
Da es sich um eine Erbkrankheit handelt, ist eine Prävention nicht möglich. Bei gesicherter Diagnose sollte eine regelmäßige zahnärztliche Überwachung erfolgen mit frühzeitiger prothetischer Einzelzahnversorgung bereits beginnend im Gebiss der 1. Dentition, um einen vorzeitigen Zahnverlust und kieferorthopädische Folgeprobleme zu vermeiden.
Prognose und Verlauf
Bei leichten Krankheitsbildern kann eine zahnärztliche Überwachung und frühzeitige Versorgung zum langfristigen Erhalt der Zähne beitragen. Bei zahnärztlich unversorgten, schweren Krankheitsbildern ist die Prognose zum Erhalt der Zähne infaust.

Dentindysplasie

Definition
Die Dentindysplasie ist eine seltene Störung der Dentinbildung, die sich in Form einer atypischen Dentin- und Pulpamorphologie darstellt. Die Schmelzschicht ist normal ausgebildet. Es werden eine radikuläre Dentindyplasie (Typ I) und eine koronale Dentindysplasie (Typ II) unterschieden.
Epidemiologie
Die Häufigkeit liegt bei 1:100.000.
Ätiologie
Beide Typen der Dentindysplasie scheinen Erbkrankheiten zu sein. Der Erbgang ist offenbar autosomal-dominant. Über die Mutationsrate ist nichts bekannt, sie scheint aber sehr niedrig zu sein. Auch bei der Dentindysplasie werden Mutationen im Dentin-Sialophosphoprotein für die Dentinfehlbildungen verantwortlich gemacht.
Pathogenese und Pathologie
Eine Funktionsstörung der mesenchymalen Gewebsanteile des Zahnkeims führt zu fehlerhaft ausgebildetem Dentin mit kompletter Pulpaobliteration und gestörter Wurzelbildung.
Klinische Symptome
Bei Typ I erscheinen die Zähne normal ausgebildet. Auffällig sind eine starke Beweglichkeit und ein frühzeitiger Zahnverlust. Dies erklärt sich durch die röntgenologisch verifizierbare Ausbildung anormal kurzer Wurzeln. Bei Typ II erscheinen die Zähne der 1. Dentition blaubraun opaleszierend, während die Zähne der 2. Dentition kaum farbliche Veränderungen aufweisen. Röntgenologisch fällt eine anormal ausgebildete Kronenpulpa mit Obliterationen in beiden Dentitionen auf.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Die Diagnose ergibt sich klinisch und familienanamnestisch. Differenzialdiagnostisch ist eine Dentinogenesis imperfecta abzugrenzen.
Therapie
Bei Typ I ist aufgrund der anormal ausgebildeten Zahnwurzeln eine erfolgversprechende Therapie zum Erhalt der Zähne nicht möglich. Eine prothetische Versorgung ist indiziert. Bei Typ II erfolgt die Therapie ähnlich wie bei der Dentinogenesis imperfecta.
Prophylaxe
Es ist keine Prävention möglich. Eine frühzeitige zahnärztliche Versorgung ist indiziert.
Prognose und Verlauf
Bei Typ I ist aufgrund der anormal ausgebildeten Zahnwurzeln die Prognose zum Erhalt der Zähne infaust. Bei Typ II ist ein Erhalt der Zähne bei frühzeitiger zahnärztlicher Versorgung mittelfristig möglich.

Odontodysplasie

Definition
Die Odontodysplasie ist eine sehr seltene Krankheit, die sowohl das Gewebe ektodermalen als auch mesodermalen Ursprungs betrifft. Sowohl Zahnschmelz als auch Dentin, Pulpagewebe und Wurzelzement sind fehlgebildet. Die Anzahl und der Schweregrad der Dysplasie der Zähne in einem betroffenen Kieferabschnitt sind variabel. Die Zähne im Oberkiefer, insbesondere im Frontzahnbereich, sind häufiger betroffen als die im Unterkiefer. Sowohl die 1. als auch die 2. Dentition können entsprechende Veränderungen aufweisen. Bei Zähnen der 1. Dentition können schwere Dysplasien vorliegen, während die jeweiligen Ersatzzähne nur geringe Veränderungen zeigen. Im Gegensatz zu der am häufigsten beschriebenen, segmental auftretenden regionalen Odontodysplasie finden sich auch Fälle, bei denen alle Quadranten betroffen sind. Diese werden als generalisierte Odontodysplasie bezeichnet.
Epidemiologie
Derzeit sind etwa 350 Fälle publiziert.
Ätiologie, Pathogenese und Pathologie
Die Ätiologie dieser Krankheit ist unbekannt. Da Traumata oder systemische Erkrankungen, die in die Zeit der Entwicklung der Zähne fallen, zumeist als Ursache nicht in Frage kommen, werden lokale somatische Mutationen, die Präsenz eines Virus im odontogenen Epithel oder eine lokale zeitlich begrenzte Ischämie diskutiert. Der Schmelz ist hypoplastisch und hypomineralisiert, teilweise fehlt er vollständig. Histologisch auffällig ist die stark reduzierte Schichtdicke des Dentins mit einer auffällig breiten Prädentinzone und großen Arealen von Interglobulardentin. Das peritubuläre Dentin kann fehlen. Ebenso wie im Schmelz kann das Dentin von Spalträumen durchzogen sein, sodass eine direkte Verbindung von der Außenfläche des Zahns zu der weit extendierten Pulpa besteht. Die pulpalen Veränderungen umfassen neben einer Vergrößerung der Pulpakammer Fibrose und Kalzifizierung verschiedenen Ausmaßes.
Klinische Symptome, Diagnose und Differenzialdiagnose
Die betroffenen Zähne erreichen die Kauebene nicht oder zeigen einen verzögerten Zahndurchbruch. Die weit auslaufenden Pulpaextensionen im Zusammenhang mit den Schmelz- und Dentininvaginationen führen häufig zu pulpitischen Veränderungen und Abszessen, die bereits kurz nach dem Zahndurchbruch auftreten können. Röntgenologisch erscheinen Schmelz- und Dentinschicht sehr dünn und sind kaum voneinander zu unterscheiden. Insgesamt sind die Zähne sehr strahlungsdurchlässig. Aufgrund dieses charakteristischen Erscheinungsbildes werden sie auch als „Geisterzähne“ bezeichnet (Abb. 9). Die Wurzeln der Zähne sind oft verkürzt und die Apices weit geöffnet. Differenzialdiagnostisch sollte Karies und eine Odontogenesis imperfecta abgegrenzt werden.
Therapie
Bei schwer betroffenen Zähnen ist keine konservierende oder prothetische Versorgung möglich. Zähne mit geringen Veränderungen sollten bereits kurz nach dem Durchbruch in die Mundhöhle prothetisch versorgt werden. Bei frühzeitigen Pulpainfektionen sollten die Zähne entfernt werden.

Odontogenesis imperfecta

Definition
Autosomal-dominant oder -rezessiv vererbte Gendefekte verursachen eine gleichzeitige Dysplasie von Schmelz und Dentin.
Epidemiologie
Die Odontogenesis imperfecta ist ein sehr seltenes Krankheitsbild.
Differenzialdiagnose
Differenzialdiagnostisch abgegrenzt werden muss die Odontodysplasie.

Nichtgenetisch bedingte Zahnfehlbildungen

Allgemeine Schmelz- und Dentinhypoplasien

Definition
Schmelzhypoplasien sind makroskopisch sichtbare, quantitative Schmelzdefekte, die in verschiedenen Schweregraden auftreten können. Schmelzhypomineralisation und -maturation sind qualitative Defekte, die durch Störungen während der initialen Verkalkung oder während der anschließenden Schmelzreifung entstehen. Hypomineralisationen werden sichtbar als Opazitätsänderung in Form von weißlichen oder gelblich-braunen Flecken, ohne Formdefekt. Hypoplasien äußern sich als äußere Formdefekte in Form von Rillen oder flächenhaften Läsionen. Dentinhypoplasien sind, abgesehen von die Zahnwurzel verstümmelnden Anomalien, äußerlich und röntgenologisch nicht sichtbar. Sie erscheinen nur im Zahnschliff oder -schnitt.
Epidemiologie
Die Häufigkeit von Schmelzopazitätsveränderungen (weiße Flecken als leichter Grad der Hypoplasie) kommen bei 40–50 % der 10- bis 15-jährigen Kinder vor.
Ätiologie
Durch Umweltfaktoren erworbene peri- und postnatale Dysplasien des Schmelzes und des Dentins sind sehr viel häufiger als genetisch bedingte Dysplasien. Sie können nur während der Entstehung dieser Strukturen, d. h. präeruptiv, niemals posteruptiv, zustande kommen. Die Zeitspanne, in der Hypoplasien, speziell die äußerlich sichtbaren Schmelz- bzw. Kronenhypoplasien, erzeugt werden, ist begrenzt: für die Zähne der 1. Dentition auf das 1. Lebensjahr und für die Zähne der 2. Dentition auf die Zeit zwischen der Geburt und dem 7. Lebensjahr.
Die Ursachen für Schmelz- und Dentinhypoplasien sind in der folgenden Übersicht zusammengefasst.
Ursachen für Strukturanomalien von Schmelz und Dentin
  • Traumata: Mechanische Traumatisierung der Zähne der 1. Dentition mit Schädigung der darunter liegenden Ersatzzahnkeime
  • Strahlung: Bestrahlung von Tumoren im Kopf- und/oder Halsbereich
  • Metabolische Traumen: Asphyxie (Sauerstoffmangel während der Geburt), Hypokalzämie
  • Lokale Infektionen: Bakteriell infizierte Zähne der 1. Dentition schädigen den Ersatzzahnkeim
  • Generalisierte Infektionen: Rubeola der Mutter, konnatale Lues; Salmonellen-Infektion
  • Stoffwechselstörungen: Hypovitaminosen A, D, C; neonatale Hypokalzämie; Asphyxie und Hypokalzämie bei Frühgeburt
  • Hormonale Störungen: Hypothyreoidismus; Hypoparathyreoidismus; mütterlicher Diabetes
  • Verschiedene Krankheiten: fetale Erythroblastose mit Kernikterus; gastrointestinale Störungen, z. B. Zöliakie; Nephrosen; Trisomie 21
  • Pharmaka: Fluoride (Krankheitsbild der Fluorose)
  • Idiopathische Schmelzhypoplasien: Eine Anzahl leichter bis schwerer Veränderungen ist ursächlich nicht erklärbar
Pathogenese
Die Pathogenese der verschiedenen Ursachen für Schmelz- und Dentinhypoplasien ist größtenteils bekannt. Im Wesentlichen führen mehr oder weniger große Schädigungen des Schmelzepithels, der Ameloblasten, zu einer gestörten Schmelzmineralisierung, sodass es, ähnlich wie bei der Amelogenesis imperfecta beschrieben, zu äußerlich sichtbaren Farb- und/oder Formdefekten kommt.
Pathologie
Die histologische Untersuchung extrahierter Zähne erlaubt eine Sicherung der Diagnose, wobei ohne eindeutige Eigen- und Familienanamnese häufig nicht zweifelsfrei auf die Krankheitsursache rückgeschlossen werden kann.
Klinische Symptome
Die klinischen Symptome bestehen in unterschiedlich stark ausgeprägten Verfärbungen oder Formdefekten. Sie reichen von kleinen opak weißen Tüpfeln mit weniger als 2 mm Durchmesser über große weiße Flecken, gelbbraun gefärbte Tüpfel oder Flecken, horizontal verlaufende weiße Linien zu mehr oder weniger stark ausgeprägten Formdefekten (Schmelzhypoplasien) mit weißlichen oder bräunlichen Opazitätsänderungen. Hypomineralisierte Schmelzbereiche, die keinen funktionellen Belastungen ausgesetzt sind, beeinträchtigen lediglich die Ästhetik. Liegen diese meist scharf demarkierten Bereiche approximal oder zervikal können sie ein erhöhtes Kariesrisiko aufweisen. Werden hypomineralisierte Schmelzareale beim Kauvorgang funktionell belastet, kann der Schmelz in diesen Bereichen partiell oder komplett absplittern, z. B. bei schweren Formen der Fluorose. In der Regel sind die betroffenen Zähne, die keinen Schmelzverlust aufweisen, schmerzfrei.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Die Diagnose der „Schmelzhypoplasie“ ist in der Regel relativ einfach zu stellen. Differenzialdiagnostisch sollten genetisch bedingte von nicht genetisch bedingten Formen unterschieden werden. Ein größeres Problem ist die Ermittlung der eigentlichen Ursache, die ohne Eigen- und Familienanamnese nicht eruiert werden kann.
Therapie
Handelt es sich lediglich um eine kosmetische Problematik, muss keine zahnärztliche Therapie durchgeführt werden. Leichte Formdefekte führen zu verstärkter Plaqueansammlung und erhöhen somit das Kariesrisiko, sodass bei normal hartem Schmelz eine Füllungstherapie, z. B. mit Kompositen, erfolgen kann. Zähne mit zu weichem Schmelz sollten prothetisch versorgt werden, z. B. durch Einzelzahnüberkronung.
Prophylaxe, Prognose und Verlauf
Eine Prävention ist nicht möglich. Zahnärztliche Diagnosesicherung, regelmäßige Kontrolle und rechtzeitige konservierende oder prothetische Versorgung vermindern das Kariesrisiko und einen frühzeitigen Zahnverlust.
Als Nebenbefund können bei verschiedenen Syndromen Schmelz- und/oder Dentindysplasien auftreten.
Allgemeinkrankheiten und Syndrome mit Schmelzstrukturanomalien sind:
  • akrodentales Syndrom,
  • Albright-Syndrom,
  • Amelogenesis imperfecta und terminale Onycholyse,
  • Ameloonychohypohydrose-Syndrom,
  • brachioskeletalgenitales Syndrom,
  • Dutescu-Grivu-Fleischer-Peters-Syndrom,
  • Epidermolysis bullosa junctionalis,
  • ektodermale Dysplasie,
  • Ellis-van-Creveld-Syndrom,
  • fokale dermale Hypoplasie,
  • Hypophosphatasie mit skelettaler Beteiligung,
  • Kearns-Sayre-Syndrom,
  • kranioektodermale Dysplasie,
  • Lenz-Majewski-Syndrom,
  • Morquio-Syndrom (Mukopolysaccharidose Typ IVA),
  • okulodentodigitales Syndrom (okulodentoossäre Dysplasie),
  • Phosphatdiabetes,
  • Pseudohypoparathyreoidismus und

Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation

Definition
Erste Molaren und Schneidezähne der 2. Dentition weisen bei einem Patienten unterschiedliche Schweregrade und Ausmaße von Schmelzhypomineralisationen auf. Die ersten Molaren sind häufiger betroffen als die Schneidezähne. Die mittleren Oberkieferschneidezähne zeigen wiederum häufiger Veränderungen als die Unterkieferschneidezähne. Die Hypomineralisationen resultieren in einer geringeren Härte des Schmelzes und einer erhöhten Säurelöslichkeit, wodurch sich eine erhöhte Kariesanfälligkeit ergibt.
Epidemiologie
Die Prävalenz von hypoplastischen Molaren beträgt in Europa zwischen 4 und 25 %, weltweit etwa 13 %. In einer aktuellen deutschen repräsentativen epidemiologischen Untersuchung konnte bei 12-Jährigen eine Prävalenz von 29 % festgestellt werden. Von den betroffenen Kindern zeigte jedoch nur eines von sechs Schmelzverluste, während bei der Mehrzahl begrenzte Schmelzopazitäten imponierten. Liegen bei einem Kind an einem Molaren Hypomineralisationen vor, finden sich bei 80 % der Fälle ein weiterer oder mehrere betroffene Molaren.
Ätiologie
Die Ursache dieser Mindermineralisationen, die an sich entsprechenden Zähnen in verschiedenen Kieferhälften in einem unterschiedlichen Ausmaß auftritt, ist nicht bekannt (Abb. 10). Oft finden sich bei der Erkrankung auch Hypomineralisationen an den Eckzähnen oder den zweiten Molaren der 1. Dentition. Die Störung muss bei den ersten Molaren der 2. Dentition zwischen dem 8. Schwangerschaftsmonat bis etwa zum 4. Lebensjahr aufgetreten sein. Bei den Schneidezähnen findet die Amelogenese zwischen dem 3. Lebensmonat bis etwa zum 5. Lebensjahr statt. Als Ursachen werden unter anderem diskutiert:
  • Frühgeburt und Sauerstoffmangel bei oder nach der Geburt,
  • Dioxin oder polychloriertes Biphenyl (PCB) in der Muttermilch,
  • respiratorische Erkrankungen,
  • Infektionskrankheiten und
  • Störungen im Mineralhaushalt (Hypoparathyreoidismus, Malnutrition, Malabsorption, Zöliakie, Vitamin-D-Hypovitaminosen).
Pathogenese und Pathologie
Die Funktion der Ameloblasten dieser Zähne ist lokal beeinträchtigt. Dieses führt zu einer Mindermineralisation, die sich in Farb- und/oder Formveränderungen äußert. Die Grenze zwischen physiologischer und pathologischer Schmelzbildung ist klar demarkiert. Während die Sekretionsphase normal abläuft, scheint die Reifungsphase bei der Schmelzbildung gestört zu sein. Die Apatitkristalle sind nur locker organisiert, das Porenvolumen ist vergrößert. Diese Veränderungen ziehen sich bei gelb-bräunlich hypoplastischen Bereichen durch die gesamte Schmelzdicke, während bei weißlichen Opazitäten nur die inneren Schmelzschichten betroffen sind.
Klinische Symptome
Normal gebildete Schmelzanteile sind von hypomineralisierten Anteilen klar demarkiert. Die Hypomineralisation kann auf einen einzelnen Höcker eines Zahns begrenzt sein oder aber mehrere Höcker, bisweilen sogar die gesamte Kaufläche erfassen (Abb. 10a). Die Mineralisationsstörung kann von den Höckerspitzen bis nach zervikal reichen und folgt zumeist den Hunter-Schreger-Linien. Geringgradige Hypomineralisationen erscheinen als opak-weiße bis weiß-gelbliche scharf begrenzte Schmelzflecken. Schwere Formen, die häufig auch mit Formveränderungen der Zahnoberfläche durch Schmelzabsplitterung einhergehen, sind gelb-braun gefärbt. Durch Schmelzverlust wird die Zahnpflege erschwert und damit das Kariesrisiko erhöht. Weiterhin können diese Zähne sensibler auf thermische, chemische und mechanische Reize reagieren.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Die Diagnose erfolgt anhand der umschriebenen Farb- und Formveränderung des Zahnschmelzes an den ersten Molaren bzw. den Schneidezähnen der 2. Dentition, während sämtliche anderen Zähne keine Mutilationen aufweisen. Anamnestisch müssen eine Amelogenesis imperfecta, Veränderungen durch Fluorose, Trauma, Karies und Tetrazyklingabe abgegrenzt werden.
Therapie
Bei weißlichen Hypoplasien ohne Substanzverlust sind zahnärztliche kariesprophylaktische Maßnahmen ausreichend. Gelb-braun erscheinende Schmelzbereiche werden durch Komposit-Restaurationen ersetzt, freiliegendes Dentin sowie Formdefekte werden abgedeckt. Bei großflächigen Substanzverlusten sind eine prothetische Versorgung des Zahns oder dessen Entfernung indiziert.
Prophylaxe, Prognose und Verlauf
Da die Ätiologie der Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation derzeit noch unbekannt ist, ist eine Prävention nicht möglich. Regelmäßige zahnärztliche Kontrollen und rechtzeitige konservierende oder prothetische Versorgung vermindern das Kariesrisiko, stoppen Empfindlichkeiten der betroffenen Zähne und verhindern einen frühzeitigen Zahnverlust.

Abweichungen der Zahnzahl und der Zahngröße

Selten können Abweichungen der Zahnzahl beobachtet werden. Es werden unterschieden:
  • Hypodontie: Fehlen weniger Zähne
  • Oligodontie: Nichtanlage eines oder mehrerer Zähne
  • Anodontie: Komplettes Fehlen einer oder beider Dentitionen
  • Hyperdontie: Auftreten überzähliger Zähne
  • Polydontie: Zahlreiche überzählige Zähne (Dysostosis cleidocranialis)
Eine Zahnunterzahl ist häufiger als eine Zahnüberzahl zu beobachten. Am häufigsten nicht angelegte Zähne sind dritte Molaren, zweite Prämolaren sowie seitliche Schneidezähne des Oberkiefers. Eine Hypodontie ist im Gebiss der 1. Dentition sehr viel seltener als im Gebiss der 2. Dentition. Als Ursache kommen genetische syndromale und nicht syndromale Veränderungen oder lokale Störungen in Betracht. Auch kann eine Chemotherapie oder eine Radiatio während der Entwicklung der Zahnanlagen zu einer Zahnunterzahl führen.
Eine Hypodontie tritt u. a. bei folgenden Syndromen und Allgemeinerkrankungen auf:
  • Ellis-van-Creveld-Syndrom,
  • ektodermale Dysplasie,
  • fokale dermale Hypoplasie,
  • Kiefer-Gaumen-Spalten,
  • Rieger-Syndrom und
Anodontie ist am häufigsten im Zusammenhang mit ektodermaler Dysplasie beschrieben worden. Hyperdontie kann bei Patienten mit Kiefer-Gaumen-Spalten, Dysostosis cleidocranialis, Gardner-Syndrom und Sturge-Weber-Syndrom auftreten.
Übergroße Zähne (Makrodontie) können einzeln oder generalisiert erscheinen und werden zum Teil bei bestimmten Krankheiten (Trisomie 21, Langer-Giedion-Syndrom, Hemihypertrophie) häufiger beobachtet. Differenzialdiagnostisch müssen sie gegen eine Verschmelzung oder Paarung benachbarter Zahnkeime abgegrenzt werden. Verkleinerte Zähne (Mikrodontie), z. B. seitliche Oberkieferschneidezähne als sog. Zapfenzähne, können ebenfalls einzeln oder generalisiert vorliegen. Sie werden häufiger im Zusammenhang mit Oligodontie, als Folge einer Bestrahlung während der Zahnentwicklung (>10 Gy) oder angeborenen Defekten (Herzerkrankungen, Trisomie 21, Silver-Russell-Syndrom) beobachtet.

Zahnverfärbungen und Beläge

Definition
Zahnverfärbungen sind klinisch sichtbare Abweichungen von der individuell normalen Zahnfarbe. Sie entstehen aufgrund von Strukturänderungen und Farbstoffeinlagerungen.
Zahnbeläge sind exogene Auflagerungen, die in Form von Speichelmukoproteinen, bakterieller Plaque mit chromogenen Eigenschaften und Zahnstein die Zahnkrone oder die subgingivale Zahnwurzel teilweise oder vollständig überziehen.
Epidemiologie
Zahnverfärbungen sind sehr häufig und in irgendeiner Form bei fast jedem Menschen vorhanden. Bei etwa 4–20 % der Kinder und Jugendlichen werden paramarginale, zirkumferent um den Zahn verlaufende dunkle Beläge an einem oder mehreren Zähnen beobachtet. Dieses wird in der Literatur als „Black stain“ oder „Melanodontie“ bezeichnet (Abb. 11).
Ätiologie
Die häufigsten Ursachen für Zahnverfärbungen sind in der folgenden Übersicht aufgeführt.
Ursachen für Zahnverfärbungen
  • Struktur- und Dimensionsänderungen im Zahnschmelz:
    • Weißlich-opake Flecken (initiale Karies, Fluorose, Amelogenesis imperfecta)
    • Gelbbraune Flecken (Karies, Fluorose)
    • Gelbgraue Verfärbung (Pulpaobliteration bei zunehmendem Alter, nach Trauma)
    • Blaubraune Verfärbung (Dentinogenesis imperfecta, Dentindysplasie)
  • Farbstoffeinlagerungen im Zahnschmelz:
    • Gelbbraunverfärbung (Biliverdineinlagerung bei neonataler Hepatitis)
    • Blaubraune Streifung (Tetrazyklineinlagerung in Form von Tetrazyklin-Kalzium-Orthophosphat)
    • Graugrünverfärbung bei Erythroblastosis fetalis und Gallengangatresie
    • Rotbraunverfärbung bei kongenitaler Porphyrie
    • Gelbbraunverfärbung bei hämorrhagischen Blutungen oder Nekrosen der Pulpa
  • Auflagerungen auf dem Zahnschmelz:
    • Nahrungsbestandteile (z. B. Beerenfrüchte, Gewürze)
    • Rauchwaren (Zigaretten)
    • Chemikalien (Mundspüllösungen, z. B. Chlorhexidindiglukonat)
    • Chromogene Bakterien (dunkle bis schwarze Beläge)
  • Beläge, Zahnstein:
    • Bakterielle Plaque
    • Zahnstein (mineralisierte Beläge)
Pathogenese und Pathologie
Pathogenese und Pathologie der Zahnverfärbungen werden bestimmt durch die jeweilige Ursache. Häufig sind Verfärbungen nur Begleiterscheinungen z. B. von Schmelzbildungsstörungen. Bei Tetrazyklinverordnung während der Zahnbildungsphase kommt es durch Ausbildung von Tetrazyklin-Kalzium-Orthophosphat-Komplexen zum stabilen Einbau des Antibiotikums in die kristallinen Bestandteile von Schmelz, Dentin und Zement. Dentin ist dabei stärker betroffen als Schmelz. Die Zahnkrone entwickelt eine normale Form, die Härte des Zahnschmelzes ist jedoch verringert. Allerdings können die je nach Zeitpunkt der Antibiose unter Umständen an sämtlichen Zähnen sichtbaren blaubraunen, streifenförmigen Verfärbungen kosmetisch sehr störend sein (Abb. 12).
Paramarginale dunkle Beläge sind Ablagerungen von schwarzpigmentierten Bakterien. Diese Beläge stellen nach den bisherigen Erkenntnissen lediglich eine ästhetische Beeinträchtigung dar. In vielen Studien wird eine geringe Kariesprävalenz bei Kindern mit solchen Beläge beschrieben.
Klinische Symptome
Die klinische Symptomatik besteht in der sichtbaren Verfärbung, wobei die betroffenen Zähne in der Regel schmerzfrei sind. In Abhängigkeit von der jeweiligen Verfärbungsursache können jedoch auch Beschwerden oder kaufunktionelle Störungen auftreten.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Bei der Diagnose und Differenzialdiagnose sollten die Ursachen für die Schmelzverfärbungen eigen- und familienanamnestisch eruiert werden.
Dunkle paramarginale Beläge dürfen nicht mit kariösen Läsionen verwechselt werden.
Therapie
Die Therapie der Zahnverfärbungen richtet sich nach deren Ursache. Die Erfordernisse reichen von professionellen Zahnreinigungen, z. B. bei paramarginalen dunklen Belägen, über Anwendung verschiedener Zahnbleichungstechniken bis hin zu umfangreichen prothetischen Versorgungen.
Prophylaxe
Die Prävention von Zahnverfärbungen besteht im Verzicht auf Nahrungs- oder Genussmittel mit chromogenen Eigenschaften und in regelmäßiger zahnärztlicher Kontrolle mit adäquater Therapie.
Prognose und Verlauf
Prognose und Verlauf richten sich nach dem jeweils zugrunde liegenden ursächlichen Krankheitsbild. Die Ausprägung von paramarginalen dunklen Belägen wird mit der Pubertät geringer, teilweise treten sie bei den betroffenen Patienten nicht mehr auf.

Karies

Definition
Karies ist eine Schädigung von Zahnhartsubstanz durch Säuren, die von Mikroorganismen gebildet wurden. Sie entwickelt sich, indem es innerhalb des dentalen Biofilms durch den häufigen Konsum fermentierbarer Kohlenhydrate zu einem Überwiegen von azidogenen und azidurischen Mikroorganismen kommt. Hieraus resultiert ein Ungleichgewicht zwischen der De- und Remineralisation der Zahnhartsubstanz, was zu einem Mineralverlust und schließlich zu einer kariösen Läsion führt.
Epidemiologie
Noch vor wenigen Jahrzehnten war Karies die häufigste Krankheit in den Industrienationen. Durch die Verbreitung von Fluoriden und die Akzeptanz von Mundhygienemaßnahmen hat sich der Gebisszustand der Bevölkerung in Europa und Nordamerika allmählich gebessert (Abb. 13). In Deutschland ist Karies bei Kindern und Jugendlichen rückläufig. Dennoch weisen Jugendliche in Hauptschulen, in unteren sozialen Schichten oder mit einem Migrationshintergrund einen sehr hohen Kariesbefall und einen hohen Anteil nicht behandelter Karies auf. Offenbar werden nicht alle Bevölkerungsgruppen von Präventiv- und Behandlungsmaßnahmen in gleicher Weise erreicht. Ein Viertel der Bevölkerung weist etwa drei Viertel aller kariösen Läsionen auf. Repräsentative epidemiologische Untersuchungen zeigen in Deutschland, dass bereits 14 % der 3-Jährigen kariöse, wegen Karies fehlende oder gefüllte Zähne aufweisen. Der Anteil unbehandelter kariöser Zähne ist mit 74 % sehr hoch. Diejenigen Kinder, die Karies haben, zeigen durchschnittlich 3,6 betroffene Zähne. Bei den 6- bis 7-Jährigen haben bereits 44 % kariöse, wegen Karies fehlende oder gefüllte Zähne der 1. Dentition, wovon 43 % nicht behandelt sind. Während die mittlere Karieserfahrung der 3-Jährigen noch bei 0,5 betroffenen Zähnen liegt, steigt sie bei 6- bis 7-Jährigen auf 1,7 Zähne an. Bei 12-Jährigen ist seit 1983 die Anzahl der betroffenen kariösen, wegen Karies fehlenden oder gefüllten Zähne der 2. Dentition von durchschnittlich 10,8 Zähnen je Kind auf 0,5 bzw. 0,4 Zähne gesunken. 21 % der 12-Jährigen haben Karieserfahrung im Gebiss der 2. Dentition. Der Anteil nicht sanierter Zähne der 2. Dentition beträgt in dieser Altersgruppe 30 %.
In der zahnmedizinischen Nomenklatur hat sich für Karies im Gebiss der 1. Dentition die Bezeichnung Early Childhood Caries (ECC) etabliert. Eine sehr schwere Form der frühkindlichen Karies ist der ECC Typ II, das sog. Nursing-bottle-Syndrom, an dem immer noch zwischen etwa 7–17 % der Kinder erkranken.
Ätiologie
Ursache für die Karies sind kariogene Mikroorganismen, die als Stoffwechselendprodukte der Metabolisierung niedermolekularer Kohlenhydrate organische Säuren, vornehmlich Laktat, ausscheiden und dadurch das Schmelzgefüge auflösen. Erbfaktoren spielen eine untergeordnete Rolle. Kofaktoren sind neben der Ernährung auch die Mikrostruktur des Schmelzgefüges, die Speichelmenge und -zusammensetzung, die Pathogenität der Mikroorganismen und die Immunabwehr in der Mundhöhle.
Pathognomonisch führt bei der sog. Saugflaschenkaries oder dem Nursing-bottle-Syndrom die exzessive Gabe von kariogenen Flüssigkeiten, z. B. von „Zuckertee“, Fruchtsäften oder Milch in Saugflaschen zu frühzeitiger Karies an den oberen Schneidezähnen, fortschreitend dann an sämtlichen Oberkieferzähnen sowie den Unterkieferzähnen. Auch verdünnte kohlenhydrat- und/oder säurehaltige Getränke rufen die kariösen oder kombiniert kariös-erosiven Läsionen der Zahnhartsubstanz hervor. Das Erscheinungsbild kann ebenfalls durch exzessives Stillen und durch Gabe eines in z. B. Honig getauchten Schnullers verursacht werden.
Pathogenese und Pathologie
Die wichtigsten anorganischen Bestandteile von Schmelz und Dentin sind die Apatitkristallite. Aus ihnen können Kalziumionen von der Zahnoberfläche aus herausgelöst werden. Folgende Voraussetzungen müssen vorhanden sein, damit Karies entstehen kann:
  • Zahnoberflächen, an denen sich Mikroorganismen anheften können.
  • Plaque mit kariespathogenen Mikroorganismen: Wichtigste mikrobielle Erreger sind Streptococcus mutans, Streptococcus sobrinus und Laktobazillen. Wesentliche Pathogenitätsfaktoren sind die Säureproduktion, intrazelluläre Substratspeicher aus Polysacchariden und die Bildung extrazellulärer Polysaccharide als Haftsubstanzen sowie die Azidurie.
  • Niedermolekulare Kohlenhydrate in der Nahrung, z. B. Saccharose.
  • Absinken des pH-Werts unter Auflösung der Hydroxylapatitkristallgitter.
  • Ausreichend Zeit, sodass der Säureangriff die Schmelzkristallite anlösen kann.
  • Unzureichende prophylaktische und reparative Maßnahmen.
Die kariespathogenen Mikroorganismen gelangen im Kleinkindalter zumeist durch Infektion über die Mutter in die Mundhöhle des Kindes. Prädilektionsbereiche für Karies sind Plaqueretentionsstellen, an denen eine Zahnreinigung schwierig ist. Natürliche Retentionsstellen sind neben der Zahnhalsregion die Fissuren der Seitenzähne und eventuelle Grübchen (z. B. Foramina coeca auf der Palatinalfläche oberer Schneidezähne) sowie die Approximalflächen der Zähne.
Klinische Symptome
Karies beginnt an der Zahnoberfläche (Abb. 14). An zugänglichen oralen und vestibulären Zahnflächen spricht man von einer „Glattflächenkaries“, Karies auf der Okklusalfläche der Zähne bezeichnet man als „Fissurenkaries“. Hiervon sind typischerweise Schulkinder und Jugendliche befallen. „Approximalkaries“ ist im Bereich der Zahnzwischenräume lokalisiert.
Das Nursing-bottle-Syndrom kann bereits im 2. Lebensjahr zu klinisch sichtbaren Läsionen führen (Abb. 15). Durch die zirkumferente Schwächung der Frontzähne kommt es häufig zur Fraktur der gesamten Krone. Es ist sehr schmerzhaft und führt unbehandelt rasch zum frühzeitigen Zahnverlust.
Unbehandelte kariöse Zähne sind ein Indikator für Vernachlässigung (Kap. „Misshandlung, Missbrauch und Vernachlässigung von Kindern“ und Kap. „Prävention und Intervention bei Vernachlässigung und Deprivation“), wenn die sorgeberechtigten Personen durch einen Arzt oder Zahnarzt auf die Erkrankung aufmerksam gemacht und die notwendige Behandlung sowie die Wege, diese Behandlung zu erreichen, aufgezeigt worden sind, aber von den sorgeberechtigten Personen diese nicht wahrgenommen werden. In diesen Fällen liegt ein chronischer Zustand der Mangelversorgung sowohl hinsichtlich der Ernährung, der Hygiene sowie der Gesundheitsversorgung vor. Nicht selten bestehen bei diesen Kindern auch weitere Zeichen einer Vernachlässigung oder Misshandlung.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Die Diagnose der Karies erfolgt klinisch aufgrund der weichen Konsistenz und der Verfärbung der Zahnhartsubstanz. Die röntgenologische Untersuchung ist erforderlich zur Kariesdiagnostik in weniger einsehbaren Bereichen, insbesondere den Approximalräumen. Differenzialdiagnostisch sollten die möglichen Ursachen für eine multiple Karies abgeklärt werden. Wichtig ist festzustellen, ob lediglich eine mangelhafte Mundhygiene vorliegt oder ob genetisch bedingte oder nicht genetisch bedingte Zahnentwicklungsstörungen die Ausbreitung einer multiplen Karies begünstigen. Je nach Ausbreitung der Karies und Ausmaß der Zahnzerstörung können mehr oder weniger starke Beschwerden auftreten.
Therapie
Die Therapie besteht in der zahnärztlichen Entfernung der kariös veränderten Zahnhartsubstanzen und der Versorgung der geschädigten Zähne durch eine angemessene Füllungstherapie oder durch prothetische Maßnahmen. Da Karies an Zähnen der 1. Dentition eine raschere Progredienz aufweist als an Zähnen der 2. Dentition, sollte immer eine zahnärztliche Konsultation empfohlen werden, damit durch einen Zahnarzt entschieden werden kann, ob eine Behandlung eingeleitet werden muss.
Prophylaxe
Zur Kariesprophylaxe kommen verschiedene systemische und lokale Maßnahmen in Betracht. Dazu zählen gezielte Mundhygienemaßnahmen, Ernährungslenkung mit Reduktion der Häufigkeit der Aufnahme kariogener Nahrungsmittel, lokale Fluoridierungsmaßnahmen sowie Fissurenversiegelungen.
Prognose und Verlauf
Ohne prophylaktische Maßnahmen und zahnärztliche Therapie führt Karies zu schmerzhaften entzündlichen Reaktionen der Pulpa und unter Umständen des umgebenden Alveolarknochens. Sie resultiert meist in einem Zahnverlust mit Auswirkungen auf die weitere Kiefer- und Gesichtsschädelentwicklung.
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