Prinzip der intensivierten Insulintherapie
Die intensivierte Insulintherapie imitiert das physiologische Insulinsekretionsmuster bei Stoffwechselgesunden. Bei der intensivierten Insulintherapie wird der nahrungsabhängige Prandialinsulinbedarf durch die Injektion von Normalinsulin oder einem rasch wirkenden Insulinanalogon vor den Mahlzeiten gedeckt, der nahrungsunabhängige Basalinsulinbedarf durch die Injektion von NPH-Insulin oder einem langwirkenden Insulinanalogon ein- oder mehrmals am Tag (Danne et al.
2018).
Das Prandialinsulin ermöglicht die Metabolisierung der durch die Nahrung aufgenommenen Kohlenhydrate und soll eine postprandiale Hyperglykämie verhindern, das Basalinsulin reguliert die hepatische Glukoseproduktion durch Hemmung der Glukoneogenese. Im Gegensatz zur konventionellen Insulintherapie bestehen bei der differenzierten Prandial- und Basalinsulinsubstitution der intensivierten Insulintherapie bei Kindern und Jugendlichen etwa 70 % der Tagesdosis aus Prandialinsulin, etwa 30 % aus Verzögerungsinsulin. Wenn bei einer 4-Injektionen-Therapie der Basalinsulinanteil mehr als 50 % beträgt, wird keine intensivierte, sondern eine konventionelle Insulintherapie durchgeführt. Bei Kindern und Jugendlichen und ihren Eltern, die bereits unmittelbar nach Manifestation, d. h. in einer Phase, in der die Bereitschaft für die Umsetzung einer optimalen Diabetestherapie sehr groß ist, eine der beiden Formen der intensivierten Insulintherapie kennenlernen, sind die Voraussetzungen für eine langfristig gute Stoffwechseleinstellung sehr günstig.
Der Erfolg der Insulinbehandlung hängt zunächst von der richtigen Wahl der Insulindosis und des Insulinpräparates ab. Viele Faktoren sind dabei zu beachten (s. Übersicht):
Die Insulindosis hängt ausschließlich vom aktuellen Insulinbedarf des Patienten ab. Es sollte nicht der Ehrgeiz des Arztes oder der Eltern sein, mit einer möglichst geringen Insulindosis auszukommen. Die Prognose des
Diabetes hängt nicht von der Höhe der Insulindosis ab, sondern allein von der Qualität der Stoffwechseleinstellung. Die Insulindosis muss mithilfe täglicher Stoffwechselselbstkontrollen (Glukosebestimmungen) empirisch ermittelt werden. Sie ist richtig gewählt, wenn die Glukosewerte zwischen 70 und 160 mg/dl liegen und im
Urin wenig oder keine
Glukose ausgeschieden wird (falls gemessen).
Die Kenntnis der Insulinsekretionsraten stoffwechselgesunder Erwachsener erlaubt die Schätzung des Insulinbedarfs von Kindern und Jugendlichen. Die basale Insulinsekretionsrate beträgt beim fastenden Erwachsenen 14–17 mU/min. Das entspricht etwa 0,7–1,0 IE/h bzw. 17–24 IE/Tag. Daraus errechnet sich ein nahrungsunabhängiger Basalinsulintagesbedarf von etwa 0,3 IE/kg KG. Die Insulinfreisetzung nach oraler Gabe von 10–12 g Kohlenhydraten (entspricht 1 Kohlenhydrateinheit = 1 KE), d. h. der nahrungsabhängige Prandialinsulinbedarf, beträgt etwa 1,35 IE.
Bei Umrechnung dieser Richtwerte würde z. B. ein 10-jähriges stoffwechselgesundes Kind mit einem Körpergewicht von 30 kg und einer Kohlenhydratzufuhr von 14 KE täglich etwa 28 IE
Insulin benötigen (Basalinsulinbedarf: 0,3 × 30 = 9 IE; Prandialinsulinbedarf: 14 × 1,35 = 19 IE). Der Insulintagesbedarf dieses 10-jährigen Kindes würde danach etwa 0,9 IE/kg KG betragen (Basalbedarf: 0,3 IE/kg KG; Prandialbedarf: 0,6 IE/kg KG).
Der Insulintagesbedarf von Kindern und Jugendlichen hängt aber auch von der Diabetesphase ab, in der sich die Patienten befinden.
Die entsprechenden Richtwerte für die Durchführung der ICT sind in Tab.
1 aufgelistet.
Tab. 1
Richtwerte für die Durchführung der intensivierten konventionellen Insulintherapie (ICT)
Insulintagesbedarf | Kinder | 0,80–1,0 IE/kg KG |
Jugendliche | 0.8–1,2 IE/kg KG |
Erwachsene | 0,6–0,7 IE/kg KG |
Basalinsulintagesbedarf | Kinder Jugendliche Erwachsene | 0,30–0,35 IE/kg KG |
Prandialinsulindosis | Morgens | 1,5–2,5 IE/KE |
Mittags | 1,0–1,5 IE/KE |
Abends | 1,5–2,0 IE/KE |
Nachts | 0,5–1,0 IE/KE |
Blutglukoseabsenkungsraten nach 1 IE Normalinsulin bzw. schnellwirkendes Insulinanalogon | Morgens | –20– –30 mg/dl |
Mittags | –40– –50 mg/dl |
Abends | –30– –40 mg/dl |
Nachts | –60– –80 mg/dl |
Täglicher Kalorienbedarf | Kinder | 45–70 kcal/kg KG |
Jugendliche | 35–45 kcal/kg KG |
Erwachsene | 25–35 kcal/kg KG |
Unmittelbar nach Manifestation des
Diabetes, während der Initialphase, liegt der exogene Insulintagesbedarf in Abhängigkeit vom Ausmaß der Stoffwechselentgleisung zwischen 0,5 und 1,5 IE/kg KG. Bei über 90 % aller Kinder und Jugendlichen folgt etwa 1–2 Wochen nach Beginn der Insulinbehandlung eine unterschiedlich lange Remissionsphase, d. h. eine Zeit, die durch eine bemerkenswerte Restsekretion von endogenem
Insulin charakterisiert ist. Die ersten 1–2 Jahre dieser Phase, die auch als „partielle temporäre Remission“ bezeichnet wird, sind definitionsgemäß durch einen exogenen Insulintagesbedarf von weniger als 0,5 IE/kg KG gekennzeichnet. Eine gute Stoffwechseleinstellung mit Aglukosurie, Glukosewerten zwischen 70 und 160 mg/dl und HbA1c-Werten unter 7,5 % ist meist ohne Schwierigkeiten zu erzielen. Es schließt sich eine Zeit von etwa 3–4 Jahren an, in der ebenfalls noch eine Restsekretion von endogenem Insulin vorliegt. Der Insulintagesbedarf beträgt 0,5–0,8 IE/kg KG. Während der Remissionsphase, die individuell unterschiedlich lange dauert (von Monaten bis Jahre), ist eine Teilsubstitution mit exogenem Insulin notwendig. Nach vollständigem Erlöschen der Restfunktion der Betazellen beginnt die Postremissionsphase. Lebenslang muss eine Vollsubstitution mit exogenem Insulin durchgeführt werden. Der Insulinbedarf liegt über 0,8 IE/kg KG.
Wenn bei Kindern mehr als 1,0 IE
Insulin/kg KG injiziert wird, sollte eine Überinsulinierung in Erwägung gezogen werden. Bei Jugendlichen liegen die Insulinbedarfswerte allerdings wegen der hormonell bedingten Verminderung der Insulinsensitivität oft über 1,0 IE/kg KG. Sie können bis 1,5 IE/kg KG betragen.
In Tab.
2 sind die wichtigsten Varianten der Kombination von Prandial- und Basalinsulin zusammengestellt.
Tab. 2
Wichtigste Varianten der Kombination von Prandial- und Basalinsulin
Variante A1 | Normalinsulin | NPH-Insulin tagsüber und nachts |
Variante A2 | Normalinsulin | NPH-Insulin tagsüber und mittellang wirkendes Insulinanalogon (Detemir) nachts |
Variante B1 | Schnellwirkendes Insulinanalogon | NPH-Insulin tagsüber und nachts |
Variante B2 | Schnellwirkendes Insulinanalogon | NPH-Insulin tagsüber und mittellangwirkendes Insulinanalogon (Detemir) nachts |
Variante C | Normalinsulin oder schnellwirkendes Insulinanalogon | Lang- (Glargin) 1-malig oder mittellangwirkendes (Detemir) 1- bis 2-malig |
Alterstypische Besonderheiten
Bei Säuglingen und Kleinkindern bis etwa zum 6. Lebensjahr wird bevorzugt eine
Insulinpumpentherapie eingesetzt (s. unten). Alternativ sind Injektionsbehandlungen mit einem schnellwirkenden Insulinanalogon geeignet, weil die Eltern häufig nicht genau wissen, wie viel von der angebotenen Mahlzeit wirklich gegessen wird. Es ist daher günstig, erst nach der Mahlzeit Prandialinsulin zu injizieren. Da man die NPH-Insuline sehr gut an den Zirkadianrhythmus der Basalinsulinwirkung anpassen kann, werden sie bei dieser Altersgruppe bevorzugt angewendet. Erst bei Einstellungsproblemen kann man ein langwirkendes Insulinanalogon erproben.
Bei Kindern etwa ab 4 Jahren und Schulkindern, aber auch bei Jugendlichen, die großen Wert auf Zwischenmahlzeiten (2. und 3. Frühstück in der Schule, Vespermahlzeit nachmittags, Spätmahlzeit abends vor dem Schlafen) legen, wird häufig Normalinsulin als Prandialinsulin oder bei Patienten, die den Spritz-Ess-Abstand vermeiden wollen oder kurze Abstände zwischen Mahlzeiten haben, ein schnellwirkendes Insulinanalogon genutzt. Als Basalinsulin wird NPH-Insulin verwendet, aber auch NPH-Insulin tagsüber und Detemir nachts als Basalinsuline sind sehr verbreitet. Wenn Schwierigkeiten bei der Basalinsulinsubstitution auftreten, kann auch ein langwirkendes Insulinanalogon als Basalinsulin erprobt werden. Je mehr die Jugendlichen auf Zwischenmahlzeiten verzichten und sich den Essgewohnheiten von Erwachsenen (3 Hauptmahlzeiten) annähern, desto besser eignet sich das langwirkende Insulinanalogon als Basalinsulin in Kombination mit Normalinsulin oder schnellwirkendem Insulinanalogon als Prandialinsulin. Dabei gibt es viele Patienten, die eine Normalinsulingabe morgens (Abdeckung von Frühstück und 1. Schulpause) mit schnellwirkendem Insulinanalogon zum Mittag oder Abendbrot kombinieren. Das gilt vor allem, wenn Jugendliche wie viele Erwachsene bereit sind, bei einer spontanen Zwischenmahlzeit Prandialinsulin zu injizieren.
Zirkadianrhythmus der Insulinwirkung
Zirkadiane Rhythmen sind u. a. für die Sekretion von Hormonen beschrieben worden, die den Glukosestoffwechsel regulieren, d. h. sowohl für
Insulin wie für die insulinantagonistischen Hormone Adrenalin, Noradrenalin,
Glukagon und die Kortikoide. Beim
Diabetes mellitus Typ 1 wird die täglich notwendige
Insulinsubstitution durch die zirkadianen Änderungen der Insulinwirkung mit den entsprechenden Auswirkungen auf den Insulinbedarf sehr kompliziert, da die endogene Insulinsekretion, die sich ständig auf die zirkadianen Einflüsse der insulinantagonistischen Hormone einstellt und sie ausgleicht, nur annäherungsweise imitiert werden kann (Bachran et al.
2012). Die zirkadianen Rhythmen der Sekretion und Wirkung der Hormone sind von Patient zu Patient sehr unterschiedlich ausgeprägt und können sich auch bei einem Patienten von einem Tag zum anderen ändern.
Morgenhyperglykämien sind bei Patienten mit
Diabetes mellitus Typ 1, vor allem bei Kindern und Jugendlichen, seit Langem bekannt. Als Ursache für hohe morgendliche Nüchternglukosewerte wurden lange Zeit asymptomatische nächtliche
Hypoglykämien angenommen. Das sog. Somogyi-Phänomen
, also eine gegenregulatorisch bedingte Hyperglykämie, tritt jedoch selten und wenn, nicht sehr ausgeprägt bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 auf, weil bei ihnen die Glukosegegenregulation gestört ist. Vor allem der erste und wichtigste Schritt der Gegenregulation beim Stoffwechselgesunden, das Sistieren der Insulinsekretion zur Entkoppelung der hepatischen Glukoseproduktion, entfällt beim Diabetes mellitus Typ 1.
Die durch eine Verminderung der Insulinwirkung bedingte morgendliche Hyperglykämie (
Dawn-Phänomen) ist jedoch viel häufiger die Ursache hoher Werte am Morgen. Die relative Insulinresistenz während der frühen Morgenstunden ist auf die nächtliche Sekretion von
Wachstumshormon zurückzuführen, das nicht nur die Insulinsensitivität vermindert, sondern auch die hepatische Glukoseproduktion stimuliert. Wachstumshormon wird bei
Diabetes mellitus Typ 1 vermehrt sezerniert. Es besteht eine direkte Beziehung zwischen der Wachstumshormonausschüttung und dem Anstieg des Insulinbedarfs während der
Pubertät. Damit ist nicht nur der deutliche Anstieg des Insulintagesbedarfs bei Jugendlichen (>1,0 IE/kg KG), sondern auch die häufig unzureichende Stoffwechseleinstellung erklärt. Häufigkeit und Ausmaß des Dawn-Phänomens hängen ursächlich vom Ausmaß der nächtlichen Pulsamplitude der Wachstumshormonsekretion ab.
Prandialinsulindosis
Die Prandialinsulindosis hängt von der Menge der während einer Mahlzeit zugeführten Kohlenhydrate ab. Daher hat es sich als didaktisch sinnvoll erwiesen, die Prandialinsulindosis als Quotient „Insulin/KE“ anzugeben (eine Kohlenhydrateinheit, KE, entspricht 10–12 g Kohlenhydraten). Der Insulin-KE-Quotient liegt meist zwischen 0,5 und 2,0 IE/KE. Er ist intra- und interindividuell unterschiedlich groß und muss daher vom Patienten häufig neu ermittelt werden.
Wichtige
Einflussgrößen sind Alter, Größe, Gewicht, Geschlecht, Diabetesdauer, Essgewohnheiten (z. B. Zusammensetzung der Mahlzeiten: schnell oder langsam resorbierbare Kohlenhydrate, Ballaststoff-, Eiweiß-, Fettgehalt) evtl. auch Art des prandialen Insulinpräparates (Normalinsulin bzw. schnellwirkendes Insulinanalogon). Von besonderer Bedeutung ist, ob sich der Patient in der Remissionsphase befindet und noch eine Restsekretion von endogenem
Insulin vorliegt. Ist das der Fall, kann der Insulin-KE-Quotient unter 1,0 IE/KE liegen.
Auch die zirkadianen Veränderungen der Insulinwirksamkeit beeinflussen den Insulin-KE-Quotienten. Während der Zeit der morgendlichen Hyperglykämie (
Dawn-Phänomen) werden normalerweise deutlich mehr als 2 IE/KE benötigt (z. T. 3–5 IE/KE). Am späten Nachmittag liegt ebenfalls eine Hyperglykämieneigung vor (Dusk-Phänomen
), sodass etwa 2 IE/KE injiziert werden müssen. Am späten Vormittag und um die Mittagszeit sowie nach Mitternacht während der ersten Nachthälfte besteht eine ausgesprochene Hypoglykämieneigung. Während dieser Zeit sollte das
Insulin daher sehr vorsichtig dosiert werden. Meist kommen die Patienten um die Mittagszeit mit 1,0–1,5 IE/KE, um Mitternacht mit 0,5–1,0 IE/KE aus.
Weitere Einflussfaktoren für die Größe des Insulin-KE-Quotienten sind der Spritz-Ess-Abstand, die Injektionsart, die Beschaffenheit des Injektionsortes und nicht zuletzt die Effizienz der Basalinsulinsubstitution. Der Spritz-Ess-Abstand sollte umso länger sein, je schneller die zugeführten Kohlenhydrate resorbiert werden, damit das Wirkmaximum des
Insulins mit der maximalen postprandialen
Glukose ungefähr übereinstimmt. Die Variationsbreite beträgt etwa 10 min (langsame Resorption: Kohlenhydrate mit niedrigem glykämischem Index, ballaststoffreich, hoher Fett-Eiweiß-Gehalt) bis 40 min (schnelle Resorption: Kohlenhydrate mit hohem glykämischen Index, Fastfood). Der Spritz-Ess-Abstand richtet sich auch nach dem präprandialen Glukosewert: Bei hohen Glukosewerten (z. B. > 250 mg/dl) sollte er verlängert, bei niedrigen (z. B. < 100 mg/dl) verkürzt werden. Üblicherweise sollte der Spritz-Ess-Abstand bei Normalinsulin 30 min betragen. Bei Verwendung schnellwirkender Insulinanaloga fällt der Spritz-Ess-Abstand fort oder verringert sich deutlich. Die Patienten können häufig bereits unmittelbar nach der Insulininjektion mit der Mahlzeit beginnen oder sie spritzen erst während bzw. nach der Mahlzeit. Allerdings gibt es Daten, dass eine Insulinapplikation nach der Mahlzeit zu einem deutlichen postprandialen Glukoseanstieg führt.
Berechnung der Korrekturinsulindosis: Die Insulindosis, die vor einer Mahlzeit injiziert werden muss, hängt nicht nur von der geplanten Nahrungszufuhr ab, sondern auch vom aktuellen präprandialen Glukosewert. Die mithilfe des Insulin-KE-Quotienten errechnete Insulindosis muss daher korrigiert werden. Bei hohen Präprandialwerten muss Korrekturinsulin hinzugefügt, bei niedrigen abgezogen werden.
Bei der Ermittlung der Prandialinsulindosis ist der Patient auch auf Erfahrungswerte angewiesen, die er in der täglichen Praxis recht einfach erwerben kann. So kann er feststellen, um wie viel mg/dl der Glukosespiegel nach Verzehr gleicher Mengen (z. B. 1 KE) unterschiedlicher kohlenhydrathaltiger Nahrungsmittel (z. B. Traubenzucker, Nudeln, Brot, Pizza) ansteigt. Er sammelt so vielfältige Erfahrungen über die Glukosewirksamkeit der verschiedenen Nahrungsmittel und kann dabei erkennen, dass die Prandialinsulindosis nicht nur von der Nahrungsmenge (Kohlenhydrataustauschtabellen), sondern auch von der Zusammensetzung und Art der kohlenhydrathaltigen Nahrungsmittel abhängt (glykämischer Index). Bei Verzehr von 1 KE Weißbrot steigt der Glukosewert z. B. um 80 mg/dl, während 1 KE Banane ihn nur um 50 mg/dl ansteigen lässt. Mithilfe zahlreicher Erfahrungswerte könnte der Patient seine individuellen Insulin-KE-Quotienten zur Berechnung der Prandialinsulindosis ermitteln. In der Praxis wird diese aufwendige Methode allerdings nur selten konsequent genutzt und eher Durchschnittswerte verwendet.
Der Glukosespiegel wird bei Kindern und Jugendlichen durch 1 IE Normalinsulin um durchschnittlich 40 mg/dl gesenkt. Dieser Wert weist große individuelle Schwankungen auf und hängt u. a. vom Gewicht ab. So kann die Absenkungsrate durch 1 IE Normalinsulin bei Jugendlichen nur 30 mg/dl oder weniger betragen, bei Kleinkindern dagegen 100 mg/dl und z. T. deutlich mehr. Die Absenkungsrate nach Injektion von 1 IE Normalinsulin hängt jedoch wegen des Zirkadianrhythmus der Insulinwirkung auch vom Zeitpunkt der Insulininjektion ab. So kann sie in den frühen Morgenstunden nur 30 mg/dl betragen, mittags dagegen 60 mg/dl, abends 50 mg/dl und nachts sogar 90 mg/dl.
Sehr problematisch ist es, verbindliche Ratschläge darüber zu geben, bei welchen Glukosewerten korrigiert und auf welchen Glukosewert abgesenkt werden sollte. Auch das hängt von vielen Faktoren ab: vom Alter des Kindes, von der Diabetesdauer, von der Tageszeit etc. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Einstellung der Kinder und Jugendlichen und ihrer Eltern gegenüber den metabolischen Therapiezielen und die individuell sehr unterschiedliche Angst vor
Hypoglykämien.
Die individuell ermittelten Absenkungsraten für den Glukosespiegel zur Ermittlung der Korrekturinsulindosis können nicht nur präprandial angewendet werden, sondern auch zwischen den Mahlzeiten und während der Nacht. Mithilfe der individuell und tageszeitlich unterschiedlichen Absenkungsraten können daher hohe Glukosewerte zu jeder Tages- und Nachtzeit korrigiert werden.
Basalinsulindosis
Die Injektion von Verzögerungsinsulin
soll die basale Insulinsekretion zur Regulation der hepatischen Glukoseproduktion nachahmen. Der Tagesbedarf von Basalinsulin liegt bei stoffwechselgesunden Erwachsenen um 0,3 IE/kg KG. Der tägliche Basalinsulinbedarf kann bei Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes im
Hungerversuch (Fastentag) ermittelt werden. Er liegt bei Kleinkindern um 0,2 und bei Kindern um 0,3 IE/kg KG. Während der
Pubertät steigt der basale Insulinbedarf auf höhere Werte.
Wegen seiner Wirkungsdauer von 16–17 h und seinem Wirkungsmaximum nach 5–7 h kann NPH-Insulin an den Zirkadianrhythmus der Insulinwirkung angepasst werden. Bei sehr niedrigem Insulinbedarf wird NPH-Insulin nur abends spät injiziert, häufiger jedoch morgens und spät abends. Bei erhöhtem Insulinbedarf am späten Nachmittag (Dusk-Phänomen) ist nicht selten auch mittags vor der zweiten Hauptmahlzeit eine NPH-Insulininjektion notwendig. Abends zur dritten Hauptmahlzeit kann meist auf Basalinsulin verzichtet werden, da der Glukosewert spät abends vor dem Schlafen nicht zu niedrig sein sollte (> 100 mg/dl bzw. 5,6 mmol/l).
Das mittellang wirksame
Insulin Detemir
muss wegen seiner Wirkdauer von etwa 12–16 h in der Regel zweimalig injiziert werden. Dabei kommen Schemata mit morgendlicher und abendlicher, mittäglicher und spätabendlicher (besonders bei
Dawn-Phänomen) und morgendlicher und spätabendlicher Gabe zur Anwendung. Bei der Dosisfindung ist ein interindividuell sehr unterschiedliches Ansprechen auf Detemir zu beobachten. Im Vergleich mit NPH-Verzögerungsinsulin ergeben sich bei spätabendlicher Gabe Dosiserhöhungen von im Mittel 1,7-mal der ursprünglichen Dosis. Dabei wurden gute Nüchternglukosewerte bei einzelnen Patienten auch bei dosisgleicher Umstellung beobachtet, während andere erst nach einer Verdopplung der Dosis gute Morgenwerte ohne nächtliche Unterzuckerungen aufwiesen.
Bei Erwachsenen und auch in einigen pädiatrischen Zentren wird häufig das langwirkende Insulinanalogon Glargin als Basalinsulin eingesetzt. Wegen seiner langen Wirkungsdauer von 22–24 h wurde Glargin zunächst nur einmal am Tag injiziert. Inzwischen sind jedoch verschiedene Modifikationen seines Einsatzes entwickelt worden. Es wird frühmorgens und abends (18 Uhr), frühmorgens und spät abends (23 Uhr), aber auch mittags und spät abends injiziert. An den Zirkadianrhythmus der Insulinwirkung kann es wegen seiner sehr langen Wirkungsdauer nicht in gleicher Weise angepasst werden wie die NPH-Insuline und das Detemir.
Seit Anfang 2015 ist auch das
Insulin Degludec
für die Behandlung von Kindern ab 1 Jahr zugelassen. Es bietet die Möglichkeit der flexiblen Injektionsintervalle zwischen 8 h und 40 h aufeinanderfolgender Injektionen und hat die längste Wirkung der gegenwärtig erhältlichen Basalanaloga. Bis zum Erreichen eines Steady State vergehen bei Degludec 3 Tage. Zur raschen Aufsättigung kann nach unserer Erfahrung am ersten Tag eine bis zu doppelte Dosis gegeben werden oder alternativ überlappend mit einem anderen langwirksamen Insulin dosiert werden. Besonders bei Patienten, die große Schwierigkeiten mit einer regelmäßigen Insulindosierung haben oder von einer
Ketoazidose bei unzureichender Insulingabe bedroht sind, haben wir sehr gute Erfahrungen mit Degludec gemacht. Gegenwärtig ist Degludec in Deutschland nur über die Auslandsapotheke erhältlich.
Bei Verwendung der langwirksamen Insulinanaloga ist die Inzidenz schwerer
Hypoglykämien geringer ist als bei Injektion von NPH-Insulin.
Wichtig ist, dass bei der Verwendung kurzwirkender Insulinanaloga als Prandialinsulin die Basalinsulindosis erhöht werden muss, da sie an der Deckung des Basalinsulinbedarfes wegen ihrer kurzen Wirkungsdauer weniger beteiligt sind als bei Normalinsulin. Umgekehrt muss bei Verwendung langwirkender Insulinanaloga als Basalinsulin die Prandialinsulindosis erhöht werden, da sie weniger an der Deckung des Prandialinsulinbedarfes beteiligt sind als NPH-Insulin. Die Trennung zwischen Prandial- und Basalinsulinwirkung ist daher bei der Verwendung kurz- und langwirkender Insulinanaloga präziser gewährleistet als bei der von Normal- und NPH-Insulin. Bei der Injektion von Normal- und NPH-Insulin sind beide
Insuline durch die Überschneidung ihrer Wirkungsprofile an der Prandial- und an der Basalinsulinsubstitution beteiligt, d. h., ein Teil des Normalinsulins wirkt als Basalinsulin, ein Teil des Basalinsulins als Prandialinsulin. Die Substitution mit kurz- und langwirkenden Insulinanaloga erfasst dagegen genauer das reale Verhältnis zwischen Prandial- und Basalinsulinbedarf. Die Durchführung der ICT mit kurz- und langwirkenden Insulinanaloga kommt daher den Voraussetzungen und Möglichkeiten der CSII näher als die mit Normal- und NPH-Insulin.