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Diabetische Ketoazidose bei Kindern und Jugendlichen

Verfasst von: Andreas Neu und Nicolin Datz
Elliot Proctor Joslin (1869–1962) war der Überzeugung, dass mit der Entdeckung des Insulins der Diabetes mellitus seinen Schrecken verloren habe und formulierte sinngemäß in den 1920er-Jahren „today it is not allowed to die of diabetic coma“. Dass sich diese Hoffnung nicht erfüllte, kann man in den ISPAD-Guidelines nachlesen: Die Mortalitätsrate bei einer diabetischen Ketoazidose scheint zwar insgesamt rückläufig zu sein, beim Vorliegen eines Hirnödems liegt sie jedoch nach wie vor bei 21–24 %. Ohne Zweifel ist die diabetische Ketoazidose nach wie vor ein zentrales Problem bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Diabetes mellitus.
Elliot Proctor Joslin (1869–1962) war der Überzeugung, dass mit der Entdeckung des Insulins der Diabetes mellitus seinen Schrecken verloren habe und formulierte sinngemäß in den 1920er-Jahren „today it is not allowed to die of diabetic coma“. Dass sich diese Hoffnung nicht erfüllte, kann man in den Leitlinien der ISPAD (International Society for Pediatric and Adolescent Diabetes) nachlesen:
Die Mortalitätsrate bei einer diabetischen Ketoazidose scheint zwar insgesamt rückläufig zu sein (Decourcey et al. 2013), beim Vorliegen eines Hirnödems liegt sie jedoch nach wie vor bei 21–24 % (Wolfsdorf et al. 2014).
Ohne Zweifel ist die diabetische Ketoazidose nach wie vor ein zentrales Problem bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Diabetes mellitus.

Diabetische Ketoazidose

Definition
Drei Merkmale charakterisieren die diabetische Ketoazidose (DKA): Hyperglykämie (Blutzucker >200 mg/dl), venöser pH <7,3 oder Bicarbonat <15 mmol/l sowie Ketonämie und Ketonurie. Die Einteilung des Schweregrads erfolgt übereinstimmend in die Kategorien mild, mäßig und schwer (Tab. 1).
Tab. 1
Diabetische Ketoazidose (DKA) – Schweregrad. (Nach Wolfsdorf et al. 2014)
Ausprägung DKA
pH-Wert
Serumbicarbonat
(mmol/l)
Mild
<7,3
<15
Mäßig
<7,2
<10
Schwer
<7,1
<5
Häufigkeit
DKA bei Manifestation
Es gibt große geografische Unterschiede bzgl. der Häufigkeit einer Ketoazidose im Rahmen der Diabetesmanifestation. Allein in Europa und Nordamerika werden Häufigkeitsraten zwischen 15 und 67 % angegeben, in Deutschland liegt sie bei 21 % (Neu et al. 2009), in weniger gut strukturierten Ländern ist der Anteil höher (Dunger et al. 2004). Untersuchungen aus Italien (Parma-Studie) konnten zeigen, dass Aufklärungskampagnen die Frequenz der Ketoazidose durch eine frühzeitige Diagnosestellung deutlich vermindern können (Vanelli 2007). Allerdings blieb in medizinisch gut strukturierten Regionen der prozentuale Anteil ketoazidotischer Verläufe bei Manifestation über viele Jahre konstant (Neu et al. 2003; Neu 2007), sodass man wohl davon ausgehen muss, dass ein gewisser Anteil krankheitsimmanent und nahezu unvermeidbar ist. Insbesondere jüngere Kinder (0- bis 4-Jährige) sind betroffen, ebenso Familien mit einem niedrigen sozioökonomischen Status (Rewers et al. 2005). Insgesamt machen die Ketoazidosen bei Manifestation etwa 25 % aller diabetischen Ketoazidosen aus (Lebovitz 1995). Etwa ein Viertel aller Patienten mit Diabetesmanifestation ist betroffen (Rewers et al. 2008).
DKA im Verlauf
Bei Kindern und Jugendlichen mit bekanntem Diabetes mellitus liegt das Risiko für eine DKA in Abhängigkeit von regionalen Gegebenheiten zwischen 1 und 10 % pro Patient pro Jahr (Wolfsdorf et al. 2014), in Deutschland bei 4,8 %. Bei Mädchen ist die Häufigkeit höher als bei Jungen, Migranten haben eine höhere Rate als Nichtmigranten (Karges et al. 2015),
Am häufigsten treten ketoazidotische Episoden im Verlauf von Infekten oder bei unregelmäßiger Insulinsubstitution auf. Insbesondere Kinder mit einer schlechten Stoffwechsellage und Pubertierende sind betroffen (Rewers et al. 2002).
Klinisches Bild
Zu den Zeichen einer mäßig ausgeprägten Ketoazidose zählen neben der Dehydratation
  • Müdigkeit,
  • Durst,
  • Gewichtsabnahme.
Bei schweren Verläufen kommen hinzu:
Als spezifisches Azidosezeichen zählt die Kußmaul-Atmung, die sich durch tiefe, rasch aufeinanderfolgende Atemzüge bemerkbar macht (Mortensen und Bendtson 1993). Die Zahl der tatsächlich komatösen Patienten ist eher gering (Neu et al. 2003). Bedingt durch die klinische Symptomatik sind Fehldiagnosen nicht selten, lassen sich jedoch in aller Regel leicht abgrenzen.
Cave
Zu den häufigsten Fehldiagnosen zählen pulmonale Infektionen, Meningitis und die Pseudoappendicitis diabetica.
Pathophysiologie
Um die Behandlungsansätze nachvollziehen zu können, ist es wichtig, die der DKA zugrunde liegenden ursächlichen Mechanismen zu kennen. Das komplexe biochemische Geschehen lässt sich reduzieren auf wenige entscheidende Faktoren, nämlich die Dehydratation, den Insulinmangel sowie eine Erhöhung der gegenregulatorischen Hormone. Daraus resultieren ein beschleunigter Katabolismus, eine gestörte periphere Glukoseverwertung mit nachfolgender Hyperglykämie und Hyperosmolarität und eine verstärkte Lipolyse und Ketogenese, die wiederum Ursache für die Ketonämie und die metabolische Azidose ist. Von der Dehydratation sind sowohl der Extra- als auch der Intrazellulärraum betroffen. Mit dem Flüssigkeitsverlust gehen häufig Elektrolytverluste einher (Natrium, Kalium, Chlorid und Phosphat).
Management
Aufgrund der Tatsache, dass die DKA im Kindes- und Jugendalter ein potenziell lebensgefährliches Ereignis darstellt, sollte die Behandlung in einer dafür ausgestatteten pädiatrischen Einrichtung erfolgen. Grundsätzlich gilt jede DKA zunächst als pädiatrischer Notfall und bedarf der Akutversorgung.
Der therapeutische Ansatz richtet sich primär auf die Dehydratation und den Insulinmangel. An erster Stelle der DKA-Therapie steht deshalb die Rehydratation, gefolgt von der Insulinsubstitution. Weil durch beide Maßnahmen ein Kaliumabfall provoziert wird, ist die Kaliumgabe neben der Rehydratation und Insulinsubstitution die wichtigste dritte Therapieschiene (Tab. 2).
Tab. 2
Medikamentöse Behandlung der DKA (unter Beachtung der Kontrolle von Elektrolyten, pH, Blutzucker, Ketonkörper) (nach Neu et al. 2016)
Behandlungsziel/Indikation
Medikament
Dosis
Zeitliche Abfolge/Zeitraum
Initiale Kreislaufstabilisierung (falls erforderlich)
NaCl 0,9 %
10–20 ml/kg i.v.
Sofort über 1–2 h
Flüssigkeitsausgleich nach initialer Kreislaufstabilisierung
NaCl 0,9 % oder Ringerlösung nach 4–6 h auch NaCl 0,45 % möglich
Maximale i.v.-Tagesdosis
<1,5- bis 2-facher Erhaltungsbedarf in Bezug auf Alter, Gewicht und Körperoberfläche
Mindestens über 36–48 h
Blutzuckersenkung
Normalinsulin
0,1 U/kg/h i.v.
bei jüngerem Kind 0,05 U/kg/h
Beginn der Insulingabe 1–2 h nach Beginn der Volumengabe;
keine Unterbrechung der Insulinzufuhr bis pH >7,3;
Senkung des Blutzuckers um 2–5 mmol/l/h (36–90 mg/dl/h)
Vermeidung von Hypoglykämie
Endkonzentration: 5 % Glukose/0,45 % NaCl-Lösung
Beginn ab Blutzucker von 14–17 mmol/l (250–300 mg/dl) oder bei Blutzuckersenkung >5 mmol/l/h (90 mg/dl/h)
Kaliumausgleich
KCl
40 mmol/l Volumen; 5 mmol/kg/Tag i.v.;
nicht >0,5 mmol/kg/h
Bei Hypokaliämie sofort;
bei Normokaliämie mit Beginn der Insulingabe;
bei Hyperkaliämie erst nach Wiedereinsetzen der Urinproduktion;
kontinuierliche Gabe bis Beendigung des Volumenausgleichs
Rehydratation
Die Flüssigkeitsgabe ist die erste therapeutische Maßnahme bei der Behandlung der DKA. Initial verwendet wird eine isotone Lösung, also 0,9 %ige Kochsalzlösung. Empfohlen wird die Bolusgabe mit einer Startgeschwindigkeit von 10 ml/kg Körpergewicht über eine Stunde; diese Bolusgabe kann bei Bedarf wiederholt werden. Nach dieser sehr schnellen anfänglichen Flüssigkeitsgabe wird die Flüssigkeitszufuhr deutlich reduziert. Es empfiehlt sich, das Defizit anhand der klinischen Dehydratationszeichen abzuschätzen und entsprechend dieser Einschätzung zu substituieren. Der Defizitersatz erfolgt mit isotoner Lösung (NaCl 0,9 % oder Ringerlösung) und erstreckt sich über mindestens 4–6 h. Insgesamt sollen das Flüssigkeitsdefizit und der Erhaltungsbedarf nach 48 h ausgeglichen sein. Im Falle einer mäßigen DKA darf man von 5–7 %, im Falle einer schweren DKA von 7–10 % Dehydratation ausgehen (Wolfsdorf et al. 2014). Ob im weiteren Verlauf von der isotonen auf eine halbisotone Lösung gewechselt wird, ist vom Hydrierungsgrad, der Natriumkonzentration und der Serumosmolalität abhängig. Um einen zu schnellen Blutzuckerabfall und Hypoglykämien zu verhindern, wird ab einem Blutzuckerspiegel unter 250–300 mg/dl (14–17 mmol/l) der Zusatz 5 %iger Glukoselösung empfohlen (Wolfsdorf et al. 2014).
Der Effekt der Flüssigkeitsgabe ist bemerkenswert: Der Blutzucker wird gesenkt, die renale Glukoseausscheidung erhöht, die Gewebsperfusion wird verbessert, die gegenregulatorischen Hormone sinken ab, die Insulinsensitivität steigt (Mortensen und Bendtson 1993).
Die Gefahr der Rehydratation besteht darin, dass zu schnell zu viel Flüssigkeit verabreicht wird und dadurch die Serumosmolarität rasch sinkt. Diese Gefahr besteht insbesondere bei ausgeprägter Hyperosmolarität. Deshalb sollte bei der Absenkung des Blutzuckers darauf geachtet werden, dass gleichzeitig der Serum-Natrium-Spiegel ansteigt. Die gemessene Natriumkonzentration bei der DKA ist ein unzuverlässiger Parameter für die Abschätzung des Extrazellulärvolumens. Die hohe Glukosekonzentration im Extrazellulärraum führt zu einer osmotischen Verschiebung von Flüssigkeit in diesen und damit zu einer Verdünnungshyponatriämie. Korrekt ist deshalb eine Berechnung des Natriums nach folgender Formel:
korrigiertes Natrium = gemessenes Na++2×[Blutzucker (in mg/dl)–100]:100 mg/dl bzw.
korrigiertes Natrium = gemessenes Na++2×[Blutzucker (in mmol/l)–5,6]:5,6 mmol/l.
Cave
Ein gleichzeitig mit dem Blutzucker abfallender Serum-Natrium-Spiegel gilt als Warnsignal für eine zu rasche Senkung der Serumosmolarität und damit für ein Hirnödem.
Ein alternatives, vereinfachtes Vorgehen für die Rehydratation nach der initialen Bolusgabe richtet sich nur nach Alter bzw. Körpergewicht und berücksichtigt nicht das Ausmaß der Dehydratation. In diesem Fall wird empfohlen, den 1,5- bis 2-fachen Tagesbedarf zu verabreichen (Tab. 3).
Tab. 3
Flüssigkeitsbedarf nach initialer Bolusgabe. (Mod. nach Wolfsdorf et al. 2014)
Körpergewicht
(kg)
Erhaltungsbedarf
(ml/24 h)
Rehydratation
(ml/24 h)
5
405
650
10
780
1280
15
1030
1780
20
1230
2230
30
1560
3060
40
1850
3700
50
2100
4200
60
2320
4640
70
2500
5000
Insulinsubstitution
Steht die Hyperglykämie und Hyperosmolarität im Vordergrund, so erfolgt zunächst die alleinige Rehydratation. In Abhängigkeit vom Ausmaß der DKA erfolgt die Insulinsubstitution unmittelbar nach Beginn der Rehydratation oder zeitversetzt spätestens dann, wenn der Blutzucker durch alleinige Rehydratation nicht weiter zu senken ist. Angestrebt wird ein Blutzuckerabfall von 70–100 mg/dl/h (2–5 mmol/l/h). Die früher übliche Insulinbolusgabe zu Beginn der Therapie ist obsolet (Wolfsdorf et al. 2014). Die weitere Dosierung der Insulinsubstitution wird über die Geschwindigkeit des Blutzuckerabfalls gesteuert. Eine passagere Unterbrechung der Insulinzufuhr bei fortbestehender DKA ist nur dann sinnvoll, wenn der Blutzucker dramatisch abfällt. Zu den angestrebten Effekten der Insulinsubstitution zählen die Senkung der Lipolyse und Ketogenese sowie eine Reduktion der Glukoneogenese und Glykogenolyse (Mortensen und Bendtson 1993).
Insulinsubstitution
Zur Insulinsubstitution verwendet man eine niedrig dosierte, kontinuierliche Insulininfusion mit 0,1 E/kg KG/h, bei jüngeren Kindern kann zur Verhinderung eines zu raschen Abfalls des Blutzuckers die Reduktion auf 0,05 E/kg KG/h sinnvoll sein.
Eine Gefahr der Insulinsubstitution ist die Absenkung des Kaliumspiegels, der man durch eine frühzeitige und hoch dosierte Kaliumsubstitution vorbeugen kann.
Kaliumgabe
Die Entwicklung einer DKA geht einher mit einer erheblichen Kaliumdepletion, die insbesondere intrazellulär stattfindet. Beteiligte Mechanismen sind u. a. die Hyperosmolarität im Serum, die zum Kaliumausstrom aus der Zelle führt, sowie die Verluste durch osmotische Diurese. Die Hypokaliämie macht sich insbesondere bei Diabetesmanifestation bemerkbar und ist weniger ausgeprägt bei Patienten mit bekanntem Diabetes (Hanas et al. 2007).
Mit einsetzender Insulingabe und Normalisierung der Azidose kommt es zum Rückstrom des Kaliums in die Zelle und nachfolgend absinkenden Serum-Kalium-Spiegeln. Zur Substitution empfohlen werden Lösungen mit einer Konzentration von 40 mmol/l bzw. 20 mmol/l bei sehr hohen Infusionsgeschwindigkeiten. Dies entspricht einer mittleren Dosis von 4–8 mmol/kg KG/Tag. Als Obergrenze für die i.v.-Kaliumgabe wird üblicherweise eine Infusionsrate von 0,5 mmol/kg KG/h angegeben (Wolfsdorf et al. 2014). In jedem Fall sind engmaschige Kontrollen der Serumelektrolytspiegel (initial stündlich, später 2- bis 3-stündlich) für die Steuerung der Kaliumsubstitution sinnvoll. Bei ausgeprägter Hypokaliämie sollte die Insulinzufuhr passager unterbrochen werden.
Cave
In jedem Fall (auch bei normalen Ausgangswerten) muss man von einer Kaliummangelsituation ausgehen und deshalb früh eine hoch dosierte Substitution einleiten.
In welcher Form Kalium zugeführt werden soll, ist umstritten. Mit dem Kaliumverlust einhergehend ist ein Verlust des Phosphats durch die osmotische Diurese. Dies legt eine Phosphatsubstitution nahe. Allerdings ist der klinische Nutzen einer Phosphatgabe nicht belegt (Dunger et al. 2004). Gleichzeitig kann die Phosphatsubstitution eine Hypokalzämie induzieren und auch mit praktischen Problemen verbunden sein. Aus diesem Grund wird in aller Regel die Kaliumsubstitution in Form von Kaliumchlorid vorgenommen, gelegentlich wird eine Mischung aus Kaliumphosphat und Kaliumchlorid appliziert.
Azidoseausgleich
Die Flüssigkeitssubstitution im Rahmen der DKA-Behandlung verbessert die Gewebeperfusion und die Nierenfunktion und führt damit zu einer vermehrten Ausscheidung saurer Valenzen. Mit Beginn der Insulinsubstitution kommt es zum Abbau von Ketonsäuren und zur endogenen Bicarbonatproduktion. Eine zusätzliche Bicarbonatsubstitution wird im Gegensatz zu früheren Vorgehensweisen nicht mehr empfohlen. Ausnahmen sind Patienten mit schwerer DKA und herabgesetzter kardialer Kontraktilität sowie ausgeprägter peripherer Vasodilatation. In den meisten Fällen überwiegen jedoch die Gefahren eines aktiven Azidoseausgleichs durch die Bicarbonatgabe wie Verstärkung der Hypokaliämie oder das Auftreten einer paradoxen ZNS-Azidose (Althoff et al. 2001). Wegen der fehlenden Notwendigkeit einerseits und der Risiken andererseits wird deshalb von einer Bicarbonatgabe abgeraten (Wolfsdorf et al. 2014).
Komplikationen
Die am meisten gefürchtete Komplikation bei der Behandlung der DKA ist das Auftreten eines Hirnödems.
Im Rahmen einer DKA gehen 60–90 % aller Todesfälle auf diese Komplikation zurück (Glaser et al. 2001; Edge et al. 2001). Die Entwicklung eines Hirnödems erfolgt typischerweise 4–12 h nach Therapiebeginn, kann aber prinzipiell zu jedem Zeitpunkt im Rahmen der DKA auftreten (Dunger et al. 2004). Zu den Warnzeichen zählen Kopfschmerzen, Herzfrequenzabfall, wiederholtes Erbrechen, Veränderungen des neurologischen Status, Blutdruckanstieg und ein Abfall der O2-Sättigung. Das Risiko ist besonders hoch bei jüngeren Kindern, bei Manifestation des Diabetes und langer Symptomdauer (Bello und Sotos 1990; Rosenbloom 1990). Ein Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Hyperglykämie und dem Risiko für ein Hirnödem scheint nicht zu bestehen, wohingegen eine Korrelation zwischen dem Ausmaß der Azidose und dem Risiko für ein Hirnödem besteht (Durr et al. 1992; Edge et al. 2001; Glaser et al. 2001; Mahoney et al. 1999).
Diagnosewert für das symptomatische Hirnödem
Die Diagnose erfolgt entweder aufgrund eines direkten diagnostischen Kriteriums oder aufgrund indirekter Kriterien (zwei Hauptkriterien oder ein Hauptkriterium und zwei Nebenkriterien) (Muir et al. 2004).
1.
Direkte diagnostische Kriterien
  • Abnorme motorische oder verbale Reaktion auf Schmerzreize
  • Dezerebrationsstarre bei Mittelhirneinklemmung (erhöhter Muskeltonus, Opisthotonus und Beugung der Hand- und Fingergelenke) oder Dekortikationsstarre bei diffuser (hypoxischer) Schädigung des Großhirns (überstreckte Beine und im Ellbogengelenk gebeugte Arme ohne Opisthotonus)
  • Hirnnervenparese (insbesondere III, IV, VI)
  • Abnormes neurogenes Atemmuster (z. B. Cheyne-Stokes-Atmung bei Schädigung beider Hemisphären oder hyperventilatorische Maschinenatmung bei Mittelhirnläsionen)
 
2.
Indirekte Kriterien: Hauptkriterien
  • Veränderte mentale Aktivität/wechselnder Bewusstseinszustand
  • Anhaltendes Absinken der Herzfrequenz (>20 Schläge/min), nicht zurückzuführen auf Volumengabe oder Schlaf
  • Altersinadäquate Inkontinenz
 
3.
Indirekte Kriterien: Nebenkriterien
  • Erbrechen
  • Kopfschmerz
  • Lethargie oder schwere Erweckbarkeit
  • Diastolischer Blutdruck >90 mmHg
  • Alter <5 Jahre
 
Pathophysiologisch scheinen mehrere Mechanismen an der Entstehung eines Hirnödems beteiligt zu sein. Wesentlicher Faktor ist die forcierte Senkung der Serumosmolarität im Rahmen der Flüssigkeitsgabe. Es gibt Hinweise darauf, dass eine subklinische Hirnschwellung auch dann vorliegen kann, wenn ausgeprägte Hirndruckzeichen fehlen (Krane et al. 1985).
Therapie des Hirnödems
Zur Therapie des Hirnödems wird empfohlen, bereits bei klinischem Verdacht die Flüssigkeitszufuhr sofort um etwa 1/3 zu reduzieren, den Oberkörper auf ca. 30° hochzulagern und frühzeitig Mannitol in einer Dosis von 0,5–1 g/kg KG über 20 min zu infundieren. Der Erfolg dieser Maßnahme tritt normalerweise rasch (nach 30 min) ein.
Zeigt sich kein Erfolg binnen zwei Stunden, wird diese Maßnahme wiederholt. Im Extremfall führt das Hirnödem zur Ateminsuffizienz und macht eine Intubation mit nachfolgender Beatmung erforderlich (Wolfsdorf et al. 2014).
Entscheidend für den Erfolg bei der Therapie des Hirnödems sind die frühzeitige Erkennung und ein rasches Einsetzen der Therapie. Eine zusätzliche Diagnostik (Augenhintergrunduntersuchung, EEG, kraniale Bildgebung) ist der klinischen Beurteilung im Frühstadium nicht überlegen und führt lediglich zur Verzögerung einer Behandlung. Die Behandlungsindikation ergibt sich allein aus den klinischen Gegebenheiten.
Prävention
In Anbetracht der Gefahren, die mit einer DKA im Kindesalter einhergehen, muss das vorrangige Ziel sein, solche Situationen zu vermeiden.
Mit Blick auf die DKA im Rahmen der Diabetesmanifestation können Aufklärungskampagnen in der Öffentlichkeit dazu beitragen, die Symptomatik rechtzeitig zu erkennen und die Diagnosestellung zu beschleunigen.
Bei Kindern und Jugendlichen mit bekanntem Diabetes ist die Schulung der Betroffenen und ihrer Betreuer die wichtigste Maßnahme zur Prävention einer DKA.

Hyperglykämisches hyperosmolares Syndrom

Kinder und Jugendliche mit einem Diabetes mellitus Typ 2 können einen hyperglykämischen hyperosmolaren Zustand mit Blutzuckerwerten über 600 mg/dl (33,3 mmol/l) und einer Hyperosmolarität von über 320 mosm/kg KG auch ohne DKA entwickeln. Das hyperglykämische hyperosmolare Syndrom (HHS) ist eine Variante der klassischen DKA und kommt gehäuft bei afroamerikanischen Kindern und stark übergewichtigen Kindern und Jugendlichen mit zuvor unentdecktem Diabetes mellitus Typ 2 vor. Das HHS weist gegenüber der DKA ein weitaus höheres Mortalitätsrisiko auf.
Zentrale Diagnosekriterien des HHS (Wolfsdorf et al. 2014)
  • Hyperglykämie >33,3 mmol/l (>600 mg/dl)
  • pH >7,3
  • Serumbicarbonat >15 mmol/l
  • Geringe Ketonurie, fehlende oder milde Ketonämie (Serumhydroxybutyrat 1+/–0,2 mmol/l)
  • Effektive Serumosmolalität >320 mosm/kg
Cave
Das vorrangige Therapieziel beim HHS ist die Flüssigkeitssubstitution entsprechend dem Vorgehen bei der DKA. Beim Ausgleich der Hyperglykämie ist eine erhöhte Insulinempfindlichkeit zu beachten. Die Insulinzufuhr nach initialer Flüssigkeitsgabe sollte deshalb nur 0,05 U/kg KG/h (oder weniger) betragen.
Literatur
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